Fischer, Hermann 

Andere Namensformen:
  • von Fischer (ab 1902)
Geburtsdatum/-ort: 12.10.1851;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 30.10.1920;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Germanist
Kurzbiografie: 1859–1869 Schulzeit am Humanistischen Gymnasium Stuttgart und am Niederen theologischen Seminar in Blaubeuren
1869–1873 als Stipendiat am Tübinger Stift Studium an der Univ. Tübingen
1873 Promotion: „Die Forschungen über das Nibelungenlied seit Karl Lachmann“
1873–1874 Hilfslehrer am Humanistischen Gymnasium in Stuttgart
1874–1875 „Reiseurlaub“ zum Studium in Leipzig
1875 Württ. Prüfung für das Professorat an Gelehrtenschulen, Hilfslehrer am Gymnasium in Heilbronn
1875–1876 Provisorischer Bibliothekar
1876–1888 Definitiver vierter Bibliothekar an der Kgl.-öffentlichen Bibliothek (später Landesbibliothek) in Stuttgart, Titular-Professor
1883 Beginn der Tätigkeit am „Schwäbischen Wörterbuch“
1885 Mitglied der Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde in Leiden
1888–1920 o. Prof. für Germanische Philologie an der Univ. Tübingen
1891 Vorsitzender des Literarischen Vereins in Stuttgart
1892 stellv. Mitglied des literarischen Sachverständigen Vereins (später literarische Sachverständigenkommission) für Württ., Baden und Hessen
1901 Rektor der Univ. Tübingen
1902 Ehrenkreuz des Ordens der Württ. Krone
1903 stellv. Vorsitzender des literarischen Sachverständigen Vereins
1904 ordentliches Mitglied der Württ. Kommission für Landesgeschichte
1913 korrespondierendes Mitglied der Kgl. Bayerischen Akademie der Wiss. (ab 1918 Bayerische Akademie der Wiss.), München
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1877 Julie, geb. Schmitz (1854–1936), Tochter des deutschen Generalkonsuls in Genua
Eltern: Vater: Johann Georg Fischer (1816–1897), Dr., Lehrer und Dichter
Mutter: Auguste, geb. Neubert (1811–1867)
Kinder: 2 Söhne, 4 Töchter, darunter: Walther (1882–1969), Prof. der Pathologie in Jena, Direktor des Gerichtsmedizinischen Instituts
GND-ID: GND/116556501

Biografie: Jörg Riecke (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 58-61

Fischer kam als Bibliothekar und zunächst gegen den Willen der Fakultät auf seinen Tübinger Lehrstuhl, den er dann aber mehr als 30 Jahre sehr erfolgreich ausfüllte. Er ist der Schöpfer des bahnbrechenden siebenbändigen „Schwäbischen Wörterbuchs“, das bis heute ein Standardwerk geblieben ist.
Stark geprägt von seinem Vater, dem Dichter Johann Georg Fischer, einem Zimmermannssohn aus Groß-Süßen an der Fils und Freund Mörikes, verbrachte Fischer seine Kindheit und Jugend in Stuttgart, wo sein Vater ab 1845 als Lehrer tätig war. Seine Mutter stammt aus einem unpietistischen schwäbischen Pfarrhaus in Bernstadt auf der Ulmer Alb und starb, als Fischer eben 16 Jahre alt war. Wenngleich in der Stadt aufgewachsen, verbrachte er viel Zeit im ländlichen familiären Umfeld seiner Eltern und begleitete seinen Vater auf Wanderungen, die seinen Sinn für die Natur und das Landleben schärften. Während der Vater seine Eindrücke zu damals vielbeachteten Naturgedichten und ländlichen Idyllen verarbeitete, führten sie Hermann Fischer, der eher nüchtern und praktisch veranlagt war, zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit schwäbischer Volkskunde und Dialektologie.
Nach dem Tod seiner Mutter zog Fischer in das Niedere theologische Seminar in Blaubeuren ein und zwei Jahre später in das Tübinger evangelisch-theologische Stift, um klassische Philologie zu studieren. Am humanistischen Bildungsideal hat er zeitlebens fest gehalten, das humanistische Gymnasium und die wissenschaftlichen Aufgaben und Methoden der Philologie waren für ihn auch dann noch verbindlich, als Vertreter einer jüngeren Generation eine nationalere, „deutschkundliche“ Ausrichtung des Schulunterrichts forderten. Unter seinen akademischen Lehrern an der Universität Tübingen beeinflusste ihn vor allem Adalbert Keller, der selbst noch bei Uhland studiert hatte und sich hauptsächlich durch Editionen mittelalterlicher romanischer und deutscher Texte verdient gemacht hatte. Als die Tübinger philosophische Fakultät unter Kellers Anleitung 1871 die Preisaufgabe stellte: „Die neuesten Theorien über Entstehung und Verfasser des Nibelungenliedes sollen dargestellt und kritisch beleuchtet werden“, gehört Fischers Arbeit zu den beiden besten und wird prämiert. Aus ihr geht auch 1873 seine Doktorarbeit „Die Forschungen über das Nibelungenlied seit Karl Lachmann“ hervor. Die sich anschließende Zeit im Schuldienst scheint Fischer dagegen nicht befriedigt zu haben, Klagen über die „schlecht disziplinierte Klasse“ und gesundheitliche Probleme traten hinzu. In einem Brief „An die hohe Königl. Kultministerial-Abt. für Gelehrten- und Realschulen“ vom 31.8.1874 bittet er aus diesen Gründen um einen halbjährigen „Reiseurlaub“, der bewilligt wird, und den er in Leipzig verbringt, um dort bei Friedrich Zarncke seine Studien zum Nibelungenlied fortzusetzen. Durch das Leipziger Forschungssemester brachte er sich auch auf den neuesten Stand der Methodenlehre in der „Deutschen Philologie“ und gab seinem Leben eine eindeutig auf die Wissenschaft ausgelegte Richtung. Zwar unterzieht er sich nach seiner Rückkehr noch der Prüfung für das Professorat an Gelehrtenschulen und unterrichtet einige Monate am Gymnasium in Heilbronn, doch kann er im Juni 1875 eine Stelle als Bibliothekar an der Königlich-öffentlichen Bibliothek in Stuttgart antreten. Der Ausbau der späteren Landesbibliothek machte umfassende Arbeiten nötig, bei denen sich Fischer besonders um die Katalogisierung verdient machte. 1876 wurde ihm deshalb der Professorentitel verliehen; 1877 heiratete er Julie Schmitz, die Tochter des deutschen Generalkonsuls in Genua. In Fischers Stuttgarter Zeit fallen verschiedene kleinere literaturgeschichtliche Arbeiten, die er später in den „Beiträgen zur Literaturgeschichte Schwabens“ gesammelt hat. Als ihm Adalbert Keller vor seinem Tod seine Vorarbeiten zu einem schwäbischen Wörterbuch anvertraute, trat Fischers Laufbahn noch einmal in eine neue Phase ein. Er besaß nun ca. 400 000 Zettel mit schwäbischen Wortbelegen und etwa 400 Aufsätze aus 320 württembergischen Schulorten, die Angaben zu Laut- und Formenstand der Ortsmundarten enthielten – der Grundstock des späteren Wörterbuchs. Kellers Nachfolger als Professor in Tübingen wurde zwar 1883 der Junggrammatiker Eduard Sievers, ein Leipziger Schüler Zarnckes, der damals die neueste und innovativste philologische Ausrichtung vertrat, doch hatte Fischer jetzt als Bearbeiter des Kellerschen Wörterbuchs auch in universitären Kreisen auf sich aufmerksam gemacht. Als Sievers schon 1887 Tübingen wieder verließ, schlug die Fakultät als Nachfolge zunächst wieder einige führende Vertreter der sprachwissenschaftlichen junggrammatischen Schule vor, denn die Fakultät legte Wert auf einen Lehrer, der mehr die philologische als die literaturgeschichtliche Seite der Germanistik vertrat, doch wurde Fischer jetzt vom Ministerium favorisiert und gegen den Widerstand der Fakultät, aber mit Fürsprache des Kanzlers von Rümelin berufen.
Fischer konzentriert sich daher in den folgenden Jahren auf die Philologie und besonders auf die Dialektforschung, die der Arbeit am Wörterbuch zu Gute kam und zugleich den philologischen Ansprüchen der Fakultät genügen konnte. Als Vorstufe des Wörterbuchs erschien 1895 die „Geographie der schwäbischen Mundart“, für die er selbst 1886 noch einmal Fragebögen an die Pfarrämter Württembergs, Hohenzollerns, Südostbadens, Bayerisch-Schwabens, Bayerisch-Tirols und der Nordostschweiz verschickt hatte. Damit setzte er die von Keller begonnene indirekte Fragemethode, statt der weitaus genaueren, aber sehr zeitaufwändigen direkten mündlichen Befragung fort. Fischer konnte aber auch so zeigen, dass anders als zuvor angenommen keine festen Lautgrenzen beobachtet werden können, weil Wörter mit gleicher Lautgestalt in einem Ort so, im nächsten anders ausgesprochen werden können. Als Leiter des „Stuttgarter Litterarischen Vereins“ verantwortete er zudem das Erscheinen von 75 Bänden und besorgte selbst die Edition von Uhlands Werken, eine Neuausgabe der von Uhland herausgegebenen Volkslieder, sowie die Edition der Werke von Theodor Körner, Wilhelm Hauff, Hermann Kurz und der Gedichte Weckherlins und einige mehr. In seinen Vorlesungen behandelt er neben den von ihm erwarteten altgermanistisch-philologischen Stoffen und der deutschen Grammatik auch die Geschichte der deutschen Literatur, neuere Autoren wie Lessing, Goethe, Schiller, Uhland und Gottfried Keller sowie die Literatur Schwabens im 18. und 19. Jahrhundert.
Für sein Hauptwerk nimmt Fischer sich Johann Andreas Schmellers „Bayerisches Wörterbuch“ zum Vorbild, es ist aber alphabetisch angelegt und daher bedeutend leichter zu benutzen. Es umfasst das gesamte Gebiet des früheren Königreichs Württemberg und des einstigen preußischen Regierungsbezirks Sigmaringen, Bayern südwestlich der Wörnitz und westlich des Lechs (Bayerisch-Schwaben), von Tirol das Tannheimer und das Lechtal bei Reutte sowie vom einstigen Großherzogtum Baden den Teil östlich der Linie Neuhausen – Stockach – Ludwigshafen. Da es ganz Württemberg einbezieht, greift es im Norden weit in den fränkischen und im Süden weit in den bodenseealemanni schen Raum hinein. Fischer verarbeitet den gesprochenen und dialektliterarisch verschrifteten Wortschatz seiner Zeit, aber auch mittelalterliche und frühneuzeitliche Belege aus literarischen Texten, Rechtsquellen und Chroniken. Die erste Lieferung erschien 1901, Fischer war bis zu seinem Tod alleiniger Redaktor und bearbeitete 64 Lieferungen von A bis zum Anfang von U. Die restlichen Lieferungen einschließlich eines Nachtragsbandes bearbeitete bis 1936 sein Schüler Wilhelm Pfleiderer. So wurden schwäbische Sprache, Literatur und Volkskunde zu seinem Lebensthema, auch mit den schwäbischen Siedlungen in der ungarischen Grafschaft Szatmár hat er sich befasst. Für die Beschäftigung mit der Literatur blieb ihm jedoch neben der Wörterbucharbeit nur wenig Zeit, dennoch verstand er sich als Universitätslehrer auch als Literaturwissenschaftler und verhinderte erfolgreich die Einrichtung eines zweiten, ausschließlich literaturwissenschaftlichen germanistischen Ordinariats an der Universität Tübingen, das erst nach seinem Tode eingerichtet wurde. Zu den wenigen Schülern, die nicht zum engen Kreis der Helfer am Wörterbuch gehören, zählen denn auch nur der siebenbürgische Germanist Gustav Kisch, der 1891 von Fischer mit einer Arbeit über die Bistrizer Mundart und der Schriftsteller Frank Thiess, der 1914 mit dem Thema „Die Stellung der Schwaben zu Goethe“ promoviert wurde. Mit seinem Wörterbuch hat Fischer sich allerdings ein beeindruckendes und bleibendes Denkmal gesetzt.
Quellen: Univ.bibliothek Tübingen, TeilNL, 1,5 lfd. m. Biograph. Aufsatz, Briefe von Hermann Fischer Handexemplare, Kollegmss., Kollektaneen, Mss. UAT, Personalakte.
Werke: Ein Schriftenverzeichnis bei Arno Ruof, Hermann Fischer, 189–190.
Nachweis: Bildnachweise: Schwäbisches Wörterbuch, Bd. VI,2 (Nachtragsband), 1936.

Literatur: Eugen Mann, Dr. Hermann von Fischer, in: Württ. Nekrolog für die Jahre 1920 und 1921, 1928, 117-132; Wilhelm Pfleiderer, Fischer, Hermann, in: Deutsches Biographisches Jahrbuch, Überleitungsband II, 1917 – 1920, hg. vom Verbande der deutschen Akademien, 1928, 522-527; Hugo Moser, Hermann Fischer und die deutsche Mundartforschung. Anlässlich der akademischen Feier zu seinem 100. Geburtstag in Tübingen, in: ZWLG 11 (1952), 225-236; Hugo Moser, Fischer, Hermann von, in: NDB 5 (1961), 176; Arno Ruof, Hermann Fischer, in: Zur Geschichte von Volkskunde und Mundartforschung in Württemberg. Helmut Dölker zum 60. Geburtstag, hg. von der Tübinger Vereinigung für Volkskunde, 1964, 171-192; Ursula Burkhardt, Germanistik in Südwestdeutschland. Die Geschichte einer Wissenschaft des 19. Jahrhunderts an den Universitäten Tübingen, Heidelberg und Freiburg, 1976, 21-26, 108-140, 227-228; Fischer, Hermann (ab 1922) von, in: Internationales Germanistenlexikon 1800 – 1950, hg. und eingeleitet von Christoph König, 2003, 492-494 (mit weiterer Literatur).
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