Rocke-Heindl, Anna 

Geburtsdatum/-ort: 09.10.1867; Wien
Sterbedatum/-ort: 09.07.1963; Hamburg
Beruf/Funktion:
  • Opernsängerin, Gesangspädagogin
Kurzbiografie: 1870 Auswanderung mit den Eltern nach Amerika
1889 Ausbildung zur Opernsängerin bei Marianne Brandt in Wien
1892-1902 Erstes Engagement am Großherzoglichen Hof- und Nationaltheater Mannheim
1903-1906 Engagement an der Königlichen Oper Dresden
1906-1908 Engagement an der Herzoglichen Hofoper Dessau
seit 1909 Gesangspädagogin in Mannheim
1944 Übersiedlung nach Hamburg
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: 1899 Mannheim, Emil Rocke, Kaufmann (1852-1919)
Eltern: Josef Heindl, Handschuhmacher
Anna, geb. Kubina
Geschwister: 2 Brüder
Kinder: Annemarie Rocke-Marks (geb. 1901)
GND-ID: GND/116578602

Biografie: Sabine Pich (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 308-310

Im Theater in der Josefstadt in Wien kam Anna Heindl zur Welt. Hier besaßen ihre Eltern einen kleinen Abendladen, in dem die vornehmen Damen die eleganten, bis zur Schulter reichenden Handschuhe kauften. Ihr Vater, ein aus Pilsen stammender Handschuhmacher, war Spezialist für diese Luxusware. Doch die Geschäfte gingen schlecht. 1870 mußte er für seinen Betrieb Konkurs anmelden, drei Jahre, bevor der Wiener Börsenkrach die Existenz zahlreicher Kleinbürger und kleinerer Gewerbetreibender ruinierte. Die Familie entschloß sich zur Auswanderung nach Amerika.
In New York begann die Siebzehnjährige mit ersten Gesangsstudien. Allerdings mag sie dies viel Mühen gekostet haben, denn rückblickend meinte sie später, junge Mädchen dürften mit der Schulung ihrer Stimme niemals zu früh anfangen. 1889 kehrte sie in Begleitung ihrer Mutter nach Wien zurück, um bei der gefeierten Wagnersängerin und renommierten Gesangslehrerin Marianne Brandt eine dreijährige Ausbildung zur Opernsängerin zu absolvieren.
Ihr erstes Engagement erhielt die Sopranistin Heindl am Großherzoglichen Hof- und Nationaltheater in Mannheim. Es gelang ihr sogleich der Durchbruch, nachdem sie ihre drei Auftritte als Elisabeth in „Tannhäuser“, als Valentine in „Hugenotten“ und zuletzt als Donna Anna in „Don Juan“ (am 19. Februar 1892) neben dem berühmten portugiesischen Bariton Francesco d’Andrade mit großem Erfolg bestanden hatte. Als Anfängerin auf der Bühne neben d’Andrade zu singen, der damals als bester Vertreter der Rolle des Don Juan galt – als solcher von Max Slevogt in zwei großen Gemälden (1902/03) gewürdigt –, bedeutete für Heindl den verheißungsvollen Beginn ihrer Karriere. Obwohl sie anfangs noch etwas Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hatte, verpflichtete sie der Intendant Karl Freiherr von Stengel ohne Bedenken für zehn Jahre an die Mannheimer Opernbühne. Die Sängerin bezeichnete diese Zeit als „beglückende Jahre“, während der sie den Kaufmann Emil Rocke kennenlernte und heiratete. Rocke stammte aus einer alten Mannheimer Theaterfamilie. Sein Vater war der Tenor Leopold Rocke, seine Mutter die Schauspielerin Polixena Rocke-Heußer, deren Rollenrepertoire von der „munteren Liebhaberin“ bis zur „komischen Alten“ ihr vielseitiges Talent bewies.
Weder Ehe noch Mutterschaft hielten Rocke-Heindl zunächst von ihrer weiteren Bühnenkarriere ab. Nachdem sie als „Hochdramatische“ für drei Jahre an die Königliche Oper zu Dresden engagiert worden war, nahm sie ihre einjährige Tochter Annemarie kurzerhand mit. Rocke-Heindls umfangreiches Rollenrepertoire bewog den „Theaterherzog“ Friedrich II. von Sachsen-Anhalt, sie nach Dessau an seine Hofoper zu holen, wo sie fast ausschließlich Wagnerrollen sang.
Als Tochter Annemarie ins Schulalter kam und Ehemann Rocke nun nicht mehr auf ein Familienleben verzichten wollte, kehrte Rocke-Heindl nach Mannheim zurück und nahm kein festes Engagement mehr an. Lediglich zu Gastspielauftritten reiste sie noch an die großen Opernbühnen nach Dresden und Berlin sowie zu den jährlich stattfindenden Aufführungen von Richard Wagners „Ring der Nibelungen“ nach Dessau.
In Fachkreisen gilt Rocke-Heindl als die bedeutendste jugendlich-dramatische und hochdramatische Sopranistin ihrer Zeit, „bestechend durch die Gepflegtheit ihrer Gesangskunst und den edlen warmen Klang ihrer Stimme, bezaubernd durch die Innigkeit des Gefühlstons und im musikalisch-dramatischen, auch darstellerisch intuitiv sicheren Ausdruck schwärmerisch hingebender Empfindung“. So lautete das Urteil zeitgenössischer Musikkritiker. Man lobte sie als „eminente Vortragskünstlerin“, die namentlich als Wagnersängerin geschätzt wurde. Sie beherrschte alle hochdramatischen Partien Wagners und das gesamte Fach einer Primadonna. „So gehören (...) ihre Pamina und Gräfin mit ihrer filigranfeinen Ausarbeitung Mozartscher Melodik, ihr Fidelio und Wagners Senta, Elisabeth und Elsa zu den herrlichsten Gestaltungen musikalischer Bühnenkunst“, schrieb 1929 der Theaterhistoriker Ernst Leopold Stahl, ein enger Freund der Familie. Nach dem Tod ihres Mannes trat Rocke-Heindl nur noch selten auf. Statt dessen erteilte sie jungen Damen aus den gehobenen Mannheimer Kreisen Gesangsunterricht. Sie galt als eine hervorragende Gesangspädagogin. Über Rocke-Heindls letzte zwei Jahrzehnte in Mannheim ist nur wenig bekannt. Nachdem ihr Wohnhaus im II. Weltkrieg von Fliegerbomben zerstört worden war, zog sie zu ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn, dem Schauspieler Eduard Marks, nach Hamburg. Hier verbrachte sie ihren Lebensabend und starb „in völliger geistiger Frische“ im Alter von 95 Jahren. Ihrem Wunsch gemäß wurde sie auf dem Mannheimer Hauptfriedhof beigesetzt.
Quellen: Stadtarchiv Mannheim: Sammlung Familienbogen, Zeitgeschichtliche Sammlung, Melderegister; Reiss-Museum Mannheim, Theatersammlung; Wiener Stadt- und Landesarchiv; Zentrum für Theaterforschung Hamburg; Hamburger Theatersammlung, Möhring-Archiv; schriftliche und mündliche Mitteilungen von Annemarie Marks-Rocke
Werke: Gruß aus Mannheim. In: Mannheimer Hefte 1954, H. 2, 55-56
Nachweis: Bildnachweise: Stadtarchiv Mannheim; Reiss-Museum Mannheim, Theatersammlung; Privatbesitz

Literatur: Ernst Leopold Stahl, Das Mannheimer Nationaltheater. Ein Jahrhundert deutscher Theaterkultur im Reich, 1929; Bühnengenossenschaft 9. Jg. 1957, H. 8, 290; K. J. Kutsch, Leo Riemens, Großes Sängerlexikon, 1987, (Ergänzungsband) 1991
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