Goltz, Joachim Freiherr von der 

Geburtsdatum/-ort: 19.03.1892; Westerburg (Westerwald)
Sterbedatum/-ort: 29.03.1972;  Obersasbach
Beruf/Funktion:
  • Dichter
Kurzbiografie: 1900-1909 Gymnasium Baden-Baden, Abitur
1909-1914 Universitätsstudium (Nationalökonomie, Philosophie, Geschichte, Rechtswissenschaft) in London, Genf, Heidelberg, Freiburg i. Br., Basel, Greifswald und Berlin
1914 Dr. iur. (Dissertation: „Die Entwicklung der Selbstverwaltung innerhalb der staatlichen Verwaltung der öffentlichen Volksschule in Preußen“), kurzzeitig Referendar in Königswusterhausen
1914-1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg (Leutnant in badischen Infanterie- und Feldartillerieregimentern an der Westfront, im letzten Kriegsjahr Berichterstatter im Großen Hauptquartier)
1919 Niederlassung in Obersasbach, Schriftsteller, zeitweise Dramaturg an den Städtischen Bühnen in Baden-Baden
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1. 1918 Gertrud, geb. Schuster-Woldan (gesch. 1921)
2. 1926 Friederike, geb. Freiin Roeder von Diersburg (1898-1972)
Eltern: Vater: Friedrich Freiherr von der Goltz (1858-1905), Landrat
Mutter: Else, geb. Neumann (1869-1942)
Geschwister: 1
Kinder: 3 aus 2. Ehe
GND-ID: GND/116764929

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 117-119

„Die Gesinnung des Deutschen und Volkhaften verbindet sie (die jüngeren Dichter) insgeheim, die von der gleichen Stimme aus der Tiefe des Blutes gerufen werden. Der Weltkrieg hatte die Umschaltung ausgelöst, der Umbruch (1933) führte sie zu Ende. Hier steht in vorderster Front Joachim von der Goltz“, schrieb W. E. Oeftering im Jahre 1939. Diese Rubrizierung würde einer noch im Jahre 1988 aufgestellten Behauptung entsprechen, Goltz sei „linientreu“ gewesen, Repräsentant der „nationalistischen und faschistischen Kriegsliteratur“ (H. M. Klein). Zweifellos, viele Vertreter des deutschen geistigen Lebens, die während des „Dritten Reiches“ in ihrer Lebens- und Schaffensmitte standen, konnten sich dem großangelegten Appell an die „Gesinnung des Deutschen und Volkhaften“ nicht entziehen und verbeugten und verbogen sich zuweilen bedenklich in Richtung Zeitgeist. Goltz’ Persönlichkeitsstruktur, Bildungswelt und Gesamtwerk jedoch bieten insgesamt ein komplexes Erscheinungsbild, das die Bezeichnung „linientreu“ verbietet.
Sein Werdegang war wechselvoll: Westfale väterlicherseits, „von einer herben und schwermütigen Kraft der Seele und großer Güte“. So beschrieb Goltz seine Großmutter, und die Beschreibung trifft auch auf den Enkel zu. Die Scheidung der Eltern (1896) hinterließ tiefe Furchen in der Seele des Kindes, das bis dahin in der behüteten Umgebung eines Landratshauses auf dem Westerwald aufgewachsen war. Als die Mutter 1896 den Arzt und Schriftsteller Georg Groddeck heiratete, einigte man sich darauf, die weitere Erziehung des Kindes ihm und Goltz’ Mutter, einer Frau „von einer ungewöhnlichen Phantasie und idealem Schwung des Empfindens“ (Goltz), anzuvertrauen. Der junge Arzt vermied die ausgetretenen Pfade der medizinischen Wissenschaft, gründete gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein bald international bekanntes Sanatorium in Baden-Baden und wurde zu einem der Begründer der modernen Psychosomatik. Die geistige Weite und Originalität des Ziehvaters und der Mutter, das kosmopolitische Klima Baden-Badens und der benachbarte Schwarzwald vermittelten dem Heranwachsenden erste Perspektiven und Ausrichtung für das spätere Lebenswerk. Das Universitätsstudium – auch in namhaften Hochschulen des europäischen Auslands – vervollständigte das geistige Rüstzeug des hochbegabten jungen Mannes, dem eine aussichtsreiche Laufbahn bestimmt schien.
Doch da brach der erste Weltkrieg aus. „Wie nie fühlten die Tausende und Hunderttausende Menschen, was sie besser in Friedenszeiten hätten fühlen sollen: daß sie zusammengehörten“ (St. Zweig, „Die Welt von gestern“, 207). Und das „gemeinschaftliche Blutopfer und Erleben“ – bei Goltz in badischen Truppenteilen – wurde zu einem der tragenden Lebenselemente des späteren Dichters, dem vaterländisches Pathos und nationalistische Übersteigerung ebenso fremd waren wie glorifizierende Umschreibungen des Kriegsgeschehens. Gleich das Erstlingswerk Goltz’ spricht dafür, die damals weitverbreiteten „Deutschen Sonette“ (Berlin 1916); sie sind jener besseren Sorte der Schützengrabenliteratur zuzurechnen, „die von lyrischer Schönheit und Kraft erfüllt sind in einem traditionellen Sinne“ (H. M. Klein). In diesen Gedichten, aber auch in dem Schauspiel „Die Leuchtkugel“ („Fünfzehn Szenen der Verzweiflung in deutschen Knittelversen“, Berlin 1920), verbinden sich erstmals Formenstrenge und Sprachzucht des jungen Dichters mit der „Innigkeit des seelenvollen Fühlens“ (E. Käst). Aber viele Jahre später erst fand das Kriegserleben seinen eigenständigsten Reflex, in dem Roman „Der Baum von Cléry“ (München 1934), einem der zentralen Werke Goltz’. Die nach fünfzig Jahren wiederholte Lektüre bestätigte nachdrücklich den seinerzeit schon vermittelten Eindruck meisterlicher Erzählkunst, „künstlerischer Hieb- und Stichfestigkeit“ (E. Käst), der völligen Abwesenheit von Hurrapatriotismus und der Nachbarschaft dieses Werks zu Renn („Krieg“) und Remarque („Im Westen nichts Neues“). „Die Leuchtkugel“ wurde einmal als die „von allen Absagedichtungen an den Krieg ... eindringlichste“ bezeichnet (H. Franck, Literarisches Echo 25, 1922).
Nachwirkungen der Kriegsjahre, die Goltz’ Gesundheit untergraben hatten, führten im Jahre 1919 zur Niederlassung im Schwarzwald und zur Aufgabe des juristischen Berufs. Buch auf Buch entstand. „Ich lernte das Land zwischen dem Rhein bei Straßburg und der Hornisgrinde, dem beherrschenden kahlen Berghäuptling des nördlichen Schwarzwalds, immer besser kennen und lieben. Zwanzig Jahre Gemeinschaft lehrten mich die Menschen dort und ihre Geschicke als einen Bestandteil meines Lebens anschauen“ (Goltz 1943). Die vollzogene Einwurzelung Goltz’ in die Landschaft bezeugt der Roman „Der Steinbruch“ (München 1938, überarbeitete Fassung Gütersloh 1949), der „eine soziale Schicht des östlichen Gebirgsvorraumes der Oberrheinischen Tiefebene in überzeugenden Vertretern“ und „dieses Heimatraums tief zu eratmende Atmosphäre“ (E. Käst) schildert. In ganz anderer Umgebung, in Ostfriesland, spielt „Die Marcellusflut“; auch dieses Buch ist kein „Heimatroman in stubenengem Sinne“ (Ph. Leibrecht), sondern tragisches Bild – dem auch die dämonischen Züge nicht fehlen – einer schlimmen Naturkatastrophe. Die Spannweite der dichterischen Begabung tun mehrere Bühnenwerke dar: das vielgespielte, mit kräftigen Strichen gezeichnete Drama „Vater und Sohn“ (München 1921, Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II.), „eine Auseinandersetzung mit alledem ... was man früher Obrigkeit nannte und was der moderne Mensch als Pflicht begreift“ (Goltz), die Komödie „Das Meistermädchen“ (München 1938), „von einer sprühenden Heiterkeit durchwoben und lieblich durchgeistert ... in anmutigen Irrungen und Wirrungen“ (Ph. Leibrecht), das in vieler Hinsicht den zeitgeschichtlichen Hintergrund (Ruhrkampf, Rheinlandbesetzung) reflektierende Grimmelshausen-Festspiel „Der Stein im Schwarzwald“ (München 1924) und das Drama „Der Rattenfänger von Hameln“ (München 1932).
Der totalitäre Anspruch des Nationalsozialismus erstreckte sich ganz selbstverständlich auch auf ein Werk wie „Der Baum von Cléry“, das sich im Sinne der NS-Ideologie vereinnahmen und ausschlachten ließ: „Wohl, das Niederziehende ist da und wird nicht verhehlt; aber das andere ist auch da: der Mut, die Verantwortung, die Selbstlosigkeit und vor allem die beiden großen Dinge, die der Krieg zu bringen hatte und die in keinem Frieden so hoch wachsen können: Kameradschaft und Führertum“ (Ph. Leibrecht). Aber Goltz stand dem Zeitgeist mehr als reserviert gegenüber. Man kann in den 1942 (München) veröffentlichten expressionistischen Gedichten „Ewig wiederkehrt die Freude“ gelegentlich leise Anklänge an das „Volkhafte“ (W. E. Oeftering) finden („O ewig Volk, an deinem Baum bin eine Faser nur an einem Blatt, das bald verweht“), jedoch hätte sein 1943 geschriebener Lebensbericht auch 1953 geschrieben sein können. Trotz mehrmaliger Aufforderung, auch von seiten des „Propagandaministeriums“, lehnte Goltz den Eintritt in die NSDAP ab. Ein eindrucksvoller Beleg für seine Einstellung, die „im nobelsten Sinne unzeitgemäß“ (P. Fechter) war, ist die im Mittelalter spielende Erzählung „Die Mißgestaltete“ (Freiburg i. Br. 1939), die Geschichte einer jungen Frau mit Höcker, die so häßlich war, daß sie nur tiefverschleiert das Haus verlassen durfte. „Du bist ein Christenmensch trotzdem“, läßt Goltz eine der Figuren seiner Erzählung sagen, und diese verschafft der Mißgestalteten, auf dramatischem Umweg, einen Knecht, der sie betreut und vor Spott und Mißhandlung schützt. Diese Geschichte ist in einer Zeit geschrieben, in der die, in damaliger Terminologie, Vernichtung unwerten Lebens offizielles Regierungsprogramm wurde, und dieses Zeugnis humanitärer Gesinnung erschien – unglaublich – in einem Jahrbuch der Stadt Freiburg („Reichsstraße 31, Von der Ostmark zum Oberrhein“, 1939), das, wie es im Geleitwort des „Generalinspekteurs für das deutsche Straßenwesen“ heißt, „das Gepräge eines Bekenntnisses der ewigen deutschen Gemeinschaft trägt“ ... Das Alterswerk des Dichters, etwa die viel über seine menschliche Wärme und Sensibilität aussagende Lyrik („Mich hält so viel mit Liebesbanden“, Gütersloh 1951), hat – leider – nicht die Beachtung gefunden, die dem Œuvre der frühen und mittleren Schaffensjahre zuteil wurde. Ganz besonderen Rang erkennt E. Käst den in den Jahren 1948 und 1949 veröffentlichten Sammelbänden „Die Ergriffenen“ und „Junge Freundschaft“ (beide Gütersloh 1948) zu: „von der Goltz hat mit seinem Lebensraum auch den dichterischen Gestaltungsbereich gefunden, der ihn wirklich eigengeprägte Beiträge zu badischer Dichtung schaffen läßt, die eine Zierde in deren reicher Überlieferung darstellen.“
Werke: (soweit nicht im Text erwähnt) Erzählungen: Der Wein ist wahr (München 1928); Von mancherlei Hölle und Seligkeit (München 1936); Schauspiele: Mensch und Widersacher. Ein Spiel vom Armen Heinrich (Gütersloh 1949); Peter Hunold (Gütersloh 1949). Goltz hat sich auch als Übersetzer (aus dem Französischen, Amerikanischen, Niederländischen und Flämischen) betätigt
Nachweis: Bildnachweise: in Ph. Leibrecht a. a. O. 101

Literatur: W. E. Oeftering, Die schöne Literatur der Ortenau, in: Ortenau 16. Heft 1929, 340; ders., Geschichte der Literatur in Baden III. Teil, Karlsruhe 1939, 151-152; Ph. Leibrecht, Der Dichter Joachim von der Goltz, in: Ekkhart 1943, 99-105; Joachim von der Goltz, Von meiner Herkunft und Heimat, in: Ekkhart 1943, 105-109; E. Käst, Joachim von der Goltz, in: Baden, Monographie einer Landschaft, 2. Jg. 1950 Ausgabe 4, Karlsruhe 1950, 38-41; Joachim von der Goltz, Dankesworte zum 70. Geburtstag, in: Altvater, Lahr 1962, 110; K. Scheid, In memoriam Joachim von der Goltz; G. Imm, Ausdruck und Inhalt, in: Zwischen Murg und Kinzig, Mai 1972 Nr. 383; N. B. (= N. Benckiser), Joachim von der Goltz, in: FAZ vom 04.04.1972; A. Staedele, Dichter und Schriftsteller Mittelbadens (Nachtrag), in: Ortenau 41, Heft 1981, 75; H. M. Klein, Literarische Reaktionen auf den Ersten Weltkrieg, in: Propyläen Geschichte der Literatur, VI. Bd., Frankfurt-Berlin 1988, 52
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