Miller, Konrad 

Geburtsdatum/-ort: 21.11.1844;  Oppeltshofen (Ravensburg)
Sterbedatum/-ort: 25.07.1933;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • rk. Geistlicher, Naturwissenschaftler, Kartographiehistoriker
Kurzbiografie: Besuch des Gymnasiums in Ravensburg, dann des Gymnasialkonvikts in Ehingen; Eintritt ins Wilhelmsstift, Studium der Philosophie und Theologie in Tübingen
1866 Theologisches Examen; naturwiss. Studien in Stuttgart und Bonn
1868 Priesterweihe in Rottenburg, Vikar in Schramberg
1870 Promotion zum Dr. rer. nat. in Tübingen Lehramtsprüfung für den höheren Schuldienst; Vikar in Schwörzkirch, Altshausen, Leutkirch
1872 Kaplan in Unteressendorf
1882–1910 Lehrer für Naturwissenschaften am „Dillmann-Realgymnasium“ in Stuttgart
1933 Dr. h.c. der Univ. Salzburg
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Eltern: Vater: Franz Josef Miller (1806–1874), Bauer
Mutter: Agatha (1813–1852)
Geschwister: 5; Halbgeschwister: 4
GND-ID: GND/117043486

Biografie: Dominik Burkard (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 188-191

Bereits als Student widmete sich Miller nicht nur der Philosophie und Theologie, sondern auch der Mathematik, Botanik, Chemie und Geologie. Da er nach dem theologischen Examen das für die Priesterweihe vorgeschriebene Mindestalter noch nicht erreicht hatte, ging Miller nach dem Examen ans Stuttgarter Polytechnikum, wo er im Labor des Chemikers Hermann von Fehling arbeitete und den ersten Teil der „realistischen“ Fachprüfung ablegte. Danach setzte er diese Studien in Bonn fort. Obwohl man ihn dort für die wissenschaftliche Laufbahn gewinnen wollte, trat Miller ins Rottenburger Priesterseminar ein und empfing am 10. August 1868 die Priesterweihe. Nach kurzer Vikarszeit promovierte er bei Friedrich August Quenstedt (Tübingen) mit einer Arbeit über „Das Tertiär am Hochsträß“ und legte den zweiten Teil der mathematisch-naturwissenschaftlichen Lehramtsprüfung für den höheren Schuldienst in Zoologie, Mineralogie, Geologie und mathematischer Geographie ab. Infolge der auch in Württemberg herrschenden Kulturkampfstimmung erhielt Miller trotz bester Examina keine Anstellung im Schuldienst. Er wurde Kaplan in Unteressendorf, wo er mit Pfarrer Joseph Probst (1823–1905) einen ebenfalls promovierten Naturwissenschaftler als Vorgesetzten hatte, so dass er seine Studien auch als Seelsorger fortsetzen konnte. Miller legte Naturaliensammlungen an und widmete sich der heimischen Flora und Fauna. Es entstanden u. a. Untersuchungen über die „Schaltiere“ und das „Fischbrot“ des Bodensees, das Molassemeer und die geognostischen Verhältnisse in der Bodenseegegend sowie die Tieferlegung von Hochwasserständen. Auch bemühte er sich um die Erhaltung der „erratischen Blöcke“ Oberschwabens. 1872 gründete Miller den „Molasseklub“, der sich später als oberschwäbischer Zweigverein dem Verein für vaterländische Naturkunde anschloss, und war aktives Mitglied im „Verein für Geschichte des Bodensees“ und des „Bundes für Vogelschutz“. Ab 1880 wandte er sich verstärkt der Altertumskunde zu, beschäftigte sich mit altgermanischen Ringburgen, römischen Niederlassungen, Begräbnisstätten und Straßennetzen und betrieb Ausgrabungen bei Ravensburg, Altshausen, Mengen, Emerkingen, Ummendorf, Köngen, Jettenhausen, Bavendorf, Weingarten und Mochenwangen. 1882 erhielt Miller unerwartet einen Ruf als Lehrer für Naturwissenschaften an das „Dillmann-Realgymnasium“ nach Stuttgart. Dort führte er naturgeschichtliche Exkursionen und geologische Wanderungen ein, nahm seine Schüler zu Ausgrabungen mit (z. B. in die Gegend von Cannstatt, nach Benningen, Marbach, Walheim, Welzheim, Aalen und Köngen) und ließ sie später auch bei der Korrektur seiner Kartenausgaben mitarbeiten. 1886 wurde er vom Statistischen Landesamt in Stuttgart zur Mitarbeit am Sammelwerk „Das Königreich Württemberg“ eingeladen. Miller bearbeitete die Altertümer Oberschwabens und südlich der Donau. Auch an den „Oberamtsbeschreibungen“ war er beteiligt. Seine archäologischen Forschungen endeten 1901 mit der Gründung der Reichslimeskommission, in die Miller – wie andere katholische Forscher aus Bayern und Hessen – nicht berufen wurde. Miller konzentrierte sich in den folgenden Jahren auf das Gebiet der Kartographiegeschichte. Hier konnte Miller seine wichtigsten Untersuchungen veröffentlichen und edierte nach und nach die ältesten Weltkarten. Die Editionen erregten weltweites Aufsehen. Für den Gebrauch in der Schule erarbeitete Miller Kartenausgaben, die er im Selbstverlag herausgab und den Schulen als „Millers Anschauungsmittel zum erdkundlichen Unterricht“ zum Kauf anbot.
Neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten war Miller als Organisator und Leiter von Pilger- und Studienreisen tätig. Die erste große Pilgerreise mit 500 Teilnehmern ging 1901 nach Rom. Später kamen Reisen nach Palästina, große Mittelmeerreisen mit eigens dafür gecharterten Schiffen (Italien, Griechenland, Kleinasien, Nordafrika), Reisen zu den Kanarischen Inseln, nach Russland und England hinzu. Auf einer dieser Reisen entdeckte Miller das antike Amphitheater in Cumae bei Neapel, veranlasste den Kauf des dortigen Geländes und gründete die „Societas Cumaena“, für die er ein Erholungsheim baute. Im Ersten Weltkrieg sequestierte Italien das Gut in Cumae und wandelte das Erholungsheim in eine Filiale des Nationalmuseums von Neapel um.
Miller engagierte sich auch stark im kirchlichen und öffentlichen Leben Stuttgarts. Er war Mitglied des Aufsichtsrates und Mitarbeiter des „Deutschen Volksblattes“, Mitglied des „Kasino“ (Gesellenverein) und des Katholischen Kaufmännischen Vereins „Lätitia“, gründete den „Katholischen Leseverein“ und blieb viele Jahre dessen Vorstand. Für die verschiedenen kirchlichen Vereine betrieb Miller auch den Bau des katholischen Vereinshauses „Europäischer Hof“. Miller suchte bei aller „katholischer Identität“ den offenen Dialog mit der bürgerlichen Gesellschaft, war u. a. Mitglied des „Anthropologischen Vereins“, Ehrenmitglied der Studentenverbindung „Alania“ und viele Jahre Vorsitzender des Stuttgarter Bienenzüchtervereins. 1903 kaufte er auf dem Stuttgarter Stafflenberg eine Villa, die er ausbaute und die im Laufe der Jahre als Studentenheim, kaufmännische Berufsschule, Lazarett, Privatklinik und Altersheim diente. Für die Stafflenberg-Frauenkopf-Gegend gründete Miller einen „Kirchenbauverein“, dem er seinen umfangreichen Besitz überschrieb. Den Bau der Kirche (1967 St. Konrad) erlebte Miller nicht mehr. Sein ansehnliches „Naturalienkabinett“ überließ Miller zum großen Teil der „Württembergischen Naturaliensammlung“. Dem Salzburger Universitätsverein übertrug Miller seinen Selbstverlag; aus dem Reinerlös sollte ein Lehrstuhl für historische Geographie errichtet werden. Die Gestapo hob den Universitätsverein jedoch auf, der Verlag kam 1939 an Millers Nichte Gertrud Husslein in Göppingen und fiel 1945 einem Fliegerangriff zum Opfer.
Miller verlieh der geologischen, archäologischen und kartographischen Forschung seiner Zeit wichtige Impulse. Neben unermüdlichem Forschungsdrang, schriftstellerischer und pädagogischer Befähigung, kam ihm hierbei auch sein organisatorisches Talent zugute, mit dem er es verstand, Interessierte und Forscher zusammenzuführen und Projekte durchzuziehen. Millers herausragende Leistung liegt v. a. auf dem Gebiet der Kartographiegeschichte. Mit seinen Studien wurde er zum Wegbereiter einer neuen Wissenschaftsdisziplin. Seine Editionen, Kommentierungen und Interpretationen antiker und mittelalterlicher Karten in historischer, philologischer und geographischer Hinsicht haben bis heute Gültigkeit.
Werke: (Auswahl): Das Tertiär am Hochsträß, 1871; Die Schaltiere des Bodensees, mit 2 lithographischen Tafeln, in: SVGB 4 (1873), 123–134; Foraminiferen (Foraminifera), in: Theodor von Heuglin, Reisen nach dem Nordpolmeer in den Jahren 1870 und 1871, Bd. 3, 1874, 261 f.; Das Molassemeer in der Bodenseegegend, 1877; Über die geognostischen Verhältnisse von Meersburg und die Entstehung des Bodensees, 1877; Foraminiferen in der schwäbisch-schweizerischen miocänen Meeresmolasse als Leitfossilien, in: Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde 33 (1877), 295–298; Die Binnenmollusken von Ecuador, 1878; Die geologischen Bildungen am Untersee und im Höhgau, 1878, 2. Aufl. 1892; Die Tieferlegung der Hochwasserstände des Bodensees, 1879; Altgermanische Ringburgen und römische Niederlassungen nördlich vom Bodensee, 1881; Die 17 größten erratischen Blöcke Oberschwabens, o. O. 1881; Die römischen Begräbnisstätten in Württemberg, 1884; Instruktion für Aufsuchung von Römerstraßen, o. J. [um 1885]; Das römische Straßennetz in Oberschwaben, 1885; Das untere Argenthal, 1885; Sind in Württemberg Steinkohlen zu hoffen? in: Deutsches Volksblatt (8. April 1885); Die Weltkarte des Castorius, genannt die Peutingersche Tafel, 1888, 2. Aufl. 1892; Nachträge zur Algenflora von Württemberg, in: Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde 44 (1888), 143–166 [u. a. Auflistung der von Miller gesammelten Algen]; Reste aus römischer Zeit in Oberschwaben, in: Programm des Kgl. Realgymnasiums in Stuttgart am Schlusse des Schuljahres 1888/89, 1889, 3–50; Römische Gebäude und Befestigung im Schussenthal, 1889; Das römische Lager in Rottweil und seine Bedeutung, 1889; Römerstraßen im südlichen Baden. Nach den offiziellen Untersuchungen bis September 1889, 1890; Das Lager der Ara II Flavia in Aalen nebst Bemerkungen über die Armeen und die Erbauungszeit des Limes raeticus und transrhenanus, 1892; Die römischen Kastelle in Württemberg, 1891, 2. Aufl. 1892; Das Alter unserer Ortschaften, 1892; Zur Geschichte der rätischen Alpen, 1892; Zur Limes-Forschung, 1892; Die Altertümer im Oberamt Ehingen, 1893; Die Ebstorfer Weltkarte und ihre Darstellung Deutschlands, 1893, 2. Aufl. 1902; Römische und vorrömische Münzfunde in Württemberg, 1893; Die angeblichen Meridiane der Tabula Peutingeriana, [um 1895]; Mappae Mundi – Die ältesten Weltkarten, 6 Bde., 1895–1898; Kurze Erklärung der Weltkarte des Frauenklosters Ebstorf, 1896; Zur Reichslimesforschung, 1896; Zur Geschichte der Tabula Peutingeriana, 1897; Die Altertümer des Bezirks, in: OAB Ulm, Bd. 1, 1897, 347–383; Die Schneckenfauna des Steinheimer Obermiozäns, in: Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde 56 (1900), 385–406 (mit Tafel); Altertümer des Bezirks, Vorrömische Metallzeit, in: OAB Rottenburg, 1899, 465–473, 538–546; 546–558; Altertümer des Bezirks, in: OAB Heilbronn, Bd. 1, 1901, 251–301; Die Herefordkarte, 2. Aufl. 1903; Sammlung alter Bodenseekarten, 1903; Alttertiäre Land- und Süßwasserschnecken der Ulmer Gegend, in: Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg 63 (1907), 435–460; Denkschrift des Kath. Kirchenbauvereins Stafflenberg in Stuttgart betreffend seine Kirchenbaufrage, o. J. [um 1910]; Itineraria Romana – römische Reisewege an Hand der Tabula Peutingeriana, dargestellt mit 317 Karten-Skizzen und Textbild, 1916, ND 1988; Die Peutingersche Tafel, oder Weltkarte des Castorius, mit kurzer Erklärung, 18 Kartenskizzen der überlieferten römischen Reisewege aller Länder und der 4 Meter langen Karte in Faksimile, 1916, 2. Aufl. 1929; Die Erdmessung im Altertum und ihr Schicksal, 1919; Mappae Arabicae. Arabische Welt- und Länderkarten des 9.– 13. Jhs. in arabischer Urschrift, lateinischer Transkription und Übertragung in neuzeitliche Kartenskizzen, 6 Bde., 1926–1927, ND 1986; Explanations to the proof of the map of the world drawn by Idrisi in 1154, 1927; Charta Rogeriana, Weltkarte des Idrisi vom Jahr 1154 n. Chr., 1928, ND 1981; S. Beati Libanensis mappam mundi ad exemplar ecclesiae Sancti Severi, quod nunc Parisiis asservatur, primum integram, Nova editio, 1929; Die ältesten Separatkarten der drei Erdteile, wahrscheinlich von Nikephoros Gregoras um 1350 in Konstantinopel entworfen, 1931; außerdem Mitarbeiter in: Das Königreich Württemberg. Eine Beschreibung von Land, Volk und Staat, hg. von dem Statistisch-topographischen Bureau, Bd. 3: Bezirks- und Orts-Beschreibung, 1886; Mitarbeiter in: Das Königreich Württemberg. Eine Beschreibung nach Kreisen, Oberämtern und Gemeinden, hg. vom Königlichen Statistischen Landesamt, Bd. 4: Donaukreis, 2. Aufl. 1904–1907.

Literatur: Emil Schmitz, Württemberger Heiliglandfahrt 1904. Ein Gedenkbuch der Ersten Württemberger Wallfahrt ins Heilige Land, 1904, 2. Aufl. 1904; Franz Bonora, Deutsche Mittelmeerreise vom 1. August bis 1. September 1905 unter Leitung der Prof. Miller (Stuttgart) und Lorenz (Neapel), 1905; 2. Aufl. 1905; Franz Bonora, Zweite Deutsche Mittelmeerreise vom 4. bis 29. 8. 1906 unter Leitung von Prof. Dr. Konrad Miller, 1906; Russland-Reise 1912. Tagebuch von Franz Xaver Rambold (Millerscher Reiseverein), 1912; R. Seemann, Prof. Dr. Konrad Miller †, in: Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg 89 (1933), XLIV–XLVI; Taras von Borodajkewycz, Konrad Millers Lebenswerk. Prof. Konrad-Miller-Stiftung der Salzburger Hochschulwochen 1936; Adolf Herdegen, Der „Geht-ite“ – Ein Lehrerportrait, in: Dillmann-Gymnasium einst und jetzt. FS zum hundertjährigen Bestehen der Schule 1967, 1967, 49–51; Die Römer in Baden-Württemberg, hg. von Philipp Filtzinger, Dieter Planck und Bernhard Cämmerer, 1976 (Reg.); Wolf Freiherr von Engelhardt/Helmut Hölder (Hg.), Mineralogie, Geologie und Paläontologie an der Univ. Tübingen von den Anfängen bis zur Gegenwart (Contubernium 20), 1977; Kurt Bittel u. a. (Hg.), Die Kelten in Baden-Württemberg, 1981 (Reg.); Franz Wawrik, Konrad Miller – Kartographiehistoriker (1844–1933). Dokumentationsmaterial der vom 25. Februar bis 30. März 1985 von der Österreichischen Nationalbibliothek im Foyer zum Hauptlesesaal veranstalteten Ausstellung ms Wien 1985, 1–77; Georg Ott-Stelzner, Entstehung des Vereinswesens, in: Katholiken in Stuttgart und ihre Geschichte, hg. von Joachim Köhler, 1990, 38–43; Hans Hablitzel, Konrad Miller, in: NDB 17, 1994, 525 f.; Gertrud Husslein, Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Miller zum Gedächtnis, in: Fundberichte aus Baden-Württemberg 19 (1994), 761–769; Gertrud Husslein, Konrad Miller, in: Orbis Terrarum 1 (1995), 213–233; Dominik Burkard, Kein Kulturkampf in Württemberg? Zur Problematik eines Klischees, in: RJKG 15 (1996), 81–98; ders., Art. Miller, in: BBKL 14 (1998), 1264–1272 (vollständiges Schriften- und Literaturverzeichnis); Gertrud Husslein, Erinnerungen an Prof. DDr. Konrad Miller (1844–1933), in: RJKG 18 (1999), 197–213.
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