Widmaier, Karl Johann 

Geburtsdatum/-ort: 09.12.1886;  Haigerloch
Sterbedatum/-ort: 02.11.1931;  Hechingen
Beruf/Funktion:
  • Studienrat, Schriftsteller, Dichter, Maler, Komponist
Kurzbiografie: Volksschule, Collegium Bernardi (Privatgymnasium der Zisterzienser) in Mehrerau (Österreich), St.-Michaels-Gymnasium der Benediktiner in Metten, Humanistische Gymnasien in Sigmaringen und Wiesbaden, 18.3.1909 Abitur in Wiesbaden
1909–1910 Studium der Philologie (Deutsch, Französisch, Latein) in Straßburg
1910 in Genf
1910–1911 in Paris
1911–1912 in Berlin
1912–1913 in Bonn
1911 private Studien in Rom
1912 Turnlehrerprüfung in Spandau
1914 Staatsexamen für höhere Lehranstalten in Deutsch, Französisch und Latein an der Univ. Bonn
1914–1916 Armierungssoldat im Ersten Weltkrieg, krankheitshalber entlassen
1916–1918 Studienreferendar im preußischen Staatsdienst (Rheinprovinz) an den Realgymnasien Barmen und Elberfeld, Hauslehrer am Rittergut Heiligenroda/Rhön (Vacha/Oberzella in Thüringen)
1918–1931 Studienassessor, seit 1927 Studienrat am Staatl. Realreformgymnasium Hechingen
1924 Promotion zum Dr. phil. an der Univ. Tübingen („Die ästhetischen Ansichten Herders in seinem vierten Kritischen Wäldchen und ihre Herkunft“)
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1.3.1921 Elisabeth, geb. Buchholz (1895–1975)
Eltern: Vater: Sebastian Widmaier (* 1857 Rangendingen, † 1914 Wiesbaden), Gerichtssekretär, Rechnungsrat
Mutter: Katharina, geb. Wild (* 1852 Rangendingen, † 1926 Sigmaringen)
Geschwister: 3: Wally Katharine (1882–1960); Alfred Martin Dismas (1883–1922), Studienrat; Martin Sebastian (1884–1967), Oberstudienrat
Kinder: 3: Dr. Karl Alfred (29.5.1922–1.8.2006), Leiter der Musikredaktion des SWF-Landesstudios Rheinland-Pfalz; Prof. Dr. Dr. Werner Paul (15.7.1923–8.12.2008), Chefarzt für plastische Chirurgie am Marienhospital Stuttgart; Prof. Hans Wolfgang Martin Fidelis (* 2.11.1926), Abteilungsleiter für Schulmusik und Kirchenmusik, 1972–1984 Prorektor bzw. Rektor der Staatl. Hochschule für Musik Karlsruhe
GND-ID: GND/117338842

Biografie: Karl Werner Steim (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 300-302

Widmaier stammte aus einer Familie, die seit Jahrhunderten in Rangendingen (Zollernalbkreis) ansässig ist. Die Tätigkeit seines Vaters als mittlerer Beamter im preußischen Justizdienst mit häufigen Versetzungen führte die Familie u. a. nach Haigerloch, in den Westerwald und nach Wiesbaden.
Der tief religiös geprägte, tolerante Lehrer, Wissenschaftler und Künstler Widmaier war fast während seines gesamten Berufslebens am Realreformgymnasium Hechingen tätig. In der von ihm geleiteten Philosophie-Arbeitsgemeinschaft lasen die Schüler zum Thema „Der Einzelne und die Gemeinschaft“ Texte von Max Stirner, Ludwig Gumplowicz, Othmar Spann und Theodor Litt. Ein letztes Mal vor der nationalsozialistischen Machtergreifung diskutierten Schüler hier angstfrei kontroverse philosophische Theorien.
Widmaier war vielseitig musisch interessiert und begabt. Er hinterließ ein nach Art und Umfang erstaunlich großes Lebenswerk. In der knappen Spanne seines von starken inneren Kräften angetriebenen, von Schaffenskraft erfüllten und von langer Krankheit überschatteten Lebens verfasste er Dramen, Heimatspiele, Romane, Gedichte und Novellen. Widmaier gab Schriften des Philosophen Johann Georg Hamann (1730–1788) in der Reihe „Der Dom – Bücher der deutschen Mystik“ heraus. In mehreren Romanen befasste er sich mit den Ereignissen am Ende des Ersten Weltkriegs, der Neuordnung des zerfallenden staatlichen Lebens und schilderte ohne falsches Pathos menschliche und soziale Konflikte. In seinem wohl bekanntesten Roman, dem Zentrumspolitiker Matthias Erzberger gewidmet, griff er das politische Leben der ersten Jahre der Republik auf. Sein Schaffen galt besonders der dramatischen Kunst
in der Gestaltung geschichtlicher Ereignisse mit beherrschender, machtvoller Sprache. Er schrieb Theaterstücke mit meist lokalgeschichtlichem Hintergrund, die u. a. in Hechingen, Haigerloch, Sigmaringen, Sigmaringendorf und Urach uraufgeführt wurden. Widmaier schrieb zahlreiche Zeitungskritiken über Theater, Musik und bildende Kunst. Er hinterließ auch mehrere unvollendet gebliebene Dramen und Romane.
Die heute noch vorhandenen Fastnachtsfiguren des Butzen und des Pestmännles der Narrenzunft Hechingen entstanden in Zusammenhang mit seinem „Narrenspiel der Stadt Hechingen“. 1926 gründete Widmaier in Hechingen eine Jugendspielgruppe, die unter seiner Leitung stand. Als Gründer und Obmann der ersten Hechinger Theatergemeinde vermittelte Widmaier anspruchsvolle Gastspiele der nach dem Ersten Weltkrieg ins Leben gerufenen Badischen Wanderbühne. Neben der schriftstellerischen Tätigkeit forcierte Widmaier mit großer Gewandtheit das Zeichnen und Malen, er führte mit überraschender Fertigkeit den Stichel und schuf zahlreiche Holz- und Linolschnitte, Radierungen, Kohle-, Feder- und Bleistiftzeichnungen, Pastellbilder, Ölgemälde und Aquarelle, die auf Ausstellungen u. a. in Tübingen und Mannheim mit großem Erfolg präsentiert wurden. Er bevorzugte christliche Themen und Motive aus seiner hohenzollerischen Heimat. Daneben modellierte er in Wachs und Ton.
Ferner betätigte sich Widmaier auf dem Gebiet der Musik. Selbst ausgezeichneter Pianist, komponierte er Instrumentalmusik, Lieder mit Klavierbegleitung und für Gemischte Chöre, darunter sein erstmals am Gymnasium Hechingen gesungenes „Zollerlied“, das sogar Aufnahme in das weit verbreitete „Liederbuch für Schule und Haus“ fand. Seiner Heimatstadt widmete er den „Weintanz der Stadt Haigerloch“, ein Singspiel mit Musik und Tanz.
Widmaier pflegte engen Kontakt mit dem Kunst- und Musiktheoretiker Hans Kayser, dem Schriftsteller Anton Gabele und dem Redakteur Johannes Schmid. Sie schrieben sich vierteljährliche Berichte, die heute noch vorliegen.
Ein Magenleiden, das sich Widmaier im Krieg zugezogen hatte und das sich auch durch mehrere Operationen nicht beheben ließ, sorgte für eine langjährige Leidenszeit, die schließlich 1931 mit einer Magennervenlähmung zum frühen Tod führte. Beerdigt wurde Widmaier in Sigmaringen. Noch in seinem Todesjahr brachte ein Regensburger Verlag Holzschnitte von Widmaier heraus, deren Erlös der Witwe mit ihren Kindern zur Verfügung gestellt wurde. Trotz seines Todes vor mehr als 80 Jahren ist Widmaier bis heute nicht vergessen. 1956 brachte der Südwestfunk eine Würdigung zum 25. Todestag aus der Feder von Willy Baur aus Hechingen, wie seine Lebensleistung immer wieder in den Zeitungen Hohenzollerns gewürdigt wurde. Zuletzt fand 1986 in Hechingen zum 100. Geburtstag des Künstlers eine große Karl-Widmaier-Ausstellung statt, außerdem erlebten 1987 seine im Jahr 1925 geschaffenen Holzschnitte der vier Evangelisten eine Neuauflage.
Quellen: PA (nachträglich angelegt): StAS Wü 82 T 4 Nr. 227; Immatrikulationsbuch: UA Bonn, Nr. AB– 16; Promotionsakte: UA Tübingen, Nr. 131/586; Sammelmappe Widmaier: Hohenzollerische Heimatbücherei Hechingen, Ub 345; Ztgsausschnitte über Widmaier: StAS FAS H 1 T 1 Nr. 188; StAS Dep. 1 T 6 – 7 Nr. 51, 252; StAS N 1/53 Nr. 52, 57, 63; StAS N 1/78 T 1 Nr. 1; LiteraturA, Schweizerische Nationalbibliothek Bern: NL Hans Kayser.
Werke: Dramen: Der Diktator, 1923; Die drei Marien, 1930. – Heimatspiele: Narrenspiel der Stadt Hechingen, 1926; Der Oettinger. Hohenzollerisches Heimatspiel in fünf Akten aus dem Anfang des 15. Jhs., 1927; Der Ulrich-Sprung. Schauspiel in fünf Akten, 1928; Mechthild von Hohenberg. Heimatspiel der Stadt Haigerloch in drei Akten, 1929. – Romane: Erzberger. Ein Kulturroman der Gegenwart, 1922; Der bronzene Gott. Roman aus dem kommunistischen Ungarn, 1921; Der Erbe von Herrenroda. Roman aus dem Zusammenbruch des alten Reiches. 1922. – Novellen und Schriften: Schriften J. G. Hamanns, 1921; Herrn von Balsacs Lieben und Sterben, 1925; Vera, 1930. – Gedichte: Mittka (veröff. unter dem Namen Maler Haide), 1913. – Vokalmusik: Der verirrte Jäger, für Singstimme mit Klavierbegleitung, 1910; Loreley, für Singstimme mit Klavierbegleitung, o. J.; Zollerlied, für drei gleiche Stimmen, Text vom Komponisten, 1929; Zollerlied, für gemischten Chor, Text vom Komponisten, 1929. – Zahlreiche Holzschnitte.
Nachweis: Bildnachweise: Porträtaufnahme in der Sammelmappe in der Hohenzollerischen Heimatbücherei Hechingen s. o.

Literatur: Nachruf mit Beiträgen von Anton Gabele, Konrad Pflumm, Eugen Flad, Stido, Heinz Altemöller, Hans Schmid, Albert Waldenspul, Sebastian Flad und Walter Sauter, in: Zollerheimat 1 (1932), 52–72; Heinz Altemöller, Karl Widmaier-Erinnerungen, in: Zollerheimat 2 (1933), 15–18; Anton Pfeffer, Im Hechinger Arbeitszimmer Dr. Karl Widmaiers, in: Heimatklänge Nr. 111, 14.5.1932; Walter Sauter, Der Lehrkörper im geistlichen und bürgerlichen Leben (Karl Widmaier), in: Gotthardt Liebetanz (Hg.), 50 Jahre Staatliches Gymnasium Hechingen, 1959, 57 f.; Gunter Tietz, Das Reformrealgymnasium [Hechingen] in der Weimarer Republik 1918–1933, 2009.
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