Berges, Werner 

Geburtsdatum/-ort: 07.12.1941; Cloppenburg
Sterbedatum/-ort: 26.10.2017;  Schallstadt
Beruf/Funktion:
  • Maler und Grafiker
Kurzbiografie:

19471960 verschiedene Schulen bis zur Mittleren Reife und anschließende Druckerlehre

19601963 Studium der Gebrauchsgrafik an der Staatl. Kunsthochschule, Bremen

19631968 Studium der Freien Malerei an der Staatl. Hochschule für Bildende Künste, Berlin

Seit 1965 Teilnahme an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland

19661968 Mitglied der Künstlergruppe Großgörschen 35, Berlin

1968 Meisterschüler der Staatl. Hochschule für Bildende Künste, Berlin

1977 Übersiedlung von Berlin nach Schallstadt bei Freiburg im Br.

Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet:

1968 (Berlin) Annett-Maria, geb. Geissler (geb. 1938)


Eltern:

Vater: Robert (1898–1974), Dr. med. dent., Zahnarzt

Mutter: Hermine, geb. Sudendorf (1902–1973)


Geschwister:

3; Christa (geb. 1928), Dr., verh. Westphal, Dorothea (1930–2017), verh. Witte, Robert (geb. 1932), Dr.


Kinder:

2; Amala (geb. 1971) u. Leoni (geb. 1975)

GND-ID: GND/118509454

Biografie: Christoph Wirtz (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 45-47

Berges gilt als einer der herausragenden Vertreter der deutschen Pop-Art, hat sein Werk allerdings selbst nicht allein mit dieser kunsthistorischen Verortung charakterisiert gesehen.

Aufgewachsen und Jüngster von vier Kindern eines Zahnarztes in Cloppenburg absolvierte Berges die Schulzeit nur mit Mühe und in ständigem Konflikt mit seinen Lehrern. „Schreckliche Typen“ seien darunter gewesen, erinnerte er sich später, Männer, deren von Krieg und Diktatur geprägte Weltsicht ihn immer abgestoßen, gegen die er revoltiert habe. Nach Schulwechseln vom Gymnasium über verschiedene Mittelschulen erlangte Berges schließlich die Mittlere Reife und beschloss, eine Druckerlehre in Oldenburg aufzunehmen, die ihm dann den Hochschulzugang ermöglichen sollte, was 1960 mit der Aufnahme eines Studiums der Gebrauchsgrafik an der Staatlichen Kunsthochschule Bremen auch gelang.

Um sich dem Wehrdienst zu entziehen, übersiedelte Berges 1962 nach West-Berlin. Von Johannes Schreiter (geb. 1930), damals Leiter der Abteilung „Fläche“ an der Staatlichen Kunsthochschule Bremen, unterstützt bewarb sich Berges 1963 erfolgreich um einen Studienplatz im Fachbereich Freie Malerei bei Alexander Camaro (1901–1992) an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Als von künstlerisch prägendem Einfluss sollte sich im selben Jahr eine Reise Berges nach England erweisen, die ihn in die erste Ausstellung „Painting With People In“ des britischen Malers und Grafikers David Hockney (geb. 1937) in die Londoner Kasmin Gallery führte. Das sei das zentrale Schlüsselerlebnis seiner künstlerischen Entwicklung gewesen, habe er doch in den frühen Bildern Hockneys den Gegenentwurf zu all dem gefunden, was ihn an der aus seiner Sicht schwermütigen, bedeutungsschwangeren deutschen Kunst jener Jahre gestört und irritiert habe: Leichtigkeit, Optimismus, Fröhlichkeit. Von Anfang an wurde in Berges Arbeiten deutlich, dass er zur ersten Künstlergeneration in Deutschland gehörte, die sich nahezu unbeeinflusst vom Weltkrieg entwickeln konnte.

Zeit seines Lebens maß Berges dem handwerklichen Aspekt seiner Kunst größte Bedeutung bei. Mit Fleiß, Disziplin und dank seiner soliden grafischen Ausbildung gelang es ihm in der deutschen Kunstszene rasch, eine eigenständige künstlerische Position zu erarbeiten.

Um 1965 vollzog er den Schritt hin zur Gegenständlichkeit, tauchten in seiner Malerei erste kleinteilige Figurengruppen auf. Ähnliches ließ sich im Berlin jener Jahre nicht finden; es zeugte von Berges künstlerischer Eigenständigkeit. Seit 1965 wuchs die öffentliche Aufmerksamkeit für den jungen Künstler. Seine Arbeiten wurden mit dem 2. Preis für Malerei des Neuen Forums Bremen ausgezeichnet, 1966 nahm ihn die Berliner Künstlergruppe Großgörschen 35 in ihre Reihen auf – darunter „neue Realisten“ und „Neo-Expressionisten“ wie Ulrich Baehr (geb.1938), Hans-Jürgen Diehl (geb. 1940), Karl-Horst Hödicke (geb. 1938), Markus Lüpertz (geb. 1941), Wolfgang Petrick (geb. 1939) und Peter Sorge (1937–2000). 1967 erhielt er ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes und wurde mit dem Burda-Preis für Bildende Kunst im Bereich Grafik ausgezeichnet.

Bereits Mitte der 1960er Jahre genoss Berges einen künstlerischen Ruf, der ihm vielbeachtete Ausstellungen ermöglichte. Zahlreiche Sammler, Galeristen und Kritiker wurden auf ihn aufmerksam. Inhaltlich entwickelte sich seine Malerei hin zum für ihn später typischen Dreiklang: Beschäftigung mit der menschlichen, meist weiblichen Silhouette bei klarem grafischen Aufbau und einer kräftigen, mediterranen Farbigkeit. 1968 wurde Berges Meisterschüler der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Berlin, 1969 erhielt er den Förderpreis des Landes Niedersachsen, 1970 den Preis der Oldenburg-Stiftung, 1972 stellte er seine Werke in der Villa Hammerschmidt, dem Bonner Haus des Bundespräsidenten, aus.

Künstlerisch ist im Werk Berges nach einer anfänglichen Auseinandersetzung mit dem Informell und immer deutlicher werdenden figürlichen Assoziationen zu Beginn der 1970er Jahre eine zunehmende Hinwendung unter dem Eindruck englischer und amerikanischer Einflüsse zur Pop-Art zu beobachten, zu deren deutschem Hauptvertreter er schließlich werden sollte. Hierbei übernahm er den anglo-amerikanischen Ansatz, Motive aus der Welt der Massenmedien, aus Alltagskultur und Konsumgesellschaft zum künstlerischen Sujet zu erheben. Im Zentrum des Bergesschen Werkes blieb von Anfang an die Auseinandersetzung mit der weiblichen Figur, deren schablonenhafte, stereotype Rolle in der Werbeästhetik ihm zur Inspiration diente. Auf Farbkontraste reduziert, durch Punkte fragmentiert oder bunte Streifen gerastert, verarbeitete er Modelfotos, verfremdete klare Frauen-Silhouetten geometrisch und grafisch mit Hilfe von Streifen, Kreisen, Rasterpunkten, Quadraten und Farbflächen. Darstellungen, die zwischen den Polen von Abstraktion, Grafik und Pop zu einem ganz eigenen stilistischen Repertoire fanden. Wenngleich nie ausdrücklich von ihm in diesem Sinne betont zeigt sich doch konzeptionell in Berges Dekonstruktion der Verdinglichung der Frau als Werbeträger ein durchaus gesellschaftskritisches Potential.

Die Frage, inwieweit von einer eigenständigen deutschen Pop-Art jener Jahre zu sprechen ist, beantwortete die große Übersichtsschau „German Pop“ 2014/2015 in der Frankfurter Schirn Kunsthalle, die erstmals die Spannweite künstlerischer Beiträge westdeutscher Kunstschaffender zum „Pop“-Phänomen der 1960er bis 1970er-Jahre bündelte und Berges als Pionier und zentralen Vertreter einordnete.

Diese Rolle, hat er vielleicht insofern nur teilweise eingenommen, als er die Weiterentwicklung des „German Pop“ im Sinne einer expliziten Gesellschaftskritik in der Folge der 1968er-Bewegung ausdrücklich nicht mitvollzog. Stattdessen veränderte sich nach einem spontanen Entschluss zum Umzug nach Schallstadt bei Freiburg ab 1977 auch Berges Malerei entscheidend. Nach einer anfänglichen, durch die ländliche Umgebung als Kontrast zur Reizüberflutung der Großstadt Berlin ausgelösten Schaffenskrise wandte sich Berges nun stärker der Abstraktion zu.

Im Spannungsfeld von Figuration und Abstraktion stehen die Arbeiten der 1980er-Jahre, wobei mit Aquarellen auf im nordostspanischen Cadaqués, wo er seit 1971 ein Haus besaß, hergestelltem Büttenpapier eine neue Maltechnik auftauchte. Neben dem schieren Umfang seines Werkes beeindruckt bei Berges in allen Schaffensphasen die Bandbreite seiner Techniken und Materialien. In seinem Spätwerk schließlich fand er zurück zur klassischen Pop-Art, variierte seine frühe Thematik und Technik, entwickelte beides weiter und stand im Zentrum einer Wiederentdeckung und -anerkennung im Kunstbetrieb seit der Jahrtausendwende. Der Herausgeber und Mitgründer der Kunstzeitschrift „Monopol“ Florian Illies (geb. 1971) schrieb darüber: „Seine lichtdurchlässigen, offenen Arbeiten aus den späten sechziger, frühen siebziger Jahren verblüfften durch die Souveränität ihrer Kompositionen und die Lässigkeit ihrer Farbgebung. Blickt man neu auf die Werke von Berges […] dann springt einem vor allem deren Frische und Eleganz ins Auge, was eine sehr seltene Paarung ist und in der deutschen Kunstgeschichte ansonsten […] kaum in einem Satz zusammen genannt werden kann.“ (Levy Galerie 2017, S. 5 f.)

Berges war Träger mehrerer nationaler und internationaler Preise, seine Arbeiten waren in hunderten Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen, darunter 1972 auf der „documenta 5“ in Kassel. Zahlreiche Arbeiten befinden sich im öffentlichen Raum sowie in vielen öffentlichen Sammlungen. Als Berges arbeitend bis in die letzten Tage seines Lebens hinein nach schwerer Krankheit in Schallstadt starb, hinterließ er ein nahezu unüberschaubares künstlerisches Oeuvre über fünf Jahrzehnte, geprägt von norddeutscher Disziplin und südlicher Lebensfreude.

Quellen:

Nachlass im Familienbesitz in Schallstadt; Auskünfte von Amala Berges, pro arte Agentur für Kunstvermittlung, Schallstadt

Werke: zahlreiche Werke im öffentlichen Raum, u. a. in Lohe (Oldenburg), Cloppenburg, Freiburg und Mainz sowie ein „Turmspringer“ im südlichen „Kranhaus“ im Kölner Rheinauhafen. – Sammlung des Bundespräsidialamts und des Bundesministerium des Inneren Berlin, Sammlung der Bundesrepublik Deutschland Bonn, der Deutschen Bank Frankfurt/M., Staatl. Museen Preußischer Kulturbesitz Berlin, Kupferstichkabinett Dresden, Kunsthalle Bremen, Sprengel Museum Hannover, Landesmuseum Oldenburg, Museum Ludwig Köln, Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen am Rhein, Augustinermuseum Freiburg im Br., Markgräfler Museum Müllheim/Baden, Fonds Régional d´Art Contemporain Sélestat, Museo Cadaqués, Djerassi Foundation Woodside.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (um 2000) S. 35, von Bettina Theuerkauf, im Nachlass Berges – dort weitere Selbstportraits.

Literatur:

Retrospektive Großgörschen 35, 1968; Heinz Ohff, Pop und die Folgen oder die Kunst auf der Strasse zu finden, 1968; Jürgen Weichardt, Werner Berges. Entwicklung und Deutung seines Werkes, in: Jb. für das Oldenburger Münsterland 1970, 1969, 179–186; Werner Rhode, „Neun Thesen zu den Bildern von Werner Berges“, in: A.-Kat. Galerie Wendtorf & Swetec, Düsseldorf, 1971; Herbert W. Kaiser, Werner Berges, in: Domberger Minimal Edition. A.-Kat, New York, 1980; Hans H. Hofstätter, Werner Berges in Schallstadt, 1981; Großgörschen 35 hat Geburtstag. 1964 –1989, 1989; Werner Berges. Bilder, Aquarelle und Zeichnungen 1982 –1990, 1990; Hans-Joachim Müller, Wie d. Maler sieht, in: Werner Berges, A.-Kat. Kunstverein Freiburg, 1991; R.W. Gassen und Roland Scotti, Von Pop bis Polit. Kunst der 60er Jahre in der Bundesrepublik, A.-Kat., Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen am Rhein/Wilhelm-Fabry-Museum der Stadt Hilden, 1996; Tobias Kaufhold, Der Maler Werner Berges in der Zeit von 1966 bis 1977. Untersuchung zum Werk des dt. Pop-Künstlers. Diss. phil. Bochum, 1997; ders, Auf der Suche nach der verlorenen Form. Werner Berges und die Kunst der 60er Jahre, in: Berges in Berlin. Bilder, Aquarelle und Zeichnungen 1963 –1977, A.-Kat. Markgräfler Museum Müllheim, 1998; Berges in Baden. Bilder, Aquarelle und Zeichnungen 1977 –1998, A.-Kat. Markgräfler Museum Müllheim, 1998; Werner Berges Pop Art. Arbeiten 1965 –1977, 2000; Werner Berges Werkverzeichnis der Grafik, 2002; Christoph Rüter, Warum malt der Mensch? Filmporträt, 2002; Dorothee Baer-Bogenschütz, Figur umschmeichelnd wie ein Sommerkleid – Gattung vs. Erzählfigur, in: Werner Berges. Jede Menge Leute. A.-Kat DavisKlemmGallery Frankfurt am M., 2008; Stefan Tolksdorf, Werner Berges, in: Künstler – Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, 2010; Werner Berges. The artist’s Cut, 2011; Werner Berges Collagen, 2013; Kerstin Skrobanek, Hands On! Mit Normex-Folie und Eddingstift: Die Collagen von Werner Berges, in: Werner Berges, Collagen, A.-Kat., DavisKlemmGallery Wiesbaden/München, 2013; Werner Berges. Druckgraphik der 1960er und 1970er Jahre, 2014; Levy Galerie Hamburg (Hg.), Werner Berges 100 , 2017; Christoph Wirtz, Werner Berges – Künstler würd‘ ich sagen. Porträt, 2017.

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