Graf, Gottfried 

Geburtsdatum/-ort: 17.01.1881;  Mengen
Sterbedatum/-ort: 20.09.1938;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Maler und Graphiker, Kunsterzieher und -theoretiker
Kurzbiografie: 1897 Eintritt in den württ. Postdienst
1904–1908 Studium an der Kunstgewerbeschule Stuttgart neben dem Postdienst
1908 Studium an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei Christian Landenberger und Adolf Hölzel
1909/10 Studienreise nach Italien (Rom, Florenz)
1912/13 Studienreise nach Südfrankreich (Begegnung mit Albert Gleizes und Jacques Villon)
1912 Teilnahme an der Münchner Glaspalast-Ausstellung
1918 Wiederaufnahme des Studiums; zusammen mit Oskar Schlemmer Studentenvertreter
1919 Gründung der Üechtgruppe (1919–1924)
1920 Berufung an die Akademie der Bildenden Künste Stuttgart als Leiter der Holzschnitt-Klasse
1929 Mitglied der Stuttgarter Künstlervereinigung „Gruppe 1929“
1931 Einzelausstellung anlässlich des 50. Geburtstags im Museum der Stadt Ulm
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1921 Karin, geb. von Wilpert († 1974)
Eltern: Vater: Karl Graf (28.10.1846–31.5.1898)
Mutter: Katharina, geb. Lander (15.4.1851–7.2.1881)
GND-ID: GND/118541323

Biografie: Monika Spiller (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 81-83

Gottfried Graf, der einer in Mengen alteingesessenen Handwerkerfamilie entstammte, trat 1897 nach Abschluss der Latein- und Realschule in Mengen zunächst in den Postdienst ein, wo er eine Ausbildung zum Post- und Telegraphiedienstbeamten absolvierte. Seinen künstlerischen Bestrebungen folgend, ging er 1904 nach Abschluss der Dienstprüfungen an die Kunstgewerbeschule in Stuttgart, wo er 1908 ein Examen als Zeichenlehrer ablegte; daneben war er bis 1913 weiterhin im Postdienst tätig, wenngleich er aufgrund seiner gesundheitlich instabilen Konstitution wiederholt beurlaubt wurde. 1908 war er an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart Schüler von Adolf Hölzel und Christian Landenberger. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Gottfried Graf aufgrund seiner schwachen Gesundheit nicht als Soldat eingezogen, jedoch als Zeichenlehrer nach Stuttgart-Bad Cannstatt verpflichtet. Nach Kriegsende erfolgte die Fortsetzung der Studien an der Stuttgarter Akademie, wo er sich gemeinsam mit Oskar Schlemmer vergeblich für eine Reform der Akademie und die Berufung von Paul Klee als Nachfolger von Adolf Hölzel einsetzte. Gemeinsam mit den Malern Edmund Daniel Kinzinger, Albert Müller und Hans Spiegel gründete Gottfried Graf 1919 die avantgardistische Üecht-Gruppe, der zeitweilig auch Willi Baumeister und Oskar Schlemmer angehörten. Zu den Glanzpunkten der Aktivitäten der Üecht-Gruppe gehören zweifellos die „Herbstschau Neuer Kunst “ 1919 und II/1920 in Stuttgart, an der neben den deutschen Künstlern, darunter avantgardistische Künstler der Berliner „Novembergruppe“ aus dem Umkreis von Herwarth Waldens „Sturm“ wie Max Ernst, Paul Klee, Franz Marc und Kurt Schwitters, auch führende Vertreter des Kubismus aus Frankreich (Braque, Gleizes, Metzinger und Villon) und Italien (Boccioni, Carra, Russelo) teilnahmen.
1920 wurde Gottfried Graf als Nachfolger von Heiner Rath zum Leiter der Holzschnitt-Klasse und 1925 zum Professor der Graphischen Künste an der Akademie berufen. Seine Stellung an der vom Lehrkörper her überwiegend konservativ orientierten Lehrstätte war nicht unangefochten, andernorts jedoch, beispielsweise 1927 auf der Ausstellung des Reichsbundes deutscher Kunsthochschulen in Leipzig, fand seine Arbeit als „Holzschnittschule Graf“ Beachtung und Anerkennung. „Im modernen Holzschnitt waren hier … die Früchte reif geworden, die der deutsche Expressionismus gehegt hatte, und zwar im Thematischen wie auch in der Rechnung der Flächen- und Lichtwerte.“ (R. Hohl) 1929 war Gottfried Graf Mitbegründer der Stuttgarter Künstlervereinigung „Gruppe 1929“.
Nachdem im Herbst 1937 ein erstes Bild von Gottfried Graf für „entartet“ erklärt worden war, folgten bald weitere Arbeiten, die als „entartete Kunst“ aus öffentlichen Sammlungen entfernt und teilweise vernichtet wurden; der Maler wurde gezwungen, seine künstlerische Arbeit gegenüber dem Kultministerium zu rechtfertigen. Im Frühjahr 1938 verlor er sein Lehramt.
Gottfried Graf, der neben seiner künstlerischen Lehrtätigkeit auch kunsttheoretische Arbeiten vorgelegt hat, empfing prägende Anregungen nicht nur durch den kontinuierlichen Schriftverkehr mit Albert Gleizes, sondern auch durch die Bekanntschaft mit dem fünfundvierzig Jahre älteren Sigmaringer Naturwissenschaftler, Philosophen und Denker Alphons Bilharz (1836–1925). Für letzteren engagierte er sich auch als Mitbegründer des Stuttgarter Zweigs der Kantgesellschaft.
Unter dem Einfluss seiner beiden Lehrer an der Stuttgarter Akademie – Christian Landenberger mit seiner harmonischen, zurückgenommenen Farbigkeit und Adolf Hölzel mit seiner Betonung der künstlerischen Mittel gegenüber dem Objekt der Darstellung – entwickelte Gottfried Graf seine eigene Kunstauffassung, um eine Synthese beider Positionen bemüht.
Waren die frühen Porträts, Landschaften, Interieurs und Stillleben noch dem Spätimpressionismus zuzuordnen, so kam Gottfried Graf um 1913, wohl auch unter dem Einfluß von Albert Gleizes, den er auf seiner Studienreise nach Südfrankreich kennen gelernt hatte und mit dem ihn seitdem eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte, zum Kubismus. Arbeiten wie „Kosmische Schöpfung“, 1916/17, oder „Kubistische Krankenschwester“, 1917/18, oder „Wandelnder Jüngling“, 1919, legen mit ihrer leuchtenden Farbigkeit auch eine Beeinflussung durch Delaunays Orphismus und die Farbintensität in Franz Marcs späten Gemälden nahe. Arbeiten aus dieser Werkphase, die Gottfried Graf selbst „illuministischer Expressionismus“ nennt, lassen zudem eine ausgeprägte Tendenz zum Spirituellen, Mystischen und Pathetischen erkennen. Gottfried Grafs Holzschnitte leben vom harten Schwarz-Weiß-Kontrast, den er programmatisch vertritt. Die Motive seiner Gemälde wie Holzschnitte werden zunehmend stärker abstrahiert, Gottfried Graf nähert sich Anfang der 20er Jahre dem synthetischen Kubismus. Von 1925 an entstehen figurative Darstellungen wie „Liegende mit Mandolinenspielerin“, 1926, die in Formverknappung und flächigem Farbauftrag an gleichzeitige Arbeiten Picassos denken lassen. Gegen Ende der 20er Jahre kommt er in großen figürlichen Arbeiten wie „Frauengruppe mit Kind“, 1929, zu einer malerisch-illusionistischen, neoklassischen Auffassung.
Werke: Schwarz-Weiß im Holzschnitt, in: Kunst und Jugend. Deutsche Blätter für Zeichenkunst und Werkunterricht, Sonder-Nr. 1924; Der neue Holzschnitt und das Problem der künstlerischen Gestaltung, 1927 (ND mit Anhang von W. P. Heyd , 1976); Gottfried Graf u. a., Holzschnittschule der württ. Akademie der Bildenden Künste, 1929.
Künstlerische Werke befinden sich in folgenden öffentlichen Kunstsammlungen: Biberach, Braith-Mali-Museum; Los Angeles, County Museum of Art; Meersburg, Städtische Galerie; Mengen, Städtisches Museum (umfängliche Sammlung von Gemälden und Graphiken aus dem NL sowie Arbeiten der Mitglieder der Üechtgruppe); Meßkirch, Kreisgalerie Schloss Meßkirch; Ravensburg, Landratsamt; Sigmaringen, Landratsamt; Stuttgart, Galerie der Stadt, Staatsgalerie, Staatliche Akademie der Bildenden Künste; Ulm, Ulmer Museum.

Literatur: S. Franki, Les artistes d’aujourd’hui, (7) 1926; E. Heyfelder (Einführung), Die Graphik an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart unter Prof. Alexander Eckener und Prof. Gottfried Graf, 1927; W. Fleischhauer u. a., Die schwäbische Kunst im 19. und 20. Jh., 1952; Vollmer II, 1955; R. Hohl, in: Werk – Schweizer Monatsheft für Architektur, Kunst und künstlerisches Gewerbe, Febr. 1968, 112; H. Kliemann, Die Novembergruppe, 1969; K. von Maur, Oskar Schlemmer und die Stuttgarter Avantgarde 1919, 1975; S. von Wiese, Graphik des Expressionismus, 1976; C. P. Bronner, Gottfried Graf – Künstler und Lehrer, o. O., o. J. (1976); H. Heissenbüttel (Ed.), Stuttgarter Kunst im 20. Jh., 1979; W. P. Heyd, Lebensbilder aus Schwaben und Franken 14 (1980), 528–549; G. Wirth, Kunstwerk 34 (1981(6)), 74; N. Hüll, Gottfried Graf 1881–1938. Maler und Graphiker, Mitglied des Hölzel-Kreises, Diss. Köln 1983, 1986; W. P. Heyd, Gottfried Graf und die „entartete Kunst“ in Stuttgart, 1987; Künstlerschicksale im Dritten Reich in Württemberg und Baden, 1987; G. Söhn, Handbuch der Originalgraphik. Registerband, 1994; H. F. Schweers, Gemälde in deutschen Museen, II, 2002; E. Moser/I. Schättin, Moderne Klassiker im Südwesten, Bestandskatalog der Galerie Bodenseekreis, I, 2002; Allgemeines Künstlerlexikon, Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, LX, 2008.
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