Tüchle, Hermann 

Geburtsdatum/-ort: 07.11.1905;  Esslingen
Sterbedatum/-ort: 22.08.1986; Fürstenfeldbruck
Beruf/Funktion:
  • Kirchenhistoriker
Kurzbiografie: 1914-1924 Gymnasium Rottweil, 1924 Abitur
1925-1929 Studium der katholischen Theologie an der Universität Tübingen, 1929 Schlussexamen
1930 Priesterweihe, Vikar in Tübingen
1934-1935 Vikar in Cannstadt (Liebfrauenkirche) und Stuttgart (St. Eberhard)
1935-1937 Studienurlaub, Hilfsassistent an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen
1937 Dr. theol. „magna cum laude“ bei Karl Bihlmeyer: „Die Kirchenpolitik des Herzogs Karl Alexander von Württemberg (1733-1737)“
1937-1946 Repetent am Wilhelmsstift, Tübingen
1940 Dr. theol. habil.: „Dedicationes Constantienses. Kirch- und Altarweihen im Bistum Konstanz bis zum Jahre 1250“
1941 Verweigerung der Venia legendi durch den württembergischen Kultminister Christian Mergenthaler; Pfarrvikar in Kirchhausen bei Heilbronn
1946 Privatdozent an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, 1948 außerplanmäßiger Professor
1951 Ordinarius für Kirchengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Akademie Paderborn
1952 Ordinarius für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München
1971 Emeritierung; 1975 Päpstlicher Ehrenprälat
1986 Landesverdienstmedaille Baden-Württemberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Eltern: Vater: Georg, Lokomotivführer
Mutter: Theresia, geb. Haipt
Geschwister: 4:
Hedwig (1907-1985)
Helene (1909-1968)
Anton (1911-1988)
Josef (1911-2000)
GND-ID: GND/118624466

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 374-376

„Bihlmeyer/Tüchle“, das dreibändige Lehrbuch der Kirchengeschichte, war für viele katholische Theologengenerationen selbstverständlicher Bestandteil ihres Studiums. Es war das Hauptwerk von Tüchles Lehrer Karl Bihlmeyer (1874-1942). Genau genommen müsste das dreibändige Werk eigentlich „Funk/ Bihlmeyer/Tüchle“ heißen; denn seinen Ausgang nahm es von dem von Franz Xaver Funk (1840-1907) verfassten „Lehrbuch der Kirchengeschichte“, das 1907 in fünfter Auflage erschien und das Bihlmeyer, der Schüler Funks, neu bearbeitete und wesentlich erweiterte, erst auf zwei, dann auf drei Bände. Die von Bihlmeyer betreuten Auflagen „nahmen mehr und mehr seine eigene Handschrift an“ (Karl Suso Frank), so dass das Werk von 1926 an nur unter dem Namen Bihlmeyer erschien. In der Fortführung durch Bihlmeyer – bis dahin als „Funk-Bihlmeyer“ – erschienen sechs Auflagen. Die von Bihlmeyers Schüler Tüchle besorgte Neubearbeitung erlebte 1958/1959 die 14., 1966 die 18. Auflage. Dies war Funks ausschlaggebende Leistung, wobei er die „apologetisch-harmonisierende Methode“ (Rudolf Reinhardt), die sich mit dem Namen von Funks Vorgänger auf dem Lehrstuhl, Karl Joseph Hefele (1809-1895), verband – des bedeutenden nachmaligen Rottenburger Bischofs, der nach langem Zögern als letzter deutscher Bischof der Infallibilitätserklärung des I. Vaticanums zustimmte –, durch eine Methode der Geschichtsschreibung ersetzte, die, in den Worten Tüchles, „objektiv, das heißt unparteiisch“ sein müsse und „mit strengster Wahrheitsliebe Licht und Schatten verteilend, ohne von vornherein apologetisch wirken zu wollen“. Dieser Leitsatz bestimmt das Lebenswerk des Kirchenhistorikers Tüchle.
Sein Lebensweg begann in der Bescheidenheit eines bürgerlichen, durchaus weltoffenen Elternhauses. Aber grundlegende Tugenden wie Frömmigkeit, Treue zu seiner Kirche, Fleiß und eine gehörige Portion schwäbischer Beharrlichkeit gaben ihm seine Eltern auf diesen besonders in der Zeit des „Dritten Reiches“ beschwerlichen Lebensweg mit. Tüchle war ein vorzüglicher Schüler; sein Abiturzeugnis weist aus, wie gut ausgerüstet er in das Priestertum und in die Welt der Wissenschaft eintrat: Seine Leistungen in Latein, Griechisch, Französisch und Philosophie wurden für „gut“ befunden, in Mathematik, Naturgeschichte, Literaturgeschichte und natürlich Religion erzielte er „sehr gut“. Dazu kam für Tüchle als Schüler im Rottweiler Bischöflichen Konvikt Hebräischunterricht; auch hier schloss er mit „sehr gut“ ab. Das Studium absolvierte er denn auch ohne Schwierigkeiten, das Schlussexamen im Jahre 1929 bestand er mit „ausgezeichnet“ als Erster seines Jahrgangs. Ein Jahr später folgte die Ordination. Wie üblich hatte Tüchle, dessen wissenschaftliche Begabung zu dieser Zeit von seinem Lehrer Bihlmeyer schon erkannt worden war, zunächst als Vikar zu amtieren, wobei gleich hinzuzufügen ist, das er diese Aufgabe keineswegs als zweitrangig betrachtete. „Der Seelsorger Tüchle ist nie dem Wissenschaftler gewichen“ (Wolfgang Irtenkauf), obwohl er fast ein Jahrzehnt in der Seelsorge arbeitete. Bihlmeyer erwirkte einen zweijährigen Studienurlaub – 1936 bis 1937 –, bei dessen Abschluss Tüchle eine erste Talentprobe vorlegte. An der Kirchenpolitik des Herzogs Karl Alexander zeigte er auf, wie der Absolutismus vergeblich versuchte, die Kirche als Objekt zu benutzen, um an ihr seine eigenen Prinzipien zu realisieren. Drei Jahre später legte Tüchle seine Habilitationsschrift vor, in der er die Zusammenhänge zwischen Kult, Volksbrauch und Reliquienbesitz und der Volksfrömmigkeit behandelte.
Die über die Erteilung der Lehrbefähigung entscheidende Habilitationssitzung der Fakultät fand am 3. Oktober 1940 statt. Tüchle referierte, in freier Rede, über das von der Fakultät mit Bedacht gewählte Thema „Der Beitrag des Elsasses zur deutschen Kirchengeschichte des deutschen Mittelalters“ – kurz zuvor war das Elsass dem Deutschen Reich „angegliedert“ worden. Als Vertreter des Rektors und als Vertrauensmann des NS-Dozentenbundes nahm der Psychologe Gerhard Pfahler (1897-1976) an der Sitzung teil; er berichtete im ganzen wohlwollend und stimmte dem Habilitationsantrag der Fakultät ohne Bedenken zu. Da aber trat der „NS-Dozentenführer“ der Universität, der Anatom Robert Wetzel (1898-1962), auf den Plan und berichtete am 21. Januar 1941 dem Kultminister Christian Mergenthaler, einem fanatischen Hitleranhänger, über eine Unterredung mit Tüchle, in der er von diesem „das Bild eines ebenso talentierten wie zielbewussten Mannes“ gewonnen habe, „eines Mannes aber, der sehr verschlossen ist und dessen Ziele bestimmt nicht die der deutschen Hochschule sind“. Damit waren die Würfel gefallen. Der Rektor, vertreten durch den Psychiater Heinrich Hoffmann – einen der Initiatoren der Sterilisierungsgesetze –, verneinte gegenüber dem Kultminister die Frage, „ob die Erwerbung der Lehrberechtigung durch Tüchle erwünscht“ sei. „Ich persönlich bin der Überzeugung, dass theologische Fakultäten an den deutschen Hochschulen keine Berechtigung mehr haben.“
So konnte Tüchle erst 1946 mit großer Verspätung zum Privatdozenten ernannt werden, während sich die weitere Laufbahn entsprechend dem wachsenden Ansehen in raschen Schritten vollzog: 1948 außerplanmäßiger Professor, 1951 das erste Ordinariat in Paderborn und 1952 schließlich der Ruf auf einen der bedeutendsten kirchengeschichtlichen Lehrstühle als Nachfolger von Franz Xaver Seppelt (1883-1956), dem berühmten Erforscher der Papstgeschichte, nach München. Die ihn von da an viele Jahre begleitende Aufgabe bestand in der Weiterführung der eingangs geschilderten Kirchengeschichte, die, was die erreichte internationale Geltung zeigt, ins Englische, Französische, Italienische, Portugiesische und Polnische übersetzt wurde. Aber der Württemberg allzeit verbundene Schwabe in München, der in einer autobiographischen Skizze in den 1960er Jahren als Forschungsgebiete „Kirchengeschichte (allgemeine und schwäbische)“ angab, setzte den schon in Dissertation und Habilitation sichtbar gewordenen Weg fort und widmete sich mit der gleichen Intensität, mit der er sich mit der allgemeinen Kirchengeschichte des 16. und 17 Jahrhunderts befasste, der Kirchengeschichte seiner Heimat. Schon 1950 hatte er eine zweibändige „Kirchengeschichte Schwabens, Die Kirche Gottes im Lebensraum des schwäbisch-alamannischen Stammes“ veröffentlicht, und kurz darauf erschien „Aus dem schwäbischen Himmelreich“, eine Folge von Heiligenbildern. 1954 verfasste er zusammen mit A. Willburger eine Geschichte der Katholischen Kirche in Württemberg. Über den 1975 seliggesprochenen Tübinger Priester Carlo Steeb, den „Samariter von Verona“, schrieb er eine Biographie. Aktiv arbeitete er viele Jahre am „Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte“ mit, wo er z. B. über „Die Ausbreitung der Zisterzienser in Südwestdeutschland“ schrieb. Besonders verbunden war Tüchle dem „Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart“, dem er lange als Vorstandsmitglied angehörte. Als der Verein nach seiner Gründung 1980 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hielt Tüchle den Festvortrag „Barocke Christusfrömmigkeit in Schwaben“.
Das besondere Interesse Tüchles gehörte in Lehre und Forschung der Reformationsgeschichte. 1962 gab er die „Acta S. C. de Propaganda fide Germaniam spectantia 1622-1649“ heraus, und 1965 erschien ein umfangreiches Werk „Reformation und Gegenreformation“. 1981 schließlich brachte er, als dritten Band der Kirchengeschichte Schwabens, „Von der Reformation bis zur Säkularisation. Geschichte der Katholischen Kirche im Raum des späteren Bistums Rottenburg-Stuttgart“ heraus.
Auch nach der Emeritierung forschte und publizierte Tüchle bis ins hohe Alter. Noch am Morgen des 10. August 1986 hatte Tüchle die Frühmesse in seiner Wahlheimat Gröbenzell bei München gefeiert, kurz darauf ereilte ihn ein Gehirnschlag, dem er wenige Tage darauf erlag.
Quellen: UA Tübingen Personalakte H. Tüchle; DiözesanA Rottenburg Nachlass u. Personalakte H. Tüchle.
Werke: Elke Kruttschnitt, Bibliographie H. Tüchle (1905-1986) unter Mitarbeit von Eugen Fesseler in: Rottenburger Jb. für Kirchengeschichte Bd. 8, 1989; Bihlmeyer/Tüchle (Taschenbuchausgabe, unveränd. Nachdr. d. 18. Aufl. 1966), eingel. von Karl Suso Frank, 3 Bde., 1996; 82 Artikel von Tüchle in: Lexikon für Theologie u. Kirche, hg. von Josef Höfer u. Karl Rahner, 1957 2. Aufl.-1968.
Nachweis: Bildnachweise: Kath. Sonntagsblatt vom 9. 11. 1975 (vgl. Lit.).

Literatur: August Hagen, Gestalten aus dem schwäb. Katholizismus, 2. Teil, 1950; Prof. Tüchle nach München berufen, in: Kath. Sonntagsblatt d. Diözese Rottenburg-Stuttgart vom 4.5.1952; Wolfgang Irtenkauf, Professor Dr. H. Tüchle 60 Jahre, ebd. vom 14.11.1965; Eine Carlo-Steeb Biographie, ebd. vom 16.3.1968; Georg Schwaiger, Kirchenhistoriker von Rang, Professor H. Tüchle 70 Jahre alt, ebd. vom 9. 11. 1975; Konzil u. Papst. Histor. Beiträge zur höchsten Gewalt in d. Kirche, H. Tüchle FG zum 70. Geburtstag, hg. v. Georg Schwaiger, 1975; Uwe Dietrich Adam, Hochschule u. Nationalsozialismus, Die Univ. Tübingen im Dritten Reich, 1977; Strenge Wahrheitsliebe, H. Tüchle zum 75. Geburtstag, in: Christ in d. Gegenwart vom Nov. 1980; Rudolf Reinhardt, H. Tüchle (7. November 1905-22. August 1986), in: Vereinsnachrichten des Geschichtsvereins d. Diözese Rottenburg-Stuttgart, 1986; Otto Borst, Die Wissenschaften, in: Das Dritte Reich in Baden u. Württemberg, hg. von dems., 1988; Helmut Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil l, Der Professor im Dritten Reich, Bilder aus d. akad. Provinz, 1991; ders., Universität unterm Hakenkreuz, Teil II, Die Kapitulation d. Hohen Schulen, Das Jahr 1933 u. seine Themen, Bd. 2, 1994; Klaus Ganzer, Bihlmeyer, Karl, in: LThK 1994 3. Aufl.; Rudolf Reinhardt, Funk, Franz Xaver, in: LThK, 1995 3. Aufl.; LbBW 2 9562, 6 3882, 7 6833, 8 7632-7634 u. 10 7359; Engelbert Buxbaum, Der „Rottweiler“ H. Tüchle (1905-1986) u. sein Münchener Schülerkreis, in: Rottweiler Heimatbll. 67. Jg. Nr. 3, 2006, 1-3.
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