Wais, Alfred Paul 

Geburtsdatum/-ort: 02.08.1905;  (Stuttgart-)Birkach
Sterbedatum/-ort: 29.02.1988;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Maler
Kurzbiografie: 1919 Abschluss der Volkschule u. Eintritt in die Lehrerpräparandenanstalt Kirchheim/Teck
1925 Abschluss der Ausbildung zum Volkschullehrer in Backnang
1926–1931 Kunststudium, zuerst an der TH Stuttgart bei Bildhauer Ulfert Janssen (1878–1956), ein Semester später an der Kunstakademie Stuttgart bei den Professoren Gottfried Graf (1881–1938), Alexander Eckener (1870–1944) und Hans Spiegel (1894–1964), 1928 Eintritt in die Malklasse des Wiener Malers Anton Kolig (1886–1950)
1931–1933 Mitglied bei der Stuttgarter Neuen Sezession bis zu deren Auflösung aus politischen Gründen, erste Ausstellung im Stuttgarter Kunstgebäude 1931
1936–1939 Kollektivausstellung im Kunsthaus Fischinger in Stuttgart und weitere Ausstellungen dort 1937 und 1939
1940–1945 Kriegsdienst bei wechselnden Einheiten, ab 1942 hauptsächlich in der Ukraine und in Russland; zuletzt Obergefreiter
1946 Entlassung aus amerikan. Kriegsgefangenschaft
1952 Gründung der Freien Gruppe Schwäbischer Maler und Bildhauer als Nachfolgeorganisation der Stuttgarter Neuen Sezession; Ausstellungen in Stuttgart 1952 und 1961
1974 Aufenthalt in Edvard Munchs ehemaligem Landgut Ekely bei Oslo aufgrund eines Stipendiums der Bundesrepublik und des Landes Baden-Württembeg
1979 Ehrengast der Dt. Akademie Villa Massimo in Rom
1981 Professor des Landes Baden-Württemberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1933 (Innsbruck) Marie, geb. Melchior (geboren 1911)
Eltern: Vater: Hermann Eugen (1863–1932), Bauer
Mutter: Luise Sophie, geb. Koch (1862–1936)
Geschwister: 4; Ernst Albert (1894–1948), Christian Wilhelm (1896–1960), Emma Mathilde (1897–1924), Luise Pauline (1899–1916)
Kinder: 4;
Paul Friedrich (geboren 1934),
Marieluise (geboren 1937),
Edgar Ulrich (geboren 1940),
André Christian Alois (geboren 1949)
GND-ID: GND/118628518

Biografie: Karlheinz Fuchs (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 451-453

Wais war das fünfte Kind einer Bauernfamilie aus dem Filderdorf Birkach, das heute zu Stuttgart gehört. Die Schule fiel ihm leicht, deshalb sollte er Lehrer werden. Dann aber entschied er sich für die Kunst. Die Studier- und Prägungsphase Wais’ fällt in das Stuttgart der 1920er-Jahre, in der die württembergische Metropole als eine Art Hauptstadt der Avantgarde galt. An der TH dort begann der Birkacher Bauernsohn mit 21 sein Kunststudium bei dem Bildhauer Ulfert Janssen.
Aber die Bildhauerei genügte seiner künstlerischen Ungeduld nicht. Zu langsam schien es ihm, wie hier der kreative Prozess vonstatten ging. Bereits nach einem Semester schrieb Wais sich auf der Kunstakademie ein, die seinerzeit vor allem von Adolf Hölzel geprägt wurde. Hölzel war damals der bedeutendste Vertreter der Moderne in Stuttgart. Willi Baumeister (1889–1955), mit dem Wais später öfter in wichtigen Situationen den Weg gekreuzt hat, sprach voller wohlwollend-ironischer Anerkennung über seinen Lehrer: „Hölzel war […] als Dachauer Graumaler an die Akademie berufen worden. […]. Ein für die damalige deutsche Kunstakademie einmaliger Fall trat ein: ein Professor entwickelte sich künstlerisch weiter.“ Es herrschte ein Geist des Aufbruchs, als Wais 1927 an die Akademie im Stuttgarter Norden kam, wo ein internationales Publikum gerade die Weißenhofsiedlung feierte. Beim mährischen Professor Anton Kolig (1886–1980) fand Wais’ Malerei entscheidende Impulse und bei Gottfried Graf, Alexander Eckener und Hans Spiegel schuf er die technischen Grundlagen für das später ausgeprägte grafische Werk.
Kolig sollte in künstlerischer wie persönlicher Hinsicht Wais’ wesentlichster Lehrer werden und bald schon gehörte er zu seinen Meisterschülern. Dessen Forderung nach der „absoluten Farbigkeit“ sowie dem Verzicht auf Schwarz und Weiß war Wais allerdings zu äußerlich. Gleichwohl unternahm er 1928 und 1929 u.a. mit Kolig für sein weiteres Malen und Leben höchst bedeutsame Exkursionen nach Nötsch am Dobratsch im Südkärntner Gailtal. Dort lernte er auch seine spätere Frau kennen. Später, von 1957 an, sollte Wais dann alljährlich einige Malwochen im Gailtal verbringen.
Seine erste wichtige öffentliche Präsentation verdankte Wais der Stuttgarter Neuen Sezession, einer Vereinigung junger Maler wie Manfred Pahl, Alfred Lehmann, Manfred Henninger, Wilhelm Geyer, Gustav Schopf, die sich bewusst von der „alten“ Sezession, die Professoren der Kunstakademie geprägt hatten, emanzipieren wollte. Wais passte mit seinen 26 Jahren bestens zu diesem Kreis und zeigte seine Arbeiten 1931 bei der dritten Ausstellung der Gruppe im Stuttgarter Kunstverein. Ein zeitgenössischer Text befindet, dass „in Cézanne […] viele Maler dieser Gruppe eine Vaterfigur erkannten. Das andere Idol […]war Lovis Corinth, dessen persönliche Gestaltungskraft sich im Duktus und in der Zusammenwirkung pastos aufgetragener Farbstrukturen niederschlug.“ Darin steckte auch Wais’ künstlerisches Credo. Eine tiefe Zäsur war es deshalb für ihn und seine Kollegen, als am 12. April 1933 die Neue Sezession aufgelöst und zwangsweise mit dem „Reichsverband bildender Künstler Deutschlands“ gleichgeschaltet wurde.
Doch im Stuttgarter Kunsthaus Fischinger hatte man nach 1933 Mut genug, nonkonformistische Künstler, was Wais sein Leben lang blieb, zu zeigen und fühlte sich dabei besonders der Neuen Sezession verpflichtet. Noch 1936 war Wais dort innerhalb einer Kollektivausstellung zu sehen. Seit 1930 arbeitete er als Zeichenlehrer an Gymnasien in Stuttgart und Esslingen; an ein Leben nur von seiner Kunst war vor allem während der NS-Herrschaft nicht zu denken. 1940 musste der 35-Jährige in den Krieg, den er hauptsächlich in Russland und der Ukraine erlebte, und 1944 wurde die Familienwohnung in Cannstatt ausgebombt: fast das gesamte Vorkriegsschaffen Wais’, Ergebnis langjähriger, intensiver künstlerischer Auseinandersetzungen mit weit über hundert Ölbildern sowie fast alle Druckstöcke für Radierungen und Holzschnitte gingen dabei zugrunde. So wurde die Nachkriegszeit zum eigentlichen Neubeginn. 1946 kam der Künstler aus amerikanischer Gefangenschaft zurück, nach Blaubeuren bei Ulm, wo die Familie bei seinem Bruder Christian, der hier eine Teigwarenproduktion betrieb, ein Unterkommen gefunden hatte. Mit dem legendären Blautopf sollte er eines seiner bevorzugten Motive finden. Doch trotz der wirtschaftlich unsicheren Zeiten entschloss Wais sich, den Schuldienst zu quittieren, um fortan als freier Künstler zu leben und auf diese Weise die nun sechsköpfige Familie durchzubringen.
Voller Ungeduld wollte er nach zwölf Jahren Unterdrückung moderner Kunst die für seine künstlerische Entwicklung verlorene Lebenszeit zurückgewinnen und begann sogleich, Verbindungen zu reaktivieren, suchte die Kollegen der Neuen Sezession auf; 1952 hatte er eine gemeinsame Ausstellung zusammen. Zu früheren Künstlern der Neuen Sezession gesellten sich nun Otto Baum, Willi Baumeister, HAP Grieshaber, Alfred Lörcher und Walter Wörn; sie nannten sich „Freie Gruppe Schwäbischer Maler und Bildhauer“. Die Ausstellung in der von Bombenschäden provisorisch wieder hergerichteten Stuttgarter Staatsgalerie stieß auf reges Publikumsinteresse. Doch bereits da zeichnete sich der Konflikt zwischen „Abstrakten“ und „Gegenständlichen“ ab. 1953 bei der Wanderausstellung der Freien Gruppe waren die „Nichtgegenständlichen“ Otto Baum und Willi Baumeister nicht mehr dabei und an der zweiten großen Gemeinschaftsschau 1963 im Stuttgarter Kunstgebäude nahmen dann fast nur noch die „Gegenständlichen“ teil.
1964 wurde Wais Mitglied im Verwaltungsrat des Württembergischen Kunstvereins, in dem er acht Jahre lang mitarbeitete, bevor er ihn unter Protest wegen des einseitigen Ausstellungsprogramms verließ. Wais prägte damals die Donnerworte vom „subventionierten Leerlauf“ und von der „Reduktion des Kunstbetriebs auf Nonsens-Veranstaltungen mit sogenannter Antikunst“. Das war 1972. Wais, der Einzelkämpfer, hatte keinerlei Verständnis für die Positionen der „Achtundsechziger“, wonach der nicht „gesellschaftsrelevante“ Künstler lediglich am Stillstand der Menschheit arbeite. Für ihn war Kunst Leben, Bewältigung der Grundfragen des Daseins. „Beim Künstler muss die Problematik allen menschlichen Daseins mit Darstellungsgegenstand sein“, meinte Wais.
Nach seinem Abschied vom Kunstverein arbeitete er umso besessener. Karl Diemer schrieb in seinem Artikel zum 60. Geburtstag in den „Stuttgarter Nachrichten“, dass der Künstler „am Widerstand des Gegenstands festhielt“ und zitierte Wais in seinen Mühen um die absolute Vervollkommnung: „Man müsste ein Bild mit einem einzigen Strich malen können. Ohne abzusetzen. Ein Bild – ein Wurf. Und dabei dem Sujet nichts schuldig bleiben.“ Und Diemer befand: „Neben Manfred Pahl gehört [Wais] zu den kämpferischsten, aufmüpfigsten Künstlern seiner Generation, und die ängstlichen Kollegen pflegen davon zu profitieren.“
Wais hinterlässt denn auch ein erstaunliches Alterswerk. Die Intensität, mit der er an der Arbeit blieb, beflügelt von gelegentlicher Hochstimmung, die aus wachsender Anerkennung seiner Kunst erwuchs, ließen das Spätwerk zu einer Höhenphase seines Schaffens werden, in der Zimmermann ihn in die Nähe Emil Noldes rückte. Das fulminante Spätwerk Wais’ konzentriert sich auf nahe liegende Motivbereiche wie Landschaft, Interieur und Still-Leben, wobei Landschaft sich immer minutiöser auf den täglichen Ausgangspunkt reduziert, im Wesentlichen um das 1958 bezogene Haus in Büsnau mit seinem eindrucksvollen Nordlichtatelier: eine Hauswand, rote Ziegeldächer, weißparallele Birkenstämme – auch hier eine geradezu radikale Hinwendung zum einzelnen Gegenstand. Licht, Gegenstand und Raum als die Grundlagen des Malerischen, wie Wais es sieht: hier werden sie zum Konzentrat. Es sind die von großer Ungeduld und Erregung entfachten Befreiungstaten des „Alten Wilden“, der damit zu einem herausragenden Vertreter des „Expressiven Realismus“ wird, ganz nahe am Expressionismus.
Zu Wais’ gesellschaftlicher Anerkennung gehörte 1974 ein Stipendium für Ekely bei Oslo im Landsitz Edvard Munchs und 1979 ein Aufenthalt in der Villa Massimo. Munch, Cézanne und Corinth sind prägende Vorbilder Wais’, aber auch Bosch, Daumier und Ensor.
Rainer Zimmermann ist durchaus beizupflichten, wenn er, um Wais in einen gesamtkünstlerischen Zusammenhang einzuordnen, Matisse bemühte, bei dem sich ein apollinisches Verständnis des Daseins verkörpere, und Wais dazu kontrastiert. Bei ihm herrsche ein dionysisches. Damit wäre die Wildheit ebenso erklärt wie der Umstand, dass sich seine Werke eben manchmal auch „der Liebe auf den ersten Blick“ versagen.
Quellen: Nachlass beim Sohn André in Stuttgart.
Werke: Einführung zur Kollektivausstellung Alfred Wais beim Württ. Kunstverein in Stuttgart 1949, Text im Katalog zur Ausstellung; Antworten zu Fragen über das Thema Natur u. Kunst, in: Landschaft – Kunstlandschaft – Antilandschaft, „Natur“ allgegenwärtig? Textheft 1 des Kunsthauses Fischinger, 1977; Sehen u. Verständigung – einige Gedanken, in: A. u. U. Hücking, Zu Besuche im Atelier, 1979; Gedanken zu historischer Entwicklung u. heutigem Stand Bildender Kunst, in: Bericht zum Studienaufenthalt in d. Villa Massimo, 1979.
Nachweis: Bildnachweise: Selbstportraits im Nachlass (vgl. Quellen); Fotos in: Rainer Zimmermann, 1980, Frontispiz u. 218-225 (vgl. Literatur).

Literatur: Adolf Schahl, Über Malerei u. Grafik von Alfred Wais, in: Lagerkatalog 4 des Kunsthauses Fischinger, Stuttgart, 1974; Karl Diemer, „Er haut auch gern mal auf den Tisch“ – dem Stuttgarter Maler u. Grafiker Alfred Wais zum 70. Geburtstag, in: Stuttg. Nachrichten vom 1.8.1975; Christian Caspar, Die lithographische Technik bei Alfred Wais, in: Lithografien, Gesamtverzeichnis 1933–1978, 1978; Rainer Zimmermann, Die Unzerstörbarkeit d. Dinge – malerische Selbstverwirklichung in Druckgrafik u. Ölgemälden: Alfred Wais, in: Rainer Zimmermann, Die verschollene Generation, 1980; ders., Alfred Wais – Malerei u. Grafik, 1980; Alfred Wais, Ausstellung zum 80. Geburtstag, Katalog d. Galerie Schlichtenmaier, 1985; Alfred Wais, Gemälde, Aquarelle, Druckgrafik u. Zeichnungen 1970–1985, Katalog zur Ausstellung in d. Galerie d. Stadt Stuttgart, 1985; Alfred Wais 1905–1988, Katalog zu den Ausstellungen, Malerei der [19]70er- u. [19]80er-Jahre bei d. Galerie Schlichtenmaier in Grafenau u. Aquarelle aus 4 Jahrzehnten in d. B-W Bank, Stuttgart, 1988; Hans-Thoma-Gesellschaft, Reutlingen (Hg.), Alfred Wais, Druckgrafik 1928–1988, 1995: Alfred Wais 1905–2005, 100 Jahre 100 Werke, 2005; Alfred Wais, Ein Künstler im Krieg, 2005.
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