Schmidt, Eberhard 

Geburtsdatum/-ort: 16.03.1891; Jüterbog
Sterbedatum/-ort: 17.07.1977;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Strafrechtslehrer, Arztrechtler und Rechtshistoriker
Kurzbiografie: 1909 Dienst bei der kaiserlichen Marine
1910 Beginn des Rechtsstudiums in Berlin
1913 Referendarexamen am Kammergericht zu Berlin und Promotion zum Dr. iur. in Göttingen
1914 Assistent bei Franz von Liszt am Kriminalistischen Institut der Universität Berlin. Eintritt in den Kriegsdienst
1920 Habilitation für Strafrecht, Strafprozeßrecht und preußische Rechtsgeschichte
1921 ordentlicher Prof. in Breslau
1926 ordentlicher Prof. in Kiel
1929 ordentlicher Prof. in Hamburg, zugleich Oberlandesgerichtsrat am Hanseatischen Oberlandesgericht
1933-1934 auf Grund akademischer Wahl Rektor der Universität Hamburg
1935 ordentlicher Prof. in Leipzig
1939 Eintritt in den Kriegsdienst an den Divisionsgerichten zu Dresden und Leipzig
1945 amerikanische Kriegsgefangenschaft, ordentlicher Prof. in Göttingen
1947 Leiter der Kommission für Wirtschaftsstrafrecht beim Wirtschaftsrat
1948 als Nachfolger Gustav Radbruchs ordentlicher Prof. in Heidelberg
1952-1953 Rektor der Universität Heidelberg
1959 Emeritierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.-luth.
Verheiratet: Elisabeth, geb. Aschoff
Eltern: Vater: Kurt Schmidt, Arzt
Mutter: Margarethe, geb. Mann
Geschwister: 2
Kinder: 3 (Elisabeth 1923-1926, Gerhard geb. 1925, Gisela geb. 1927)
GND-ID: GND/118759590

Biografie: Adolf Laufs (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 239-241

Der Lebensweg führte den Arztsohn in glänzender akademischer Karriere über mehrere ansehnliche Stationen schließlich nach Heidelberg, wo ein wesentlicher Teil seines monumentalen rechtswissenschaftlichen Lebenswerkes entstand. „Seit dem 10. Mai 1910, dem ersten Tage meines juristischen Studiums“, so schrieb er 1971 an den Autor, „ist mir die Universität mein Ein und Alles gewesen. Nach einer herrlichen, in Berlin verbrachten Studentenzeit war ich sieben Jahre lang Assistent bei von Liszt, Kohlrausch und Goldschmidt, dann habe ich an sechs Universitäten als Ordinarius wirken können, und immer habe ich das als das größte berufliche Glück empfunden“.
Schmidt war ein vorbildlicher Forscher und Lehrer, ein Professor von echtem Schrot und Korn: voller Pflichtbewußtsein, Fleiß, schriftstellerischer Leidenschaft und Bekennermut in den Anfechtungen der Zeit. Als Kriegsgerichtsrat bewies er rechtsstaatlichen Geist und Charakter. Der äußerlich bescheidene Mann sah sich wieder und wieder ausgezeichnet. Zweimal, in Hamburg und Heidelberg, amtete er als Rektor seiner Universität. Den Akademien von Leipzig, Göttingen, Heidelberg und Wien gehörte er als Mitglied an. Der Bundespräsident verlieh ihm das große Verdienstkreuz. Die Heidelberger medizinische Fakultät promovierte mit ihm einen Gelehrten zu ihrem Ehrendoktor, der das Arztrecht wesentlich förderte. „Der Arzt im Strafrecht“, 1939, hat auf diesem Felde seinen Ruf begründet. Es bezeichnet Wesen und Rechtsdenken des Gelehrten, daß er die Selbstbestimmung des Patienten wie die Gewissensfreiheit des Arztes verteidigte und die sittlichen Grundlagen ihres Rechtsverhältnisses immer wieder betonte. Diese Lehre ist in die Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs eingegangen. Sein Gutachten für den 44. Deutschen Juristentag 1962 in Hannover über die ärztliche Aufklärungspflicht gehört zu den grundlegenden Werken des Arztrechts.
Als letzter Schüler und wohl auch geistiger Erbe Franz von Liszts verfocht Schmidt ein zugleich liberales und soziales Strafrecht. So führte er das weltweit anerkannte Lisztsche Strafrechtslehrbuch fort (23. bis 26. Auflagen 1921 bis 1932). Er verteidigte diese Position auch später wiederholt leidenschaftlich, „bis sie sich in bewundernswerter Geradlinigkeit mit modernen Strömungen vereinigen konnte, denen die Resozialisierung des Rechtsbrechers und seine Wiedereingliederung in die Gemeinschaft zum vorrangigen Zweck der Strafrechtspflege und aller Bemühungen im Strafvollzug geworden waren“ (Lackner, 1521 f.). Seine Liberalität ließ Schmidt nachhaltig für die Entkriminalisierung des Strafrechts und gegen die Vielstraferei eintreten. Seine dogmatischen Vorarbeiten und seine Teilnahme an den gesetzgeberischen Beratungen beförderten die Ausgrenzung des bloßen Ordnungsrechts aus dem Kriminalstrafrecht.
Schmidt widmete seine Arbeitskraft vornehmlich dem Ausbau des Rechtsstaats, der „Sache der Justiz“. Sein Bemühen galt den Pflichten der Strafverfolgungsorgane, einer einwandfreien Verfassung der Strafgerichte und einem Verfahren, das die unvermeidliche Spannung zwischen den Interessen der Allgemeinheit und denen des beschuldigten Bürgers zu gerechtem Ausgleich bringt. Das Leitmotiv seines Lebenswerkes steht im Vorwort des großen mehrbändigen Lehrkommentars zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz (1952 bis 1960 mit Neuauflagen und Nachträgen 1964, 1967 und 1970): Die Arbeit des Juristen habe „heute dem Kampf um die rechtsstaatliche Idee zu gelten, ganz gleichgültig, auf welchem besonderen juristischen Felde er sich betätigt“.
In seiner wissenschaftlichen Arbeit als Schriftsteller und akademischer Lehrer traten die Erfahrungen aus der Vergangenheit mit den Problemen der Gegenwart je und je eng zusammen. Er habe, so schrieb er im Vorwort eines seiner historischen Hauptwerke, der fesselnden, in drei Auflagen (1947, 1951 und 1965) und einem Nachdruck erschienenen „Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege“, „immer erneut die Erfahrung gemacht, welche Sicherheit des Standpunktes im Kampf für die Gerechtigkeit aus den Lehren der Geschichte zu gewinnen ist“. Die ganze Geschichte des Rechts kreise um den Gegensatz von Macht und Recht, von Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit, von utilitas und honestas im Sinne Ciceros. „Die größten Leiden der Menschheit ergeben sich aus den Spannungen, die aus jenen Gegensätzen hervorgehen. Die Geschichte bietet hierfür ein reiches Anschauungsmaterial und vermittelt beherzigenswerte Lehren“.
Das Grundthema kehrt in vielen Arbeiten wieder, manche tragen es bereits im Titel: „Rechtssprüche und Machtsprüche der preußischen Könige des 18. Jahrhunderts“ (1943); „Justitia fundamentum regnorum. Fünf Vorträge über Macht und Recht, Staat und Justiz“ (1947). Mit der von ihm meisterhaft beherrschten „Methode des Erkennens in geschichtlicher Betrachtungsweise“ trat der Rechtswissenschaftler publizistisch für eine rechtsstaatliche Strafrechtspflege ein. Sein eindrucksvoller Aufsatz „Der Strafprozeß. Aktuelles und Zeitloses“ (NJW 1969, 1137-1146) bietet dafür ein schönes Beispiel: ein aus der Geschichte begründetes Plädoyer für die prozessuale Form und den hohen Anspruch des Richteramts.
Immer wieder erhob Schmidt seine warnende und mahnende Stimme im Dienste der Rechtsidee. Das Vorwort zu dem Sammelband „Strafprozeß und Rechtsstaat“ (1970) führt im Blick auf die sich abzeichnenden Gefahren aus, daß, „seit einer Reihe von Jahren in bestimmten politischen Gruppen unseres Volkes eine gefährliche Anfälligkeit für totalitäre Ideen zu beobachten ist, ein wenig erfreuliches, aus deutschem Volkscharakter und deutscher Geschichte aber erklärliches Anzeichen dafür, daß die vom Grundgesetz gewährten Freiheiten mit ihren reichen Möglichkeiten zur Entwicklung einer für alle gleichermaßen verbindlichen politischen Gesittung mißverstanden werden, daß das diesen Freiheiten inhaerente Komplementärelement staatsbürgerlicher Verpflichtung dem Ganzen gegenüber nicht begriffen wird“.
Der rechtsgeschichtliche Anteil im Œuvre des Gelehrten hat Umfang und Gewicht. In der Festschrift zum 70. Geburtstag 1961 stehen die gewichtigsten Titel verzeichnet. Auch nachdem er längst im Badischen feste Wurzeln geschlagen hatte, dauerte seine Liebe zur Mark Brandenburg und zu Preußen fort. Die Berliner Habilitationsschrift von 1921 über „Fiskalat und Strafprozeß“ bot archivalische Studien zur Geschichte der Behördenorganisation und des Strafprozeßrechts in Brandenburg-Preußen. Sein prägnanter Grundriß „Rechtsentwicklung in Preußen“ von 1923 erfuhr 1929 eine zweite Auflage und 1961 einen Neudruck. Auch etwa zur Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, germanistische Abteilung, hat Schmidt Wesentliches beigetragen. Genannt seien sein im Zeichen der heraufziehenden nationalsozialistischen Rechtsperversion mutiger und entschlossener Aufsatz zur Carolina (1933) und seine Rezensionen des Werkes von His über das Strafrecht des deutschen Mittelalters (1920 und 1936). 1968 erschien die Erinnerungsschrift „Kammergericht und Rechtsstaat“. Sein letztes Buch galt der Mark Brandenburg unter den Askaniern (1973).
Werke: Bibliographie der wichtigsten Arbeiten bei Bockelmann/Gallas (vgl. Lit.), 662-667.
Nachweis: Bildnachweise: Foto in Bockelmann/Gallas (vgl. Lit.).

Literatur: Paul Bockelmann und Wilhelm Gallas (Hg.), Festschrift für E. Schmidt, 1961; Nachrufe: Karl Lackner, in: NJW 1977, 1521 f.; Richard Lange, in: Zs. für die ges. Strafrechtswissenschaft LXXXIX, 1977, 871-877; ders., E. Schmidt – Seine Stellung im Wandel des strafrechtlichen Denkens, in: Juristenzeitung 1978, 541-544; Adolf Laufs, E. Schmidt †, in: ZSRG Germ. Abt. 95, 1978, 478 f.; Hubert Schön, Der Richter im Dritten Reich, 1959, 493-499.
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