Wertheimer, Willi 

Andere Namensformen:
  • in den USA: William
Geburtsdatum/-ort: 26.03.1897;  Hardheim/Odw.
Sterbedatum/-ort: 21.01.1982; New York
Beruf/Funktion:
  • Lehrer, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: ca. 1900–1913 Volksschule in Hardheim bis 1910, dann israelit. bayerische Präparandenschule in Höchberg bei Würzburg
1913–1916 Studium u. Examen am jüdischen Lehrerseminar in Köln
1916–1919 Soldat im I. Weltkrieg
1919–1924 Lehrer in Eubigheim
1924–1938 X. Lehrer in Buchen
1936 Fahrt nach Holland
1938 X. Flucht über Holland nach New York, Emigration in die USA
1942/43 nach dem Kriegseintritt d. USA Dienst in den USA als Sanitätssoldat
1943 Beginn seiner Tätigkeit für den jüdischen National Fond
1962 XII. 10 Verleihung des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens d. Bundesrepublik Deutschland auf Vorschlag des Außenministers; Übergabe durch den dt. Generalkonsul in New York
1963 Reise durch Israel
1978 Zwischen zwei Welten – Der Förster von Brook lyn, Lebenserinnerungen, 2. Aufl. 1980
1978 XI. 20 Verleihung d. Goldenen Bürger- u. Verdienstmedaille d. Gemeinde Hardheim
1980 V. 2. Deutschlandreise mit Besuch in Frankfurt u. Hardheim, Fernsehsendung u. Film im Norddeutschen Rundfunk
1997 Jüdisches Leben in Hardheim, Ausstellung des Erfatal-Museums Hardheim aus Anlass des 100. Geburtstages von Wertheimer u. Festansprache des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: I. 1924 (Eubigheim) Jenny, geb. Reich, verwitw. Hausmann (1888–1948), Tochter von Salomon u. Fanny Reich aus Eubigheim
II. 1963 (?) (New York) Frieda, geb. Frank (geboren 1899)
Eltern: Vater: Emanuel (1854–1926), Lehrer
Mutter: Marianne Miryam, geb. Bachmann (1863–1901)
Geschwister: 7; Bertha (1892–1943), Anselm (1893–1918), Helena (Lenchen, 1894–1943), Dina (1896-im KZ), Isak (Issi) (1898–1944), Ida (1900–1942) u. Frieda (geboren/verstorben 1901);
Halbgeschwister Felix (1880–1943), Naftali (1884–1902), Julius (Juda) (1887–1941) u. Lazarus (1890–1890)
Kinder: Ruth Marianne (geboren 1925)
GND-ID: GND/118767259

Biografie: Torsten Englert (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 471-473

Über 600 Jahre hatten Juden Teil an der Geschichte von Hardheim im Odenwald. Ersterwähnt sind sie dort 1318 anlässlich einer Verpfändung Kaiser Ludwigs des Bayern an die Ritter Werner und Reinhard von Hardheim. Für 1679 ist der erste Hinweis auf eine Synagoge zu finden; das Gebäude der letzten Synagoge ist noch vorhanden. Ein jüdischer Friedhof entstand 1875/76; damals lebten 158 Juden im Dorf. Dieser Friedhof wurde 1945 durch die Amerikanische Besatzungsmacht wieder instandgesetzt. Das Ende der jüdischen Gemeinde von Hardheim war mit dem 22. Oktober 1940 erreicht, als die noch nicht ausgewanderten oder geflohenen 17 Hardheimer Juden von der Gestapo abtransportiert wurden. Nur fünf überlebten, da sie mit Hilfe der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ zu Verwandten in die USA auswandern konnten.
Einer der bekanntesten Hardheimer Juden war der Lehrersohn Wertheimer. Seine Kindheit lässt noch das weitgehend ungestörte Miteinander der christlichen und jüdischen Bevölkerung erkennen. Im Geburtsort hatte Wertheimer die katholische Kinderschule und dann die Volksschule besucht. Da auch er Lehrer werden sollte, wechselte er im Oktober 1910 in die israelitische Präparandenschule Höchberg bei Würzburg. Dort wurden neben den Fächern Deutsch, Rechnen, Algebra, Geschichte, Geographie, Singen, Turnen, Musik und Harmonielehre die hebräische Sprache und typisch jüdische Fächer wie Mischnah und Talmud, dazu Liturgiegesänge und Vorbeten unterrichtet. Eine Besonderheit an diesen bayerischen Schulen war der Unterricht im Orgelspielen. Wertheimers Lieblingsfächer waren neben einigen jüdischen Disziplinen Rechnen, Algebra, Botanik, Klavier und Violine, Geschichte und Geographie. Seine Unterkunft in dieser Zeit hatte er bei entfernten Verwandten im Hause Ehrenreich, wo noch andere seiner Mitschüler wohnten. Anfangs hatte er unter Heimweh gelitten, später genoss er die Zeit in Würzburg, besonders die kulturellen Angebote.
Im Oktober 1913 wechselte Wertheimer für drei Jahre zum Studium an das jüdische Lehrerseminar in Köln. Seinen Lebensunterhalt besserte er mit Nachhilfestunden auf. Das Seminar förderte die materielle Unterstützung von Jeschiwoth, das sind Talmud-Hochschulen, von Krankenhäusern und anderen sozialen Institutionen, positiv stand es auch dem „geistigen“ Zionismus gegenüber. Schon damals lässt sich Wertheimers späteres Engagement absehen; er wurde Mitglied im Seminaristenverein Josua Ben Gamle, und obwohl der politische Zionismus im Lehrerseminar nicht eben geschätzt war, da er sich der Religion gegenüber indifferent verhielt, kam er mit ihm in Berührung. Dieser Lebensabschnitt Wertheimers endete im September 1916; er legte sein Examen am Lehrerseminar ab und wurde gemustert.
Am 8. November 1916 rückte er ein, kam zum 17. Infanterieregiment nach St. Wendel an der Saar und wurde zum Infanteristen ausgebildet. Das freilich geriet angesichts seiner Körpergröße von nur 1,54 Meter und seines Gewichtes von kaum 100 Pfund sehr anstrengend. Hinzu kam der sture Drill, das Gebrüll und die Benutzung von Kraftausdrücken. Unnötige Schikanen und Gemeinheiten verpassten Wertheimers Patriotismus bald gehörige Dämpfer. Es wird nicht übertrieben sein, will man behaupten, Wertheimer habe damals gelitten. Der Bataillonsarzt jedenfalls stellte wegen wiederholt auftretender Fieberanfälle fest, dass die körperliche Verfassung von Wertheimer nicht für den Infanterie-Dienst geeignet sei. Er wurde im Februar 1917 zur Ersatzabteilung des Feldartillerie-Regiments 8 nach Bischweiler im Elsass versetzt und zum Kanonier ausgebildet. Dann kam der Fronteinsatz, zuerst im Mai 1917 in Laon in Nordfrankreich, als die Doppelschlacht an der Aisne-Champagne in vollem Gange war. Bereits im Juli wurde Wertheimer nach Galizien an die Ostfront verlegt. Weitere Stationen waren die Stadt Riga, Libau, die Insel Ösel, bis die Einheit Wertheimers am 18. Februar 1918 von den baltischen Inseln verlegt wurde. Gegen Kriegsende kam Wertheimer noch einmal an die Westfront und erlebte in Lothringen Stellungskämpfe in der Woëvre-Ebene und westlich der Mosel, bis am 10.November der Krieg für ihn vorbei war, auch wenn er erst am 22. Februar 1919 entlassen wurde.
Schon Anfang März 1919 trat Wertheimer in den jüdischen Schuldienst in Baden ein. Seine erste Stelle war die kleine Gemeinde Eubigheim, wo er 1924 die Witwe eines im Krieg gefallenen Kollegen heiratete. Kurz danach meldete er sich für die vakante Bezirksstelle in Buchen, die er am 1. März 1924 antrat. Bereits am Ende des I. Weltkrieges hatte Wertheimer verspürt, wie die Zeiten sich änderten, und seit der Buchener Zeit auch Vorboten des Nationalsozialismus erkannt. Er ließ aber in seinen Bemühungen nicht nach, organisierte Veranstaltungen, sammelte Geld für den jüdischen Nationalfonds und kümmerte sich vor allem darum, dass in Palästina, das damals noch unter Britischem Mandat stand, Bäume gepflanzt wurden. Wertheimer sammelte mit Eifer und Ehrgeiz für einen Garten mit 100 Bäumen. Dieser Garten wurde in Mischmar Ha-Emek gepflanzt und nach ihm benannt. Während der NS-Zeit gründete Wertheimer in Walldürn und Sennfeld mit Genehmigung des Kreisleiters ein Zentrum für jüdische Pioniere. Dort konnten junge Menschen sich bei jüdischen und nichtjüdischen Bauern auf den landwirtschaftlichen Beruf vorbereiten, den sie später in Israel ausüben sollten. Diese Genehmigungen wurden später widerrufen; die Chaluzim genannten Pioniere mussten verschwinden.
Da Wertheimer die Lage als immer gefährlicher empfand, reiste er nun nach Holland, wo einige seiner Geschwister Zuflucht gefunden hatten, und schrieb an Verwandte seiner Frau in den USA, um die erforderlichen Papiere für eine Auswanderung zu erhalten. Sie kamen im buchstäblich letzten Moment. Im Oktober 1938 emigrierte Wertheimer zusammen mit seiner Familie nach New York. Sein Leben war damit gesichert, das seiner Geschwister und deren Kinder, 22 an der Zahl, endete schon wenige Jahre später in den Konzentrationslagern Auschwitz, Jungfernhof (Riga), Sobibor und in Theresienstadt.
Da es in den USA genügend jüdische Religionslehrer unter den Einwanderern gab, musste Wertheimer sich durch Gelegenheitsarbeiten durchschlagen. Beim Kriegseintritt der USA wurde er als Sanitätssoldat eingezogen und musste Inlandsdienst leisten. Er engagierte sich aber nach wie vor für die zionistische Bewegung und half beim Aufbau von Israel. Wertheimer, der u.a. Präsident des Weltkomitees des „Jews of Central Europe Memorial Forest Jewish National Fund“ wurde, war der erste deutsche Einwanderer, der beim jüdischen National Fond vorsprach und ehrenamtlich für Baumpflanzungen in Palästina tätig wurde. Erst sorgte er für die Anpflanzung des Hains der 12 000; der Ehrenhain in En Haschofeth, unweit von Haifa, soll an die 12000 gefallenen jüdischen Frontsoldaten des I. Weltkrieges erinnern. Auch für den Wald der sechs Millionen bei Jerusalem begann Wertheimer zu sorgen. Dort, im Jaar Hazikoraum, dem Wald des Gedenkens, grünt seither der Hain der mitteleuropäischen Juden – 30 000 bis 50 000 Bäume – eine Grove, das sind tausend Bäume, erinnert an die badischen und württembergischen Juden. Diese Wälder dienen heute als städtische Naherholungsgebiete.
Wertheimer war schon bald nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ auf der Suche nach „Gerechten“, solchen Menschen, die in der Zeit des braunen Terrors ihrem Gewissen treu blieben und nicht an der Judenhetze teilgenommen hatten. Daraus wurde Wertheimers großer Beitrag zur deutsch-jüdischen Versöhnung und er erhielt dafür das Bundesverdienstkreuz durch den Generalkonsul der Bundesrepublik in New York überreicht.
1963 unternahm Wertheimer eine Israel-Reise. Er nutzte die Gelegenheit, Freunde zu besuchen und vor allem die Stätten zu sehen, an denen seine Bäume gepflanzt worden waren. Er pflegte aber auch Kontakte nach Deutschland und speziell zu seinem Geburtsort, den er erstmals im November 1978 wiedersah. Sein zweiter Besuch in Hardheim fand 1980 statt; damals war er von einen Fernsehteam des Norddeutschen Rundfunks begleitet.
Im Winter 1965 begann Wertheimer mit den Aufzeichnungen seiner Lebenserinnerungen, welche 1978 veröffentlicht wurden, und zusammen mit der darin enthaltenen Schilderung seiner Kindheit hat Wertheimer viele Einblicke in das Leben einer jüdischen Familie und Gemeinde geliefert und auch das Verhältnis von Juden und Christen geschildert. Dieses Buch wurde zum bleibenden Denkmal seines Wirkens.
Quellen: A des Erfatal-Museum Hardheim, Briefe d. Tochter Ruth Ottenheimer an die Gemeinde Hardheim, Briefe mit d. Schilderung von Lebenserinnerungen von Wertheimer; GemeindeA Hardheim, Auskünfte von Renate Pietschmann (Zeitzeugin) über die Besuche von Wertheimer in Hardheim, Gerhard Wanitschek (Familienstammbaum Wertheimer), Hardheim u. von Dipl.-Ing. Claus Bernhard, Heidelberg, über jüdische Sprache u. Bräuche; Auskunft des Bundespräsidialamtes, Ordenskanzlei, vom Jan. 2013 an den Herausgeber.
Werke: Zwischen zwei Welten – Der Förster von Brooklyn, 1978, 2. Aufl. 1980.
Nachweis: Bildnachweise: A des Erfatal-Museums (vgl. Quellen).

Literatur: Aus den Texttafeln des Erfatal-Museums, 1991, Jüdisches Leben in Hardheim, 1997, Unser Land 1997, Aus d. Geschichte d. Hardheimer Juden, in: Hardheim – Perle des Erfatals, 1988; RNZ vom 29.5.1980, 11.8.1980 u. 14.4.1997; Fränkische Nachrichten vom 26.3.1997; Amts- u. Mitteilungsbl. Hardheim vom 28.8.2008, Spuren jüdischen Lebens; Hardheim u. seine Ortsteile – einst u. heute, 2011.
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