Wahl, Eduard 

Geburtsdatum/-ort: 29.03.1903; Frankfurt am Main
Sterbedatum/-ort: 06.02.1985;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Zivilrechtslehrer, MdB-CDU
Kurzbiografie: 1919 Humanist. Gymnasium in Frankfurt am Main
1920 Studium d. Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main, Heidelberg, Marburg u. Paris
1923 I. Jurist. Staatsexamen in Marburg
1927 II. Jurist. Staatsexamen; Promotion in Marburg: „Die für den Fall der klagmäßigen Verurteilung erhobene Widerklage“; Richter am Amtsgericht Frankfurt am Main
1927–1935 Referent am Kaiser-Wilhelm-Institut für Ausländ. u. Internat. Privatrecht in Berlin
1932 Habilitation in Berlin: „Vertragsansprüche Dritter im französischen Recht unter Vergleichung mit dem deutschen Recht dargestellt an Hand der Fälle der action directe“
1935 ao. Professor an der Univ. Göttingen
1938 o. Professor an der Univ. Göttingen
1941–1972 o. Professor an der Univ. Heidelberg
1947–1949 Mitglied des Heidelberger Gemeinderats-CDU
1949–1969 MdB-CDU
1953–1969 Mitglied der Versammlung des Europarats
1954 Mitglied der Versammlung der Westeuropäischen Union
1955 Gastprofessor in Kairo
1966–1969 Vizepräsident der Versammlung des Europarats
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Ehrungen: Großes Bundesverdienstkreuz (1963); Stern zum Großen Bundesverdienstkreuz (1969); Dr. iur. h. c. der Univ. Montpellier (1972); Große Verfassungsmedaille des Landes Baden-Württemberg in Gold (1973); Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern u. Schulterband (1978).
Verheiratet: I. 1938 Ruth Margarete, geb. Weigmann (1907–1946)
II. 1948 Klara, geb. von Heuß (geboren 1921)
Eltern: Vater: Johann Eduard, Konrektor
Mutter: Ludovika (Lilli), geb. Strohecker
Geschwister: 2; Rudolf u. Otto
Kinder: aus I. 3 Töchter,
aus II. ein Sohn
GND-ID: GND/118770799

Biografie: Klaus-Peter Schroeder (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 448-451

Zu den die Heidelberger Juristische Fakultät in den schwierigen Jahren der Nachkriegszeit prägenden Persönlichkeiten gehörte Wahl. Insbesondere Eugen Ulmer setzte sich als Dekan der Fakultät für die Berufung Wahls an die Ruperto-Carola mitten im II. Weltkrieg ein. Für die damalige Zeit erstaunlich zügig verlief das komplizierte Berufungsverfahren. Nach der Zustimmung des Dozentenbundes wurde Wahl vom Reichswissenschaftsminister zum 1. Januar 1941 der Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozess und Wirtschaftsrecht übertragen. Die Berufung Wahls ist umso bemerkenswerter als er ein Schüler von Ernst Rabel war, den man 1936 wegen seiner jüdischen Abstammung von der Leitung des Kaiser- Wilhelm-Instituts für Ausländisches und Internationales Recht in Berlin abgelöst hatte. An diesem renommierten Institut war Wahl seit 1927 als Referent für französisches und belgisches Recht tätig gewesen.
Geboren wurde Wahl als Sohn eines Schulrektors in Frankfurt am Main. Ungewöhnlich rasch legte er das Abitur ab, studierte danach innerhalb von nicht einmal drei Jahren Rechtswissenschaften an den Universitäten in Frankfurt, Heidelberg, Marburg und Paris. Im Alter von 20 Jahren bestand er 1923 die I. Juristische Staatsprüfung in Marburg, anschließend wurde er mit einer zivilprozessualen, von Ludwig Traeger betreuten Arbeit promoviert. 1927 legte er mit Bestnote das II. Juristische Staatsexamen ab und amtete für eine kurze Zeitspanne als Hilfsrichter in seiner Heimatstadt Frankfurt.
Vom Justizdienst ließ er sich nach anfänglichem Zögern freistellen, um mit Wirkung vom 1. Mai 1927 als Mitarbeiter in das kurz zuvor von Ernst Rabel begründete Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht einzutreten. Im damaligen Zentrum der rechtsvergleichenden Forschung in Deutschland begegnete er mit Martin Wolff einer weiteren markanten Gelehrtenpersönlichkeit der Berliner Juristenfakultät, der sich Wahl gleichfalls ein Leben lang verpflichtet fühlte. Praktische Erfahrungen erwarb er im Rahmen von verschiedenen internationalen Prozessen am Den Haager Ständigen Internationalen Gerichtshof und bei den Sitzungen in Verfahren vor den Gemischten Schiedsgerichtshöfen, bei denen er Rabel assistierte. Hierbei ging es immer wieder um für das Überleben der Weimarer Republik entscheidende Fragen der Auslegung der im Versailler „Schandvertrag“ verwendeten privatrechtlichen Begriffe.
Genügend Zeit verblieb aber Wahl, welcher als ein „harter Arbeiter“ beschrieben wird, um sein Meisterstück, die Habilitationsschrift über „Vertragsansprüche Dritter im französischen Recht“, im Jahr 1932 fertig zu stellen. Erstmals und zukunftsweisend wurde von Wahl die Brauchbarkeit von Vertragslösungen für den Konsumentenschutz untersucht. Neben Ulrich Scheuner, Alfons Schüle, Max Rheinstein und Siegfried Reicke gehörte zum Zeitpunkt der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten auch Wahl der hochberühmten Berliner Juristischen Fakultät als Privatdozent an und wurde Teil dieser Gruppe junger, hervorragend begabter Juristen.
Drei Jahre später wurde Wahl als außerordentlicher, seit 1. Januar 1938 als ordentlicher Professor an die Universität Göttingen berufen. Bis zu seinem Wechsel nach Heidelberg beschäftigte er sich neben Gutachtertätigkeit in jenen Jahren mit Untersuchungen zu Problemen der Geldentwertung und zur Reform des Schadensrechts. Hervorhebung verdient ein Beitrag aus der Feder Wahls in der 1938 publizierten Festschrift für Eduard Lambert, Begründer der modernen Rechtsvergleichung in Frankreich, in dem er die Verdienste von Ernst Rabel für das Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut ausführlich würdigte: keineswegs selbstverständlich in einer Zeit, welche die „völlige Ausschaltung der Juden aus der Rechtswissenschaft“ propagierte. So verwundert es auch nicht, dass Wahl NS-Ideen in seinen Vorlesungen und Seminaren ablehnend gegenüberstand. Schon Ende 1942 war er, gesundheitliche Probleme vorschützend, aus der SA ausgetreten. Die Belastungen durch den Lehrbetrieb waren während des Krieges enorm. Wahl war einer der drei noch vorhandenen Vertreter des Privatrechts an der Heidelberger Ruperto-Carola. Betreut wurden von ihnen das Gesamtgebiet des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts, des Arbeits-, des Bauern- und des Wirtschaftsrechts, der Rechtsgeschichte wie auch des Prozessrechts. Zu den Kollegs an der Ruperto-Carola kamen vom Wintersemester 1942 an Vorlesungen an der Universität Frankfurt hinzu, da an deren Rechtswissenschaftlicher Fakultät infolge zahlreicher Einberufungen zur Wehrmacht ein ordnungsgemäßer Lehrbetrieb nicht mehr möglich war.
Bei Gelegenheit der Fahrten nach Frankfurt wurde Wahl aus dem Zug heraus verhaftet; vorgeworfen wurden ihm judenfreundliche Äußerungen. Welch politisch tadellosen Ruf er – trotz seiner formalen Zugehörigkeit zur NSDAP und zum NS-Dozentenbund – genoss, beweist die Tatsache, dass er von den Widerstandskreisen des 20. Juli 1944 – ohne sein Wissen – als badischer Justizminister vorgesehen war. Es kam zu weiteren Konflikten mit den Machthabern, die im Spätjahr 1944 zur Beendigung seiner Lehrtätigkeit und zur Einberufung in den Sanitätsdienst der Wehrmacht führten. Während der Kämpfe der letzten Kriegswochen geriet Wahl noch in Gefangenschaft.
Nach dem Ende des Krieges wurde Wahl mit der Wiedereröffnung der Heidelberger Universität in seinem früheren Amt tätig. Die amerikanische Militärregierung hatte gegen seine Person keinerlei Einwände vorgebracht. Erspart blieb jedoch auch ihm nicht das obligatorische Entnazifizierungsverfahren, in dem er durch die Heidelberger Spruchkammer am 6. Juni 1947 als „entlastet“ eingestuft wurde. Gefordert war er nun nicht nur als einer der wenigen untadeligen Rechtsprofessoren der aus Krieg und Gefangenschaft zurückkehrenden Studenten, sondern gleichfalls als brillanter Organisator des Universitätsbetriebs. Zur Eröffnung der Juristischen Fakultät im Wintersemester 1945/46 sprach Wahl über „Privatrecht und Öffentliches Recht“, wobei er sein Hauptaugenmerk darauf richtete, verschüttete Gerechtigkeitsvorstellungen des Zivilrechts und des ius publicum wieder in das allgemeine Bewusstsein zu heben. Nach Radbruch, Walter Jellinek und Friedrich Weber (1905–1996) amtete er als Dekan, betrieb den Ausbau des Juristischen Seminars, leitete das Heidelberger Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht und engagierte sich nachhaltig als kommissarischer Direktor der Universitätsbibliothek; einen 1948 an ihn ergangenen Ruf an die Universität Köln lehnte er nach kurzer Bedenkzeit ab. Wahl war Mitbegründer der „Deutschen Rechtszeitschrift“, Mitherausgeber der „Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ wie auch Mitglied des Vorstands der „Deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung“.
Aufgrund der bitteren Erfahrungen aus der Zeit des „Dritten Reichs“ mit der selbst erlebten Hilflosigkeit gegenüber den Gewalttätigkeiten der Hitlerdiktatur wollte Wahl bewusst politische Verantwortung für den Aufbau des neuen demokratischen deutschen Staates übernehmen. Von 1949 bis 1969 gehörte er in fünf aufeinander folgenden Legislaturperioden für die CDU dem Deutschen Bundestag an, wobei er grundlegende Gesetze der Nachkriegszeit maßgeblich beeinflusste. Wahl war Mitglied des Rechtsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses und saß in dem damals sehr wichtigen, aus juristischer Sicht äußerst schwierigen Ausschuss für Besatzungsfragen. Aus der Vielzahl der vom Bundestagsabgeordneten Wahl den Gesetzgebungsgremien erstatteten Berichte sind zu nennen: die Plenumsvorlagen zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag, zum Gesetzesentwurf über die Gleichberechtigung von Frau und Mann auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Als Mitbegründer der Heidelberger CDU war er, der „Mann der ersten Stunde“, im Stadtrat tätig und engagierte sich als Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarats, als Mitglied der Westeuropäischen Union wie auch – neben seinem Fakultätskollegen Walter Jellinek – als Gründer und langjähriger Präsident in der „Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen“. Die Rückführung eines „besseren Deutschland“ in den Kreis der zivilisierten Nationen zählte zu den großen Herausforderungen Wahls, denen er sich entschieden stellte. Im Europarat hat Wahl besonders die Rechtsvereinheitlichung durch Konventionsentwürfe, Gutachten und Berichte gefördert, die er zum Teil unter Mithilfe des Heidelberger Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht erarbeitete.
Weltweit beachtet wurden seine Aktivitäten als Sachverständiger der Verteidigung in den Prozessen gegen Direktoren der IG Farben vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, welche u.a. wegen Vorbereitung des Angriffskrieges und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt waren. Ebenso zählte Wahl zu den Mitbegründern des „Heidelberger Kreises“ zur Betreuung verurteilter deutscher Kriegsgefangener. Unermüdlich setzte er sich für die deutsch-französische Verständigung ein und warb für die Begegnung zwischen Juristen aus diesen beiden Ländern. Die bis heute bestehende Partnerschaft zwischen der Ruperto-Carola und der Universität Montpellier beruht auf den Initiativen Wahls. Freilich beanspruchten die geschilderten Aktivitäten seine psychischen und auch physischen Kräfte in einem außergewöhnlichen Maße. Entspannung empfand er aber im altvertrauten Bereich von Lehre und Forschung, wobei Letztere immer wieder zurückstehen musste. In den Vorlesungen von Wahl entfaltete sich sein gesamtes Können und Temperament, begleitet von einer umfassenden Bildung und einem unbestechlichen Geschichtsbewusstsein. Sein Vortrag war völlig frei, bewusst verzichtete er auf ein ausgearbeitetes Manuskript, um die Hörer an der „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“ teilhaben zu lassen. Mannigfaltig sind die Anekdoten, welche über seine Lehrtätigkeit bis heute in Akademikerkreisen kursieren. In den zahlreichen Seminaren und Kolloquien, die er trotz seiner vielfältigen Belastungen als Abgeordneter auch über seine Emeritierung hinaus durchführte, erlebten seine Schüler Wahls Gedankenreichtum, begleitet von einer unerschöpflichen Phantasie, die bis zur Grenze dessen ging, „was dem Juristen an Genialität gerade noch zugestanden wird.“ Im Wintersemester 1984/85 veranstaltete er ein letztes Seminar zu dem ihn immer wieder beschäftigenden Thema „Neuere Entwicklungen im deutschen Familienrecht“. Einen Tag nach der Abschlussveranstaltung verstarb Wahl im Alter von 81 Jahren; sein Grab fand er auf dem Bergfriedhof in Heidelberg.
Quellen: UA Heidelberg, Personalakten; A für Christlich-Demokratische Politik, Sankt Augustin, Nachlass Wahl.
Werke: Bibliographie d. Veröffentlichungen von 1923–1973, zusammengest. von Gert Reinhart, in: FS für Eduard Wahl, 1973, 495-504, fortgeführt für den Zeitraum von 1973–1985 durch Gert Reinhart, in: In memoriam Eduard Wahl, 1988, 47-49 (vgl. Literatur) – Auswahl: Privatrecht u. Öffentliches Recht, Süddt. Juristenztg. 1946, 27ff.; Zur Verfassungsmäßigkeit des Stichentscheids des Vaters, Familienrechtszs. 6, 1959, 305f.; Die ungerechtfertigte Bereicherung der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsgrundlage für die Ansprüche der Reparationsgeschädigten, Juristenztg. 26, 1971, 715f.
Nachweis: Bildnachweise: FS Eduard Wahl, 1973, II; In memoriam Eduard Wahl, 1988, III (vgl. Literatur).

Literatur: „Rechtswissenschaft u. Gesetzgebung“, FS für Eduard Wahl zum siebzigsten Geburtstag am 29. März 1973, hgg. von Klaus Müller u. Hermann Soell in Zusammenarbeit mit dem Institut für ausländ. u. internat. Privat- u. Wirtschaftsrecht der Univ. Heidelberg, 1973; Gert Reinhart, In memoriam Eduard Wahl 1903–1985, in: Juristenztg. 40, 1985, 425f.; In memoriam Eduard Wahl – Gedächtnisfeier der Jurist. Fakultät der Univ. Heidelberg am 4. Februar 1987, hgg. von der Jurist. Fakultät der Univ. Heidelberg, 1988; Biograph. Handbuch der Mitglieder des Dt. Bundestages 1949–2002, hgg. von Rudolf Vierhaus u. Ludolf Herbst, 2002, 914
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