Venedey, Jakob 

Geburtsdatum/-ort: 24.05.1805; Köln
Sterbedatum/-ort: ..;  (Badenweiler-) Oberweiler
Beruf/Funktion:
  • Jurist, Historiker, Politiker, Schriftsteller
Kurzbiografie:

1824–1827 Jurastudium in Bonn und Heidelberg, jeweils Zugehörigkeit zur Burschenschaft

1827–1832 Rückkehr nach Köln und Tätigkeit als privater Rechtsgelehrter und Gerichtsjournalist; Frühjahr 1832 Promotion an der Univ. Gießen „in absentia“; nach Mitgliedschaft in dem radikaleren Kölner Lesezirkel und unter dem Eindruck der veröffentlichten Erstlingswerke Einberufung zum Militärdienst; Flucht in die Pfalz

1832 V-IX Teilnahme am Hambacher Fest, Mitglied im „Deutschen Vaterlandsverein“ zur Unterstützung der freien Presse“; Emissär in Norddeutschland; Mitarbeit an der Zeitung „Der Wächter am Rhein“ in Mannheim; Aug./Sept. Gefangenschaft in Mannheim; Ende Sept. Flucht über Weißenburg nach Straßburg

1832–1833 Beginn des Exils in Frankreich; 1833 Mitglied im „Verein der revolutionären Flüchtlinge“ in Straßburg; im April 1833 Ausweisung nach Nancy, dort Organisation der Jahresfeier zum Hambacher Fest, Mitglied im „Verein der Deutschen“ und Eintritt in Loge „St. Jean de Jérusalem“; Nov. 1833 Wegzug nach Paris

1833–1835 in Paris Mitglied im „Deutschen Volksverein“, später Führer des geheimen „Bundes der Geächteten“ und Herausgeber des Organs „Der Geächtete“; journalistische Tätigkeit für deutsche und französische Zeitungen; im April 1835 erste Ausweisung nach Le Havre

1835–1839 Aufenthalte in Le Havre; Reisen durch der Normandie und Veröffentlichung erster Reiseartikel; auf Fürsprache französischer Intellektueller Rückkehr nach Paris

1840–1848 Lebens- und Arbeitsmittelpunkt Paris; Reisen ins Elsass, durch Irland, England, Südfrankreich und Belgien; im Sept. und Okt. 1845 zweiwöchiger Besuch der Familie in Köln mit Erlaubnis der preußischen Behörden; Ende März 1848 Rückkehr nach Deutschland

1848 III - IV Mitglied im Vorparlament und Fünfzigerausschuss; als Ausschusskommissar im Schwarzwald, um den ersten badischen Aufstand zu beenden

1848–1849 Mitglied in der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt und im Rumpfparlament in Stuttgart; Zugehörigkeit zu den Fraktionen „Deutscher Hof“, „Westendhall“ und zum „Zentralmärzverein“; im Okt. und Dez. 1848 Mitglied in den Ausschüssen für die Behandlung der österreichischen Angelegenheiten sowie im Ausschuss für die Durchführung der Reichsverfassung vom April 1849; Gegner der kleindeutsch-erbkaiserlichen Lösung der Einigungsfrage, gegen Ernennung des preußischen Königs zum deutschen Kaiser

1849–1854 zwischen Juli 1849 und Juli 1851 Reisen nach Norddeutschland und Engagement in der Schleswig-Holstein-Bewegung; nach einer Rede in der Gesellschaft „Alte Städtische Ressource“ im Nov. 1849 aus Breslau und später aus Berlin ausgewiesen; schließlich Rückkehr nach Köln und Wiederaufnahme historischer Studien und journalistischer Tätigkeit

1854–1855 Aufenthalt in Zürich; Habilitation in Geschichte an der Universität Zürich im Febr. 1854 und Privatdozent

1855–1871 Aufenthalte in Heidelberg, Hagsfeld bei Karlsruhe und ab August 1858 in (Badenweiler-) Oberweiler, wo seine Frau eine Pension für Kurgäste eröffnet

1859 IX–1870 Mitglied im Deutschen Nationalverein; 1862/63 und 1866 Teilnahme am Deutschen Abgeordnetentag; seit 1864 Mitglied der süddeutschen Demokratischen Volkspartei; 1865/66 und 1868 erfolglose Bewerbungen für die II. Kammer der badischen Landstände und das deutsche Zollparlament; 1868/69 Unterstützung der deutschen Arbeiterbewegung; 1869 Engagement im „Wahlrechtsverein“ in Baden; ab Okt. 1869 für die „Neue Freie Presse“ Korrespondent beim Reichstag des Norddeutschen Bundes in Berlin

1870–1871 für den Deutsch-Französischen Krieg bis zum Sieg über Napoleon III., bald aber für Ausgleich mit Frankreich; Aussicht auf Mandat im Deutschen Reichstag

Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Auszeichnungen: Ehrungen: „La première mention honorable“, Belobigung der Académie des sciences morales et politiques zu Paris und ihre V. Sektion „La Section d’Histoire et Géographie“ für der Beantwortung einer wissenschaftlichen Preisfrage, Ausarbeitung eines Memorandums sowie als „Membre Titulaire de la 3ème classe“ und „Secrétaire adjoint de la 2ème classe“ im Institut Historique de Paris (1836–1839); Ehrenmitglied der Freimaurerloge Zur Beständigkeit Basel (1853); Ehrenmitglied der Burschenschaft Germania Jena (1865); Ehrenmitglied der Schützengesellschaft Müllheim (1866); postume Anerkennung durch die Deutsche Schillerstiftung Weimar, verbunden mit einer Jahrespension für die Hinterbliebenen (1871–1880).
Verheiratet:

1854 (Baden-Baden) Henriette, geb. Obermüller (1817-1893)


Eltern:

Vater: Michael (1770–1846), Anwalt und Politiker

Mutter: Anna Barbara, geb. Leisten (1780–1833), Hausfrau


Geschwister:

2; Anna Gertrud (1806–1850), Hausfrau, und Winand Joseph (1814–1843), Kommissionär


Kinder:

2; Michael Hermann Gustav (1856–1893), Arzt, und Martin Georg Christoph (1860-1934)

GND-ID: GND/119059126

Biografie: Birgit Bublies-Godau (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 541-546

Die Familie Venedey lässt sich bis ins 15. Jahrhundert in Erkelenz und Umgebung nachweisen. Einige Vorfahren zählten wegen Landbesitzes und öffentlicher Ämter zu den angesehenen Bürgern. Seit der Französischen Revolution vertraten Familienmitglieder eine fortschrittliche Gesinnung und waren im Rheinland, in Baden, Hessen, der Pfalz, Berlin und auf Bundesebene politisch tätig. Für Venedeys Sozialisation waren die Ideale des Vaters bestimmend, der sich den demokratischen Phasen der Französischen Revolution und der frühen deutschen Nationalbewegung verbunden fühlte.

Venedeys Geburt fiel in die französische Besatzungszeit. In Köln besuchte er zunächst ein städtisches Gymnasium, geriet aber wegen der Teilnahme an der verbotenen Turnerbewegung in Konflikt mit der Schulleitung und musste in der Sekunda die Schule verlassen. Bis zum Abitur erhielt er Privatunterricht.

Danach studierte Venedey ab 1824 in Bonn und Heidelberg Rechtswissenschaften. In Heidelberg besuchte er die Vorlesungen des Verfassungsrechtlers Karl Josef Anton Mittermaier (1787–1867); beeinflusst wurde er auch von dem Historiker Friedrich Christoph Schlosser (1776–1861) und dem Nationalökonomen Karl Heinrich Rau (1792–1870). Wie zuvor schon in Bonn engagierte sich Venedey auch in der Alten Burschenschaft in Heidelberg. Im Herbst 1827 unterbrach er das Studium und kehrte nach Köln zurück, wo er als privater Rechtsgelehrter und ab 1829 als Gerichtsjournalist arbeitete. Aus Erlebnissen mit der Rechtspraxis und theoretischen Betrachtungen gingen seine ersten Rechtsstudien hervor, mit denen er 1832 in Gießen zum Dr. iur. promoviert wurde.

Diese Werke, die Kritik an preußischen Rechtsinstitutionen, die Mitgliedschaft in einem radikaleren Kölner Lesezirkel und beschlagnahmte Briefe von badischen und pfälzischen Studienfreunden hatten das Misstrauen der Behörden geweckt, so dass Venedey vor seiner erneuten Einberufung zum Militär im April 1832 in die Pfalz fliehen musste. Dort nahm er am Hambacher Fest teil, übergab die Adresse der Rheinpreußen und wirkte bei den Treffen der Demokraten um Johann Georg August Wirth (1798–1848) und Philipp Jacob Siebenpfeiffer (1789-1845) mit. Im Januar 1832 war Venedey Mitglied im „Press- und Vaterlandsverein“ geworden, hatte sich an dessen Programm beteiligt und stimmte mit dem proeuropäischen Flügel überein, der eine freiheitlich-republikanische Neugestaltung Deutschlands in einem europäischen Staatenbund erstrebte.

Im Juni sandte ihn der Pressverein zur Erkundung der Revolutionsbereitschaft nach Norddeutschland. Nach seiner Rückkehr arbeitete Venedey für die Zeitung „Der Wächter am Rhein“ in Mannheim und wurde Ende August wegen fehlender Legitimationspapiere im Stadtgefängnis arretiert. Als Teilnehmer an den revolutionären Umtrieben in der Pfalz und Baden wurde gegen ihn eine Untersuchung eingeleitet. Auf dem Auslieferungstransport nach Preußen konnte Venedey aus dem Gefängnis in Frankenthal entkommen und ins Elsass fliehen.

Sogleich knüpfte er in Straßburg Kontakte zu Exilantenkreisen und gründete einen „Verein der revolutionären Flüchtlinge“ und wurde dessen Präsident. Auf Druck des Deutschen Bundes wies die französische Regierung Venedey im April 1833 nach Nancy aus. Dort trat er der Freimaurerloge „St. Jean de Jérusalem“ bei und gründete einen „Verein der Deutschen“, dem er als Präsident vorstand. Im November 1833 ging er nach Paris, wo er dann Autor und Korrespondent verschiedener deutscher und französischer Journale war. In Paris war Venedey Mitglied im „Deutschen Volksverein“ und vom Frühjahr 1834 an nahm er im frühsozialistischen „Bund der Geächteten“ eine politische Schlüsselfunktion ein. Diesen Auslandsverein leitete er bis April 1835 und gab von Juli 1834 bis Januar 1836 dessen Organ „Der Geächtete“ heraus. Als Anhänger einer bürgerlichen Republik amerikanischen Musters beharrte er in seinen Artikeln „auf ‚politischer‘ Freiheit als Voraussetzung sozialer Verbesserungen“ (Seidel-Höppner, 2002, H. 3, S. 67 f.). Angeklagt wegen Hochverrats und steckbrieflich gesucht forderte Preußen im Frühjahr 1835 seine Auslieferung. Darum wurde Venedey im April 1835 und im März 1837 nach der Trauerrede für seinen Freund Ludwig Börne (1786–1837) nach Le Havre ausgewiesen. Erst im Februar 1839 konnte Venedey endgültig sein Domizil in die französische Hauptstadt verlegen. Einflussreiche Intellektuelle hatten sich beim Innenministerium für ihn eingesetzt; denn er wurde als Historiker und wegen mehrerer Auszeichnungen zu den wissenschaftlichen Notabilitäten des Auslandes gezählt.

1839 erschien Venedeys Werk „Preußen und Preußentum“, in dem er die politischen und sozialen Zustände des Landes kritisierte, da der preußische Staat unter „dem Scheine des Volkswohls, der Aufklärung, des Fortschrittes und der Freiheit“ nur seine eigenen Macht- und Herrschaftsinteressen verfolge, die auf „Verdummung, Rückschritt […] und Knechtschaft“ hinausliefen (1839, S. I). Venedey verfasste im Exil mehrere Bücher, bereiste die Normandie, das Elsass und Südfrankreich; Reisen führten ihn 1844 auch nach England, wo ihn Friedrich Engels (1820–1895) durch die Arbeiterviertel Manchesters führte, nach Irland, wo er den Führer der Emanzipationsbewegung Daniel O’Connell (1775–1847) traf, und nach Belgien. So gewonnene Erkenntnisse verarbeitete Venedey in Reisebeschreibungen, Geschichtswerken und Analysen zur Tagespolitik. In Paris lebte er in Wohngemeinschaft mit August Ludwig von Rochau (1810–1873), knüpfte Kontakte zu den Linkshegelianern um Arnold Ruge (1802–1880) und gehörte mit Heinrich Heine (1797–1856) zu den Gründern des „Hilfs-Vereins der Deutschen“, einer Zweigstelle des Kölner Zentral-Dombau-Vereins von 1842/43. Venedey wurde dessen Vorstandsmitglied und Schriftführer. Außerdem wirkte er am „Staats-Lexikon“ von Rotteck (1775–1840) und Welcker (1790–1869) mit.

Nach Ausbruch der Revolution kehrte Venedey nach 16jährigem Exil Ende März nach Köln zurück. In seinem Journal „Die Wage“ berichtete er 1848/49 über die Sitzungen der Nationalversammlung und die Reichsverfassungskampagne und legte dort zugleich sein politisches Bekenntnis zur Zeit der Revolution ab. Da er nicht mehr an „die ‚Macht‘ der Regentenhäuser“ glaubte, würden seine Parteifreunde und er „die ‚Macht‘, auf die wir die Einheit Deutschlands bauen wollen, nicht in einer dynastisch-monarchischen Spitze, sondern in einer demokratisch-republikanischen Grundlage“ suchen (Die Wage, 1849, H. 5, S. 5 f.). Venedey war Mitglied im Vorparlament und Fünfzigerausschuss, als dessen Schriftführer er Aufrufe, eine Grußadresse an das französische Volk und einen Grundrechteentwurf für die deutsche Nation verfasste.

Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde Venedey als Ausschusskommissar beim ersten badischen Aufstand im April 1848, der die Freischärler um Friedrich Hecker (1811–1881) zur Aufgabe bewegen wollte. Ein Zusammentreffen mit Hecker endete erfolglos, weil er das Amnestieangebot ablehnte. Einen Tag später richtete Venedey einen Aufruf an die Bürger Badens, sich nicht am Putsch zu beteiligen.

Als Abgeordneter der Landgrafschaft Hessen Homburg gehörte Venedey der Deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche und dem Rumpfparlament in Stuttgart an. Seine Parlamentsarbeit konzentrierte er auf die Ausschüsse für die Behandlung der österreichischen Angelegenheiten von Ende 1848, in denen er Schriftführer und Berichterstatter war, sowie auf den Ausschuss für die Durchführung der Reichsverfassung vom April 1849. Der Föderalist und Fürsprecher des Verfassungsstaates hielt mehrere Reden, in denen er sich für den Anschluss Deutsch-Österreichs an ein geeinigtes Deutschland aussprach, das er als demokratische föderale Republik mit Reichsverfassung, Präsident, Parlament, unabhängiger Justiz und oberster Gerichtsbarkeit erstrebte. Deswegen war er auch gegen die kleindeutsch-erbkaiserliche Lösung der Einigungsfrage und votierte in den entscheidenden Abstimmungen Ende März 1849 gegen die Ernennung des preußischen Königs zum deutschen Kaiser.

Im Mai 1848 gehörte Venedey zunächst der Fraktion „Deutscher Hof“ an und Mitte August wechselte er zur „Westendhall“ und wurde einer ihrer Führer. Das dort vertretene Programm entsprach ganz Venedeys Vorstellungen. Auch dass die Fraktion die Märzerrungenschaften mit allen gesetzlichen Mitteln verteidigen wollte, kam ihm entgegen. Er selbst rief im September 1848 zur legalen Verteidigung von Freiheit und Einheit des Vaterlandes auf. Diese Ziele veranlassten ihn auch, Ende 1848 dem „Zentralmärzverein“ beizutreten.

Venedeys politisches Wirken im ersten Halbjahr 1849 war vom Einsatz für die Paulskirchen-Verfassung gekennzeichnet, aber auch von Sorgen um die politische Zukunft Deutschlands. Zeitweise trug er sich mit dem Gedanken, nach einer möglichen Niederlage der Revolution und dem Scheitern der Nationalversammlung in die USA auszuwandern. Obwohl Venedey sich gegen die Verlegung des Parlaments nach Stuttgart ausgesprochen hatte, beugte er sich dem Mehrheitsvotum und ging im Juni 1849 dorthin, wo er eine Woche später die Auflösung des Parlaments erlebte.

Zwischen Juli 1849 und Juli 1851 war Venedey in Norddeutschland und engagierte sich in der Schleswig-Holstein-Bewegung. Nach deren Scheitern versuchte er, sich in Berlin und Breslau niederzulassen, wurde jedoch ausgewiesen und kehrte 1851 in die rheinische Heimat zurück.

Im Juni 1854 heiratete er die Witwe eines Kaufmanns aus Karlsruhe. Schon vor der Ehe war Venedey nach Zürich gegangen, wo er nach seiner Habilitation im Februar 1854 als Privatdozent mittelalterliche und neuzeitliche Geschichte las. Die erhoffte ordentliche Professur erhielt der Demokrat weder in der Schweiz noch in einem deutschen Staat. Mit seiner „Geschichte des deutschen Volkes“, seinen biographischen „Lebensbildern“ und Werken zur Ideenwelt berühmter Staatslehrer wollte er einen weiteren Beitrag zum Aufbau der Demokratie in Deutschland leisten.

In den 1850er und 1860er Jahren arbeitete Venedey als politischer Journalist für diverse liberale und demokratische Zeitungen von Norddeutschland bis in die Schweiz. Nach Berlin war er Ende Oktober 1869 von der Wiener „Neuen Freien Presse“ geschickt worden, um über die Sitzungen des Reichstags im Norddeutschen Bund zu berichten.

Politisch gehörte Venedey nach 1849 dem linken Flügel der Einigungsbewegung an: Er war Mitglied des „Deutschen Nationalvereins“ von 1859 und versuchte diesen wie den „Deutschen Abgeordnetentag“ 1862/63 und 1866 als Forum für die politischen Ziele der Demokraten zu nutzen. Ferner zählte er zu den Führern der Demokratischen Volkspartei, die sich 1864 in Württemberg und bald auch in Baden hatte durchsetzen können. Die Protagonisten der Volkspartei um Venedey, Ludwig Eckardt (1827–1871) und Carl Mayer (1819–1889) unternahmen mehrere Anläufe zur Gründung einer nationalen Partei, womit sie jedoch wegen ihrer Forderung nach einer gesamtdeutschen Volksvertretung und Reichsverfassung keinen Erfolg hatten.

1865/66 bewarb sich Venedey um ein Mandat für die II. Kammer der badischen Landstände, unterlag hier aber genauso wie im Februar 1868 bei den Wahlen zum deutschen Zollparlament. Mit Parteifreunden engagierte er sich 1869 im Zentralausschuss für die Bildung einer Wahlreform-Liga, der eine Adresse an Großherzog Friedrich I. (1826–1907) richtete und die Einführung des allgemeinen, geheimen und direkten Wahlrechts aller volljährigen Badener forderte. Venedey unterstützte auch die Bestrebungen der deutschen Arbeiterbewegung. Er vertrat einen sozialliberalen Kurs und plädierte für die politische Emanzipation der Arbeiterschaft, was sich mit den Leitlinien der Volkspartei vom Vereinstag 1869 in Stuttgart deckte.

Schon anlässlich des Krieges gegen Dänemark von 1864 hatte Venedey den Machtkampf zwischen Preußen und Österreich kritisiert. Seine Kritik setzte er 1866 angesichts des Krieges gegen Österreich fort und wandte sich gegen das preußische Hegemonialstreben und die Begeisterung für die von Otto von Bismarck (1815–1898) betriebene Einigungspolitik. 1867 sprach er sich für die Konstituierung eines Südbundes aus, der eine Brückenfunktion ausübend den Übergang in einen Einheitsbund ermöglichen und die Bildung eines Nationalstaates auf Grundlage einer Reichsverfassung durchsetzen sollte. Diesen Kurs vertrat Venedey auch während des Krieges 1870/71. Im neuen Reichstag, für den ihm vor seinem Tod ein Mandat in Aussicht gestellt worden war, wollte er sich weiter für die freiheitlich-demokratische Ordnung im Deutschen Reich einsetzen.

Venedey starb an den Folgen einer Lungenentzündung. Sein Grab auf dem Friedhof in Oberweiler wurde im „Dritten Reich“ eingeebnet; der Grabstein befindet sich heute auf dem Hauptfriedhof in Konstanz. Venedeys Renommee als Kämpfer für die Einheit Deutschlands wie für die Freiheit und Rechte des Volkes führte nach seinem Tod zur Bildung eines Gedenkkomitees in Berlin, das Sammlungen für die Hinterbliebenen veranlasste. Er wurde auch nach einem Gutachten vom Mai 1871 in die Deutsche Schillerstiftung in Weimar aufgenommen.

Venedey, bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der bürgerlich-demokratischen Freiheits- und Einheitsbewegung Deutschlands, hatte in vier Jahrzehnten politischen und literarisch-wissenschaftlichen Wirkens stets die Demokratisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland wie Europa verfolgt. Seine Bemühungen um die Anerkennung der Grund- und Menschenrechte und die Durchsetzung einer freiheitlich-demokratischen Ordnung wurden lange Zeit nicht gewürdigt. Erst mit der Hinwendung zur deutschen Revolutions- und Demokratiegeschichte seit den 1990er Jahren und dem Aufkommen neuer Zugänge in der Geschichtswissenschaft wurde damit begonnen, Venedeys Lebensweg eingehend zu erforschen und zu betrachten.

Quellen:

BA Berlin, Nachlass Venedey, N 2316/ 1–189; Geheimes StA Preuß. Kulturbesitz Berlin, I. HA, Rep. 77, Abt. II, Nr. 9, Rep. 77, Abt. III., Nr. 5, Rep. 97, Abt. VIII, Nr. 419, Personenakten Venedey; LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030 Polizei-Präsidium Berlin, Nr. 13915, Personenakte Venedey; StadtA Mannheim, Kleine Erweiterungen, Nr. 527; Goethe-Schiller-A. Weimar, Best. 134, Weimar/ Deutsche Schillerstiftung, Sign. 87,6, Personenakte Venedey.

Werke: (Auswahl) Das Geschworenengericht in den preußischen Rheinprovinzen, 1830; Darstellung der Verhandlungen vor den Assisen zu Köln, 1831; (Hg.) Der Geächtete, 2 Bde., Nachdr., 1972; Deutsch-Französisches Wörterbuch, 1836, 6. Aufl. 1874; Reise- und Rasttage in der Normandie, 2 Bde., 1838; Preußen und Preußentum, 1839, Nachdr. 1980; Römertum, Christentum und Germanentum, 1840; John Hampden, Nebst einem Nachtrage: Flüchtlingslehrjahre und Amnestie, 1843, 3. Aufl. 1865; Irland, Zwei Teile, 1844; England, Drei Teile, 1845; Das südliche Frankreich, Zwei Teile, 1846; Vierzehn Tage Heimatluft, 1847; Vorwärts und Rückwärts in Preußen, 1848; (Hg.) Die Wage, Deutsche Reichstagsschau, 8 Hefte, 1848/49; Macchiavel, Montesquieu, Rousseau, 2 Bde., 1850; Schleswig-Holstein im Jahre 1850, Zwei Teile, 1851; Geschichte des deutschen Volkes von den ältesten Zeiten bis auf der Gegenwart, 4 Bde., 1853/55/58/62; Georg Washington, Ein Lebensbild, 1861, 2. Aufl. 1865; Benjamin Franklin, Ein Lebensbild, 1862, 2. Aufl. 1865; Das Grundübel im National-Verein, 1864; Der Südbund, 1867; Heinrich Friedrich Karl vom Stein, 1868; Der Nürnberger Arbeitervereinstag und der Programm der Internationalen Arbeiterassoziation, 1868; (mit Johann Peter Eichelsdörfer u. a.) Aufruf des provisorischen Zentral-Ausschusses für die Bildung einer Wahlreform-Liga, 1869; Die deutschen Republikaner unter der französischen Republik, Mit Benutzung der Aufzeichnungen seines Vaters, 1870; Vae victoribus, Oberweiler, 19.8./19.9.1870, in: Mannheimer Abendzeitung vom 23.9.1870 und Neue Freie Presse vom 23.9.1870; Aufruf zu Sammlungen für die Hinterbliebenen Venedeys, 22.2.1871, in: Konstanzer Zeitung vom 27.2.1871.
Nachweis: Bildnachweise: Foto S. 535; Lithographie von Valentin Schertle (1809–1885) Frankfurt am Main 1848, aus Privatbesitz, auch in: Hist. Museum Frankfurt am Main, Inv. Nr. C 6797. - Die Gartenlaube, 19, 1871, 297.

Literatur:

(Auswahl) Karl Wippermann, Jakob Venedey, in: ADB Bd. 39, 1895, 2. Aufl. 1971, 600–604; Jakob Müller, Jakob Venedey, in: Monatsschrift des Frankenthaler Altertumsvereins 4, 1895, 18–19; Wilhelm Rüdiger, Jakob Venedey, in: Verein für Geschichte und Altertumskunde zu Bad Homburg, 15. H., 1916, 3–19; Wilhelm Koppen, Jakob Venedey, 1921; Max Winzen, Die Entwicklung der politischen Gedanken Jakob Venedeys und sein Auftreten in der Frankfurter Nationalversammlung, 1926; Hermann Venedey, Jakob Venedey, Darstellung seines Lebens und seiner politischen Entwicklung bis zur Auflösung der ersten deutschen Nationalversammlung 1849, 1930; Johannes Helm, Jakob Venedey – ein Kämpfer für die Freiheit, in: Die Markgrafschaft, 14, 1962, H. 9, 8–12; Wolfgang Schieder, Die Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung, Die Auslandsvereine im Jahrzehnt nach der Julirevolution, 1963; Harry Schmidtgall, Friedrich Engels’ Manchester Aufenthalt 1842–1844, Mit Auszügen aus Jakob Venedeys England-Buch (1845), 1981; Roland Hoede, Jakob Venedey, in: Rainer Koch (Hg.), Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, 1989, 408 f.; Birgit Bublies-Godau, Gegen den Strom, Das Leben und Werk der rheinischen Politikers, Publizisten und Historikers Jakob Venedey (1805–1871), in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 7, 1995, 149–163; Heinrich Best/Wilhelm Weege, Venedey, Jakob, in: dies. (Hgg.), Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, 1996, 342–343; Birgit Bublies-Godau, Jakob Venedey, Henriette Obermüller-Venedey, Der Held des Parlaments und die Heckerin, in: Sabine Freitag (Hg.), Die Achtundvierziger, Lebensbilder aus der deutschen Revolution 1848/49, 1998, 237–248; Gerold Hofmann, Freiheit, Gleichheit – Venedey, Von Michel 1789 zu Michael 1998, in: Die Zeit vom 26. Februar 1998; Christian Jansen, Einheit, Macht und Freiheit, Die Paulskirchenlinke und die deutsche Politik in der nachrevolutionären Epoche 1849–1867, 2000; Martin Hundt, Zum Briefwechsel der „Deutschen Jahrbücher“ und der „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ mit politischen Emigranten, Das Beispiel Venedey-Ruge, in: Jürgen Herres/Manfred Neuhaus (Hgg.), Politische Netzwerke durch Briefkommunikation, 2002, 275–302; Mario Kramp, Heinrich Heines Kölner Dom, Die „armen Schelme vom Domverein“ im Pariser Exil 1842–1848, 2002; Waltraud Seidel-Höppner/Joachim Höppner, Der Bund der Geächteten und der Bund der Gerechtigkeit, 2 Teile, in: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 2002, H. 3, 60–92 und 2003, H. 2, 61–83; Kerstin Unseld, Demokratie als Familienerbe, Die Venedeys und ihre politische Tradition, SWR 2, 2003; Birgit Bublies-Godau, Parteibildungsprozesse im vormärzlichen Exil, Die deutschen Auslandsvereine in Paris, Ein Blick auf den geheimen „Bund der Geächteten“ von 1834/36 und das Wirken seines Anführers Jakob Venedey, in: Norbert Otto Eke/Fritz Wahrenburg (Hgg.), Jahrbuch Forum Vormärz Forschung 10, 2004, Vormärz und Exil -Vormärz im Exil, 2005, 87–147; Helge Dvorak/Peter Kaupp, Venedey, Jakob, in: Christian Hünemörder (Hg.), Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft, Bd. I: Politiker, Teilbd. 6: T-Z, 2005, 123–127; Peter Wende, Modell und Menetekel, Jakob Venedeys ‚England‘, in: Dieter Hein u. a. (Hgg.), Historie und Leben, FS für Lothar Gall zum 70. Geburtstag, 2006, 401–410; Hans-Werner Hahn, „Gardienne en tout temps de la liberté de penser“, Jakob Venedey und das Jenaer Universitätsjubiläum von 1858, in: Monika Gibas u. a. (Hgg.), Couragierte Wissenschaft, Eine FS für Jürgen John zum 65. Geburtstag, 2007, 207–215; Birgit Bublies-Godau, Jakob Venedey und die 1848er Revolution, in: Verein „Helle Panke“ e.V. (Hg.), Biografische Forschungen zu Akteuren der Revolution 1848/49, 2008, H. 123, 42–50; Eoin Bourke (Hg.), „Poor Green Erin“, German Travel Writers‘ Narratives on Ireland, 2012; Birgit Bublies-Godau, Venedey, Juristen, Politiker, Publizisten, Schriftsteller, Historiker, in: NDB 26, 2016, 746–753; dies., „Das Fest gab den Deutschen eine Fahne …“ Der Demokrat Jakob Venedey (1805–1871), in: Jahrbuch der Hambach-Gesellschaft 23, 2016, 2017, 11–48.

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