Taro, Gerta
Andere Namensformen: |
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Geburtsdatum/-ort: | 1910-08-01; Stuttgart |
Sterbedatum/-ort: | 1937-07-25; El Escorial, Spanien |
Beruf/Funktion: |
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Kurzbiografie: | 1917-1927 Königin Charlotte Realschule Stuttgart 1927-1928 Pensionat, Chamblandes-Pully/Schweiz 1928-1929 Höhere Handelsschule, Stuttgart 1929-1932/33 Gaudig Schule, Leipzig 1933 Verhaftung in Leipzig durch SA; Exil Frankreich 1935 Mitglied der Association des Écrivains et Artistes Révolutionnaires 1935-1936 Bildagentin bei Alliance Photo, Paris 1936 Presseausweis A.B.C.-Press-Service, Amsterdam 1936-1937 Fotojournalistin im Spanischen Bürgerkrieg |
Weitere Angaben zur Person: | Religion: isr. Eltern: Vater: Heinrich (Hersch) Pohorylle (1876-vermutlich 1941), Eierhändler in Stuttgart und Leipzig Mutter: Gisela (Ghittel), geb. Boral (1877-1937) Geschwister: Oskar (1912 Lemberg-vermutlich 1941) Karl (1914 Husiatyn-vermutlich 1941) |
GND-ID: | GND/119206706 |
Biografie
Biografie: | Irme Schaber (Autor) Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 275-276 1937 schrieb die größte Illustrierte der Welt, die amerikanische Fotozeitschrift „Life“ über Gerta Taro: „Sie ist wahrscheinlich die erste Fotografin, die jemals gefallen ist“. Mit dieser leicht zynisch anmutenden Ehrung wurde die Fotoreporterin einem Millionenpublikum bekannt gemacht. Gerta Taro war drei Wochen zuvor bei Fotoaufnahmen im Spanischen Bürgerkrieg ums Leben gekommen. Die Fotografie war ihr keinesfalls in die Wiege gelegt. Die junge jüdische Frau hatte erst im Pariser Exil mit der Kameraarbeit begonnen und sich dabei einen Künstlernamen zugelegt. Gerta Taro hieß eigentlich Gerta Pohorylle. Die Tochter von Gisela und Heinrich Pohorylle wurde im Sommer 1910 in Stuttgart geboren. Ihre aus Österreich-Ungarn stammenden Eltern waren ein Jahr zuvor ins württembergische Königreich eingewandert, weil in Reutlingen und Stuttgart zahlreiche Verwandtschaft mütterlicherseits bereits seit Jahrzehnten ansässig und im Eierhandel tätig war. Die ersten Lebensjahre verbrachte sie mit der Mutter größtenteils in den elterlichen Heimatorten am östlichsten Zipfel der Habsburgermonarchie. Buczacz und Husiatyn gehörten zu der ethnisch und kulturell vielfältigen Grenzregion zum russischen Zarenreich hin, die schon geraume Zeit ihre Jugend an den Westen verlor. Bittere Not war über Jahrzehnte hinweg die Triebfeder einer massenhaften Auswanderung; wie im Falle von Gisela und Heinrich Pohorylle erleichterten bereits emigrierte Verwandte das Verlassen der Heimat. Seit dem Ersten Weltkrieg lebte die Familie in der Stuttgarter Alexanderstraße. Im vorletzten Kriegsjahr wurde Gerta Pohorylle in die erste von der Stadt eingerichtete Höhere Mädchenschule eingeschult und als Tochter galizischer Juden schon frühzeitig mit der Assimilationsproblematik konfrontiert. Vor ihren schwäbischen Schulfreundinnen versteckte die Schülerin ihr einfaches Elternhaus, ihre jüdische Herkunft. Nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns erhielten die Pohorylles ohne eigenes Zutun die polnische Staatsangehörigkeit. Nachdem sie 1927 mit dem „Einjährigen“ die Mädchenrealschule verlassen hatte, besuchte Gerta Pohorylle für ein weiteres Schuljahr ein Höhere-Töchter-Institut am Genfer See, um eine gediegene Ausbildung abzurunden und ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen. Sie sprach fließend Englisch und Französisch und nach dem Auslandsaufenthalt kam auf der Höheren Handelsschule in Stuttgart Spanisch als dritte Fremdsprache hinzu. 1929 zog die Familie nach Leipzig. Dort besuchte sie die Gaudig Schule und half als Kontoristin in der väterlichen Eier-Importfirma. Durch das Erstarken der Nationalsozialisten und einen für sie nicht mehr ignorierbaren Antisemitismus wurde ihr politisches Interesse geweckt. Ohne Mitglied einer Partei zu werden, bewegte sie sich im Umfeld der KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) und vornehmlich der SAPD (Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands), die sich für eine Einheitsfront gegen Hitler einsetzte. 1933 beteiligte sich Gerta Pohorylle an Flugblattaktionen und wurde kurz nach dem Reichstagsbrand verhaftet. Der glückliche Umstand, dass sie noch immer die polnische Staatsangehörigkeit besaß, führte zu energischen Protesten des polnischen Konsulats und nach 18 Tagen zu ihrer Freilassung aus der Schutzhaft. Im Oktober 1933 verließ sie Deutschland. Paris wurde ihr Zufluchtsort und war Traumstadt zugleich. Tausende deutsche Flüchtlinge lebten dort seit Hitlers Machtantritt mittellos und ohne Arbeitserlaubnis. Die Dreiundzwanzigjährige wohnte in elenden Unterkünften, lernte den Hunger kennen und musste sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen. Ihre politische Heimat fand sie im Umfeld der Exilsozalisten der SAP, die in Paris eine Auslandszentrale aufgebaut hatte. Sie lernte Willy Brandt kennen, der seit seiner Emigration von Oslo aus die Auslandsstelle des Jugendverbandes der SAP leitete. Ab 1934 arbeitete und lebte sie mit dem ungarischen Fotografen André Friedmann zusammen. Er unterrichtete sie an der Kamera, während sie mehrsprachig die Bildunterschriften formulierte, Entwicklungsarbeit in der Dunkelkammer leistete und Fotoaufträge organisierte. Sie wurde Bildagentin in einer Pariser Fotoagentur und erhielt im Frühjahr 1936 ihren ersten Presseausweis. Zu diesem Zeitpunkt gab sich das Fotografenpaar international klingende Künstlernamen, um nicht mehr als Flüchtlinge kenntlich zu sein: aus Gerta Pohorylle wurde „Gerta Taro“ und André Friedmann hieß nun „Robert Capa“. Unter diesen Namen sollten sie in die Fotografiegeschichte und die Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs eingehen, der am 18. Juli 1936 mit dem Militärputsch von General Franco gegen die demokratisch gewählte republikanische Regierung begann. Freiwillige aus aller Welt, unter ihnen zahlreiche Künstler, eilten nach Spanien, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Sie sahen in der bedrohten Republik ihre eigenen freiheitlichen Ideale angegriffen. Gerta Taro und Robert Capa waren von Anfang an als professionelle Pressefotografen akkreditiert; sie arbeiteten mit Rolleiflex und Leica Kameras und veröffentlichten vornehmlich in französischen und englischen Illustrierten sowie in internationalen Magazinen. Zog es sie zunächst gemeinsam an die wichtigsten Kampfschauplätze, so arbeiteten sie schon ab Anfang 1937 zeitweise unabhängig voneinander. Gerta Taro berichtete von nahezu allen Fronten, traf Ernest Hemingway, fotografierte in Lazaretten und Schützengräben. Der Spanische Bürgerkrieg erwuchs zum ersten modernen Medienkrieg. Schon die damalige Illustriertenpresse verlangte bilderhungrig den Krieg aus nächster Nähe zu sehen – ermöglicht durch moderne transportable Kleinbildkameras und lichtempfindlichere Filme. Für das Millionenpublikum der aufstrebenden Massenmedien wurde das Bild zum Reizmedium, zur Nachricht, die das Wort in den Hintergrund drängte. Gerta Taro dokumentierte die Bombardierung der spanischen Bevölkerung durch die „Legion Condor“ als Zivilisationsbruch und formulierte die Augenzeugenschaft als ihr zentrales Anliegen: Bombenopfer, Kriegswaisen, Flüchtlinge. Sie und Robert Capa gelten als die ersten Fotografen, die den herkömmlichen Beobachterstandpunkt verließen und für die fotografische Kriegsberichterstattung ihr Leben riskierten. Die Fotografin galt als mutig, ja verwegen. Am Abend des 25. Juni 1937 wurde sie an der Madrider Front unter einem Bombardement der „Legion Condor“ von einem republikanischen Panzer überrollt. Nachdem sie ihren Verletzungen im britischen Frontspital der 35. Division in El Escorial erlegen war, wurde sie nach Paris überführt. Dort gaben ihr zehntausende Trauergäste, darunter Pablo Neruda, das letzte Geleit und machten ihr Begräbnis zu einer Manifestation gegen den Faschismus. Ihr schlichtes Grabmal auf dem Friedhof Père-Lachaise schuf der Bildhauer Alberto Giacometti. Gerta Taros Tod steht am Anfang einer langen Reihe von Fotografinnen und Fotografen, die unter dem Einsatz ihres Lebens die Welt mit sensationellen Bildern von Kriegsschauplätzen versorgten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – ihre gesamte Familie war ermordet worden – verloren sich ihre Fotografien aus dem Spanienkrieg unautorisiert hinter und im Werk von Robert Capa. Während seine Fotografien aus Spanien zu Gedächtnisträgern der damaligen Ereignisse wurden, erschien es immer ungewisser – und unwichtiger – ob Gerta Taro je selber fotografiert hatte. Westlich des Eisernen Vorhangs wurde die Zusammenarbeit des Fotografenpaares Gerta Taro und Capa als Liebesbeziehung bagatellisiert. Östlich der Mauer fand Gerta Taro Eingang in die offizielle Geschichtschreibung, allerdings nicht als Fotografin, sondern, mit einer geschönten Biografie, als vorbildhafte Spanienkämpferin. |
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Quellen: | International Center of Photography, NL Robert Capa; Life vom 16.8.1937, 62-63. |
Werke: | Robert Capa, Death in the Making. Photographs by Robert Capa and G. Taro, 1938. |
Nachweis: | Bildnachweise: International Center of Photography. |
Literatur + Links
Literatur: | Irme Schaber, G. Taro: Fotoreporterin im Spanischen Bürgerkrieg; eine Biografie, 1994. |
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