Benda, Ernst 

Geburtsdatum/-ort: 15.01.1925; Berlin
Sterbedatum/-ort: 02.03.2009;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Politiker, Bundesinnenninister, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Rechtslehrer
Kurzbiografie:

1943 Abitur am Kant-Gymnasium Berlin-Spandau

19431945 Arbeitsdienst, Wehrmacht (Kriegsmarine), Gefangenschaft

19461951 Studium der Rechtswissenschaft an der Berliner Universität (Ost), ab 1948 an der FU (West); 1946 Eintritt in die CDU

19491950 Studium der Journalistik und politischen Wissenschaften an der University of Wisconsin in Madison, USA

1955 II. jur. Staatsprüfung und Zulassung zum Rechtsanwalt

19551957 Mitglied der Berliner Abgeordnetenhauses-CDU

19571971 Mitglied des Bundestags

1965 Bundestagsdebatte zur Verjährung

19671970 Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft

19671968 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern

19681969 Bundesminister des Innern

19711983 Präsident des Bundesverfassungsgerichts

19841993 ordentlicher Professor für öffentliches Recht, Schwerpunkt Verfassungsrecht, an der Universität Freiburg im Br.

1995 Präsident des 26. Deutschen Evangelischen Kirchentags

19922008 Präsident der Medienanstalt Berlin-Brandenburg

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Auszeichnungen: Ehrungen: Dr. iur. h. c. der Universität Würzburg (1974); Großkreuz des Verdienstordens d. Italienischen Republik (1974); Großes Goldenes Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich (1975); Honorarprofessor für Rechtswissenschaft der Universität Trier (1978); Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1983); Hermann-Ehlers-Preis (1985); Heinz Herbert Karry-Preis (1987); Moses-Mendelssohn-Medaille und FS zum 70. Geburtstag (beide 1995)
Verheiratet:

1956 (Berlin) Waltraut, geb. Vorbau (geb. 1929)


Eltern:

Vater: Rudolf (1899–1973), Oberingenieur

Mutter: Lilly, geb. Krasting (1899–1992)


Geschwister:

3; Hansjochen (1923–2009), Doris (geb. 1932) und Marie-Luise (geb. 1932)


Kinder:

2; Josefine (geb. 1957) und Hans (geb. 1960)

GND-ID: GND/119210371

Biografie: Eckart Klein (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 38-44

 

Benda entstammte einer seit 1750 in Berlin ansässigen Familie. Nach dem Abitur 1943 leistete er Arbeits-, dann als Funker und Obergefreiter Wehrdienst bei der Kriegsmarine, geriet für kurze Zeit in Gefangenschaft, konnte aber nach einem Intermezzo als Bauarbeiter 1946 mit dem Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin – bis 1945 Friedrich-Wilhelms-, dann Universität Berlin, seit 1949 Humboldt- Universität – beginnen. Der sich von Anfang an abzeichnende immer stärker werdende politische Zugriff der kommunistischen Kader auf Studium und Lehre führte ab 1947 zu einem sich im April 1948 durch die Zwangsexmatrikulation einiger gegen die politische Einflussnahme opponierender Studenten verschärfenden Hochschulkonflikt, an dem auch Benda aktiv teilnahm. Benda war inzwischen in die CDU eingetreten, Vorsitzender der CDU Hochschulgruppe und Mitglied des Studentenrats geworden. Zahlreiche Professoren und Studenten, darunter Benda, verließen im Frühjahr 1948 die im Ostteil der Stadt gelegene Universität und fanden im Westteil in Dahlem eine neue akademische Heimat, die damals mit Hilfe Westberliner Politiker und der amerikanischen Besatzungsmacht gegründete Freie Universität Berlin. Es war die Zeit der Berlin-Blockade und Spaltung der Verwaltung von Groß-Berlin.

Bendas Studium in Berlin wurde 1949/50 durch einen Studienaufenthalt an der University of Wisconsin in Madison (USA) unterbrochen, wo er Vorlesungen über Journalistik und Politische Wissenschaften hörte. 1951 war Benda Mitbegründer und bis 1952 Vorsitzender des Rings Christlich Demokratischer Studenten, RCDS. Im Jahr der Beendigung des Jurastudiums 1951 wurde Benda Mitglied und später Vorsitzender der CDU-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung Spandau (1950–1954); von 1952 bis 1954 war er zugleich Vorsitzender der JU in Berlin. Die II. juristische Staatsprüfung hat er 1955 absolviert und wurde als Rechtsanwalt zugelassen. Inzwischen war Benda bereits als Nachrücker Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses (1955–1957). Benda spezialisierte sich, ab 1959 in Sozietät mit Karl-Heinz Schmitz (1932–2016), fachlich sehr erfolgreich in den Bereichen des Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsrechts. Die ihm in allen seinen späteren beruflichen Stellungen eigene persönliche Unabhängigkeit wurde durch die ihn sehr befriedigende und erfolgreiche anwaltliche Tätigkeit mit grundgelegt.

Der Sprung von der Landes- in die Bundespolitik erfolgte 1957 mit der Wahl in den Bundestag. Die CDU/CSU erzielte damals unter Bundeskanzler Adenauer ihren bis heute größten Wahlsieg. Wegen des bis zur Wiedervereinigung bestehenden besonderen Rechtsstatus von (West-)Berlin erfolgte die Wahl der Berliner Bundestagsabgeordneten durch das Abgeordnetenhaus; bei den Abstimmungen im Plenum des Bundestags wurden die Berliner Stimmen gesondert ausgezählt, waren aber ohne Einfluss auf das Ergebnis. Im Übrigen waren die Berliner Abgeordneten den anderen Mandatsträgern in der parlamentarischen Arbeit völlig gleichgestellt. Benda wurde Mitglied des Rechtsausschusses und 1959 auch stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss.

Bundesweites Aufsehen erregte Benda erstmals im Rahmen der seit 1964 sehr intensiv, auch emotional geführten Diskussion über die drohende Verjährung der Strafbarkeit von NS-Gewaltverbrechen, darunter vor allem die millionenfache Ermordung von Juden. Das Thema war international, aber auch national (Auschwitzprozess) von höchstem Interesse. Nach der damals geltenden Gesetzeslage verjährte Mord nach 20 Jahren, woraus gefolgert wurde, dass die genannten Verbrechen am Jahrestag der militärischen Kapitulation 8. Mai 1965 verjähren würden. Die Überlegungen drehten sich vor allem um das rechtsstaatliche Argument des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots (Art. 103 Abs. 2 GG). In einer glanzvollen Debatte am 10. März 1965, die zu den „Höhepunkten der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte“ (Hildebrand, S. 131 f.) und „Sternstunden des Parlaments“ (Barzel; Reker, S. 153) gezählt wurde, setzte sich Benda gegen die offizielle Linie seiner Fraktion für den Wegfall der Verjährungsfrist für Mord ein und bestritt die Geltung des Rückwirkungsverbots, weil die Verjährung nur ein gesetzliches Strafverfolgungshindernis sei, das, da verfahrensrechtlicher Natur, gesetzlich, auch rückwirkend, geändert werden könne. Benda ging es dabei um „Gerechtigkeit“, wie er immer wieder betonte: „Frieden entsteht nicht durch Vergessen, sondern durch gerechte Sühne“ (Rheinische Post vom 28.11.1964). Obwohl Benda sich mit dieser Ansicht 1965 nicht durchsetzen konnte, galt er hinfort als einer der kommenden Politiker der Unionsfraktion. Zunächst wurde indes, einem Vorschlag des Altbundeskanzlers Adenauer folgend, beschlossen, den Verjährungsbeginn erst mit Ende 1949, als nach Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland deutsche Staatsgewalt zur Verfolgung der Verbrechen wieder im Stande war, eintreten zu lassen. Doch die Grundsatzfrage war damit nicht beantwortet, und als erwartungsgemäß 1969 die Frage erneut virulent wurde, wurde die Verjährungsfrist für Mord schließlich auf 30 Jahre verlängert und für Völkermord ganz abgeschafft, schließlich 1979 auch für Mord gestrichen.

Ein weiteres, sich für die politische Karriere Bendas als wichtig erweisendes Thema war die Ablösung alliierter Kontrollrechte, die aber die Schaffung nationaler Regeln für den inneren und äußeren Notstand notwendig machte. Die Diskussion über die sog. Notstandsverfassung zog sich seit 1960 bis zu ihrer Verabschiedung 1968 hin. Im Rechtsausschuss war Benda Berichterstatter und erwarb sich schnell den Ruf eines ausgezeichneten Fachmanns. Ein noch in der 4. Wahlperiode vorgelegter Entwurf wurde als „Benda-Entwurf“ bezeichnet. Im Herbst 1966 während der NATO-Stabsübung Fallex 66 fungierte Benda als Präsident eines „Notparlaments“, das im Vorgriff auf die geplante Notstandsverfassung bereits als „Gemeinsamer Ausschuss“ bezeichnet wurde (heute Art. 53a GG). Es lag daher nahe, dass der zuständige Bundesinnenminister Paul Lücke (1914–1976) Benda als Parlamentarischen Staatssekretär an seiner Seite wissen wollte; die Ernennung erfolgte im April 1967. Zur selben Zeit beschäftigte auch die Wahlrechtsreform die Öffentlichkeit. Die Bildung der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kiesinger am 1. Dezember 1966 war von der Sorge begleitet, in der Bundesrepublik könne sich wie in Österreich eine Proporzdemokratie der beiden großen Parteien etablieren. Um dem zu entgehen, war von der neuen Koalition eine Reform des Wahlrechts zur Einführung eines relativen Mehrheitswahlrechts vereinbart worden, mit dessen Verwirklichung Bundesinnenminister Lücke sein politisches Schicksal verband. Bald zeigte sich jedoch, dass nicht nur die seit Herbst 1966 in der Opposition befindliche FDP, die von einer solchen Reform für sich Nachteile erwartete, sondern auch die SPD von dem Plan abrückte. Vor allem Herbert Wehner (1906–1990) arbeitete in der SPD-Fraktion für die Zeit nach den nächsten Wahlen auf eine Koalition mit der FDP hin, die er auf diese Weise zu gewinnen suchte. Als deutlich wurde, dass die Wahlrechtsreform gescheitert war, zog Lücke die Konsequenzen und trat am 28. März 1968 zurück. Bereits am 2. April wurde Benda zum Bundesminister des Innern ernannt. Zweifellos gab es erhebliche Nervenanspannung. Charakteristisch für Benda ist der überlieferte Ausspruch: „Es ist alles nur eine Frage der Nerven. Wer jetzt keine Nerven hat, wird auch nicht Innenminister“ (Die Welt, 2.4.1968).

Nervenstärke war auch während der anderthalbjährigen Amtszeit als Minister angesagt. Die Zeiten standen zunächst wegen der Notstandsgesetzgebung auf Sturm. Als Antwort hierauf und auf die über die verfassungsändernde Mehrheit in Bundestag und Bundesrat verfügende Große Koalition hatte sich eine außerparlamentarische und zunehmend sich radikalisierende, gewaltsam agierende und im Kern antiparlamentarisch ausgerichtete Opposition formiert, die APO, die die Verabschiedung der notwendigen Verfassungsänderung, mit der das „Ende der Demokratie“ befürchtet wurde, unbedingt zu verhindern suchte. „Benda, wir kommen!“, tönte der Ruf der zum „Sternmarsch nach Bonn“ am 11. Mai 1968 anrückenden Demonstranten. Doch allen Protesten zum Trotz wurde am 28. Juni 1968 mit dem 17. Änderungsgesetz zum GG die Verfassungsänderung in Kraft gesetzt. Ein damals aktiver Demonstrant und späterer Nachfolger im Amt des Bundesministers des Innern, Otto Schily, SPD, äußerte nach sehr vielen Jahren aus Anlass des 80. Geburtstags von Benda: „In der Rückschau erweisen sich Befürchtungen dieser Art als Angstphantasien ohne reale Grundlage. […] Die Kassandrarufe der radikalen Kritiker von einst haben sich nicht bewahrheitet“ (Schily, 2005, S. 19 u. 21). Zwar ließen die unmittelbar gegen die Notstandsgesetzgebung gerichteten Demonstrationen nach, doch fand die Bewegung schnell neue Angriffsflächen, sei es den Vietnamkrieg oder das NATO-Bündnis, sei es der Kapitalismus oder generell die als völlig verkrustet dargestellte, auch der sexuellen Erweckung angeblich bedürftige bundesrepublikanische Gesellschaft. Viele der meist linksextremen Protestierer, die weitgehend aus dem Hochschulmilieu stammten, wie der Sozialistische Deutsche Studentenbund, SDS, suchten folgerichtig, ihre eigenen Reformvorstellungen auch dort zu verwirklichen. Benda war einer derjenigen Politiker, die Diskussionen hierüber nicht auswichen, aber auf dem friedlichen Austausch von Argumenten beharrten.

Weniger erfolgreich war Benda im Hinblick auf das von ihm geforderte Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands. Die totalitäre Vergangenheit Deutschlands, in Gestalt des Nationalsozialismus, und Gegenwart in der DDR, machten es der Bundesrepublik schwieriger als anderen Staaten, mit extremen politischen Parteien umzugehen. Nach dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei und der Kommunistischen Partei Deutschlands durch das Bundesverfassungsgericht in den 1950er Jahren entstanden 1964 die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD, und 1968, mit Duldung der Bundesregierung, die Deutsche Kommunistische Partei, DKP. Während die DKP bei Wahlen weder auf Bundes- noch auf Landesebene reüssierte, konnte die NPD zwischen 1966 und 1968 in sieben verschiedene Landtage einziehen; die Gefahr war nicht von der Hand zu weisen, dass es ihr gelingen würde, auch bei der anstehenden Bundestagswahl Erfolg zu haben. Die bereits 1968 einsetzenden Überlegungen, einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht zu stellen, wurden jedoch im Bundeskabinett am 23. April 1969 auf die nächste Wahlperiode verschoben. Es überwog die Ansicht, dass es sinnvoller sei, die NPD politisch zu bekämpfen, was sich bewährte. Entsprechend blieb die Frage, wie mit der DKP zu verfahren sei, offen. Benda hatte schon zuvor angekündigt, dass eine solche Kabinettsentscheidung für ihn kein Rücktrittsgrund sein werde (Stuttgarter Zeitung vom 21.12.1968). Tatsächlich wurden erst Jahrzehnte später, 2001 und 2013, letztlich nicht zum Verbot führende Anträge gegen die NPD eingereicht.

Auf andere Probleme, die Benda während seiner Amtszeit beschäftigten, wie z.B. die Reform des öffentlichen Dienstes und die Modernisierung der Verwaltung oder auch Verfassungsfragen der Großen Koalition (Kressbronner Kreis), kann hier nicht eingegangen werden. Mit den Wahlen zum 6. Deutschen Bundestag am 28. September 1969 blieb die Union zwar stärkste Fraktion, doch kam es zur Bildung einer Koalition von SPD und FDP unter Führung von Willy Brandt (1913–1992), SPD. Nachfolger Bendas als Bundesinnenminister wurde der Liberale Hans-Dietrich Genscher (1927–2016).

Benda gehörte als Berliner Abgeordneter wie bereits von 1965 bis 1967 weiter dem Bundestag und dem Fraktionsvorstand an. Er war Mitglied des Ausschusses für Inneres und innen- und rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion und stand damit in der ersten Reihe der Unionspolitiker, die nunmehr als Opposition den neuen Kurs der Regierung Brandt/Scheel zu kontrollieren hatten. Doch schon bevor vor allem die neue Ostpolitik die Union einer Zerreißprobe aussetzte, wurde Benda von seiner Fraktion als Nachfolger des ausscheidenden Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Gebhard Müller favorisiert. Benda wurde vom Wahlmännerausschuss des Bundestags zum Bundesverfassungsrichter und vom Bundesrat zum Präsidenten und zugleich zum Vorsitzenden des I. Senats des in Karlsruhe angesiedelten Gerichts gewählt. Er trat sein Amt nach der Ernennung durch Bundespräsident Heinemann (1899–1976) am 8. Dezember 1971 an. Damit begann Bendas 38 Jahre bis zu seinem Tod währende „badische Zeit“, ungeachtet seiner bleibenden starken Bindung an Berlin.

Benda war, als er sein Amt antrat, der bislang jüngste Präsident. Bei manchen der älteren Richterkollegen, die teilweise bereits seit den Anfängen des Gerichts 1951 dabei waren, wurde dies zunächst mit ziemlicher Skepsis betrachtet. Es wurde versucht, die Befugnisse des Präsidenten, wie sie sich vor allem unter dem sehr auf Arbeitsdisziplin achtenden Vorgänger eingespielt hatten, unter Kontrolle zu bringen. Die auch aus diesem Grunde in den ersten Jahren der Präsidentschaft Bendas 1975 beschlossene Geschäftsordnung zeichnete sich jedoch zuletzt durch sehr ausgewogene Regelungen aus und bewährte sich auch mit mancherlei späteren Fortschreibungen.

In die Amtszeit Bendas fallen wichtige Entscheidungen des Verfassungsgerichts, worunter hier nur solche aufgeführt seien, die der von ihm geleitete Senat fällte. Dabei ist bemerkenswert, dass sich Benda nur einmal (1981) veranlasst sah, eine abweichende Meinung zu einer Entscheidung zu verfassen (BVerfGE 58, 81, 129). Ein an den Senatssitzungen Beteiligter berichtete, dass Benda den Beratungen „stets freien Lauf gelassen“ habe und „stets behutsam um einen Konsens bemüht“ gewesen sei (Hesse, 1995, S. 5).

Das Urteil im Fall des Soldatenmords in Lebach 1973 räumte dem Persönlichkeitsschutz eines Straftäters in Form seines Resozialisierungsanspruchs den Vorrang vor der Rundfunkfreiheit ein (BVerfGE 35, 202). Im selben Jahr erging das Urteil zur Organisation der Hochschulen, in dem der Ausgestaltung der sog. Gruppenuniversität deutliche Grenzen gezogen wurden und bei universitätsinternen Abstimmungen der besonderen Kompetenz von Professoren im Bereich von Forschung und Lehre Rechnung getragen wurde (BVerfGE 35, 79). Das die Öffentlichkeit stark bewegende Urteil zum Schwangerschaftsabbruch, das auch dem noch nicht geborenen Kind staatlichen Schutz garantierte, erging 1975 (BVerfGE 39, 1) und führte in der Öffentlichkeit zu starken verbalen Angriffen auf die das Urteil tragenden Richter. Benda selbst war Berichterstatter in den gegen die Ostverträge: Moskauer, Warschauer und Prager Vertrag, gerichteten Verfahren, in denen 1975 und 1977 einzelne Bürger die Verletzung ihrer Grundrechte (Staatsangehörigkeit, Eigentum) durch die Vertragsabschlüsse der Regierung Brandt/Scheel rügten. Der Senat erklärte die Beschwerden für unzulässig, weil diese Verträge gar nicht in der Lage gewesen seien, in die Rechtsstellung von Individuen einzugreifen (BVerfGE 41, 141; 43, 203). Damit hielt er jedoch die Tür für eine diese Fragen abschließende (Friedens-)Regelung offen. Mit der alle Richter schwer belastenden Entscheidung im Schleyer-Fall holte der Terrorismus der RAF auch das Bundesverfassungsgericht ein (1977). Sie musste Benda besonders bedrücken, weil 1974 sein Berliner Freund Peter Lorenz, Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, selbst entführt und nur durch die dadurch erpresste Freilassung von RAF-Straftätern frei gekommen war. Die Entscheidung der Bundesregierung, nunmehr im Fall des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer die Freilassung der Spitzen der RAF zu verweigern, wurde von dessen Familie vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten. Der Senat bejahte zwar einstimmig eine staatliche Schutzpflicht für das individuelle Leben, doch auch eine Schutzpflicht gegenüber der Gesamtheit aller Bürger. Der Exekutive konnte darum unter den gegebenen Umständen keine konkrete Reaktion vorgeschrieben werden (BVerfGE 46, 160). Die darauf hin erfolgte Ermordung Schleyers offenbarte das Ausmaß des Verantwortungsdrucks, dem die Richter ausgesetzt waren.

Von anderer, aber ebenfalls wegweisender Dimension waren zwei weitere Entscheidungen. Eine seit langem schwebende und heiß diskutierte Streitfrage war die Einführung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmen, die von vielen vor allem unter Hinweis auf die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) der Gesellschafter und Anteilseigner für verfassungswidrig gehalten wurde. Der I. Senat bestätigte jedoch einstimmig 1979 diese Form der Mitbestimmung (BVerfGE 50, 290). Mit einer am 15. Dezember 1983 verkündeten Entscheidung verabschiedete sich Benda aus dem Amt (BVerfGE 65, 1). Es ging um die Verfassungsmäßigkeit des Volkszählungsgesetzes von 1983, die der Senat in wesentlichen Teilen verneinte. Die Entscheidung wurde berühmt durch die Herausarbeitung des Rechts auf „informationelle Selbstbestimmung“ als Dimension des verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG). Es wurde zur Grundlage des modernen Datenschutzes. Das in der Öffentlichkeit weithin begrüßte Urteil wurde von der Bundesregierung unter Helmut Kohl (1930–2017) und großen Teilen der CDU/CSU stark kritisiert, und diese Kritik richtete sich insbesondere gegen den Präsidenten Benda Es zeigte sich hier wie anderswo, dass die politische Herkunft der Richter ihre Entscheidungen keineswegs immer determiniert. Schon seit den Anfängen des Gerichts hatte es häufig Verstimmungen zwischen Bundesregierung und Gericht gegeben. Benda selbst hatte bereits 1973 despektierliche Äußerungen aus der Regierung Brandt zum Verfahren über den im Zusammenhang mit der neuen Ostpolitik stehenden Grundlagenvertrag mit der DDR und öffentliche kritische Bemerkungen von Bundeskanzler Schmidt (1918–2015) 1978 über das seine Kompetenzen überdehnende Bundesverfassungsgericht als unangebracht zurückgewiesen. Bei der feierlichen Verabschiedung aus dem Bundesverfassungsgericht in Anwesenheit des Bundespräsidenten Karl Carstens (1914–1992) am 20. Dezember 1983 wurden die Würde und Überzeugungstreue Bendas in seiner Amtsführung hervorgehoben.

Der nun begonnene Lebensabschnitt war überwiegend der Arbeit als Hochschullehrer gewidmet. Schon 1984 wurde Benda auf Wunsch der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg zum ordentlichen Professor ernannt und entfaltete eine reiche Tätigkeit in Forschung und Lehre. Bereits zuvor war er in großem Umfang literarisch tätig gewesen, indem er die ihn als Politiker und Verfassungsrichter besonders befassenden Themen wissenschaftlich zu durchdringen unternahm. So ist etwa auf die Schriften „Verjährung und Rechtsstaat“ (1965) und „Die Notstandsverfassung“ (8.–10. Aufl. 1968) ebenso hinzuweisen wie auf das umfangreiche Werk „Industrielle Herrschaft und sozialer Staat“ (1966). Zunehmend griff er in der Zeit seiner Präsidentschaft Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenwürde, des damit verbundenen Persönlichkeitsschutzes und der Gentechnik auf, Themen, die ihn auch später immer wieder beschäftigten. Noch 1983 erschien das von Benda gemeinsam mit Werner Maihofer und Hans-Jochen Vogel herausgegebene „Handbuch des Verfassungsrechts“ (2. Aufl. 1995), mit dem ungeachtet zahlreicher unterschiedlicher Meinungen der Herausgeber/ Autoren in Einzelfragen ein unter Demokraten bestehender „Grundkonsens“ im Sinne einer „inhaltliche(n) Einigung über die das Gemeinwesen prägenden Werte und Strukturprinzipien“ (so Benda, 1995, S. 1681) dargestellt werden sollte. Die wissenschaftliche Leistung Bendas war schon vor der Übernahme der Professur in Freiburg 1974 durch die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Würzburg und 1978 einer Honorarprofessur an der Universität Trier gewürdigt worden.

In Freiburg stand im Mittelpunkt seiner Lehrveranstaltungen das Verfassungsrecht, das er auf Grund seiner praktischen Erfahrungen und ihrer wissenschaftlichen Erfassung den Studenten in seiner normativen wie politischen Dimension nahebringen konnte. Die Beziehung von Recht und Politik beschäftigte ihn auch in Vorträgen und Aufsätzen immer wieder. Der Wunsch, die prozessuale Arbeitsgrundlage des Bundesverfassungsgerichts wissenschaftlich darzustellen, wurde 1991 zusammen mit Eckart Klein im „Lehrbuch des Verfassungsprozessrechts“ realisiert. Am Ende der Freiburger Zeit war Benda Fellow des Woodrow Wilson International Center for Scholars, Washington D.C., wo er sich besonders mit den unter rechtsvergleichendem Aspekt naheliegenden Problemen des Föderalismus und der Subsidiarität beschäftigte.

Während und nach seinem Freiburger Engagement war Benda häufig als Autor, gefragter Gutachter und Berater tätig. Er war u. a. 1984/85 Vorsitzender der Interministeriellen Arbeitsgruppe „In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie“ (Benda-Kommission), deren Bericht zum Embryonenschutzgesetz von 1986 führte. Von 1985 bis 1992 fungierte Benda als Vorsitzender des Kabelrats Berlin, danach bis 2008 als Präsident der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Benda war Präsident des 26. Deutschen Ev. Kirchentags 1995 in Hamburg. In den Jahren 1996/97 leitete er die Kommission „Entlastung des Bundesverfassungsgerichts“. Das umfangreiche Werk Bendas wurde zu seinem 70. Geburtstag mit einer Festschrift, zu seinem 80. Geburtstag mit einem rechtspolitischen Symposium gewürdigt.

Auch im 9. Lebensjahrzehnt blieb Benda tätig, auch wenn allmählich Krankheit an den Kräften zu zehren begann und das geliebte Segeln in den Hintergrund drängte. Es gab Muße für Musik- und Kunstgenuss, auch dem Pfeifenrauchen blieb er lange zugetan. Die Bereitschaft zu Rat und Gespräch war ungebrochen, wobei die Unterhaltungen in der für Benda charakteristischen zugewandten, aber auch leicht ironisch-distanzierten Art geführt wurden. Seine Berliner Bleibe behielt er stets bei. In seinem 85. Lebensjahr ist Benda plötzlich in seiner Karlsruher Wohnung gestorben. Sein späterer Nachfolger im Amt des Bundesinnenministers Dr. Wolfgang Schäuble hielt in der Karlsruher Evangelischen Stadtkirche eine sehr persönliche, Benda würdigende Rede. Schon in seinem Beitrag zur Festschrift für Benda hatte er darauf hingewiesen, dass Verantwortung, Führung und Ausrichtung am Gemeinwohl keinen Gegensatz bilden. Benda war dafür ein beeindruckendes Beispiel.

Quellen:

Bundesverfassungsgericht Personalakte A.Z., P1-B 39, Prof. Dr. Benda, Ernst; Rolf Vogel (Hg.), Ein Weg aus d. Vergangenheit. Eine Dokumentation zur Verjährungsfrage und zu den NS-Prozessen, 1969; Rudolf Vierhaus und Ludolf Herbst (Hgg.) unter Mitarbeit von Bruno Jahn, Biogr. Handbuch der Mitglieder des Dt. Bundestages 1949 –2002, Bd. 1, A-M, 2002, 53–54; Werner Breunig/Andreas Herbst (Bearb.), Biographisches Handbuch der Berliner Stadtverordneten und Abgeordneten 1946 –1963, 2011, 68.

Werke: Bibliographie Ernst Benda (1948–1983), bearb. von Franz Schneider, 1983 [359 Einträge u 54 Würdigungen]; Verzeichnis der Schriften von Ernst Benda (1983–1994) von Gundula Kirchner- Schüler und Wolf-Dieter Barz, in: Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit, FS für Ernst Benda zum 70. Geburtstag, 1995 (235 Einträge). – Auswahl: Verjährung und Rechtsstaat, 1965; Industrielle Herrschaft und sozialer Staat, 1966; Die Notstandsverfassung, 1966, 8–10. Aufl. 1968; Verfassungsprobleme der Großen Koalition, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1969, 761–763; Der Rechtsstaat in der Krise, 1972; Gefährdungen der Menschenwürde, 1975; Rechtsstaat im sozialen Wandel, in: Archiv des Öff. Rechts Bd. 101, 1976, 497–519; Konflikt und Konsens im sozialen Rechtsstaat, 1978; Grundrechtswidrige Gesetze, 1979; (Hg. mit Hans-Jochen Vogel und Werner Maihofer), Handbuch des Verfassungsrechts, 1983, 1995); Erprobung der Menschenwürde am Beispiel der Humangenetik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 3, 1985, 18–36; Sozialrechtliche Eigentumspositionen im Arbeitskampf. Ein Beitrag zur Diskussion um die Änderung des § 116 Arbeitsförderungsgesetz, 1986; Probleme der industriellen Sonntagsarbeit, 1990; (mit Eckart Klein) Lehrbuch des Verfassungsprozessrechts, 1991, 2. Aufl. 2001; 3. Aufl. 2012 (mit Eckart und Oliver Klein); Entlastung des Bundesverfassungsgerichts – Vorschläge der Entlastungskommission, 1998; Die „anonyme Geburt“, in: Juristenztg. 58, 2003, 533–540; (mit Dieter C. Umbach) Stasi-Akten und das Persönlichkeitsrecht von Politikern, 2004; Das letzte Wort dem Volke, in: Die Zeit vom 14.9.1990; Es kommt darauf an, eine Partei nicht zu wählen. Vor 50 Jahren wurde der Vorlesungsbetrieb an der Berliner Universität Unter den Linden wiederaufgenommen, in: FAZ vom 1.2.1996; Nicht nur Blumenkinder. Die 68er und ihre Leistungen, in: FAZ vom 31.1.2001.
Nachweis: Bildnachweise: Portrait-Fotografie (o. J.), in: FS, 1995, Frontispiz.

Literatur:

„Frieden entsteht nicht durch Vergessen“, in: Rheinische Post vom 28.11.1964; „Ungewissheit bis zum letzten Augenblick“, in: Die Welt vom 2.4.1968; „Benda verbindet NPD-Initiative mit Rücktrittsdrohung“, in: Stuttg. Ztg. vom 21.12.1968; Garant für die Würde des Rechts und die Autorität des Rechtsstaates, Festakt im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beim Wechsel im Amt des Präsidenten, in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung Nr. 142, 1983, 1281–1289; Klaus Hildebrand, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bd. 4: Von Erhard zur Großen Koalition, 1984; Wolfgang Jäger/Werner Link, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bd. 5/II, Republik im Wandel 1974–1982. Die Ära Schmidt, 1987; Rainer Barzel (Hg.), Sternstunden des Parlaments, 1989; Konrad Hesse, Skepsis und Zuversicht, in: Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit, FS für Ernst Benda zum 70. Geburtstag, 1995, 1–15; Helmut Simon, Ernst Benda zum 70. Geburtstag, in: Archiv des öffentlichen Rechts 120, 1995, 138–139; Stefan Reker, Der Deutsche Bundestag. Geschichte und Gegenwart im Spiegel von Parlamentariern aus fünf Jahrzehnten, 1999, 153–167; Alexander Gallus, Ernst Benda, in: Udo Kempf/Hans-Georg Merz (Hg.), Kanzler und Minister 1949 –1998, Biogr. Lexikon der deutschen Bundesregierungen, 2001, 128–133; Hans-Jochen Vogel, Laudatio, in: Innere Sicherheit, Menschenwürde, Gentechnologie. Kolloquium aus Anlass des 80. Geburtstags von Ernst Benda, 2005, 89–93; „Auf d. Suche nach Versöhnung des Unvereinbaren“, in: FAZ vom 15.1.2005; Otto Schily, Das Notstandsrecht des Grundgesetzes und die Herausforderungen der Zeit, ebd., 2005, 17–34; „Beredt und Nachdenklich“ in: FAZ vom 3.3.2009; Wolfgang Schäuble, Ernst Benda zum Geleit, Trauerrede am 9.3.2009 (Ms.); Hans H. Klein, Ansprache bei d. Trauerfeier zum Gedenken an Ernst Benda im Bundesverfassungsgericht am 3.4.2009 (Ms.); Eckart Klein, Nachruf Ernst Benda, Juristenztg. 64, 2009, 737; Rolf Lamprecht, Ich gehe bis nach Karlsruhe. Eine Geschichte des Bundesverfassungsgerichts, 2011, 119–176.

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