von Steiner, Kilian 

Geburtsdatum/-ort: 09.10.1833;  Laupheim
Sterbedatum/-ort: -25.-0.´1903;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Bankier, Mäzen, Gründer des Schwäbischen Schillervereins
Kurzbiografie:

1853–1858 Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen und Heidelberg

1858–1859 Justizreferendar am Oberamtsgericht Ulm und II. Staatsexamen

1859–1865 Rechtsanwalt in Heilbronn

1865 Umzug nach Stuttgart

1866 Gründung der Deutschen Partei

1869 Gründung der Württembergischen Vereinsbank

1873 Aufsichtsratsmitglied der BASF, Bad. Anilin- & Soda-Fabrik

1876 Dr. iur. der Universität Tübingen: „Über den Erwerb und die Amortisierung eigener Aktien“

1886 Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank

1895 Gründung des Schwäbischen Schillervereins

Weitere Angaben zur Person: Religion: israelitisch
Auszeichnungen: Ehrungen: (Österreich-Ungarischer) Orden der Eisernen Krone II. Klasse (1879); (Serbischer) Takovo-Orden (1884); Geheimer Kommerzienrat (1889); Ehrenkreuz der Württembergischen Krone mit persönlichem Adelsprädikat (1895); Ehrenbürger von Niedernau (1891) und von Marbach am Neckar (1901).
Verheiratet:

1869 Clotilde, geb. Bacher, verw. Goldschmidt (1833–1919)


Eltern:

Vater: Victor (1790–1865), Kaufmann

Mutter: Sophie, geb. Reichenbach (1800–1866)


Geschwister:

11


Kinder:

4; Victor (1870–1939), Luise (Lisi, 1872–1932) und Adolf Wohlgemuth (Mut, 1876–1957)

GND-ID: GND/119438631

Biografie: Jan Eike Dunkhase (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 527-529

Einen „der führenden Geister beim Übergang der deutschen Volkswirtschaft aus der Enge kleinbürgerlicher Verhältnisse zur Weltmacht, zur Großindustrie, zur modernen Geld- und Kreditwirtschaft in den letzten vierzig Jahren“ (Schmoller, 1903, S.1) hat der Nationalökonom Gustav von Schmoller (1838–1917) seinen Freund Steiner bei dessen Feuerbestattung genannt. Er würdigte damit zugleich den wohl führenden Geist der württembergischen Volkswirtschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, der sich auch beherzt für Zwecke einsetzte, die keinen finanziellen Nutzen abwarfen.

Steiner entstammte einer jüdischen Familie, die seit zwei Generationen im oberschwäbischen Laupheim ansässig war. Sein Vater hatte in der Stadt, die zu jener Zeit die nach Stuttgart zweitgrößte jüdische Gemeinde im Königreich beherbergte, noch als Hausierer begonnen, es aber bald mit einer Lederhandlung zu Wohlstand gebracht. 1843 erwarb er das Schlossgut Großlaupheim, zehn Jahre später eröffnete er eine Brauerei.

Nach der jüdischen Schule in Laupheim besuchte Steiner das Gymnasium in Stuttgart, dann in Ulm. Von 1853 bis 1858 studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Tübingen, unterbrochen von zwei Semestern in Heidelberg. Hier wie dort hörte der Jurastudent aber auch Vorlesungen über Geschichte, Philosophie und Literatur, u. a. bei Friedrich Theodor Vischer (1807–1887), der in Tübingen als Professor für Ästhetik und deutsche Literatur breite Wirkung entfaltete. 1859 legte Steiner nach einem einjährigen Referendariat am Oberamtsgericht Ulm die II. Staatsprüfung ab. Dann ließ er sich als Anwalt in Heilbronn nieder, wo er regelmäßig in Schmollers Elternhaus verkehrte.

Die Vertiefung der Freundschaft mit dem späteren Haupt der jüngeren Historischen Schule der Nationalökonomie ging mit dem Beginn von Steiners politischem Engagement einher. Es waren die Auseinandersetzungen um den gegen die Schutzzollpolitik der süddeutschen Staaten gerichteten Freihandelsvertrag mit Frankreich, die den Verehrer Bismarcks und Verfechter einer Reichseinigung unter preußischer Führung auf den Plan riefen. 1865 zog Steiner nach Stuttgart, wo er an der Gründung der Deutschen Partei im Jahr darauf mitwirkte. Das württembergische Pendant zur Nationalliberalen Partei setzte sich unter der Führung von Julius Hölder (1819–1887) für die kleindeutsche Lösung ein, nachdem die liberale Fortschrittspartei durch die Abspaltung der linksliberalen Demokratischen Volkspartei auseinandergebrochen war. Der Deutsch-Französische Krieg von 1871 brachte den Stimmungsschwung in der traditionell großdeutsch gesinnten Bevölkerung und machte die Deutsche Partei zur stärksten im Königreich.

Im Zuge seiner nationalliberalen Aktivitäten stieg Steiner zum wichtigsten Finanzier und Wirtschaftsmodernisierer Württembergs auf. Der entscheidende Schritt war die von ihm betriebene Gründung der Württembergischen Vereinsbank im Jahr 1869. Die neuartige Geschäftsbank, die Steiner selbst als einen „Akt der Selbsthülfe des einheimischen Handelsstands“ (Steiner, 1905, S. 97) verstand, sicherte diesem ebenso wie dem württembergischen Staat die Unabhängigkeit von Krediten auswärtiger Finanzplätze, nicht zuletzt des Frankfurter Bankhauses Rothschild.

Für Steiner war die Württembergische Vereinsbank das Sprungbrett zu weiteren, national und international ausgreifenden Geschäften. Seine Führungspositionen innerhalb der Bank, erst als Justitiar und Mitglied des Direktoriums, dann als Aufsichtsratsmitglied, ermöglichten ihm die Mitwirkung an den Gründungen der Deutschen Bank und der Rheinischen Kreditbank 1870 sowie der Württembergischen Notenbank 1871. Auch an Aufbau, Übernahme und Fusionierung zahlreicher Großunternehmen, der Umgründung kleiner Familienbetriebe in Aktiengesellschaften und der Bildung von Kartellen war er beteiligt. Sein Handlungsradius erstreckte sich von der heimischen Metall- und Waffenindustrie, darunter die Daimler Motorengesellschaft, über die Badische Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen bis hin zur Anatolischen Eisenbahn.

Bei all dem kam Steiner zugute, dass er in Stuttgart im Mittelpunkt eines Freundeskreises von aufstrebenden Industriellen und Kaufleuten stand, der sich mit dem Gründungszirkel der Deutschen Partei überschnitt. Dazu zählten als seine engsten Geschäftspartner die Farbenfabrikanten Gustav Müller (1823–1875) und Gustav Siegle (1840–1905) sowie der Verleger Adolf Kröner (1836–1911), der 1889 die J. G. Cottasche Buchhandlung erwarb und ein Jahr später die Union Deutsche Verlagsgesellschaft gründete. Auch bei Hofe wurde die Expertise des jüdischen Bankiers geschätzt. 1889 ernannte ihn König Karl zum Geheimen Kommerzienrat. Als 1891 mit Wilhelm II., ein dezidiert kleindeutsch orientierter Monarch den württembergischen Thron bestieg, rückte Steiner noch näher an das Königshaus heran. 1895 wurde ihm das Ehrenkreuz der Württembergischen Krone verliehen, was zugleich seine Erhebung in den persönlichen Adelsstand bedeutete.

Zu jener Zeit begann der am Diabetes leidende Steiner, sich aus dem aktiven Geschäftsleben zurückzuziehen. Nach und nach verlagerte er seinen Lebensmittelpunkt von Stuttgart auf das Schlossgut Großlaupheim, das er 1894 von seinen Geschwistern erworben hatte und zu einem landwirtschaftlichen Musterbetrieb ausbaute, und widmete sich seiner eigentlichen Leidenschaft.

Zeitlebens pflegte Steiner eine tiefe Neigung zur Literatur. So war er Freund und Förderer der schwäbischen Dichter Johann Georg Fischer (1816–1897) und Karl Gerok (1815–1890), aber auch der Schriftsteller Paul Heyse (1830–1914), Wilhelm Raabe (1831–1910), Victor von Scheffel (1826–1886) und Hermann Sudermann (1857–1928). Besonders eng gestaltete sich seine Beziehung zu dem 20 Jahre älteren Berthold Auerbach (1812–1882). Oft und lange beherbergte er den populären Autor der „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ als Sommergast in seinem Waldhaus in (heute: Rottenburg-) Niedernau. Mit seinem württembergischen Landsmann teilte Steiner die gesellschaftliche Stellung eines deutsch-jüdischen Bürgers, für den eine Konversion zum Christentum trotz aller Akkulturation persönlich nicht in Frage kam.

Als Literaturfreund und Sammler von Handschriften nahm sich Steiner Wilhelm Diltheys (1833–1911) in der „Deutschen Rundschau“ 1889 erschienenes Plädoyer für die Gründung von „Archiven für Literatur“ zu Herzen. In der kleinen Sammlung von Reliquien, Bildern und Briefen in Friedrich Schillers Geburtshaus in Marbach am Neckar erkannte er den geeigneten Nukleus, um ganz im Sinne des Berliner Philosophen ein „literarisches Archiv und Museum für die Dichter und Schriftsteller Schwabens“ (zit. n. Dunkhase, 2016, S. 30) zu schaffen, wie er 1891 in einer Denkschrift formulierte. Mit regelmäßigen Stiftungen und kontinuierlicher Lobbyarbeit gelang es ihm 1895, zu diesem Zweck den Schwäbischen Schillerverein zu gründen und König Wilhelm II. als erstes Mitglied und Protektor zu gewinnen. Die offizielle Einweihung des Marbacher Schillermuseums (seit 1922 Schiller-Nationalmuseum) im November 1903 zu erleben, blieb Steiner versagt. Zwei Monate zuvor erlag er seiner langen Krankheit.

Der Schwäbische Schillerverein wurde 1946 in „Deutsche Schillergesellschaft“ umbenannt, 1955 erfolgte aus dem Schiller-Nationalmuseum heraus die Gründung des Deutschen Literaturarchivs. Nachdem Steiner in Marbach jahrzehntelang in erster Linie als Mäzen gewürdigt wurde, hat die jüngste Forschung bewiesen, dass der stets um Diskretion bemühte Geldgeber auch als der ursächliche Ideengeber und damit als der primäre Gründervater jener Institution zu betrachten ist, die heute als die wichtigste Einrichtung zur Sammlung, Erschließung und musealen Vermittlung der neueren deutschen Literatur seit der Goethezeit zu gelten hat.

Das einzigartige Vermächtnis von Steiner besteht somit darin, dass er im großen Stil Werte schöpfte, aber auch einem Ort den Weg bereitete, an dem künstlerische Schöpfung und ästhetisches Spiel als eigentliche Werte ausgestellt werden.

Quellen:

Gräfl. Leutrumsches A Laupheim, FamilienA Steiner; DLA Marbach, A des Schwäbischen Schillervereins

Werke: Über den Erwerb und die Amortisierung eigener Aktien, 1876; Zur Geschichte der Württembergischen Vereinsbank 1869–1893, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 29, 1905, 95–139.
Nachweis: Bildnachweise: Foto S. 521, Ölgemälde von Franz Lenbach im DLA Marbach; in: Deutelmoser, 2003 (vgl. Literatur).

Literatur:

G. Schmoller, Zum Gedächtnis an Dr. Kilian von Steiner, 1903; G. Schenk, Kilian Steiner, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken, 1969, 312–326; E. Schäll, Kilian Steiner, in: Schwäbische Heimat 44, 1993, 4–11; B. Schönhagen, Kilian von Steiner und Laupheim, 1998; O. K. Deutelmoser, Ein Bankier der Gründerzeit, Kilian Steiner, in: Marbach. Rückblick auf ein Jahrhundert, 1996; ders., K Kilian Steiner und die Württembergische Vereinsbank, 2003; Kilian von Steiner – Firmengründer, Bankier, Mäzen, hgg. vom Freundeskreis des Museums zur Geschichte von Christen und Juden in Laupheim, 2010; J. E. Dunkhase, Marbachs gute Geister. Kilian Steiner, Theodor Heuß und ihr schwäbisches Schillermuseum, in: Die Gabe/The Gift. Schmuckstücke der Marbacher Sammlungen, 2016, 25–39.

Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)