Perraudin, Wilfrid 

Geburtsdatum/-ort: 03.12.1912; Moulins-Engilbert, Burgund
Sterbedatum/-ort: 25.05.2006; Palma de Mallorca
Beruf/Funktion:
  • Maler, Pädagoge und Entomologe
Kurzbiografie:

1914 Umzug der Eltern nach Neuilly-sur-Seine

1927 Raoul Dufy holt ihn in sein Atelier

1931–1933 Militärdienst in Syrien und im Libanon

1933–1935 Zeichner in einem Forschungsinstitut in Versailles

1935–1938 freischaffender Künstler

1939 Zeichner in einer Flugzeugfabrik

1940/41–1944 Zeichenfilmbildner in Berlin, 1944 in Wien

1945–1952 in Paris, ab 1949 Kunsterzieher

1952–1977 Kunstlehrer am Lycée Turenne in Freiburg

1955 Ausstellung im Suermondt-Museum, Aachen

1956 Ausstellung in der Freiburger Stadthalle

ab 1954 Kirchenkunst in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen

1969 Aufnahme in den Rotary Club Freiburg

1987 Retrospektive im Schwarzen Kloster, Freiburg

1991 Umzug nach Marburg

2006 letzte Ausstellung in Palma de Mallorca

Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Auszeichnungen: Ehrungen: Chevalier (1964), Officier (1974), Commandeur (2002) des Ordre des Palmes Académiques; Prix Thorlet der Académie Française (1996); Prix Thorlet, Medaille d’Or des Arts, Sciences et Lettres d’ Académie Française für sein kirchenkünstlerisches Werk in Deutschland (2006).
Verheiratet:

I. 1933 (St. Gratien, Seine-et-Oise) Marguerite Simonne, geb. Boulanger, gesch. 1940;

II. 1945 (Prien am Chiemsee) Hildegard, geb. Wiehl (1912–1991);

III. 1991 (München) Irene Wiehl, geb. Peczerski (1920–2010)


Eltern:

Vater: Célestin (1887–1946), Schuhmacher

Mutter: Marguerite, geb. Dupond (1893–1940)


Geschwister:

ein Bruder


Kinder:

2; René (geb. 1947) und Luc (geb. 1953)

GND-ID: GND/120353504

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 421-424

„Ein Freiburger Franzose“ (BZ vom 7.6.1956) titelte die Badische Zeitung zu Perraudins Ausstellung in der Stadthalle. Noch wurde der Künstler als Angehöriger der Besatzungsmacht wahrgenommen, bei der Vernissage gaben sich General und Botschafter die Ehre. Hermann Gombert, Direktor der Städtischen Sammlungen seit 1953, sprach vom neuen Sehen der klassischen Moderne und erkannte in Perraudins Schaffen Anklänge an Picasso, Henri Matisse und Amadeo Modigliani (Katalog 1987, S. 5). Ähnliche Reaktionen hatte Perraudins erste große Einzelausstellung 1955 im Suermondt-Museum in Aachen ausgelöst. Schwierig zu greifen ist seine Rolle in der Freiburger Kunstszene. Im Kunstverein engagierte er sich nicht. Seine Kontakte liefen direkt zur Stadt, die in Gomberts Amtszeit (1953–1974) 13 Werke, 6 Graphiken und 7 Ölgemälde, kaufte. Perraudin war in Freiburg nicht der Botschafter der Moderne, diese war hier schon deutlich früher angekommen und mit eigenen Größen wie Bissier (1893-1965) besetzt.

Nachhaltige Spuren hat Perraudin durch seine sakrale Kunst hinterlassen. Die leuchtend bunte monumentale Beton-Glaswand in der Pfarrkirche St. Peter in Lörrach von 1964/65, das meistgenannte Werk dieser Schaffensperiode, ist ein typisches Zeugnis des Willens zum Neubeginn nach dem II. Weltkrieg. Künstler, die „modern arbeiteten“, waren damals gesucht. Perraudin erhielt vom Erzbischöflichen Bauamt Freiburg in den 1960er und 1970er Jahren zahlreiche Aufträge. Die Fenster der neuen Hugstetter Kirche St. Gallus, eine Lichtwand in der neu gestalteten Wallfahrtskirche in Hinterzarten, Mosaike im Kloster Hegne am Bodensee und im Mutterhaus der Dominikanerinnen in Bühl gehören dazu. Auch in Nordrhein-Westfalen hat er ähnliche Aufträge ausgeführt, darunter eine Lichtwand in der 1966 erbauten Kirche in Littfeld im Siegerland, die 2017 abgebrochen wurde. Umgesetzt wurden die Entwürfe jeweils von Kunsthandwerkern, oft von den Freiburger Glasmalerei-Werkstätten Frey-Isele in St. Georgen und Robert Sperlich im Stadtteil Stühlinger; letzterer begleitete Perraudin auch in Littfeld.

Seit den 1970er Jahren wandte sich Perraudin verstärkt der Malerei zu. Er teilte sich mit seinem Künstlerfreund Rainer Dorwarth (1924–2015) ein Atelier in der Wölflinstraße, wo er auch Malkurse abhielt. „Da gab es auch Aktmodelle und Rotwein“, erinnert sich als Teilnehmer Sebastian Bock, Referatsleiter Kunst und Denkmalpflege im Erzbischöflichen Ordinariat Freiburg. In rascher Folge entstanden Gemälde in Öl, Gouache oder Tempera, Stillleben, Portraits und vor allem Landschaften der Provence oder Bretagne, dann inspirierte ihn die neue Heimat, Kaiserstuhl und Rheinaue. Daneben entstanden Zeichnungen. In seinem handgeschriebenen Lebenslauf von 1994 spricht er von „Neigung zur Abstraktion“ (siehe Quellen) und dennoch Nähe zu den Dingen und zur Natur. Er lässt sich einordnen zwischen expressivem Realismus, Fauvismus und der Klassischen Moderne. Karl Hofer (1878–1955), André Derain (1880–1954) und Jean Souverbie (1891–1981) nennt er als Vorbilder dieser Schaffensperiode.

«II faut produire beaucoup avant de songer à exposer» (Archives Nationales F/21/7019) hatte er 1946 geschrieben. Nun war sein Werk so weit angewachsen, dass er sich zum 70. Geburtstag eine große Ausstellung wünschte, ausgerichtet von der Stadt Freiburg, worauf ihm sein Freund Gombert Hoffnung gemacht hatte. Dieser war damals jedoch schon in Pension, und Nachfolger Hans Helmut Höfstätter (1928–2016) war etwas zurückhaltender. 1987 fand die große Retrospektive im Schwarzen Kloster statt, worauf der Katalog zurückgeht, dessen Beiträge auch in die Veröffentlichung von 1998 übernommen wurden.

Dass Perraudins Jugendwerk zahlenmäßig weit hinter dem Spätwerk zurückbleibt, hängt mit Krisen- und Kriegszeiten in seinem Lebenslauf zusammen. Seine zeichnerische Begabung und geistige Beweglichkeit hatten sich früh gezeigt. Seine Schulzeit aber lässt Verwerfungen durch eine Polio-Erkrankung und einen nicht näher bekannten Unfall erkennen. In den staatlichen Elite-Hochschulen Beaux-Arts und Arts-Décoratifs, die er in den Katalogen als Ausbildungsstätten nennt, war er nicht immatrikuliert. Jedenfalls kannte er den Maler Raoul Dufy (1877–1953), der den 15-jährigen in sein Atelier holte, wo Muster für eine Seidenstofffabrik in Lyon entworfen wurden. 21-jährig meldete er sich freiwillig zum Militär und verbrachte drei unbeschwerte Jahre im damaligen französischen Mandatsgebiet Syrien und Libanon, wo er gestalterisch wirken durfte. Zurück in Frankreich ging er eine Ehe ein, die 1940 geschieden wurde. Dass er eine Stelle als Zeichner und Präparator in einem Institut für Phytopathologie annahm, hängt zum Teil mit seinen autodidaktisch erworbenen insektenkundlichen Fachkenntnissen zusammen. Auf diesem Gebiet hat er publiziert und Kontakt gehalten zum Entomologen Walter Linsenmaier (1917–2000) in Luzern.

1935 gab Perraudin das Arbeitsverhältnis auf und wandte sich ganz der Kunst zu. Bei Kriegsausbruch 1939 war er technischer Zeichner in einer Flugzeugfabrik. Als diese 1940 unter deutsche Kontrolle geriet, habe er den Arbeitsplatz verlassen. «Recherché par la Gestapo je suis dirigé sur Berlin, mes aptitudes artistiques m’ont conduit sur la firme cinématographique Tobis». (Lebenslauf, siehe Q) So also kam er nach Berlin und geriet dank seiner künstlerischen Fähigkeiten zu Tobis- Film. Er vermerkt seine Ankunft in Berlin, die Freundschaft mit dem Filmarchitekten Gabriel Pellon, nicht Robert, wie er im Lebenslauf schreibt, und den Beginn der Beziehung mit seiner zweiten Frau für das Jahr 1940, im Katalog steht 1942. Gut möglich, dass er zunächst bei Tobis Kulissenmaler war.

Karriere machte Perraudin als Zeichenfilmbildner bei der 1941 als Ufa-Tochter gegründeten Deutsche Zeichenfilm GmbH, nachdem dieser neuen Kunstform kultureller Rang zugebilligt und sie für wehrwichtig erklärt worden war. 16 Prozent der Mitarbeiter waren Ausländer. Ab Mai 1944 bezog Perraudin ein Monatsgehalt von 600 RM. Damals gehörte auch seine spätere Frau zur Zeichenfilm. Mit der gesamten Belegschaft der Zeichenfilm zog das Paar Mitte 1944 nach Wien. Kurzfristig wurde Perraudin noch einmal technischer Zeichner in einem Flugzeugprojekt. In den Wirren zwischen Krieg und Kapitulation schlug sich das Paar nach Paris durch. Dort wartete nach Perraudins Worten aber nur „misère“. Immerhin gelang es ihm, neben wahllosen Gelegenheitsarbeiten als Künstler wahrgenommen zu werden. Im März 1946 erhielt er aus dem Programm „Encouragements et Secours“ der Direction Générale des Beaux-Arts eine Zuwendung von 3000 Francs, um sich als Schüler von Souverbie weiterzubilden und seine Persönlichkeit zu vertiefen. Im Bewerbungsschreiben nennt er sich „ancien déporté“ (Archives nationales F/21/7019). Souverbie half auch praktisch, indem er Perraudin eine Zeichenlehrstelle an einer öffentlichen Schule bei Paris vermittelte, woraus sich die dann die Chance ergab, Zeichenlehrer am Lycée Turenne in Freiburg zu werden.

Das war eine glückliche Wendung, auch für seine deutsche Frau. Sie „war ihm eine ganz wesentliche Stütze und immer dabei“ (Sebastian Bock, siehe Quellen), das trifft nicht nur auf die Malkurse in der Wölflinstraße zu, sondern auf das gesamte Schaffen während der Freiburger Ära, im Grunde auch auf die 16 Jahre, um die er sie überlebte. Wenn er seine Werke mit Perraudin-Wiehl signierte, sei es ihr zu Ehren geschehen, weiß sein Freund Paul Gihr. Verheiratet war er in seinen letzten Lebensjahren mit seiner Schwägerin. Damals lebte er in Marburg und gerne im Ferienhaus auf Mallorca. Er starb in seinem 94. Lebensjahr.

Quellen:

Archives Nationales, Pierrefitte-sur-Seine, 19840183/381 (F/17 bis 36117), l’ Education nationale retraités en 1977, F/21/7019, encouragements aux artistes; BA Berlin, R 9361 V/122452, Bestand Reichskulturkammer zu Perraudin, R 9361 V/113779, 123587 zu Hildegard Wiehl; StadtA Freiburg, C5/1982, Heft 3, Ausstellung 1956, D, Sm, 213, Ausstellung 1987; Museum für Neue Kunst, Freiburg, Liste mit 15 Werken Perraudins; EAF, B 22–1945/6721 und B 4–1945/3783, Kirchenneubau Hugstetten, B 22–1945/6204 und B 4–1945/906, Kirchenerweiterung Hinterzarten, B 22–1945/8787 und B 4–1945/1316, Kirchenneubau Lörrach; handschriftlicher Lebenslauf, französisch und deutsch, 1994, im Besitz von Paul Gihr, Blumberg; Mitteilungen von Sohn Luc, Hannover, Werner Klipfel, Bernd Mathias Kremer, Domkapitular Otto Bechtold, Sebastian Bock, Viola Jürgens, geb. Baumhauer, alle Freiburg, Andreas Wiehl, München, Jacqueline et Serge Bernard, Champcourt Moulins-Engilbert aus dem Jahr 2018 an die Verfasserin.

Werke: Verzeichnisse der Zeichnungen, Gemälde, Glasarbeiten und Mosaike in Essai de monographie des Chrysidides de Corse. (Hyménoptères) in: Publications de la Société des Sciences historiques et naturelles de la Corse, 1978 Nr. 626, 53–67.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (ca. 1987), Frontblatt im Katalog von 1987.

Literatur:

BZ vom 7.6.56, Bericht über die Ausstellung in der Freiburger Stadthalle; Aus unserem Schaffen, Gemeinschaft christlicher Künstler, Erzdiözese Freiburg, 6, 1966 bis 10, 1979, 14, 1997 und 15, 2000; René Perraudin, Für dich. Portrait des Freiburger Malers Wilfrid Perraudin, Film, SWF Baden-Baden, 1984; Hans Hofstätter (Hg.), Wilfrid Perraudin – Ölbilder, Zeichnungen, Glasfenster. Katalog zur Ausstellung Freiburg, Schwarzes Kloster, Juli/August 1987; Günter Agde, Flimmernde Versprechen. Geschichte des dt. Werbefilms im Kino seit 1897, 1998, 129 ff.; Carsten Laqua, Wie Micky unter die Nazis fiel. Walt Disney und Deutschland, 1999, 109–118; Mitteilungen des Badischen Landesverbands. Naturkunde und Naturschutz, NF 16, 1997, 683; Wilfrid Perraudin – Ölbilder, Zeichnungen, Ausstellung im Schloss Bonndorf, Museum des Landkreises Waldshut, und im Augustinermuseum Freiburg, 1998; Ulrich Stoll, Hitlers Traum von Mickey Mouse – Zeichentrick unterm Hakenkreuz, Film WDR/Arte 1999; Hans Hofstätter, Paradies in Bildern – Länder am Oberrhein und Hochrhein/Paradis en tableaux – Pays au Rhin supérieur, 2001, 43 f.; Jacqueline et Serge Bernard et autres, Wilfrid Perraudin – artiste-peintre, Katalog zur Ausstellung im Palais Ducal in Nevers, Mai bis Juni 2002; Harro Segeberg (Hg.), Mediale Mobilmachung. Das Dritte Reich und der Film I, 2004, 64; Journal du Centre/Nevers vom 11.9.2012, 32 (Gedenktafel am Geburtshaus); Bernhard Maisch u.a., (Rotary Club Marburg), Wilfrid Perraudin 100 Jahre 1912 – 2012, 2012, 20 S. mit Farbbildern; Viktor Vanberg und Eberhard Breckel (Hgg.), 80 Jahre Rotary Club Freiburg. 2015, 120; Friedhelm Rüsche, Zerbrechlich und stark. Glasarbeiten von Perraudin, in: Siegener Zeitung von 14.5.2016.

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