Glückstein, Hanns 

Geburtsdatum/-ort: 10.05.1888; Völklingen/Saar
Sterbedatum/-ort: 19.05.1931; Ludwigshafen am Rhein
Beruf/Funktion:
  • Mundartdichter
Kurzbiografie: 1897-1903 Großherzogliches Realgymnasium Mannheim
1903-1905 Kaufmännische Lehre bei Rheinschiffahrt AG Mannheim
1904 wegen Tod des Vaters Umzug nach Frankenthal, 1905 Rückkehr nach Mannheim
1906-1931 Angestellter bei Süddeutsche Disconto Gesellschaft AG Mannheim (1929 fusioniert mit Deutscher Bank), 1919 Prokurist
1923 Abteilungsdirektor
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1918 (Mannheim) Helene, geb. Balduf (1887-1979)
Eltern: Vater: Ambrosius Glückstein (1856-1904), Holzkaufmann
Mutter: Elisabeth, geb. Ottnat (1866-1921)
Kinder: Tochter Gertrud (1919-1987)
GND-ID: GND/122375238

Biografie: Siegfried Laux (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 93-95

Glückstein war beides, Lokalpoet Mannheims und Sänger der Pfalz, wobei er unter Pfalz immer die ganze Kurpfalz verstand. Seine fruchtbarste Schaffensperiode lag in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts, in denen Mannheim Mittelpunkt seines Lebens und er als Abteilungsdirektor einer angesehenen Mannheimer Bank tätig war. Aufgrund des Lebensschicksals seiner Eltern verbrachte er seine frühe Kindheit in Kleinstädten am Westrand der Pfalz. Im fast noch biedermeierlich geprägten Homburg wohnte die zahlreiche Verwandtschaft seiner Mutter in kleinbürgerlichen Verhältnissen; sie kümmerte sich liebevoll um ihn. Hier im Grenzland, wo das nationale Denken der Wilhelminischen Ära hoch im Kurs stand, wurde sein kindliches Gemüt entscheidend geformt. 30 Jahre später tauchte diese Welt in den Gedichten seiner „Pälzer Kleenschdadt-Schdickelcher“ wieder auf.
Der Umzug seiner Eltern 1895 nach Mannheim versetzte ihn unvermittelt in die Großstadt. „Do hock ich jetzt, ich kann mich selwer daure, beguck die Wand, die hohe Großschdadtmaure“. Die Spannungen, die sich für ihn aus der Begegnung mit den verschiedenen Lebensbereichen in Groß- und Kleinstadt ergaben, wurden jedoch fruchtbar für seine Dichtungen. Sein poetisches Talent hatte er von der Mutter geerbt. Bereits im Alter von 12 Jahren regten ihn die Verse des Altmeisters der Pfälzer Mundartdichtung Karl Gottfried Nadler aus Heidelberg zu eigenständigen Mundartreimereien an. Mit seinen „Mannemer Schbrich unn Kinnerbosse“ gelang ihm einige Jahre danach der Durchbruch zum anerkannten Mundartdichter der Stadt.
Schrieb er noch während des Weltkrieges teilweise in nationalem Überschwang Beiträge für Kriegszeitschriften, so rückten danach Heimatdichtungen in den Mittelpunkt seines Schaffens. Die durch den verlorenen Krieg entstandenen Probleme, wie sie insbesondere durch die befristete Abtrennung der Pfalz vom Reich entstanden, waren häufig Gegenstand seiner Gedichte und satirischen Betrachtungen.
Im „Poetenwinkel“ seiner Wohnung in Mannheim, K3, 15, mitten in der Altstadt, reiften in fast jährlicher Folge die Inhalte seiner Mundartbändchen mit so aussagekräftigen Titeln wie „Ernscht unn Schbaß aus unsrer Gaß“ oder „Frohi Walz durch die Palz“. Im beruflichen Alltag Bankbeamter, wurde ihm das „Versebabbe“, wie er sein Dichten bescheiden nannte, zur befreienden Notwendigkeit. Seine Themen fand er in den eigenen vier Wänden bei Frau und Kind oder draußen vor der Tür bei seinem Fußweg zur Bank. In flüssigen, dynamischen Versen hielt er darin die Atmosphäre seiner Stadt mit ihren lokalen Ereignissen sowie die mit schlagfertigem Mutterwitz begabten „Mannemer Bloomäuler“ fest. Dabei kamen typisch pfälzische Übertreibungen, Ironie und Spott nicht zu kurz/Seine Kindergedichte offenbaren sein tiefes Gemüt. „E winzig Schtückel Poesie“ wollte er in die grauen Mauern der Großstadt bringen.
Glücksteins Lebensgefühl findet jedoch an den sonnigen Hängen der Haardt seine eigentliche Entsprechung. Heiterkeit, Lebens- und Genußfreude waren für ihn in diesem weinfrohen Land daheim. Viele seiner von Emil Landhäusser u. a. vertonten Gedichte preisen im Lied solcherlei Erfahrungen. Aus volkskundlichem Interesse hielt er Brauchtum, Volksfeste und alte Berufe in seinen Versen fest. Im Grunde war Glückstein eine konservative Natur. Hieraus resultierte auch sein Mißtrauen gegen allzuforschen Fortschrittsglauben. Drohende Gefahren ahnend, mahnte Glückstein „So kann die G'schicht net weitergehe, s'gebt Korzschluß, alles geht verlore“.
Nebenbei war er Mitglied des „Literarischen Vereins der Pfalz“, schrieb Beiträge für die pfälzische Zeitschrift „Heimaterde“, ebenso für die „Badische Heimat“ in fruchtbarer Zusammenarbeit mit Hermann Eris Busse, der 1927 den Rang seiner Mundartdichtungen würdigte. Manches verfaßte Glückstein auch in Hochdeutsch. Seine Domäne ist jedoch die Mundart, die es ihm mit ihrem Wortreichtum, ihrer bildhaften Sprache erlaubte, seine gegensätzlichen Lebenserfahrungen teils in überschäumendem Humor, teils in verhaltenen und feinen Tönen zu beschreiben, was er auch in seinen Idyllen bewies. In seinen Gedichten, einer Fundgrube für den Mundartforscher, lebt nicht nur die lebendige Volkssprache, auch längst aus der Übung gekommene Ausdrücke und Redensarten sind in sie eingewoben.
Glücksteins zahlreiche in Mundart geschriebenen Schwanke und Possen waren über Mannheim hinaus beliebt. Er verfaßte auch in Zusammenarbeit mit anderen Autoren mehrere Singspiele, sozusagen Operetten mit anspruchslosen, volkstümlichen Inhalten in Hochdeutsch, teils mit mundartlichen Einlagen. Großen Erfolg hatte seine „Lindenwirtin, du junge“, zunächst in zwei Akten verfaßt, später mit Hans Bernhardt auf drei Akte erweitert, mit der Musik von Karl Fischer-Bernauer. Bis kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde das Stück im Nibelungensaal des Mannheimer Rosengartens und auf Volks- und Vereinsbühnen bis hin nach Zürich und Winterthur mit großem Erfolg aufgeführt.
Glückstein war nicht jüdischer Herkunft, obwohl sein Name darauf hindeuten könnte, hatte jedoch vielerlei Beziehungen zu Mannheimer Bürgern jüdischen Glaubens, so zu Karl Mayer-Reinach, in dessen Firma einst sein Vater Arbeit und Wohnung gefunden hatte; mit Sepp Hamburger, den Herren Hecht und Hirsch vom jüdischen Gesangverein „Liederkranz“ war er freundschaftlich verbunden und im Verlag Bensheimer erschienen je drei seiner Bücher und Schallplatten.
In der NS-Zeit, die Glückstein nicht mehr erlebte – eine schwere Herzerkrankung hatte ihn 1931 jäh aus dem Leben gerissen –, wollte man von seiten der Parteileitung die Verbreitung seiner Werke verhindern, was jedoch dank Glücksteins fortdauernder Popularität und dem engagierten Eintreten seiner Witwe nur zum Teil gelang.
Nach dem 2. Weltkrieg erinnerten Presse und Rundfunk erneut an ihn. Rezitationsveranstaltungen und einige Neuveröffentlichungen halten die Erinnerung an ihn wach. 1990 wurde in Mannheim-Lindenhof ein Platz nach ihm benannt.
Quellen: Nachlaß 1992 von S. Laux an das StadtA Mannheim übergeben.
Werke: Erlebnisse vun de Familie Pitzelberger, 1906; Mannemer Schbrich unn Kinnerbosse, 1910 (3. Aufl. 1925); Sunneschdrahle, 1912; Die Pälzer Buwe unn de Krieg, 1917; Die Pälzer Mädle unn de Krieg, 1917; Sturm und Sonne, 1918; Kriegsschnooke aus de sunnig Pälz, 1918; Im Wein liegt Wahrheit, Singspiel, zusammen mit Ernst Frohberg-Jansen, Musik von de Werth, Pseud. für Wertheimer, 1919; De Geige-Franzel, 1919; De Heiratskandidat, Posse, Schreibmaschinentext, 1919; Pälzer Kleenschdadt-Schdickelcher, 1920 (2. Aufl. 1925); Einseht unn Schbaß aus unsrer Gaß, 1922; s'Bettelprinzeß'che, 1922; Pälzer Jungbrunne, Luschtiges aus'm Pälzer Kinnerlewe, 1924; Pälzer Krischer, 1924; Lindenwirtin, du junge ..., Ein Volksstück aus der Pfalz in 2 Akten, Musik von Karl Fischer-Bernauer, 1923 (in Schreibmaschinentext); Lindenwirtin, du junge ..., Ein Herbstspiel aus der Pfalz in 3 Akten, von H. Glückstein und Hans Bernhardt, Musik von Karl Fischer-Bernauer, 1924; Pälzer Schnooke Schnitz unn Schnörkel, 1925; O, Heidelberg du Jungendbronnen, Singspiel von H. Glückstein und Hans Bernhardt, Musik von Richard Gompf, 1926; Im Krug zum grünen Kranze, Ein fröhlich-ernstes Spiel mit Gesang in 3 Akten von Hans Bernhardt und H. Glückstein, Musik von Richard Gompf, 1927; Die Weinprob, Schwank in einem Akt, 1927; De Herreausflug mit Dame, Posse, 1927; Pälzer Gebabbel, 1927; Gezwitscher unn Geknotter, 1928; Funkschprüch aus de Palz, 1929; Frohi Walz durch die Palz, 1930 (2. Aufl. 1951); Pälzer Reimerei, ausgewählt von Eugen Herwig in Zusamenarbeit mit der Stadt Mannheim, Geleitwort von Oberbürgermeister Dr. Hans Reschke, 1964 (2. Aufl. 1975); E Dutt voll Glück unn Sunneschein, Gedichtauswahl, hg. von Siegfried Laux, 1986; Mannemer Buwe, Faksimileabdruck aus Kurpfälzer Jahrbuch 1930, mit Nachwort von Siegfried Laux, Mannheim, 1988.
Nachweis: Bildnachweise: K. Kappelhöfer, Kinderbildnis Glücksteins, Kreidezeichnung 1891; Otto Stieffel, Portrait Glücksteins, Kreidezeichnung, 1924, beides bei Laux, ebenso in: BH 4, 1991, 750, 759; Glückstein am Arbeitsplatz, Titelbild in: E Dutt voll Glück unn Sunneschein, hg. von Siegfried Laux, 1986; Fotos bei Laux u. im StadtA. Mannheim.

Literatur: Konrad Ott, Der Pfälzer H. Glückstein u. seine mundartliche Dichtung, in: Beil. d. Heidelberger Tageblattes, 8. 6. 1918; Hermann Eris Busse, Der Mundartdichter H. Glückstein, in: „Mannheim“, Jahresheft 1927 des Vereins BH, 1927, 257-265; Anonym, Wenn mol mein Liederquell versiegt, in: Neue Mannheimer Ztg., 20. 5. 1931; Heinz Broeker, Nachruf auf einen Mundartdichter, Pfälzische Rundschau, 21. 5. 1931; Hermann Eris Busse, Nachruf für H. Glückstein, in: Bad. Presse Karlsruhe, 21. 5. 1931; ders.: Gedenkrede z. Gedächtnisfeier der BH in Mannheim, 7. 5. 1932, Manuskript, Stadtarchiv Mannheim; Wilhelm E. Oeftering, Gesch. d. Lit. in Baden, 3. Teil 1939, 167/168; Wilhelm Kosch, Dt. Theater-Lexikon, 1953, Bd. 1, 565; Karl Kollnig, H. Glückstein zum 25. Todestage, Ruperto Carola, Heidelberg, 1956, 172-173; Lorenz Wingerter, Pälzer Mudderschbrooch, 1955, 161-167; Valentin Schmidt, Pfalzer Hochgewächs: H. Glückstein, in: Mannheimer Morgen, 10.5.1958; Rudolf Lehr, Pälzer Luscht un Mannemer Sprich, in: Rhein-Neckar-Ztg., 16.8.1958; Oskar Bischoff, H. Glückstein, Der lachende Poet, in: Kurpfalz, 30.6.1958, 14; Helmut Klausing, Spezialpoet der Mannemer Krischer-Muse, in: Mannheimer Morgen, 19.5.1961; Valentin Schmidt, Er war ein echter Mannemer Bu, in: AZ Mannheim, 10.5.1963; Konrad Winkler, Am Haardtrand e kleens Haisel, in: Rhein-Neckar-Zeitung, 24.3.1981; Jila Senk, Idyllen mit Humor geschildert, in: Mannheimer Morgen, 19.5.1981; Bruno Hain, Erstausgabe Pfalzer Mundartdichtung, 1985, 15-17; Hans Weckesser, Von heil'ger Muse auf die Stirn geküßt, in: Mannheimer Morgen, 11.5.1988; ders., Mannheimer Mundartdichter, stets auf Suche nach Heimat, in: Mannheimer Morgen, 18.12.1989; Leopold Zollner, Meister der Mannemer Spruch, in: Aufbruch, Ev. Kirchenzeitung f. Baden, 1988, 10; Konstantin Groß, Glückstein im Stadtarchiv, in: Rhein-Neckar-Ztg., 23.12.1989; Rudolf Post, Pfälzisch, Pfälzische Verlagsanstalt, 1990, 259-260; Siegfried Laux, H. Glückstein, Lebensbild e. Pfälzer Mundartdichters, in: BH, 4, 1991, 749-759; ders., Glücksteins Poetenwinkel auf dem Hollmuth, in: Neckargemünder Jb. 1994, 70-83.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)