Riesterer, Albert Wilhelm 

Geburtsdatum/-ort: 21.03.1898;  Staufen im Breisgau
Sterbedatum/-ort: 20.02.1996;  Überlingen, beigesetzt am 23.2. in Konstanz-Dingelsdorf
Beruf/Funktion:
  • Geistlicher, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie:

Vor 1913 Volksschule in Staufen; 1913 Eintritt in die Quarta des Berthold-Gymnasiums Freiburg

1917–1919 Kriegsdienst bei der Luftwaffe; Ausbildung als Scheinwerfergehilfe in Hannover, Einsatz zur Flugabwehr in Freiburg; Frontkämpfer-Ehrenkreuz

1920 Abitur am Berthold-Gymnasium in Freiburg

1920–1925 Studium der katholischen Theologie in Freiburg

1925 V 4 Priesterweihe

1925–1934 Vikar in Eberbach am Neckar, Freiburg-St. Georgen und Stockach

1934 Pfarrverweser in Mühlhausen (heute Mühlhausen-Ehingen, Lkr. Konstanz)

1936–1967 Pfarrer in Mühlhausen

1941–1945 Konzentrationslager Dachau

1959 Ehrenbürger der Gemeinde Mühlhausen

1967–1984 Ruhestand in Dingelsdorf bei Konstanz

1978 V 9 Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland

1981 Bestellung zum Subsidiar der Pfarrei Dingelsdorf

1982 Ernennung zum Geistlichen Rat ad honorem

1984 Übersiedlung ins Altenheim St. Franziskus in Überlingen

Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet:

unverheiratet


Eltern:

Vater: Josef (gest. 1909)

Mutter: Elisabeth, geb. Fünfgeld (gest. 1952)


Geschwister:

6; Anna (1887–1954), Maria (1889–1980), Elisabeth (1892–1945), Rosa (geb. 1896), Karl (1891–1964) und Josef (1890–1969)


Kinder:

keine

GND-ID: GND/122513592

Biografie: Sibylle Probst-Lunitz (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 442-445

Riesterer wurde als siebtes Kind seiner Eltern in Staufen im Breisgau geboren. Der Vater, ein Landwirt, starb, als sein jüngster Sohn elf Jahre alt war. Der Staufener Pfarrer, der für den Lateinunterricht noch einen zweiten Schüler brauchte, überredete den kleinen Albert zur Teilnahme und weckte allmählich in ihm das Interesse für das Priesteramt. Riesterer besuchte das Berthold-Gymnasium in Freiburg und wohnte im Erzbischöflichen Knabenkonvikt. Als 19-jähriger Gymnasiast erhielt er 1917 den Gestellungsbefehl zur Luftwaffe nach Darmstadt. Im Anschluss an eine Ausbildung an der Scheinwerferschule in Hannover wurde er als Flaksoldat zur Abwehr der Fliegerangriffe auf dem Freiburger Schlossberg eingesetzt. Mit dem Frontkämpfer-Ehrenkreuz ausgezeichnet wurde er Ende Januar 1919 aus dem Kriegsdienst entlassen. Nach dem Abitur 1920 nahm Riesterer das Studium der Theologie an der Universität Freiburg auf. Ostern 1925 wurde er zum Priester geweiht.

Seine erste Stelle als Vikar führte ihn nach Eberbach am Neckar, wo er bis zum April 1929 tätig war. Damals wurde ihm in den Dienstzeugnissen bereits sein Talent für literarische Betätigung – der junge Vikar hatte mehrere Theaterstücke verfasst, die großen Anklang fanden – und seine Vorliebe für Kunst- und Kirchengeschichte attestiert. Auch die erfolgreiche Jugendarbeit und seine guten Predigten fanden lobende Erwähnung. In gleicher Richtung wirkte er von 1929 bis 1932 in St. Georgen bei Freiburg, widmete er sich aber vor allem der Jugendarbeit. Sein Sinn für Humor ließ ihn so manchen Witz erzählen. 1932 wurde ihm aber ein Witz über einen preußischen Junker zum Verhängnis. Das erzbischöfliche Ordinariat versetzte ihn zum 6. April 1932 nach Stockach, wo der junge Geistliche auch bald sehr beliebt war. Geschätzt war sein Engagement für die Kinder und Jugendlichen; er gründete an seinem neuen Wirkungsort eine Pfadfindergruppe und leitete u. a. die Kolpingjugend. Seine vielseitigen Interessen und Aktivitäten kamen ihm bei der Jugendarbeit sehr zugute. Er fotografierte gerne, war sportlich, trug Sportkleidung, spielte Fußball und fuhr Ski, bastelte Krippen und unternahm mit den Jugendlichen lange Wanderungen.

Kurz nach der NS-„Machtergreifung“ 1933 kam es zu ersten Spannungen zwischen Vikar Riesterer und den Parteiorganisationen, weil er die Veranstaltungen der kirchlichen Jugendverbände nicht zuvor beim Ortsgruppenleiter angemeldet hatte, wie nun gefordert. Seither stand er unter ständiger Beobachtung, die sich bis auf seinen Religionsunterricht erstreckte.

Am 23. Oktober 1934 bekam Riesterer den Bescheid des Erzbischöflichen Ordinariats, dass er als Pfarrverweser in die Gemeinde Mühlhausen, Dekanat Engen, versetzt sei, wo der bisherige Pfarrer aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand trat. Im November 1934 trat Riesterer dort den Dienst an und wieder war ihm die Arbeit mit der Jugend zentrales Anliegen. Wie schon in Stockach gründete er eine Pfadfindergruppe. In seiner Freizeit brachte er den verwilderten Garten um das Pfarrhaus in Ordnung und pflegte die Anlage um die Kirche. Nach zwei Jahren wurde ihm ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt, der Besuch der Gottesdienste war wieder besser geworden, da es dem Pfarrverweser schnell gelungen war, das Zutrauen seiner Gemeindemitglieder zu gewinnen. Im September 1936 wurde er Pfarrer von St. Peter und Paul. Unbeirrt setzte Riesterer seine Aktivitäten mit den Jugendlichen fort, als 1937 alle bis auf NS-Jugendgruppen verboten wurden, die Pfadfinder gingen in der Gruppe der Ministranten auf. Singen, basteln, wandern und Zeltlager, all dies unternahm der Pfarrer weiterhin, trotz Verbots kirchlicher Jugendarbeit. Vom badischen Bezirksamt Konstanz wurde der Seelsorger zu 20 RM Geldstrafe verurteilt, weil er am Patroziniumsfest St. Peter und Paul eine Familienfeier der Gemeinde im örtlichen Gasthaus abgehalten hatte ohne Gestapo- Erlaubnis.

1938 kamen ein neuer Lehrer und ein kommissarischer Bürgermeister nach Mühlhausen, beide fanatische Nationalsozialisten, was den Druck auf den Pfarrer verschärfte. Er stand unter ständiger Beobachtung. In seinen Erinnerungen gab er rückblickend zu, sich nie vorsichtig verhalten zu haben, sondern im Gegenteil die Nationalsozialisten geradezu herausgefordert zu haben: „Als Vikar war ich gegen die Nazis oft frech, und dies schon von Anfang an, und auch als Pfarrer von Mühlhausen trieb ich es - rückschauend – zu bunt. […] Das Kratzbuckeln nach oben war nie meine Art – weder der Kirchenleitung, noch weniger dem ‚Braunen Geist‘ gegenüber.“

Am 25. September 1940 wurde Pfarrer Riesterer zum Wehrdienst bei der Luftwaffe auf einem Flugplatz im Westerwald einberufen. Seine Einberufung stand aus unerklärlichen Gründen unter Geheimhaltung. Vor seiner krankheitsbedingten Entlassung im Januar 1941 erhielt er noch die Beförderung zum Unteroffizier. Erstaunlicherweise erwähnte der Pfarrer diesen Militärdienst später in seinen Erinnerungen nicht, obwohl er darin sehr offen schreibt. Wenige Monate später ging das NS-Regime dann mit aller Härte gegen den Mühlhauser Seelsorger vor. Während eines Zeltlagers mit Ministranten bei der Schenkenbergkapelle, einer Wallfahrtskapelle im Wasserburgertal unweit von Engen, wurde er abends vor den Augen der Jugendlichen von der Gestapo verhaftet und zu drei Monaten Schutzhaft im Untersuchungsgefängnis Konstanz verurteilt. Die Haftbegründung lautete: „Er […] wurde verhaftet, weil er in der staatlichen Jugenderziehung eine Bedrohung sieht und mit allen Mitteln und Kräften sie zu sabotieren unternimmt.“ Nach seiner Entlassung im Oktober 1941 wurde Riesterer des Landes verwiesen und musste innerhalb von 72 Stunden Baden verlassen. Er fand Aufnahme in Freudenstadt bei den St. Elisabeth Schwestern. Da forderte ihn die Gestapo auf, sich der Partei-Jugendbetreuung anzuschließen: „Ziehen Sie Ihr Priesterkleid aus, und alles ist gut!“

Dass Riesterer dieser Aufforderung nicht nachkam, war ebenso klar wie die Konsequenzen, die nicht auf sich warten ließen. Am 26. Oktober 1941 wurde er erneut verhaftet und verbrachte einige Tage im Amtsgefängnis Freudenstadt, anschließend kam er ins Polizeigefängnis Stuttgart. Am 9. November wurde er mit der Bahn über Nürnberg ins Konzentrationslager Dachau gebracht, wo er als Häftling Nummer 28 658 dem Priesterblock zugewiesen wurde. Wie die meisten Insassen darin musste Riesterer in der Plantage arbeiten, die aus mehreren Gewächshäusern und Trocknungsanlagen bestand. Hier fanden Versuche statt, neue Getreidesorten, Tee- und Gewürzpflanzen zu züchten. Es gab sogar einen Blumen- und Samenladen, in dem auch die Bewohner von Dachau einkauften. Für die Häftlinge war das eine Möglichkeit, ein wenig Kontakt mit der Außenwelt zu halten; mancher Brief wurde heraus- oder hineingeschmuggelt.

Mehrere Gnadengesuche des Freiburger Ordinariats und der betagten Mutter Riesterers blieben erfolglos. Seine Verhaftung sei im Interesse der Staatssicherheit notwendig gewesen, „er sei durch seine Predigten und in seinem sonstigen Verhalten in äußerst staatsabträglicher Weise in Erscheinung getreten“, so die Gestapo 1944 in einem Brief an seine Mutter. Schwer erkrankt und auf 48 kg abgemagert entkam Riesterer nur knapp dem Tod im KZ. Im April 1945 wurde er entlassen. Seine KZ-Zeit beschrieb er in einem ausführlichen, teils auch erschütternden Bericht unter dem Titel: „Auf der Waage Gottes“.

Nach seiner Rückkehr war in seiner alten Gemeinde Mühlhausen die Pfarrstelle mit einem Pfarrverweser besetzt und Riesterer musste auf Anordnung von Erzbischof Conrad Gröber zunächst einen mehrmonatigen Erholungsurlaub antreten. Als im November 1945 die Pfarrstelle in Mühlhausen wieder frei wurde, konnte Riesterer an seine alte Wirkungsstätte zurückkehren. Mit Eifer und Elan ging er wieder ans Werk, widmete sich wieder der Jugend in den Pfadfinder- und Ministrantengruppen, in der Marienjungschar und der Marienkongregation, bezahlte größtenteils die Fahrten der Jugendlichen in die Alpen, nach Rom, Frankreich, Spanien.

Auch die notwendig gewordenen Baumaßnahmen waren ihm Anliegen. Er sorgte dafür, dass der Künstler und Schüler von Hans Thoma, Carolus Vocke, der im Kriegsgefangenenlager in Tuttlingen interniert war, die Kirche von Mühlhausen und die Kapelle der Filialgemeinde Schlatt mit Wandmalereien ausstatten konnte und stiftete mehrere Kreuze und Glocken. Riesterer war Mitglied in allen Vereinen seiner Gemeinde, widmete sich intensiv der Heimatforschung und hielt zahlreiche Vorträge.

Nach 22 Jahren erfolgreichen Wirkens in seiner Pfarrgemeinde wurde am 15. September 1967 seinem Antrag auf Verzicht auf die Pfarrstelle aus gesundheitlichen Gründen sattgegeben. Riesterer trat in den Ruhestand, den er zunächst in Konstanz-Dingelsdorf verbrachte. Hier war er weiterhin überaus aktiv, half regelmäßig in der Seelsorge, wieder besonders in der Jugendseelsorge. Er erweckte den Kolpingverein zu neuem Leben, gründete eine 70-köpfige Pfadfindergruppe, deren finanzielle Ausstattung er ebenso übernahm wie die Ausflüge und Lager der Gruppen. Pfarrer Riesterer erwarb sich große Verdienste um die Renovierung der Kirche des Ortes. In der Kirchenvisitation 1971 wurde ihm bescheinigt, dass er die Pfarrei wie ein aktiver Pfarrer bestens verwalte:„ein Segen für die Gemeinde“ vermerkte der Visitationsbericht. Deshalb wurde er 1981 noch zum Subsidiar der Gemeinde Dingelsdorf bestellt und 1982 ernannte ihn Erzbischof Oskar Saier zum Geistlichen Rat ad honorem.

Erst als seine gesundheitliche Verfassung altersbedingt schlechter wurde, zog er 1984 in das Altenheim St. Franziskus in Überlingen am Bodensee. In den ersten Jahren feierte er noch täglich die Messe für die Schwestern und Insassen des Altersheimes. Kurz vor seinem 98. Geburtstag starb Riesterer und fand seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof von Dingelsdorf.

Für seine Verdienste wurde Riesterer vielfach geehrt. Er konnte nicht nur das Goldene Priesterjubiläum, sondern auch das 65. und 70. Jubiläum feiern. 1979 wurde das neue Pfarrzentrum von Mühlhausen nach ihm benannt und nach seinem Tod ehrte ihn die Gemeinde, indem sie eine Straße in einem Neugebiet nach ihrem Ehrenbürger benannte. Seit 2001 verleiht die Gemeinde Mühlhausen-Ehingen jedes Jahr an der Anne-Frank-Realschule Engen den „Pfarrer-Albert-Riesterer-Preis“ für gute Leistungen im Fach Geschichte.

Quellen:

EBA Freiburg im Br., PA Albert Riesterer, Erzb. Ordinariat Freiburg, Dekanat Engen, Mühlhausen, Kirchenvisitationen, Vol. 1/7912 1843–1942, B4/7912 und Vol. II, 1893–1945, B4/7916.

Werke: Auf der Waage Gottes, in: FDA Bd. 90, 1970, 198–250 und in: Otto Riedmüller, 1999, 89–150; Es wird ein großes Feuer brauchen. Erzählung aus dem Leben, 1959; Die stärkste Macht. Erzählung, 1950; Damals in Nazareth. Jesus-Geschichten für Kinder, 1989.
Nachweis: Bildnachweise: Buntstiftzeichnung eines Mithäftlings im KZ Dachau (1945), S. 436, Nachlass Albert Riesterer in: EBA Freiburg, EAF Nr. 131, 2.

Literatur:

Clemens Siebler, Riesterer, Albert, Necrologium Friburgense, in: FDA Bd. 122, 2002, 119 f.; Otto Riedmüller, „Und trotzdem: In frohem Slalom durch’s Leben.“ Albert Riesterer Beiträge von und über den Ehrenbürger von Mühlhausen-Ehingen. Volkspfarrer, Dachaupriester, Hüter des Poppelegrabes, Heimatforscher und Freund der Jugend im Hegau und am See, Ehrenbürger von Mühlhausen-Ehingen, 1999; Sibylle Probst-Lunitz, „Ein äußerst staatsabträgliches Verhalten“. Verfolgte Pfarrer aus dem Hegau im Nationalsozialismus, in: Edwin Ernst Weber (Hg.), Opfer des Unrechts, 2009, 119–136.

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