Crispien, Arthur 

Andere Namensformen:
  • Crispien, Artur
Geburtsdatum/-ort: 04.11.1875; Königsberg/Preußen
Sterbedatum/-ort: 29.11.1946; Bern
Beruf/Funktion:
  • Theatermaler, Redakteur und Politiker der SPD und der USPD
Kurzbiografie: 1894 Eintritt in die SPD
1904–1912 Redakteur bei der „Volkszeitung“ in Königsberg und in Danzig
1912–1914 Leitender Redakteur der Schwäbischen Tagwacht in Stuttgart
1918–1919 Innenminister und Stellv. Ministerpräsident des Freien Volksstaats Württemberg
1919–1920 Mitglied der Württ. Verfassunggebenden Landesversammlung (USPD)
1919–1922 Reichsvorsitzender der USPD (mit Hugo Haase, Ernst Däumig, Wilhelm Dittmann und Georg Ledebour)
1920 Teilnahme am Zweiten Weltkongress der Kommunistischen Internationale in Petrograd und Moskau
1920–1933 Mitglied des Deutschen Reichstags (bis 1922 USPD, dann SPD)
1922–1933 Reichsvorsitzender der SPD (mit Hermann Müller und Otto Wels)
1933 Emigration in die Schweiz (1937 ausgebürgert)
1943 Mitbegründer der Union deutscher Sozialisten
in der Schweiz
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., später diss.
Verheiratet: 1897 (Königsberg) Bertha Ranglack (1872–1939)
Eltern: Vater: August Crispien, Maler in Königsberg
Mutter: Franziska, geb. Laczinski
Kinder: Charlotte (geboren 1897);
Else (geboren 1899);
Hedwig (geboren 1899)
GND-ID: GND/124374921

Biografie: Ansbert Baumann (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 29-32

Der Sohn eines Malergesellen wuchs in einer kinderreichen Familie in einfachen Verhältnissen auf. Nach der Volksschule erlernte er zunächst den Beruf seines Vaters und absolvierte dann an der Kunst- und Gewerkschule in Königsberg eine Ausbildung zum Theatermaler. Als solcher war er bis 1902 am Stadttheater Königsberg tätig und trat 1894 in die Malergewerkschaft und in die SPD ein. Von 1902 bis 1904 war er als Sachbearbeiter an der Ortskrankenkasse Königsberg angestellt, ehe er 1904 in die Redaktion der sozialdemokratischen »Königsberger Volkszeitung« eintrat. 1906 zog er nach Danzig, wo er bereits bei den Reichstagswahlen von 1903 erfolglos gegen den konservativen Großagrarier Elard von Oldenburg kandidiert hatte. In Danzig wurde er Parteisekretär des SPD-Bezirks Westpreußen und kandidierte als solcher 1907 wiederum ohne Erfolg für einen Sitz im Reichstag. Sein Hauptaugenmerk galt jedoch der Gründung einer sozialdemokratisch ausgerichteten Zeitung für Danzig, welche ab 1910 unter dem Titel »Volkswacht: Organ für die werktätige Bevölkerung der Provinz Westpreußen«, der späteren »Danziger Volksstimme« in die Tat umgesetzt werden konnte.
Bis zum Juli 1912 leitete Crispien die Redaktion der »Volkswacht«, dann übernahm er, den Wünschen des SPD-Parteivorstandes in Berlin entsprechend, die leitende Redakteursstelle bei der »Schwäbischen Tagwacht« in Stuttgart. Da er dem linken Parteiflügel zugerechnet wurde, hoffte der Reichsvorstand, mit der Stellenbesetzung den Streit innerhalb der württembergischen SPD zwischen den radikalen Kräften, welche für die Mehrheit der Anhänger in Stuttgart und in den Industriestädten sprachen, und dem gemäßigten Landesvorstand unter Wilhelm Keil, der die »Tagwacht« bis 1911 geleitet hatte, besänftigen zu können. Tatsächlich verschärfte sich der Konflikt jedoch weiter, da Crispien dem Parteiorgan bewusst einen neuen politischen Kurs verpasste, so dass die »Tagwacht« nun betont klassenkämpferische Positionen vertrat. Dementsprechend stellte sich das Blatt im August 1914 offen gegen die Burgfriedenspolitik der SPD-Führung.
Unter Berufung auf frühere Beschlüsse der Partei weigerte sich Crispien beharrlich, die vom SPD-Landesvorstand vorgegebenen Richtlinien zur Kriegsberichterstattung umzusetzen; stattdessen publizierte er extrem kritische Artikel zur deutschen Kriegspolitik und forderte damit den württembergischen Parteivorsitzenden Keil offen heraus. Der Streit eskalierte am 4. November 1914, als jener wieder die Chefredaktion der »Tagwacht« übernahm und Crispien sich, zusammen mit seinen politisch gleichgesinnten Kollegen, gezwungen sah, die Redaktion zu verlassen. Das Zentralorgan der württembergischen SPD war damit zwar auf den Kurs der SPD-Reichstagsfraktion eingeschwenkt, der innerparteiliche Richtungsstreit jedoch keineswegs beendet. Aus diesem Grund gründete Crispien zusammen mit Friedrich Westmeyer ein »Mitteilungsblatt für die Mitglieder des sozialdemokratischen Vereins Stuttgart«, welches im März 1915 unter dem Titel »Der Sozialdemokrat« zu einer eigenen Zeitung wurde, die unter den Stuttgarter Parteimitgliedern bald stärker verbreitet war als die »Tagwacht«. Crispien trug somit wesentlich zur Parteispaltung bei, welche in Württemberg mit der Gründung der »Sozialistischen Vereinigung« bereits im Sommer 1915 vollzogen wurde. Ein Jahr später wurde er als Teilnehmer einer Demonstration gegen die Inhaftierung Karl Liebknechts am 26. Juni 1916 verhaftet und zu einer dreimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, nach deren Verbüßung er zum Militärdienst eingezogen wurde.
Dass die radikalen Positionen, in welche er aufgrund seiner Rolle und Instrumentalisierung im innerparteilichen Richtungsstreit der württembergischen SPD zumindest teilweise auch hineingedrängt worden war, nicht vollständig seinen eigenen Überzeugungen entsprachen, zeigte sich, als er im Kontext der revolutionären Ereignisse vom 9. November 1918 als führender Vertreter der USPD eng mit Wilhelm Keil zusammenarbeitete und in der neu gebildeten provisorischen württembergischen Regierung unter Wilhelm Blos das Amt des Innenministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten übernahm. In dieser Funktion stimmte er am nächsten Tag sogar der Erweiterung des Kabinetts um Mitglieder aus bürgerlichen Parteien zu. Als die USPD im Kontext des Spartakusaufstands ihre Mitarbeit im Kabinett beendete, legte er sein Amt am 10. Januar 1919 nieder. Er blieb zunächst jedoch weiter in einer landespolitischen Funktion, da er zwei Tage später über die Landesliste der USPD in die württembergische Verfassunggebende Landesversammlung gewählt wurde, welche am 23. Januar 1919 erstmals zusammentrat.
Inzwischen war Crispien mit seinen reformistischen Ansichten innerhalb der württembergischen USPD zum Exponenten einer Minderheit geworden, während die Mehrheit der Partei hinter den revolutionären Forderungen von Fritz Rück stand und bei einer ebenfalls am 23. Januar 1919 stattfindenden Generalversammlung in Stuttgart ihren Beitritt zur KPD beschloss. Auf dem sogenannten Revolutionsparteitag der USPD, der vom 2. bis 6. März in Berlin stattfand, wurde Crispien trotzdem als ein Vertreter des radikalen Parteiflügels wahrgenommen. Da die Partei auch im Reich eine Radikalisierung durchlaufen hatte, stand sie nicht mehr mehrheitlich hinter der von Parteichef Hugo Haase vertretenen parlamentarischen Grundorientierung. Jener wurde daher zwar als Parteivorsitzender bestätigt; allerdings wurde ihm mit Ernst Däumig ein starker Vertreter der Radikalen zur Seite gestellt. Da Haase keine Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit Däumig sah und deswegen den Parteivorsitz ablehnte und daraufhin auch Däumig das Parteiamt niederlegte, wurde ein zweiter Wahlgang notwendig, in welchem Crispien antrat und mit 133 Stimmen zusammen mit Haase, der nur 107 Stimmen erhielt, zum Parteivorsitzenden gewählt wurde.
Nach dem Eintritt in den Reichsvorstand der USPD zog er sich aus der württembergischen Politik zurück und legte sein Mandat in der Verfassunggebenden Landesversammlung am 12. April 1919 nieder. Als Parlamentarier gehörte er fortan dem Deutschen Reichstag an, in welchen er in den Wahlen vom 6. Juni 1920 als Abgeordneter des Wahlkreises 2 (Berlin) gewählt wurde.
Im Juli 1920 reiste er mit einer Parteidelegation zum Zweiten Weltkongress der Kommunistischen Internationale nach Moskau. Während Ernst Däumig und Walter Stoecker dabei den linken Parteiflügel repräsentierten, vertrat Crispien zusammen mit Wilhelm Dittmann eine eher gemäßigte Linie, was ihn nicht nur in eine zunehmende Opposition gegenüber Lenin brachte, sondern auch dazu bewog, bei den Verhandlungen um einen potentiellen Anschluss der USPD an die Kommunistische Internationale die Bedingungen der Kominternführung abzulehnen. Genau dies führte kurze Zeit später zur Spaltung der USPD: Als auf dem Parteitag in Halle am 16. Oktober 1920 von 392 Delegierten 236 für den Beitritt zur Komintern stimmten, erklärte Crispien, dass dieses Votum einem Beitritt zur KPD gleichkomme; da die Befürworter somit nicht mehr als Mitglieder der USPD angesehen werden könnten, verließ er mit seinen wenigen verbliebenen Mitstreitern den Parteitag. Während sich die Mehrheit der Partei daraufhin tatsächlich im Dezember 1920 mit der KPD zusammenschloss, versuchte er, zusammen mit Wilhelm Dittmann und Georg Ledebour, der verbliebenen USPD einen politischen Weg zwischen der KPD und der SPD aufzuzeigen. Allerdings wuchs bis zum Sommer 1922 der Druck auf die Partei, die nicht nur große finanzielle Schwierigkeiten hatte, sondern sich angesichts der Kampagnen gegen die Erfüllungspolitik der Reichsregierung unter Joseph Wirth und des Mordanschlags auf Reichsaußenminister Walther Rathenau auch politisch an den Rand gestellt sah. Unter dem Eindruck der antirepublikanischen Bedrohungen wurde die Spaltung der deutschen Sozialdemokraten zunehmend infrage gestellt, und tatsächlich bildeten die Reichstagsfraktionen der SPD und der USPD ab dem 14. Juli 1922 eine Arbeitsgemeinschaft. Auf dem folgenden Parteitag der USPD vom 20. bis 23. September 1922 in Gera legte Crispien einen Antrag zur Vereinigung mit der SPD vor, welcher mit überwältigender Mehrheit angenommen und auf dem Vereinigungsparteitag in Nürnberg am 24. September 1922 umgesetzt wurde. Crispien wurde dabei zu einem der drei Vorsitzenden der Reichs-SPD gewählt. Innerhalb der Partei war sein Einfluss dennoch überschaubar, so dass er sich in der Folgezeit besonders auf seine Arbeit in internationalen Gremien konzentrierte – so gehörte er von Anfang an der 1921 gegründeten Internationalen Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Parteien und der seit 1923 bestehenden Sozialistischen Arbeiterinternationalen an.
Der pazifistisch und internationalistisch gesinnte Crispien wurde im Februar 1933 mit Redeverbot belegt und floh Anfang März 1933 über München nach Salzburg und von dort aus weiter in die Schweiz, wo er als nomineller Vertreter des SPD-Exilvorstands in der Schweiz zunächst in Zürich und ab 1937 in Bern lebte. Dort gehörte er dem Vorstand der »Vereinigung deutscher Demokraten« an und setzte sich unter anderem für die karitative Hilfe für aus Deutschland geflohene Juden ein. Nachdem er 1938 als Sopade-Vertrauensmann in der Schweiz abgelöst worden war und sich 1940 vergeblich um eine Arbeitserlaubnis als Maler beim Stadttheater Bern und um eine Ausreisemöglichkeit in die USA bemüht hatte, gehörte er 1943 zu den Mitbegründern der »Union deutscher Sozialisten in der Schweiz«. Er trat der »Sozialdemokratischen Partei der Schweiz« (SPS) bei und nahm vom 25. Februar bis 1. März 1945 an der Schweizer Flüchtlingskonferenz in Montreux teil. Crispien kehrte nicht nach Deutschland zurück, sondern starb am 29. November 1946 in Bern.
Quellen: Nachlass in: AdSB.
Werke: Die Internationale. Vom Bund der Kommunisten bis zur Internationale der Weltrevolution, 1919; Abrechnung mit den Rechtssozialisten, 1919; Programm und Taktik der USPD in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 1920; Marxistisches ABC, 1931; Die Sozialdemokratie und die Reparationen, 1932.
Nachweis: Bildnachweise: Reichstags-Handbuch, 1. Wahlperiode 1920, Berlin 1920, 422; Reichstags-Handbuch, 8. Wahlperiode 1933, Berlin 1933, 373.

Literatur: Raberg, Biogr. Handbuch, 2001, 123 f.; Paul Mayer, in: NDB III, 416; Klaus Schönhoven, in: Wolfgang Benz/Hermann Graml (Hg.), Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik, 1988, 198-200.
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