Goubeau, Josef Anton 

Geburtsdatum/-ort: 31.03.1901; Augsburg
Sterbedatum/-ort: 13.10.1990;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Chemiker
Kurzbiografie: 1907–1921 Volksschule bis 1912, dann Oberrealschule in Augsburg bis Abitur Ostern 1921
1921 IV–1926 XI 11Chemie-Studium an d. Univ. München bis Promotion zum Dr. phil.: „Über die fundamentalen Atomgewichte des Silbers, Kaliums u. Chlors“
1928 IV–1929 IX Privat- u. Vorlesungsassistent von E. Zintl am Chemischen Laboratorium d. Univ. Freiburg
1929 X–1937 VII Wissenschaftlicher Assistent des Chemischen Instituts an d. Bergakademie, heute TU Clausthal; ab 1935 Leiter des Kalilaboratoriums des Chemischen Instituts
1935 V 4 Habilitation für anorganische, analytische u. technologische Chemie: „Über die Verwendung des Raman-Effektes in d. analytischen Chemie“
1937 V–1943 III Mitglied d. NSDAP, ab Aug. Oberassistent am Chemischen Institut d. Univ. Göttingen mit Lehrauftrag für analyt. Chemie
1940 X apl. Professor
1943 IV–1951 IX planm. ao. Professor für anorgan. Chemie, ab Okt. 1948 stellvertr. Direktor des anorganisch-chemischen Instituts
1951 XI–1969 III o. Professor u. Direktor des Laboratoriums (= Instituts) für Anorgan. Chemie u. anorganisch- chemische Technologie an d. TH Stuttgart; im SS 1969 Vertretung seines Lehrstuhls
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Ehrungen: Alfred-Stock-Gedächtnispreis d. Gesellschaft Dt. Chemiker (1953); Ehrendoktorate: Bergakademie Clausthal (1966), Univ. München (1986); Ehrenmitglied d. Königl. Gesellschaft d. Physik u. Chemie zu Madrid (1942); Korrespond. Mitglied d. Akad. d. Wissenschaften in Bologna (1955); Mitglied d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften u. d. Dt. Akad. d. Naturforscher „Leopoldina“, Halle (1958); Consejo de Honor del Consejo Superior de Investigaciones Cientificas, Madrid (1959); korr. Mitglied d. Akad. d. Wissenschaften Göttingen (1966); auswärt. Mitglied d. Accademia Nazionale dei Lincei, Rom (1969); Mitglied d. New York Academy of Sciences (1982); Mitglied d. Accademia Mediterranea delle Scienze, Catania (1982).
Verheiratet: 1930 (Steingaden) Helene (Hella) Amalie, geb. Müller (1905–1999)
Eltern: Vater: Anton (1861–1945). Mutter: Franziska Romana, geb. Nestl (1872–1925)
Geschwister: 3; Franziska Anna (1897–1978), Lehrerin, Rosa Regina (1904–1968), Lehrerin, u. Albert Johann (1907–1908)
Kinder: 5;
Elisabeth (1931–1997), Lehrerin für Griechisch, Latein u. Geschichte,
Irmingard (geboren 1932), Lehrerin für Musik, Mathematik u. Physik,
Agnes (geboren 1935), Lehrerin für Physik, Mathematik u. Chemie,
Helene (geboren 1939), verh. Mang, Lehrerin für Chemie, Mathematik u. Physik,
Andreas (geboren 1947), Physiker
GND-ID: GND/124642810

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 144-149

Goubeau, der älteste Sohn eines Apothekers und Leiters einer kleinen chemischen Fabrik in Augsburg, machte schon als Junge seine ersten chemischen Erfahrungen. Eine andere Prägung von väterlicher Seite war die Musik: „Diese Liebe zur Musik hat mein Vater geerbt und in seiner eigenen Familie weitergegeben“, erinnert sich Goubeaus jüngste Tochter (H. Mang, 2001, 562). Goubeaus Mutter war sehr religiös und achtete darauf, dass ihre Kinder regelmäßig zur Kirche gingen. Im Reifezeugnis wird Goubeau „als ein vom schlichten Ernst und regen Pflichteifer durchdrungener Schüler“ charakterisiert, „der zu schönen Hoffnungen berechtigt“ (ebd., 563). Der religiöse Einfluss der Familie war so stark, dass Goubeau eine Zeit lang Theologie studieren wollte. In den letzten Klassen der Oberrealschule war er dann so durch den begnadeten Chemielehrer Klaus Niggel beeindruckt, dass er sich letztlich doch für dieses Fach entschied und ab Sommersemester 1921 an der Universität München studierte. Als Student war Goubeau mit der katholischen Jugendbewegung Quickborn verbunden und pilgerte zu Fuß von Marburg bis Rom und Neapel. Unter den Freunden, die er beim Quickborn fand, war der Bruder seiner zukünftigen Frau, die Goubeau hier kennenlernte.
Das Münchner Chemische Institut stand damals unter Leitung des Nobelpreisträgers Richard Willstätter (1872–1942), dessen Chemievorlesung Goubeau stark prägte. „Auch im Umgang mit Studenten wurde mir Willstätter zum Vorbild“, bekannte Goubeau (ebd. 561). Zu seinem wichtigsten Lehrer wurde aber der Anorganiker und berühmte Experte der genauen Atomgewichtsbestimmungen Otto Hönigschmid (1878–1945). Diesem fiel der fleißige und begabte Student bald auf und nach weniger als drei Semestern schlug er ihm vor, sein Hilfsassistent zu werden. Dieses Angebot eröffnete Goubeau die Möglichkeit, bei Hönigschmid zu promovieren. Im Juni 1924 begann er seine Doktorarbeit, die der Bestimmung einiger Atomgewichte gewidmet war. Teilweise führte Goubeau diese Arbeit unter Anleitung des damaligen Mitarbeiters von Hönigschmid Eduard Zintl durch, was sich in den zwei Teilen der Dissertation durchaus widerspiegelt. „Die Untersuchung ist sehr gewissenhaft durchgeführt und sie bildet einen wichtigen Beitrag zur Klärung der Frage nach dem wahren Atomgewicht des Silbers“, gutachtete Hönigschmid (UA München, Promotionsakte Goubeau). Nach dem Doktorexamen in den Fächern Chemie als Haupt-, Physik und Mineralogie als Nebenfächern wurde Goubeau zum Dr. phil. promoviert.
Die Schule Hönigschmids vermittelte Goubeau nicht nur ausgezeichnete Fertigkeiten in der analytischen und präparativen Chemie sondern auch vorbildliche menschliche Standards, welche seine Persönlichkeit festigten. Seinem Lehrer widmete Goubeau zwei rührende Nachrufe, worin er mit Hönigschmid betonte, „dass vor allem die Wissenschaft berufen ist, die zerbrochenen Brücken zwischen den Völkern wieder aufzubauen, um damit dem Frieden zu dienen“ (Göttinger Univ. Ztg. 1 Nr. 2, 1945).
Nach der Promotion blieb Goubeau noch drei Semester als Assistent Hönigschmids in München und arbeitete mit ihm und Zintl zusammen. Bei Zintl lernte er mehrere feinexperimentelle Methoden, wie etwa Wiegen ohne Kontakt mit Luft, die ihm später bei seiner Arbeit nützlich wurden. Als Zintl als Professor für Anorganische Chemie nach Freiburg berufen wurde, folgte ihm Goubeau und wurde dort dessen Privat- und Unterrichtsassistent. Er war maßgeblich beteiligt an den später sehr bekannt gewordenen Arbeiten über intermetallische Verbindungen in flüssigem Ammoniak und dann an den Arbeiten über Legierungen. „Die experimentelle Ausarbeitung der Röntgenographie luftempfindlicher Legierungen stammt im Wesentlichen von ihm“ (UA Stuttgart 57/328a, Bl. 14), bezeugte der damalige Kollege Goubeaus, Günther Rienäcker (1904–1985).
In die Freiburger Zeit fällt auch die erste Begegnung Goubeaus mit der Raman-Spektroskopie, die bald zum Schwerpunkt seines Werks werden sollte. Anlass dazu war ein Vortrag von C. Raman, der 1928 den Nobelpreis erhalten hatte, im Freiburger Physikalischen Institut. Ein Freund Goubeaus und Assistent des Instituts war beauftragt, Ramans Versuche zu wiederholen. So konnte Goubeau zum ersten Mal die Apparatur und die Raman-Linien sehen. Die finanziellen Umstände – er wollte heiraten – zwangen Goubeau, Freiburg 1929 zu verlassen. Trotz der Weltwirtschaftskrise konnte er Assistent am Chemischen Institut der Bergakademie Clausthal werden. Der Direktor des Instituts, Lothar Birckenbach (1876–1962), ein ehemaliger Mitarbeiter Hönigschmids, nahm dessen Schüler gerne auf. Es war auch ein glückliches Zusammenspiel, dass Birckenbach wie Goubeau Interesse für die Möglichkeiten des neuentdeckten Raman-Effekts hatten. Die notwendigen Apparaturen wurden gekauft, und Goubeau fing an, seine Kenntnisse der Raman- Spektroskopie zu vertiefen. Als die nächstliegende Anwendungsmöglichkeit bot sich die Analyse von Gemischen organischer Stoffe an. Birckenbach war einverstanden, dass Goubeau sich erst auf dieses Gebiet konzentrierte, bevor anorganisch- chemische Probleme aufgegriffen würden. Analytische Anwendungen des Raman-Effekts in Form von Analysen von Kohlenstoff-Gemischen unter Berücksichtigung technischer Produkte wurden dann Thema der Habilitationsschrift Goubeaus.
In seiner ausführlichen „Begutachtung“ dieser Schrift betonte Birckenbach, dass Goubeau als Erster die quantitative Analyse solcher Gemische verwirkliche, die mit anderen bisher bekannten Methoden kaum möglich geworden wäre. Er zollte dieser Forschungsleistung höchstes Lob und beurteilte die Arbeit mit „ausgezeichnet“. Das Urteil des Physikers Siegfried Valentiner (1876–1971) als Zweitgutachter war ebenfalls positiv und im Protokoll der „wissenschaftlichen Aussprachen“ vom 4. Mai 1935 ist zu lesen: „Das hohe Maß an Leistungsvermögen, Können und Wissen, welches schon die Habilitations-Arbeit des Herrn Dr. Goubeau auszeichnet, trat erneut bei der wissenschaftlichen Aussprache zu Tage. […] und durch die Ausblicke auf noch unerforschtes Gebiet [hat er]geradezu imponierend gewirkt.“ (ebd.). Das Ergebnis wurde einstimmig „ganz vorzüglich“ beurteilt und nach einer Lehrprobe „Über künstliche Radioaktivität“ im Januar 1936 wurde Goubeau Dozent für anorganische und analytische Chemie; Lehraufträge für diese Fächer hatte er bereits seit dem Wintersemester 1934/35 gehabt.
Die NS-„Machtergreifung“ wirkte sich in der Bergakademie massiv aus. Goubeau musste sich anpassen, um seine berufliche Laufbahn fortsetzen zu können. Er wurde 1933 Mitglied der SA, nahm auch an NS-Veranstaltungen teil, so im Dozentenlager im Juli-September 1935. Im Mai 1937 trat er in die NSDAP ein, hatte aber kein Parteiamt inne. Im Entnazifizierungsverfahren vom Februar 1949 wurde er als „entlastet“ eingestuft; denn: „die beigebrachten Entlastungszeugnisse tun übereinstimmend dar, dass er seiner Gesamthaltung nach immer grundsätzlich Gegner des Nationalsozialismus gewesen ist“ (UA Stuttgart 57/328a, Bl. 9f.).
1937 brauchte das Chemische Institut der Universität Göttingen dringend eine Lehrkraft für anorganische und analytische Chemie. Der Institutsdirektor, Nobelpreisträger Adolf Windaus (1876–1959), lud auf Empfehlung seines Dozenten Rienäcker Goubeau ein. In seiner Antwort auf Windaus Brief vom 5. April 1937 betonte Goubeau, es erschiene ihm „sehr verlockend, für Chemiker zu lesen, nachdem ich [..] hier an der Bergakademie für Nichtchemiker lese“. Seine Bedingungen blieben bescheiden: „Eine Änderung meines Arbeitsgebiets möchte ich auf keinem Fall vornehmen, da ich mitten im Ausbau neuer Erkenntnisse stehe“ (UA Stuttgart 57/328a, Bl. 21ff.) und seine bisherigen Verdienst- und Entwicklungsmöglichkeiten sollten zugesichert bleiben.
Nachdem dies akzeptiert war, begann Goubeaus Tätigkeit in Göttingen, die 13 Jahre dauerte und wohl entscheidend für sein Werden als Forscher und Dozent wurde. Birckenbach genehmigte, dass Goubeau die ganze Raman-Ausrüstung nach Göttingen mitnehmen durfte. So konnte er die in Clausthal nach seiner Habilitation angefangenen Forschungen in der anorganischen Chemie fortsetzen, zumal Konstitution von „Pseudohalogenen“, d.h. Atomgruppen, die in ihrem Reaktionsverhalten den Halogenen ähneln: die Cyanid-, die Cyanat-, die Rhodanid- und die Azidgruppe. Goubeau hatte schon 1935 bewiesen, dass die Cyanat-Gruppe in zwei Formen, NCO und CNO, existiert. In Göttingen erforschte er die Rhodanid-Gruppe, in der ein S-Atom anstatt des O-Atoms vorhanden ist, und erklärte 1940 Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten beider Gruppen. Seine Erklärungen zur Struktur von Cyanaten und Rhodaniden gelten als grundlegend.
Goubeaus Arbeiten über chemische Anwendungen der Raman-Spektroskopie brachten ihn in Kontakt mit den Göttinger Physikochemikern Arnold Eucken (1884–1950) und Klaus Schäfer. Das begünstigte seine Grundlagenforschungen über chemische Bindungen zwischen nichtmetallischen Elementen, die er über mehrere Jahrzehnte ausbaute. Gleichzeitig beschäftigte sich Goubeau mit der weiteren Ausarbeitung der spektroskopischen Analyse organischer Stoffe, insbesondere von Treibstoffen. Die eingeschlagene Richtung seiner Forschungen erhielt nach Kriegsausbruch besondere Bedeutung. Auf dieser Grundlage wurde Ende 1942 das Vierjahresplan-Institut für Molekülspektroskopie unter Goubeaus Leitung organisiert, das dem Reichsamt für Wirtschaftsausbau unterstand.
Dies hatte ihm schon im April 1938 aus einer heiklen Situation geholfen. Das Ministerium hatte ihm angeboten, den Lehrstuhl für Chemie an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Ankara zu übernehmen. Goubeau wollte aber „nur bei Vorliegen einer besonderen Dringlichkeit“ nach Ankara berufen werden; denn er befürchte „eine starke Hemmung“ seiner wissenschaftlichen Arbeit, die teilweise „im Rahmen des Vierjahresplanes liegt“ (UA Stuttgart 57/328a, Bl. 66). So blieb er Göttingen erhalten.
Goubeau, allen Zeugnissen nach ein geborener Lehrer, war rastlos tätig. Im Juni 1939 schrieb Windaus: „Seine Unterrichtstätigkeit ist sehr umfangreich, sowohl in planmäßigen Vorlesungen als auch im Praktikum […]. Er hat ein starkes persönliches Interesse an jedem einzelnen Studenten und ist in vorbildlicher Weise kameradschaftlich und hilfsbereit, was von Studenten sehr anerkannt wird. Für den Unterricht […]ist er unentbehrlich“ (UA Stuttgart 57/328a, Bl.7).
In besonderer Weise zeigte sich Goubeau als begeisterter Lehrer während des schwierigsten, aber auch „schönsten“ Wintersemesters 1945/46: Im kalten Hörsaal ohne elektrische Beleuchtung mit zwei großen rußenden Bunsenbrennern las Goubeau im Wintermantel über Experimentalchemie. Jede seiner Vorlesungen musste er wiederholen, damit alle Studenten ihn hören konnten.
Mit mehreren Doktoranden konnte Goubeau auch die Forschungsarbeiten auf die Synthese von Borund Siliziumverbindungen und ihre spektroskopischen Untersuchungen erweitern. Schwerpunkt seiner Forschungen waren bald chemische Bindungen zwischen nichtmetallischen Elementen der ersten Reihen des periodischen Systems, wobei die präparative Herstellung immer neuer Verbindungen den notwendigen Ausgangspunkt für spektroskopische Untersuchungen bildete.
Im Mai 1951 erhielt Goubeau einen Ruf auf den Lehrstuhl für Anorganische Chemie in Kiel, im Juli ein Angebot der amerikanischen Regierung, eine Forschungsstelle in den USA zu übernehmen, im August einen Ruf auf den Lehrstuhl für anorganische Chemie an der TH Stuttgart. Den nahm er an und lehrte ab Januar 1952 am Laboratorium (Institut) für Anorganische Chemie. Bis zum Ende des Wintersemesters 1951/52 pendelte er zwischen Stuttgart und Göttingen, um seine Arbeit dort abzuschließen. Die Familie konnte wegen Wohnungsproblemen erst im Juli 1953 nach Stuttgart folgen. Während der knapp 18 Jahre an der Stuttgarter Hochschule las Goubeau „Anorganische Chemie“, zweisemestrig über Grundlagen für Anfänger und über mehrere Jahre auch „Allgemeine Chemie für Studenten anderer Fächer“. Vom Sommersemester 1954 bis zum Wintersemester 1956/57 fehlte ein Dozent für Analytische Chemie. Goubeau musste auch das Fach unterrichten. Außerdem leitete er eine ganze Reihe von Praktika und 1959 führte er Mikroanalysen in die Grundpraktika ein, um die praktische Ausbildung der Studenten zu verfeinern, „da die Ausführung von Mikroanalysen äußerst saubere und exakte Arbeit verlangt“ (UA Stuttgart 65/625). Die Einführung dieser modernen Art der Ausbildung ist nur ein Beispiel für die zahlreichen Verdienste des TH-Dozenten Goubeau. Besondere Bedeutung kam seiner viersemestrigen Vorlesung „Spezielle Anorganische Chemie“ für Fortgeschrittene zu, die in Skripten aus den Jahren 1955 bis 1957 im UA Stuttgart überliefert ist (Z 730). Deutlich spiegeln sich darin das hohe Niveau und die pädagogische Meisterschaft des Dozenten. Aber auch seine Betrachtung von Zusammenhängen elektronischer Konstitution und geometrischer Struktur von verschiedenen Molekülen sind interessant, verbindet sich hierin doch seine Lehr- mit der Forschungstätigkeit.
Nach Stuttgart kam Goubeau als reifer Gelehrter, der nun sein Arbeitsfeld erweitern konnte. Selbstbewusst unterstrich der neue Institutsdirektor, dass die Forschungsarbeiten seines Instituts für das gesamte Bundesgebiet bedeutend sind, „da es sich ausschließlich um Grundlagenforschungen handelt“ (UA Stuttgart, 17/592). Das förderte auch das ohnehin hohe Niveau seines Instituts. Goubeau forderte stets, dass auch jeder Assistent Unterricht und wissenschaftliche Arbeit verbinde.
Im September 1957 erhielt Goubeau einen Ruf auf das neue Ordinariat für Anorganische Chemie in Heidelberg. Er war als erster Kandidat genannt, seine „hervorragende Präparierkunst“ betont (UA Heidelberg B-II 103 E2). Ein Jahr lang wurde verhandelt, dann entschied sich Goubeau in Stuttgart zu bleiben.
Verfeinerte präparative Arbeiten zahlreicher Diplomanden und Doktoranden entstanden, die zur Herstellung vieler neuer Verbindungsklassen, insbesondere von Bor, Silizium und Phosphor führten. Parallel liefen spektroskopische Untersuchungen dieser neuen Stoff-Reihen. Seit 1955 war die Infrarotspektroskopie eingeführt, und zwei komplementäre Methoden brachten zum ersten Mal vollständige Schwingungsdaten für mehrere Reihen von zielgerichtet synthetisierten Verbindungen. Dies ermöglichte Goubeau schließlich Verallgemeinerungen, deren bedeutendste sich 1957 auf „Mehrfachbindungen in der anorganischen Chemie“ bezieht. Bisher hatte gegolten, dass solche Doppel- und Dreifachbindungen nur zwischen C-, N- und O-Atomen vorkommen. Goubeau benutzte und entwickelte die schon existierende Idee von nicht ganzzahligen Bindungsgraden zwischen 1 und 3 und verallgemeinerte damit den Begriff der Mehrfachbindung. Aufgrund der experimentellen Daten über Kraftkonstanten der intramolekularen Schwingungen bewies er, dass Mehrfachbindungen auch zwischen Atomen von anderen nichtmetallischen Elementen der Hauptgruppen des periodischen Systems möglich sind, z.B. zwischen B und N, B und F, Si und Cl, S und P. Damals nahezu „Ketzerei“, gehören diese Erkenntnisse heute zum Standardwissen von Chemikern.
Goubeau wirkte. auch als Wissenschaftsorganisator. Er war 1956 bis 1964 Vorsitzender des Fachausschusses Chemie der Deutschen Forschungsgemeinschaft und 1955 bis 1965 Mitglied des Gmelin-Kuratoriums. Unter seinen Veranstaltungen kommt den „Raman-Kolloquien“, 1955 und 1958 in Stuttgart und 1964 in Freudenstadt, besondere Bedeutung zu, gerade in einer Zeit, als die Raman-Spektroskopie sich noch nicht als effektive Methode zur Erforschung von Molekülen etabliert hatte. 1959 bis 1980 war Goubeau Mitherausgeber der „Zeitschrift für anorganische und allgemeine Chemie“ und erwarb sich auch damit außerordentliche Verdienste. Zusammen mit G. Rienäcker und H. Schäfer hat er „das Überleben der von Seiten der DDR immer wieder in Frage gestellten deutsch-deutschen Gemeinsamkeit in diesem traditionsreichen Publikationsorgan gesichert“. (Mang, 2001, 559)
Seit seiner Münchner Zeit begeisterter Bergsteiger war Goubeau in Göttingen Erster Vorsitzender des Alpenvereins und von 1950 bis 1955 Dritter Vorsitzender des Deutschen Alpenvereins. Lebenslang blieb er auch der aktive Katholik, wobei ihn das Problem „Naturwissenschaft und Glaube“ immer wieder und bis zum hohen Alter beschäftigte. „Er lebte aus einem zwar hinterfragten, aber unerschütterlichen Glauben an Gott, und in zahlreichen Vorträgen in Studentenbindungen, Studentengemeinden und bei Abiturienten hat er über das Weltbild des gläubigen Naturwissenschaftlers gesprochen“ (Mang, 2001, 560).
Glücklich verheiratet wirkte Goubeau in seinem Familienleben, so seine Tochter, „immer anregend und nie hemmend“ (ebd., 565). Der Wissenschaftler, eine rundum „liebenswürdige und bescheidene, allzeitig hochgeschätzte Persönlichkeit“ (Fritz, 1991, 111), blieb geistig rege bis an sein Ende. Er starb kurz vor seinem 90. Geburtstag.
Bezeichnend für das Lebenswerk Goubeaus, 204 Veröffentlichungen und wenigstens 100 promovierten Doktoranden, mag seine Stuttgarter Antrittsvorlesung stehen: „Der Wandel des chemischen Strukturbegriffs“; denn Goubeau trug als Forscher und Lehrer zu diesem Wandel außerordentlich viel bei. Er erarbeitete als Erster die Kombination der präparativen und spektroskopischen Methodik, um systematisch und vergleichend Zusammenhänge zwischen Zusammensetzung, chemischen Eigenschaften und Konstitution – einschließlich der Ermittlung von Kraftkonstanten – für viele Stoffgruppen zu erforschen. Dadurch hat er den Strukturbegriff, die Bindungsart und ihre wesentlichen Charakteristiken erweitert, indem er sie darin einschloss. Goubeaus Wirken trug grundlegend dazu bei, dass die anorganische und elementorganische Strukturchemie wieder in Fluss kam und sich bis heute intensiv weiterentwickelt.
Quellen: UA München Stud-BB-644, Studentenakte Goubeau, OC-Np- WS 1926/27, Promotionsakte Goubeau; UA Freiburg: B1/4319, Assistenten des Chemischen Laboratoriums; UA Göttingen Kur PA Goubeau, Habilitationsakte Goubeau; UA Stuttgart 57/328a, Göttinger Personalakte Goubeau, 57/328b, Stuttgarter Personalakte Goubeau, 54/52a Berufung Goubeau 65/46 u. 65/625, Laboratorium bzw. Institut für Anorganische Chemie, 17/592, Erhebungsbögen; UA Heidelberg B-II 103 E2, Ruf auf den Lehrstuhl für Anorgan. Chemie, HAW 45, HAW 184, Wahl in die Heidelberger Akad. d. Wissenschaften, Akte Goubeau; Auskünfte des StadtA Augsburg vom 3.3.2014, UA Clausthal vom 16. u. 25.4.2014, UA Göttingen vom 24.2.2014; Briefe von Helene Mang, G.s Tochter, vom 23. u. 24.5.2014.
Werke: (mit O. Hönigschmid) Über das Atomgewicht des Kaliums, in: Zs. für anorgan. Chemie 136, 1927, 93-104; (mit E. Zintl) Über die Atomgewichte von Silber, Chlor u. Kalium, ebd., 302-314; (mit E. Zintl u. W. Dullenkopf ) Salzartige Verbindungen u. intermetallische Phasen des Natriums in flüssigem Ammoniak, in: Zs. für physikalische Chemie A, 154, 1931, 1-46; (mit L. Birckenbach) Der Raman-Effekt als Grundlage einer organischen Spektralanalyse, in: Berichte d. Dt. Chemischen Gesellschaft 65, 1932, 1140-1148; Beeinflussung d. Ramanfrequenzen d. Alkohole durch gelöste Metallperchlorate, in: Die Naturwissenschaften 21, 1933, 468; Raman-Effekt u. das Konstitutions-Problem des Cyanat-Restes, XXX. Mitteilg. zur Kenntnis d. Pseudohalogene, in: Berichte d. Dt. Chemischen Gesellschaft 68, 1935, 912-919; Über die Verwendung des Raman- Effektes in d. analyt. Chemie. Die Analyse von Kohlenstoff- Gemischen unter Berücksichtigung technischer Produkte, in: Zs. für analyt. Chemie 105, 1936, 161-182; Über die Elektronenaffinität d. Hydroxylgruppe, in: Zs. für physikal. Chemie B, 34, 1936, 432-442, 36, 1937, 362-370; Deutung d. Raman-Spektren von Alkoholen u. Aceton durch deren Veränderungen beim Lösen von Metallperchloraten, ebd., 36, 1937, 45-84; Über die Verwendung des Ramaneffektes zur Analyse organ. Gemische, in: Angewandte Chemie 51, 1938, 11-15; (mit H. Kolb u. H. G. Krall) Das System Kaliumsulfat-Kaliumsulfid, in: Zs. für anorgan. Chemie 236, 1938, 45-56; (mit O. Gott) Die Raman-Spektren einiger Rhodanverbindungen u. die Struktur d. Rhodanid-Gruppe, in: Berichte d. Dt. Chemischen Gesellschaft 73, 1940, 127-133; Die Normalschwingungen u. die Konfiguration des Hydrazins. Das Raman-Spektrum des Hydrazins, in: Zs. für physikal. Chemie B, 45, 1940, 237-248; (mit V. von Schneider) Raman-spektralanalyt. Untersuchung von Kohlenwasserstoffgemischen: Nachweis von Paraffinen u. Olefinen mit gerader u. verzweigter Kette, in: Angewandte Chemie 53, 1940, 531-535; (mit L. Thaler) Versuche zur quantitativen Raman-Spektralanalyse, ebd. 54, 1941, 26f.; (mit E. Lell) Versuche zur optischen Gesamtanalyse von Benzinen, in: Brennstoffchemie 23, 1942, 1-7; Raman-Effekt u. Konstitu tion organ. Moleküle, in: Zs. für Elektrochemie 49, 1943, 438-446; Otto Hönigschmid zum Gedächtnis, in: Göttinger Univ.- Ztg. 1, Nr. 2, vom 24.12.1945, 11; In Memoriam. Otto Hönigschmid (1878–1945), in: Die Naturwissenschaften 33, 1946, 353f.; (mit H. Siebert) Raman-Spektrum u. Struktur des Aluminiumchlorid-Monammins, in: Zs. für anorgan. Chemie 254, 1947, 126-132; Über Isosterie, in: Die Naturwissenschaften 35, 1948, 246-250; (mit H. Seifert) Über die physikal. Eigenschaften u. Ramanspektren von Olefinen in d. C6- bis C11-Reihe, in: Monatshefte für Chemie 79, 1948, 469-486; (mit I. Fromme) Beiträge zur Kenntnis Stickstoff-Sauerstoff-Bindung I: N-O-Bindungen ohne Mesomerie, in: Zs. für anorgan. Chemie 258, 1949, 18-26; (mit B. Rodewald) Über das Berilliumdiäthyl, ebd., 162-179; (mit R. Warncke) Zur Hydrolyse von Halogeniden, I u. II, ebd. 259, 1949, 109-120, 233-239; Raman-Spektren als analyt. Hilfsmittel, in: Zs. für angewandte Physik 1, 1949, 146-152; Strukturbestimmung von Molekeln mit Hilfe des Raman-Effektes, ebd., 2, 1950, 343-350; Die Bedeutung d. charakteristischen Schwingungen in d. Raman-Spektroskopie, in: Zs. für Elektrochemie 54, 1950, 505-512; (mit H. Siebert) Die Raman-Spektren d. Trichloralkylsilane sowie d. damit isosteren Anlagerungsverbindungen von Aluminiumchlorid an Amine, in: Zs. für anorgan. Chemie 261, 1950, 63-74; (mit R. Bergmann) Über die Reaktion von Bortrifluorid mit Natriumhydrid, ebd. 263, 1950, 69-81; (mit I. Fromme) Beiträge zur Kenntnis Stickstoff-Sauerstoff-Bindung II: Nitrosamine u. Kupferron, ebd. 213-228; (mit H. Keller) Über Boroxol-Verbindungen. Darstellung, physikalische u. chemische Eigenschaften, ebd. 267, 1951, 1-26; Mehrfachbindungen in d. anorgan. Chemie, in: Angewandte Chemie 69, 1957, 77-82; (mit D. Paulin) Darstellung von Methylsiliciumisocyanaten, in: Berichte d. Gesellschaft Dt. Chemiker 90, 1957, 171-181; (mit K. H. Rohwedder) Die Reaktion von Diazomethan mit Bortrifluorid in d. Gasphase, in: Liebigs Annalen d. Chemie 604, 1957, 168-178; Antrittsrede, in: Jahreshh. d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften für 1958/59, 82f.; (mit R. Epple) Die thermische Zersetzung von Trimethylbor, in: Berichte d. Gesellschaft Dt. Chemiker 93, 1960, 1111-1116; (mit E. Heubach) Reaktionen d. Siliciumcyanate mit Aminen, ebd., 1117-1125; (mit H. Gräbner) Dimethylborisocyanat, ebd., 1379-1387; Die Bedeutung d. Kraftkonstanten für den Chemiker, in: Angewandte Chemie 73, 1961, 305-309; Spektroskopische Untersuchung verschiedener Phosphor-Schwefel-Bindungen, in: Angewandte Chemie 81, 1969, 343-348; (mit A. Lente) Die Abhängigkeit d. PO-Bindung in OPX3 von den Bindungspartnern – X, in Spectrochimica Acta 27A, 1971, 1703-1712; (mit M. Adelhelm) Die Schwingungsspektren von Oxalfluorid u. Oxalchloridfluorid. Ein Beitrag zur Rotationsisomerie bei den Oxalhalogeniden, ebd., 28A, 1972, 2471-2487; Schwingungsspektren u. Kraftkonstanten von Phosphorverbindungen, in: Pure and applied Chemistry 44, 1975, 393-413; (mit W. D. Burkhardt u. E.-G. Höhn) Schwingungsspektren u. Kraftkonstanten d. Übergangsreihen OP(CH3)3 -OP(OCH3)3 u. SP (CH3)3 - SP(OCH3)3, in: Zs. für anorgan. u. allgem. Chemie 442, 1978, 19-25; Die Anfänge d. Chemie, in: FS zum 150jähr. Bestehen d. Univ. Stuttgart, 1979, 223-240; Mein „schönstes Semester“ (1945/46), in: Univ. Göttingen: Informationen 1988, Nov./Dez., 18-22.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (ca. 1965) in Baden-Württembergische Biographien 6, S. 139, aus Familienbesitz, mit Genehmigung von Helene Mang. – Univ. Göttingen Informationen 1988, Nov./Dez., 18 u. 21 (Fotos von 1944 u. 1945), vgl. Literatur.

Literatur: Poggendorffs Biograph.-literar. Handwörterb. VIIa, Teil 2, 1958, 246-248, VIII, Teil 2, 2002, 1400; Lexikon bedeutender Chemiker, 1989, 175f.; DBE, 2.Aufl., 4, 2006, 74; Anonymus, Josef Goubeau, in: Nachrichten aus Chemie u. Technik 1, 1953, 149, 160, 186 (mit Bildnachweis, S. 186); G. Rienäcker, W. Klemm, J.A. Barth. Professor Dr. Josef Goubeau zum 60. Geburtstage, in: Zs. für anorgan. u. allgem. Chemie 308, 1961, 1f. (mit Bildnachweis); E. Wiberg, Josef Goubeau 60 Jahre, in: Nachrichten aus Chemie u. Technik 9, 1961, 144f.; H. J. Becker, Josef Goubeau zum 65. Geburtstag, in: Berichte d. Bunsengesellschaft für physikal. Chemie 70, 1966, 321f. (mit Bildnachweis); Josef Goubeau †, in: Zs. für anorgan. u. allgem. Chemie 593, 1991, 7 f. (mit Bildnachweis); G. Fritz Josef Goubeau †, in: Jahrb. d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften für 1991, 109-111; H. Mang, geb Goubeau u. K. Dehnicke. In memoriam Josef Goubeau (1901–1990), in: Zs. für anorgan. u. allgem. Chemie 627, 2001, 555-568 (mit Bildnachweis); Kurt Dehnicke. Gläubiger Christ u. charismatischer Wissenschaftler – Josef Goubeau, in: Die Univ. Stuttgart nach 1945, 2004, 186-189 (mit Bildnachweis).
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