Plattner, Friedrich 

Geburtsdatum/-ort: 04.02.1901;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 10.02.1960;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Mitglied des Reichstags – NSDAP
Kurzbiografie: 1907-1917 Volksschule und Fortbildungsschule in Karlsruhe
1915-1920 Posthelfer in Karlsruhe
1920-1922 Angestellter des christlichen Fabrik- und Transportarbeiter-Verbandes
1921-1922 Ferienkurs an der Universität Münster in Betriebs- und Volkswirtschaftslehre 1921, Abendkurs an der Handelshochschule Mannheim 1922
1923-1930 Gießereiarbeiter bei Firma Seneca bis 1924, dann Lohnbuchhalter bei Schlüter, Graphische Werke, Bruchsal, bis 1925, schließlich Angestellter bei der Karlsruher Lebensversicherung bis 1930
1931-1936 Hauptamtlich in der NSDAP und DAF tätig
1933-1945 Mitglied des Reichstags – NSDAP
1936-1941 im Verwaltungsdienst des Landesversicherungsamts Baden, ab 1938 Oberregierungsrat
1941-1943 Rekrut, dann Gefreiter bei der Wehrmacht, in Russland verwundet (5. Kompanie Kradschützen-Bataillon)
1943 Angestellter bei Daimler-Benz in Mannheim, längerer Kuraufenthalt
1944 Mai-Sep. Wehrmacht: Ersatzabteilungen in Müllheim und Baden-Oos
1944-1945 Angestellter bei der Enzesfelder Metall AG bei Wien
1945-1948 Internierung
1948 Sep. Spruchkammerverfahren in Karlsruhe: Hauptschuldiger, Fortdauer der Haft bis ca. 1950
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1. 1928 (Friedrichstal) Paula, geb. Manz (1905-1972), 1949 geschieden
2. 1950 (Karlsruhe) Frieda, geb. Schäfer (1919-1983)
Eltern: Vater: Augustin (1869-1935), Schmied in Karlsruhe
Mutter: Katharine, geb. Heiligmann (1874-1943)
Geschwister: 3: 2 Brüder, 1 Schwester
Kinder: 4: aus beiden Ehen jeweils 2 Töchter
GND-ID: GND/130453366

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 271-274

1941 weigerte sich Reichstagspräsident Hermann Göring, die Immunität des Abgeordneten Plattner aufzuheben. Eine tätliche Auseinandersetzung von großer Heftigkeit zwischen Plattner und dem Präsidenten der Landesversicherungsanstalt Baden Karl Rausch, die sich 1940 in Thann im Elsass abgespielt hatte, konnte deshalb nicht wie vorgesehen vor dem Landgericht Karlsruhe verhandelt werden. Die dienstrechtliche Konsequenz, Plattners Zurruhesetzung, und eine Untersuchung des Falls durch das Gaugericht der NSDAP zeigten ihm jedoch unmissverständlich, dass er sich trotz seiner großen Verdienste aus der „Kampfzeit“ der Partei vorsehen musste. Ob er wusste, dass der SD des Reichsführers SS, Oberabschnitt Südwest, sich mit seiner Person beschäftigte, bleibt offen.
Der Bruch in Plattners Parteikarriere war jedoch schon 1936 eingetreten, als er seine Funktionen bei der DAF aufgeben musste: die des Gauwalters und Betriebszellenobmanns im Gau Baden und des Landesobmanns der NS-Betriebszellen-Organisation für den Bezirk Südwestdeutschland (Baden, Württemberg, Hessen und Hessen-Nassau). Sie waren ihm zugewachsen, da er ab 1930/31 als hauptamtlich bei der Partei Beschäftigter die NS-Betriebszellen in Baden aufgebaut hatte, und wegen seiner führenden und aktiven Rolle bei der Zerschlagung der Gewerkschaften im Mai 1933. Mit der exponierten Stellung in der Arbeitsorganisation unter Robert Ley war Plattner von Anfang an überfordert – fachlich, organisatorisch und menschlich. Erschwerend kam hinzu, dass er das Gehabe der Kampfzeit nicht ablegte, in der Wahl seiner Mitarbeiter nicht wählerisch war und sich schließlich in kleinere Unregelmäßigkeiten verstrickte. Aus einem nicht bezahlten Kuraufenthalt mit Adjutant und Privatsekretärin oder einer Autoleihaffäre entstanden weiterreichende Gerüchte, die dem Ansehen der Partei schadeten.
Zu den einflussreichen Parteifunktionären, die bestrebt waren, Plattner trotz aller Skandale zu schützen, gehörten der DAF-Chef Ley, der ihm das Amt des stellvertretenden Leiters der Arbeitskammer Baden beließ, und Martin Bormann, der auf Plattners eindrucksvollen Einsatz als Stoßtruppredner im Dienst der Reichspropagandaleitung abhob. Selbst Gauleiter Robert Wagner, Weggefährte und Duzfreund, der ihm trotz aller Turbulenzen persönlich die Treue hielt, musste schließlich zugeben, dass sich Plattner nicht mehr für den aktiven Parteidienst eigne. Es sei schwer, mit ihm zusammenzuarbeiten, er rede mehr als nötig, neige zu Willkürakten gegen Untergebene und zu Unbeherrschtheit, die zeitweise in Hemmungslosigkeit ausarte. Als sich Plattner im Dezember 1936 in Heilbronn eine derartige Entgleisung erlaubte, wurde er vor dem dortigen Landgericht kurzerhand wegen tätlicher Beamtenbeleidigung, Nötigung und Widerstands gegen die Staatsgewalt zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Diese Strafe wurde ihm auf dem Gnadenweg durch den „Führer“ erlassen, sie verzögerte jedoch seine von der Partei betriebene Verbeamtung, die dann im März 1938 erfolgte; ohne irgendwann eine Laufbahnprüfung abgelegt zu haben, wurde Plattner zum Oberregierungsrat ernannt. Seine Dienststelle war die Landesversicherungsanstalt Baden in Karlsruhe, der er 1936 „zur Einarbeitung“ zugewiesen worden war. Er galt als Körperschaftsbeamter und unmittelbarer Reichsbeamter, daher führte das Reichsarbeitsministerium eine Personalakte für ihn. Besoldet wurde er aus dem Etat des badischen Innenministeriums.
Nach dem Eklat von 1940 musste Plattner die Betreuung der Heilstätten und Erholungsheime und die Leitung der Quittungskartenabteilung der Landesversicherungsanstalt zwar sofort aufgeben; die Röntgen-Reihenuntersuchung in Baden, die er engagiert und erfolgreich aufgebaut hatte, konnte er aber noch eine Zeit lang betreuen, da hier die Partei Regie führte. Intern wurde indes nach dem Grund für die Verhaltensauffälligkeit geforscht und nach psychiatrischen Sachverständigen gefragt. Ein Zusammenhang zwischen Plattners gesteigerter Reizbarkeit und früheren Unfällen wurde vermutet: eine schwere Verletzung am Hinterkopf 1925 durch einen Backsteinwurf „von Marxisten“ in Neulußheim, ein Motorradunfall bei Renchen 1930 „nach heftiger Auseinandersetzung mit Kommunisten“, ein Autounfall 1933 bei Plochingen während einer Dienstfahrt mit Dr. Ley. Ähnliche Überlegungen brachten die Ärzte im Internierungslager Kornwestheim, in der Heilanstalt Weinsberg und im Kreiskrankenhaus Ludwigsburg zwischen 1945 und 1948 zu Papier.
Ohne Sorge sollte Plattner nach seinem Ausscheiden bei der Landesversicherungsanstalt 1941 leben können, das war Wagners Bestreben. Eine Unterbringung in der privaten Wirtschaft stellte er sich vor, auch die Leitung von Verbrauchergenossenschaften war im Gespräch. Plattner wurde jedoch zur Wehrmacht eingezogen, da ein Kollege aus der Landesversicherungsanstalt, einer der vielen Feinde, die Plattner mittlerweile auch in den Reihen der eigenen Partei hatte, dem Wehrbezirkskommando hinterbrachte, dass die Gründe für die unabkömmlich-Stellung entfallen seien. Bei der Wehrmacht musste sich Plattner als Ungedienter ganz unten einordnen. Als besonders demütigend empfand er, dass ihm die Urkunde über die Zurruhesetzung als Beamter durch einen Unteroffizier überreicht wurde. 1942 wurde Plattner in Russland verwundet, im Feldlazarett Smolensk behandelt und dann nach Neuruppin verlegt, wo ihn seine Familie besuchen konnte. Bis Februar 1943 blieb er in der Gegend von Berlin, erst in einer Genesungskompanie, zuletzt in der Schreibstube im Hauptveterinärpark. Ein Fronteinsatz scheint aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in Frage gekommen zu sein. Den Rest des Jahres verbrachte er in verschiedenen Sanatorien: Höchenschwand, Bad Krozingen und Wörishofen als Parteidienstgeschädigter auf Kosten der Hilfskasse der NSDAP. Die Tätigkeit bei Daimler-Benz in Mannheim, die in der Spruchkammerakte die längste Zeit des Jahres 1943 füllt, scheint nur kurz und vorübergehend gewesen zu sein.
Von Mai bis September 1944 diente Plattner noch einmal bei der Wehrmacht, bis er wegen Krankheit entlassen wurde. In den letzten Kriegsmonaten arbeitete er in der Nähe von Wien in einem metallverarbeitenden Betrieb. Im April kehrte er zu seiner Familie zurück, die inzwischen im Elternhaus der Frau in Friedrichstal wohnte, da die Wohnung in Karlsruhe einem Bombenangriff zum Opfer gefallen war. Die Tochter erinnert sich, dass der Vater gleich nach dem Einmarsch der Franzosen abgeholt und unter Misshandlungen ins Internierungslager Knielingen, dann ins Gefängnis in der Riefstahlstraße in Karlsruhe verbracht wurde. Nach der Übernahme Nordbadens in die amerikanische Zone wurde er nach Ossweil bei Ludwigsburg verlegt.
Im Entnazifizierungsverfahren vom September 1948 wurde Plattner als Hauptschuldiger eingestuft, zu sechs Jahren Arbeitslager verurteilt, worauf die drei Jahre politische Haft angerechnet wurden. Das Vermögen wurde eingezogen, Berufsbeschränkungen wurden ausgesprochen. Die Verteidigung hatte Dr. Emmy Diemer geführt. 1950 lebte er als Privatmann in Karlsruhe, inzwischen in zweiter Ehe verheiratet. Seine zweite Frau hatte bei der Landesversicherungsanstalt als Sekretärin gearbeitet. Plattner verdiente den Lebensunterhalt als Handlungsreisender für eine Allgäuer Milchkonservenfirma. Im Spruchkammerverfahren wurde die Vorgeschichte seiner Karriere aufgerollt: Schon 1923 gehörte er zu den Getreuen Hitlers, organisiert im Schlageterbund, aktiv in Karlsruhe und Umgebung. Aus jener Zeit datierte seine Parteinummer 9605. Als Organisator von Versammlungen, Aufmärschen, Flugblattaktionen und vor allem als volkstümlicher mitreißender Redner gehörte er zum frühen innersten NS-Kader in Baden. Zuhauf sind seine Auftritte in der Presse bezeugt, von Freund und Feind, aber auch in Gerichtsakten. Ein Nachspiel hatte zum Beispiel der „Deutsche Tag von Liedolsheim“ 1924. Hiernach wurde Plattner wegen der Inszenierung eines durch das Republikschutzgesetz verbotenen Umzugs belangt. In den tätlichen Auseinandersetzungen mit der Rotfront, die oft auf die Versammlungen folgten, verschaffte sich Plattner Respekt durch Entschlossenheit und Risikobereitschaft. Mit dem hemdsärmligen Hauruck-Verfahren hatte er 1933 einen letzten großen Erfolg, als er in Baden die Übernahme der Gewerkschaften und der Genossenschaften durch die DAF leitete und personelle Säuberungen bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen durchführte.
Seine Probleme Mitte der 1930er Jahre resultierten daraus, dass er den Übergang seiner Partei zu einem verbindlicheren Stil nach der „Machtergreifung“ nicht mitvollzog und nicht verstand, dass mancher „rote Lump“ von ehedem als Parteigänger respektiert werden musste, zumal wenn er über wichtiges Fachwissen verfügte. Die Vorwürfe im Spruchkammerverfahren konzentrieren sich auf 1933. Besonders schwer wog Plattners Vorgehen gegen Gustav Schulenburg, den Ersten Bevollmächtigten des Metallarbeiterverbandes in Karlsruhe, dessen Sohn er festnehmen ließ, solange der Vater untergetaucht war. Gustav Schulenburg kam in Dachau ums Leben. Der Hass gegen Schulenburg könnte auf die Zeit zurückgehen, als Plattner mit fast fanatischem Sendungsbewusstsein die Arbeiterschaft für seine NS-Betriebsorganisation zu gewinnen suchte.
Nachhaltige Schwierigkeiten handelte sich Plattner durch seine Einmischung in die Gemeindeangelegenheiten in Friedrichstal ein. Seit seiner Eheschließung mit einer ortsansässigen Landwirtstochter 1928 wohnte er hier, ehe er nach Karlsruhe zog. Die Hauptstraße in Friedrichstal hieß einige Jahr lang Friedrich-Plattner-Straße, ein opportunistischer Kotau vor dem Spitzenfunktionär. Auch in anderen badischen Städten wurde Plattner auf diese Weise geehrt, zum Beispiel in Lahr. In Karlsruhe wurde aus dem Haus des Metallarbeiterverbandes das Friedrich-Plattner-Haus. Der Aufstieg in die Führungsebene des Gaus war für Plattner jedoch kein Glücksfall, sondern eine Quelle der Verunsicherung und Desorientierung. Als symptomatisch kann man es werten, dass er 1936, als er unter massivem Druck stand, eine lebhafte Korrespondenz um die Verleihung eines goldenen Parteiabzeichens führte.
Quellen: BA Berlin PK Plattner, F. 4.2. 1 (Parteiakten, ehem. BDC) 09181 u. NSDAP-Mitgliedsbuch, 3901/Anhang 7724 (Personalakte F. Plattner aus dem Reichsarbeitsmin.); GLA Karlsruhe 465a/51/68/660 (Entnazifizierungsverfahren), 465d/141/82648, 270/723, 270/911; StAF A 96/1 Nr. 1617; GemA Friedrichstal, A 168 (Wahl d. Kreistagsabgeordneten); Zentralbibliothek d. LVA Baden, Geschäftsberichte d. LAV Baden 1936-1940; Karlsruher Tagblatt vom 12.3.1934; Mündliche Auskünfte d. Töchter Anneliese Robin, Kriemhilde Kaufmann u. Dagmar Plattner.
Werke: Aufsätze über Gewerkschaftswesen u. Sozialpolitik; Hg. d. Monatsschrift „Der Betriebsstürmer“, vor 1934.
Nachweis: Bildnachweise: Reichstagshandbuch VIII. u. IX. Wahlperiode, 1933; verschiedene Fotografien im Besitz der Töchter (vgl. Quellen u. Lit.).

Literatur: Reichstagshandbuch VIII. u. IX. Wahlperiode 1933; Das Dt. Führerlexikon 1934-1935, 1934; Verhandlungen des Reichstags VIII. u. IX. Wahlperiode 1933, III., 1936, IV.,1938; Anton Lingg, Die Verwaltung d. NSDAP, 1940; Bestimmungen über die Zugehörigkeit zur Dt. Arbeitsfront. o. J. [ca. 1940]; Rang- u. Organisationsliste der NSDAP, 1947; Ernst Otto Bräunche, Die Entwicklung d. NSDAP in Baden bis 1932/33, in: ZGO 125, 1977, 343 ff.; Hans Stöhr, In alten Akten geblättert. 90 Jahre LVA Baden, 1981; Andreas Kranig, Lockung u. Zwang. Zur Arbeitsverfassung im Dritten Reich, VfZ 47, 1983, 27-57, 242-246; Johnpeter Horst Grill, The Nazi Movement in Baden 1920-1945, 1983; Herbert Lögler, Karlsruhe im Zeichen d. NS-Machtergreifung, Mannh. Dipl. Arbeit, 1984; Helmut J. Fischer, Hitlers Apparat. Namen, Ämter, Kompetenzen: Eine Strukturanalyse des 3. Reiches, 1988; Michael Ruck, Gewerkschaften – Staat – Unternehmer. Die Gewerkschaften im sozialen u. politischen Kräftefeld 1914 bis 1933, 1990; Peter Hubert, Uniformierter Reichstag. Die Geschichte d. Pseudo-Volksvertretung 1933-1945, 1992; Cornelia Rauh-Kühne u. Michael Ruck, Regionale Eliten zwischen Diktatur u. Demokratie. Baden u. Württemberg 1930-1952, 1993; Hubert Roser, NS-Personalpolitik u. regionale Verwaltung im Konflikt. Kommunen u. Landkreise in Baden u. Württemberg 1933-1939, 1996; Michael Kißener, Die Führer d. Provinz. NS-Biographien aus Baden u. Württemberg, 1997.
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