Vollmer, Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 26.07.1885;  Altdorf bei Nürtingen
Sterbedatum/-ort: 01.07.1961;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Konstrukteur und Unternehmer
Kurzbiografie: 1895–1901 Realschule in Neckartailfingen bis 1897, dann in Göppingen
1901–1905 Lehre in d. Pressenfabrik Schuler, Göppingen, bis 1903, dann Maschinenschlosser
1905–1909 Konstrukteur bei Hamm& Dürr, Maschinenfabrik in Pforzheim
1909 mit Carl Mayer Gründung d. Firma Mayer& Vollmer, Maschinenbau in Ebingen; seit 1910 Alleininhaber u. Betriebsverlegung nach Biberach
1942 Kriegsverdienstkreuz für wirtschaftliche Leistungen
1946–1948 Eintritt in die CDU; Mitglied im Biberacher Gemeinderat u. in d. beratenden Landesversammlung für Württemberg-Hohenzollern
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1924 (Biberach an d. Riß) Helene (1899–1988), geb. Palm, aus Ebingen
Eltern: Vater: Johann Peter (1844–1918), Landwirt, Käsereibesitzer
Mutter: Christina, geb. Knoll (1852–1926), stammt aus einer Familie protestantischer Kirchenpfleger, führt einen Kaufladen für Spezereien
Geschwister: 10; Fritz (geboren 1876), Mina, verh. Späth (geboren 1877), Martha, verh. Vetter (geboren 1879), Reinhold (geboren 1880), Elise, verh. Gauger (1882–1974), Gottlob (1884–1928), Otto (geboren 1887), Emilie (1888–1962), Gotthilf (1892–1979) u. Amalie (1894–1971)
Kinder: 3;
Sieglinde (geboren 1924),
Astrid, verh. Groß (geboren 1927),
Udo (1932–2015)
GND-ID: GND/131553364

Biografie: Frank Brunecker (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 492-495

Der in Altdorf bei Nürtingen geborene Sohn eines Landwirts und Käsereibesitzers schuf im oberschwäbischen Biberach an der Riß auf der Grundlage seiner Erfindungen ein Spezialunternehmen zur Herstellung von Sägeschärfmaschinen.
1909 erlangte er sein erstes Patent für die Konstruktion einer Schränkmaschine für Bandsägen. Auf dieser Grundlage entstand mit dem Monteur Carl Mayer als Kompagnon die Firma Mayer& Vollmer, Maschinenbau in Ebingen. Während eine erste Serie Schränkapparate gefertigt wurde, konstruierte Vollmer eine Feilmaschine, die sich nach Beendigung des Schärfens selbsttätig abstellte, also ohne Aufsicht arbeiten konnte. Dafür erhielt er im November 1909 ein Patent. Dann aber kam es zwischen den Kompagnons zu Unstimmigkeiten, 1910 schied Carl Mayer aus. Daraufhin übernahm Vollmer im Mai 1910 als Gegenleistung für familiäre Kredite die Bürstenhölzersägerei seiner Brüder Gottlob und Otto in Biberach a.d. Riß und verlegte seinen Betrieb dorthin. Dazu mietete er in der Wilhelmstraße 22, wo die Vollmer-Werke bis heute ansässig sind, eine ehemalige Glaserei. Ein Gasmotor diente als Antrieb seiner Werkzeugmaschinen. Weil es für seine neuartigen Maschinen keine Zulieferer gab, stellte er nicht nur alle Teile seiner Produkte, sondern auch seiner Produktionsmittel selbst her. Der Konstrukteur erfand nicht bloß Sägeschärfmaschinen, sondern entwarf auch Herstellungsprozesse. Weil der Markt für die Sägewerkstechnologie eng begrenzt war, schloss er seit 1911 Verträge mit Auslandsvertretungen in Frankreich, Russland und Spanien. Bis 1914 wurden in Deutschland und Europa jeweils über 3000 Schränk- und Feilmaschinen verkauft. Auf seiner Referenzliste standen 1002 Maschinen- und Möbelfabriken, Sägewerke, Holzhandlungen und Tischlereien.
Als der I. Weltkrieg ausbrach, fühlte sich Vollmer aufgerufen, seine Fähigkeiten in den Dienst des Heeres zu stellen. Bereits seit 1913 beschäftigte er sich mit der Konstruktion von Maschinengewehrteilen und arbeitete an einer gurtlosen Patronenzuführung. Die Entwicklung stockte, erst 1918 stand Vollmer vor der Fertigungsreife. Zu einem Vertrag kam es nicht mehr. Aber die Entwicklungsarbeit ebnete den Kontakt zu den Stabsstellen des Heeres und bildete die Basis für Aufträge im Zulieferbereich. 1915 erhielt Vollmer von der Königlichen Gewehrfabrik Danzig den Auftrag, 100 000 Mündungsschoner für das Gewehr 98 und 50 000 für den Karabiner 98a herzustellen. Diese wurden 1917/18 die wichtigsten Produkte von Vollmer; nur noch wenige Schränk- und Feilmaschinen verließen das Werk. 1918 produzierte Vollmer 65 000 bis 75 000 Mündungsschoner monatlich, auch in Nachtschichten. In der Großfräserei arbeiteten 40 bis 45 Planfräsmaschinen und acht bis zehn Bohrmaschinen. In der Kleinfräserei standen 50 Maschinen. Nur dank halbautomatischer Produktion ließen sich solche Stückzahlen erzielen. Während 152 Biberacher Betriebe schließen mussten, wurden die Vollmer-Werke zum größten und kriegswichtigsten Biberacher Unternehmen mit der höchsten Beschäftigtenzahl. Von 44 Arbeitern in den Vollmer-Werken 1914 stieg die Belegschaft bis 1918 auf ungefähr 1000, 750 allein in Biberach. Alles gründete auf den Aufträgen des Heeres.
Umso schlimmer wurde die Situation nach Kriegsende. Von 750 Mitarbeitern in Biberach konnten 1919 nur 80 gehalten werden. Vollmer suchte nach neuen Produkten, meldete diverse Patente an, u.a. für einen selbstsperrenden Schraubenschlüssel, für einen Spannstock mit Exzenter, für die Regulierung von Kolbenpumpen und für die Vollmer-Zündkerze Volo. Gegen die Konkurrenz des Marktführers Bosch konnte er sich hiermit aber nicht durchsetzen. Die wichtigste seiner Erfindungen war 1923 ein neuartiger Schärfautomat. Dies verbesserte die Lage in den Vollmer-Werken, bis die Weltwirtschaftskrise 1929 wieder existenzbedrohlich wurde; nur 20 bis 30 Arbeiter gab es 1930 noch. Erst 1933 kam hier schrittweise Besserung: Vollmer übernahm die Fertigung von Stahlbügeln für die Feldbetten des Reichsarbeitsdienstes. Auch neuentwickelte Schärfmaschinen fanden wieder Absatz. 1936 hatten die Vollmer-Werke 100, 1939 sogar 220 Beschäftigte. Dann brach der Krieg aus.
Vollmer konnte zunächst die Produktion an Schärfmaschinen halten, weil Spezialausführungen für die Pioniereinheiten des Heeres gebraucht wurden. Weitere gingen an Sägewerke in den besetzten Ostgebieten. Ab 1940 kamen waffenrelevante Rüstungsaufträge. Schon seit 1922 hatte Vollmer im Kontakt mit Berliner Heeresstellen Maschinenpistolen, Maschinengewehre und Maschinenkarabiner entwickelt. Im Krieg kamen die Folgeaufträge. Die Vollmer-Werke fertigten Kammern und Kornhalter für die Maschinenpistole 38, bis Kriegsende im Monat 3500 bis 4000 Kammern und über 4000, zeitweilig sogar 5500 Kornhalter. Ab 1943 wurden außerdem im Monat 600 bis 800 Verbindungsstücke für das Sturmgewehr 44 hergestellt. Das wichtigste Produkt jedoch bildete der Kurvenhalter für das MG 42, den zunächst außer den Vollmer-Werken nur die Firmen Gustav Genschow und die Großfuß AG Maget in Berlin herstellen konnten. Zur Abnahme der Kurvenhalter waren im Werk stets Offiziere des Heeres anwesend. Von Frühjahr bis Herbst 1942 lieferte Vollmer monatlich 600 bis 900 Kurvenhalter und war damit einer der kriegswichtigen Betriebe Oberschwabens. 1942 erhielt Vollmer das Kriegsverdienstkreuz.
Bis 1942 wuchs die Belegschaft von Vollmer auf 500 Personen an, darunter je 20 kriegsgefangene Franzosen und Polen. Wegen der Einberufung in die Wehrmacht trat Arbeitskräftemangel ein. Im Juni 1942 kündigte das Arbeitsamt Ulm für Vollmer die Zuteilung von russischen Zivilarbeiterinnen, 29 Mädchen und Frauen im Alter zwischen 15 und 31 Jahren aus den ukrainischen Städten Tschernigow, Jwanowka, Starohudka und Radomka an. Später gab es noch weitere Zugänge. Insgesamt wurden es 59 „Ostarbeiterinnen“, für die es eine separate Unterkunft mit vergitterten Fenstern gab. Die jungen Frauen wurden zur Arbeit geführt und wieder zurückgebracht. Um 22 Uhr wurde die Tür der Unterkunft abgeschlossen und das Licht gelöscht. Abgesehen von behördlich verordneten Härten wurden die Zwangsarbeiter bei Vollmer anständig behandelt, allerdings nicht angemessen bezahlt und in einer Art „Lagerhaft“ gehalten. Auch die Krankenversorgung war unzureichend.
Obwohl das Unternehmen seit den 1930er-Jahren von der NS-Aufrüstung abhing, wurde Vollmer kein Parteimitglied. Dabei drängte die NS-Kreisleitung den prominenten Fabrikanten mehrfach zum Eintritt. Politisch hatte Vollmer der Weimarer Republik kritisch gegenüber gestanden. Der Alt-Württemberger dachte revisionistisch, königs- und kaisertreu, nicht revolutionär und wählte, obwohl er evangelisch war, 1932 das katholische Zentrum.
Als die französische Besatzungsarmee am 23. April 1945 Biberach erreichte, brachten die französischen Kriegsgefangenen der Vollmer-Werke einen Aushang am Fabriktor an, dass sie hier gut behandelt worden seien und der Betrieb geschont werden möge. Wie viele andere öffentliche Gebäude der Stadt wurde auch das Verwaltungsgebäude von Vollmer von der Besatzungsmacht beschlagnahmt. Französische Soldaten wurden im unteren Stockwerk untergebracht. Die Kantine wurde für befreite polnische und russische „Fremdarbeiter“ requiriert, die dort ein durch bewaffnete Posten bewachtes Lebensmitteldepot einrichteten.
Schon am 2. Mai 1945 wurde die Arbeit in den Vollmer- Werken wieder aufgenommen – soweit noch Material vorhanden war. Im August brachen bewaffnete Banden ins Werksgelände ein. Danach wurden die russischen Posten verstärkt. Am helllichten Tag kam es zwischen Russen und Polen zu Schießereien. Erst nach Wochen gelang es den Franzosen, die Zustände zu ordnen.
Weil die Geldwirtschaft zum Erliegen gekommen war, suchte die französische Militärregierung die Tauschgeschäfte zu kontrollieren. Die Gusslieferanten außerhalb der französischen Zone fielen für die Vollmer-Werke aus; die Gießereien der Umgebung arbeiteten nur eingeschränkt. Abgüsse konnte Vollmer nur gegen Lieferung von Maschinen, Holz oder Koks erhalten. Aus Mangel an Gusseisen ließ Vollmer seine Maschinen auf Betonständer montieren. Um an Aluminium zu kommen, tauschte er abgeschossene Flugzeuge ein und gab das Aluminium an die Gießerei Handtmann in Biberach, die daraus Schleiflager und Flügelräder für ihn goss. Der Rüstungsproduktion während des Krieges wegen setzte die Militärregierung die Vollmer-Werke auf die Demontageliste. Nur dank der Fürsprache ihrer französischen Auslandsvertretung kam es nicht zur Totaldemontage. Eine erste Requirierung von 24 Werkzeugmaschinen fand im August 1945 statt; 1948 wurden 22 weitere Werkzeugmaschinen abtransportiert.
Da auch in Biberach Persönlichkeiten ohne NS-Vergangenheit rar waren, wurde der unbelastete Vollmer umworben. 1946 trat er der neu gegründeten CDU bei und kandidierte bei der Wahl am 15. September 1946 für den Gemeinderat. Mit dem zweitbesten Wahlergebnis zog er in das Gremium ein. Am 10.November 1946 wurde er auch in die beratende Landesversammlung in Tübingen-Bebenhausen gewählt, legte aber schon 1948 alle politischen Ämter nieder und konzentrierte sich allein auf seinen Betrieb.
Die wirtschaftliche Erholung setzte in Biberach allgemein erst 1952 ein. Bei den Vollmer-Werken war das anders. Dank der Auslandsgeschäfte der Zwischenkriegszeit stieg die Nachfrage nach Vollmer-Produkten schon 1949. Vollmer bot wieder über 300 Menschen Arbeit.
In den 1950er-Jahren wurden die Schärfmaschinen der Vollmer-Werke technisch verbessert, die Entwicklung von der Universal- zur Spezialmaschine begann. 1952 wurde die erste hydraulisch gesteuerte Maschine hergestellt und 1958 brachte Vollmer den ersten elektromechanischen Schränkautomaten auf den Markt, eine Konstruktion seiner Ingenieure. Für die Entwicklungsarbeit entstand eine eigene elektrotechnische Abteilung.
1959 wurde für Vollmer ein längerer Kuraufenthalt notwendig. 1960 brach die lebensbedrohliche Krankheit offen aus, an der er im Tübinger Krankenhaus starb. Von Weggefährten wird er als zurückhaltender, introvertierter Charakter beschrieben. Der wortkarge Praktiker ohne Abitur hinterließ keine eigenen Schriften. Er war der „Mann am Reißbrett“, kein Ingenieur. Als Konstrukteur erwarb er viele Patente im In- und Ausland, die wichtigsten für Sägeschärfmaschinen aus der Zeit von 1909 bis 1939. Er ist nicht der Erfinder der Schränkmaschine, der Feilmaschine oder des Schleifautomaten, er verbesserte aber diese Maschinen immer wieder. Vollmer-Konstruktionen gelten als besonders qualitätvoll, seine Schärfmaschinen zählten seit Ende des I. Weltkrieges zur Weltspitze.
Ähnlich war auch Vollmers Arbeit als Waffenkonstrukteur, aber die Kapazität des mittelständischen Unternehmens reichte nie aus, um Großaufträge des Heeres für seine automatischen Waffen zu erhalten. Nüchtern betrachtet war die Rüstungsproduktion der Versuch, aus dem engen Nischenmarkt der Sägewerkstechnik herauszufinden. Das spricht für Vollmer als Unternehmer. Seine Werke haben durch Rüstungsaufträge in beiden Weltkriegen profitiert, durch den Verlust beider Kriege jedoch und die damit verbundenen volkswirtschaftlichen Rückschläge wurden sie am langfristigen Wachstum eher gehindert. Vollmer ließ sich 1945 auch von der zweiten Katastrophe, die er erlebte, nicht entmutigen, sondern führte sein Unternehmen, mit immerhin schon 60 Jahren, aus der neuerlichen Existenzkrise heraus. Danach versiegten seine innovativen Impulse. Als 1955 beim Neuaufbau der Bundeswehr das MG 42 als MG3 eingeführt wurde, wandte sich die Rheinmetall AG auch an Vollmer Doch der wollte von einer neuerlichen Waffenproduktion nichts wissen und verkaufte die Maschinen. 1959 regte der Biberacher Landrat aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Vollmer-Werke die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes für Vollmer an. Er lehnte ab.
Die Vollmer-Werke sind bis heute ein Familienunternehmen. Sie beschäftigen weltweit rund 700 Mitarbeiter und sind in den Bereichen des Hartmetallschleifens und der Erodiertechnologie Weltmarktführer.
Quellen: A Altdorf, Grundstuckskataster 353/1896; Vollmer-FirmenA Biberach; StA Sigmaringen Wu13, 2, Nr. 827; StadtA Biberach E 509, E 1500, E 3218, E 3285; KreisA Biberach 014– 1028; HauptstaatsA Stuttgart E 151 k V. II, Bu 2045.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (o. J.), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 494, mit Genehmigung des Vollmer-FirmenA in Biberach.

Literatur: Udo Vollmer, Der Unternehmer Heinrich Vollmer als Waffenkonstrukteur, 1968; Vollmer- Werke 1911–1971. Eine Chronik, 1971; Helmut Glaser, Original Vollmer, 1984; Willi Boelcke, Wirtschaft u. Gesellschaft vom 18. Jh. bis zur Gegenwart, in: Dieter Stievermann (Hg.), Geschichte d. Stadt Biberach, 1991, 466; Hans-Otto Binder, Biberach in d. Zeit d. Weimarer Republik u. d. NS-Diktatur, ebd., 557; Hans Gerster, Erinnerung an die Frauen aus d. Ukraine, die in Kriegsjahren im „Pflugkeller“ lebten, in: Schwäb. Ztg. vom 29.1.1992; Udo Vollmer, Im Gedenken an Heinrich Vollmer, 2002; Frank Brunecker (Hg.), Nationalsozialismus in Biberach, 2006; ders., 100 Jahre Vollmer – Unendliche Schärfe, 2009.
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