Kern, Werner Josef 

Geburtsdatum/-ort: 09.02.1906;  Tiengen bei Waldshut
Sterbedatum/-ort: 18.01.1985; Mainz
Beruf/Funktion:
  • Polymerchemiker
Kurzbiografie: 1924 III Abitur an d. Rotteck-Oberrealschule, Freiburg
1924 IV–1930 X Studium d. Chemie an d. Univ. Freiburg, im WS 1926/27 in Heidelberg; 1. Verbandsexamen am 17. Juni 1926, 2. am 5.Okt. 1928
1930 X 27 Promotion zum Dr. phil.: „Über Polyoxymethylene“
1930 X–1938 V Assistent am Chemischen Laboratorium d. Univ. Freiburg; bis April 1935 Assistent mit Sondervertrag, ab April 1935 ordentlicher Assistent
1937 V–VIII Eintritt in die NSDAP, dann Habilitation für das Fach Organische Chemie u. Kolloidchemie: „Über heteropolare Molekülkolloide. Die Polyacrylsäure, ein Modell des Eiweißes“
1938 VI Dozent, ab Okt. 1939 Dozent neuer Ordnung
1938 VI–1939 III Auftrag, die Abteilung d. organ. Chemie im geplanten Kunststoffinstitut in Frankfurt einzurichten
1939 IV–1945 VII Chemiker in den wissenschaftl. Laboratorien am Höchst-Werk d. IG Farbenindustrie, Frankfurt
1946 IX 1 Planmäßiger außerordentlicher Professor für organ. Chemie an d. Univ. Mainz, ab WS 1954/55 ordentlicher Professor
1952 X Direktor des Instituts für Organische Chemie
1957 X Dt. Titularmitglied d. „Commission on Macromolecules“ of the International Union of Pure and Applied Chemistry, IUPAC; bis Okt. 1959 Planung, Organisation, dann Veranstaltung des IUPAC-Symposiums über Makromoleküle in Wiesbaden
1958 IV Einweihung des neuen Mainzer Instituts
1960 IV–1961 III Dekan d. Naturwiss.-math. Fakultät
1974 X Emeritierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Ehrungen: Hermann-Staudinger-Preis d. Gesellschaft Deutschen Chemiker (1971); Carl-Dietrich-Harries-Medaille d. Deutschen Kautschuk-Gesellschaft (1977); Dr. h. c. d. Univ. Belfast (1979); Korr. Mitglied d. Österreichischen Akademie d. Wissenschaften (1980)
Verheiratet: 1935 (Karlsruhe) Elfride Berta, geb. Baier (1911–2000)
Eltern: Vater: Konrad (1868–1954), Notar, Oberjustizrat
Mutter: Anna Maria Teresia, geb. Haungs (1879–1947)
Geschwister: 3; Konrad (1908–1941), Staatsanwalt, Otto Albert (1909–nach 1952), Oberamtsrichter, u. Anna (1912-nach 1985), Musiklehrerin
Kinder: 3;
Rudolf Werner (geboren 1937), Dr. rer. nat., Chemiker,
Rosemarie Elfriede (geboren 1939), verh. Arnold, Studienreferendarin,
Herbert Konrad (geboren 1944)
GND-ID: GND/132164868

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 240-245

Kern wurde als erstes Kind des Notars Konrad Kern in Tiengen, heute: Waldshut-Tiengen, geboren. Später erhielt sein Vater eine Stelle in Müllheim. Kern besuchte dort 1918 bis 1921 die Realschule mit sechs Klassen. Anschließend trat er in die Rotteck-Oberrealschule in Freiburg ein, die er Ostern 1924 mit dem Reifezeugnis abschloss. Vermutlich wohnte Kern damals bei Verwandten, weil die Familie erst um 1930 nach Freiburg umzog. Im Sommersemester 1924 begann Kern dort auch sein Chemiestudium. Den Lehrstuhl der Chemie und das Chemische Laboratorium leitete damals der bedeutende Organiker und spätere Nobelpreisträger Heinrich Wieland, was Kerns Einstellung zur organischen Chemie bestimmen sollte. Nach Wielands Weggang im Sommersemester 1926 folgte ihm Hermann Staudinger, der damals am Anfang seines Lebenswerks stand, der Begründung der makromolekularen Chemie. Dieser neue Bereich begeisterte Kern Nach dem Diplomexamen im Oktober 1928 begann er unter Anleitung Staudingers seine Doktorarbeit, die er während vier Semestern anfertigte. Kern untersuchte die Polymerisation des Oxymethylens (Formaldehyd) und Eigenschaften von dessen Produkten. Zur großen Zufriedenheit seines Doktorvaters erzielte er mehrere neue Resultate. Zunächst erarbeitete Kern die Herstellung von polymer-einheitlichen Molekülen des Polyoxymethylens und konnte zeigen, dass solche Moleküle noch mit einem Polymerisationsgrad von 100 unversetzt in Lösung gehen. Staudinger schrieb darüber in seinem Gutachten: „So ist die Existenz langer Moleküle durch diese Untersuchung auf das wertvollste bereichert, ganz besonders aber dadurch, dass auch hier wieder Zusammenhänge zwischen Viscosität und Molekulargewicht gefunden werden“. Staudinger hob auch die Herstellung einer „ganz neuen Modifikation“ als wichtiges Ergebnis der Arbeit Kerns hervor: des glasartigen Polyoxymethylens. Staudinger bewertete die Arbeit als „eine wesentliche Bereicherung unserer Kenntnis der Existenz und des Baus hochmolekularer Substanzen“ mit der Note „sehr gut“. (UA Freiburg, Promotionsakte Kern). Auch Kerns Rigorosum in Chemie als Hauptfach und den Nebenfächern Physik und Mathematik fand die Note „sehr gut“.
Die Dissertation Kerns wurde 1932 als ein Kapitel in Staudingers Monographie „Die hochmolekularen organischen Verbindungen“ publiziert. Praktische Anwendungen von Kerns Ergebnissen wurden erst nach dem Krieg möglich. Kern kehrte in den 1950er-Jahren zu diesem Gebiet zurück, als er mit Mitarbeitern eine Reihe von Untersuchungen durchführte, besonders über Reaktionen des Trioxans, d.h. des Trimers von Formaldehyd.
Nach der Promotion blieb Kern im Chemischen Laboratorium bei Staudinger, zunächst als Vorlesungsassistent, dann als Privatassistent, jeweils aber mit Sondervertrag pro Semester. Im Frühjahr 1935 erhielt Kern dann eine ordentliche Stelle, konnte eine Familie gründen und selbstständige Untersuchungen auf dem Gebiet der makromolekularen Chemie beginnen. Sein Thema war „Über heteropolare Molekülkolloide“ mit dem ersten Objekt die Linearkolloide der Polyacrylsäure. Staudinger vermutete, dass Polyacrylsäure als ein Modell des Eiweißes aufzufassen sei. Kern hatte vor, diese Vorstellung „zu vertiefen und vor allem die Polyacrylsäure als Typ polybasischer Säuren zu untersuchen“ (1938, S. 251). Diese Arbeit, die Kern dann im Mai 1937 als Habilitationsschrift vorlegte, bildete die Grundlage für weitere Forschungen über die Polyelektrolyten weltweit. In seinem Gutachten dazu äußerte Staudinger, „dass Dr. Werner Kern große wissenschaftliche Befähigung besitzt und dass man von ihm besondere Leistungen in der akademischen Laufbahn erwarten darf“ (UA Freiburg, B 24/1707). Bald nach dem Kolloquium zur Arbeit ermächtigte der zuständige Karlsruher Minister die Freiburger Fakultät, die Habilitation auszusprechen, die die Fakultät Kern am 30.August 1937 als „Würde und Rechte eines Dr. habilitatus“ (ebd.) verlieh.
Nach der NS-„Machtübernahme“ trat Kern, um seine Assistentenstelle nicht zu verlieren, in eine Wehrmannschaft ein, die 1934 in die SA überführt wurde. Noch vor seiner Habilitation, im Mai 1937, wurde er Mitglied der NSDAP. Mehr Katholik denn Nationalsozialist genoß er aber wenig Vertrauen in der NS-Partei. Das kam nach seiner Habilitation ans Licht; denn damals war die Venia legendi nicht mit dem Habilitationsvorgang verbunden. Um die Ernennung zum Dozenten musste sich Kern bewerben und öffentliche Lehrproben bestehen. Das geschah am 8. und 9. Februar 1938, wobei er „Über die Chemie der Kunststoffe“ vortrug, woraufhin Staudinger Kerns „ausgezeichnete Lehrbefähigung“ (UA Freiburg, B 15/794) bestätigte und die Fakultät das Gesuch Kerns befürwortete. Dagegen schrieb der Freiburger NS-„Dozentenführer“ Rolf Schmidt: „In politisch-weltanschaulicher Hinsicht kann über Kern kein eindeutiges Urteil gefällt werden. Kern ist katholisch und stand vor dem Umsturz dem Zentrum sehr nahe. Wenn er auch seit 1933 der SA angehört, so konnte bisher ein wirklich ehrlicher und begeisterter Einsatz für den Nationalsozialismus, wie wir ihn von einem zukünftigen Dozenten der deutschen Hochschule erwarten müssen, nicht festgestellt werden“ (UA Freiburg B 15/794). Nach Gesprächen mit Staudinger und dem Rektor stimmte der Dozentenführer „nur mit Bedenken“ zu. Im Juni 1938 verlieh das Berliner Ministerium Kern die ersehnte Dozentur. Übrigens war Kern schon im Wintersemester 1937/38 und Sommersemester 1938 mit Vorlesungen über „Methoden der organischen Chemie“ und „Qualitative organische Analyse“ beauftragt gewesen.
Im Frühjahr 1938 beauftragte die Reichsstelle für Wirtschaftsausbau Kern, eine chemische Abteilung des geplanten Kunststoffinstituts in Frankfurt einzurichten mit der Aussicht, Vorsteher dieser neuen Abteilung zu werden. Kern kündigte daraufhin seine Assistentenstelle. Ab Juni 1938 konnte er in Räumen der Frankfurter Universität binnen einiger Monate alle nötigen Einrichtungen vorbereiten. Er hatte auch vor, sich dorthin umzuhabilitieren, da er mehrere Frankfurter Doktoranden betreute. Das lehnte die Universität jedoch ab. Die Naturwissenschaftliche Fakultät wollte eine endgültige Stellung erst nehmen, „wenn in Frankfurt a. M. ein Kunststoff-Institut errichtet bzw. die Errichtung eines solchen Instituts soweit fortgeschritten ist, dass mit Sicherheit damit gerechnet werden kann, dass [… es bald] in Betrieb genommen wird.“ (UAF Abt. 1 Nr. 218 Bl. 103, Auskunft des UA Frankfurt). Braun (2006, S. 756) vermutete, dass hinter dieser Ablehnung Hinweise auf Kerns „religiöse Bindungen“ standen. Als sich der Plan, das Kunststoffinstitut zu errichten, immer wieder hinauszog, nahm Kern „eine sehr günstige Stellung in der Industrie“ an (UA Freiburg B 15/794, Brief Kerns vom 24.4.1939).
Ab 1. April 1939 begann Kerns Arbeit im Kunststoff-Laboratorium des Werks Höchst der IG Farben. Dank der Unterstützung der Fakultät konnte er Dozent der Freiburger Universität bleiben. Er hielt auch bis Wintersemester 1941/42 Vorlesungen über „Kunststoffchemie“. Dann wurde dies wegen seiner Überlastung bei Höchst unmöglich.
Bei Kriegsausbruch wurde Kern zum Heer eingezogen, auf Antrag von Höchst aber im April 1940 wieder freigestellt. Nun sollte er die Führung der Forschungsarbeiten übernehmen, um die „Fortschritte auf dem Kunststoffgebiet auf das Bunagebiet zu übertragen“ (Auskunft UnternehmensA Höchst). Dabei handelte es sich um das seinerzeit berühmte „Bunaprojekt“, die Herstellung synthetischen Kautschuks durch Polymerisation von ungesättigten Verbindungen. Bei ausführlichen Untersuchungen über Polymerisation und Copolymerisation von Butadien und von Chloropren mit Vinylverbindungen waren wissenschaftlich und technisch bedeutungsvolle Ergebnisse erreicht worden, besonders 1940/41 über die Aufklärung der Startreaktion der radikalischen Polymerisation mit Peroxiden, vor allem der sog. Redoxpolymerisation, der Auslösung von radikalischen Polymerisationen durch eine Redoxreaktion. Diese Forschungen wurden zusammen mit Mitarbeitern in Höchst und Leverkusen durchgeführt und 1944 abgeschlossen und bildeten die Basis für sechs Patente. Die Ergebnisse konnte Kern erst 1948 in sechs umfangreichen Artikeln in den zwei ersten Bänden von Staudingers Zeitschrift „Die makromolekulare Chemie“ publizieren. Sie stellen die erste zusammenfassende Monographie über Abläufe bei der Redoxpolymerisationen dar. Die Grundidee war „die Bildung freier Radikale bei der Redoxreaktion. […] Diese Radikale sind die Reaktionskeime des Kettenwachstums“ (1948, S. 209).
Nach dem Zusammenbruch wurde Kern auf Anordnung des amerikanischen Control Officers im Juli 1945 gekündigt. Er versuchte, als Dozent an der Freiburger Universität wieder eingestellt zu werden und schlug vor, Vorlesungen über „Chemie und Technologie der makromolekularen Stoffe“ zu halten (Brief Kerns an Staudinger vom 7.2.1946, UA Freiburg B 15/794). Die Sache blieb aber unentschieden. Drum bewarb er sich im Sommer 1946 als planmäßiger außerordentlicher Professor der neuen Universität Mainz, die in den Gebäuden einer ehemaligen Flak-Kaserne im Mai 1946 feierlich eröffnet worden war. Dorthin wurde er berufen.
Anfangs konnte Kern den wissensgierigen Studenten, meistens ehemalige Soldaten, nur Vorlesungen und Seminare bieten. An Arbeit in Laboratorien war nicht zu denken: „Das Leben als Student wie auch als Professor war nicht leicht. Es fehlte an allem, nicht nur an der Ernährung“, schrieb Kern 1977 (S. 38). Der ungeheizte Raum, in dem er las, war trotz eisiger Kälte überfüllt. Im Sommer 1947 konnte dann das erste Labor für 13 Studenten und einen Assistenten in einem ehemaligen Waschraum im Keller des Mineralogischen Instituts eingerichtet werden. Im Sommersemester 1951 war die Anfangsphase abgeschlossen, als in einer ehemaligen Fahrzeughalle in zwei Stockwerken fast 90 Arbeitsplätze sowie die nötigen Nebenräume bereitstanden. Die Bibliothek, deren Entwicklung Kern stets große Mühe widmete, basierte anfangs auf seinen privaten Beständen. „Heute kann diese Bibliothek den Vergleich mit entsprechenden Bibliotheken anderer Universitäten sehr gut aushalten“, bilanzierte er stolz als Emeritus (1977, S. 39).
In zäher Arbeit stabilisierten sich die Verhältnisse weiter. 1956 standen etwa 80 Arbeitsplätze für das organisch-chemische Praktikum und 60 für wissenschaftliche Arbeiten von Diplomanden und Doktoranden zur Verfügung. Kern verstand es, Hilfe der Industrie und die Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu finden. Die Unterstützung der Industrie erschien noch in anderer Hinsicht entscheidend: Es war der Leiter der BASF, Carl Wurster, auf dessen Fürsprache die Landesregierung Rheinland-Pfalz die erheblichen Mittel für den Neubau des Instituts bewilligte. Zum SS 1958 bezog das Institut für Organische Chemie das neue Gebäude und verdoppelte die Zahl der Plätze für Praktika und wissenschaftliche Forschung. Danach richtete sich die Tätigkeit Kerns stärker auf den wissenschaftlich-organisatorischen Bereich.
1957 wurde Kern beim Symposium über Makromoleküle der Internationalen Union für Reine und Angewandte Chemie, IUPAC, als Nachfolger von Staudinger zum deutschen Titularmitglied der Kommission über Makromoleküle gewählt. Damit war der Auftrag verbunden, das nächste IUPAC-Symposium in Deutschland zu organisieren. Die erste Versammlung dieser Art in der Bundesrepublik fand im Oktober 1959 in Wiesbaden statt. Mainz bot keine Unterkunft für über 1200 Teilnehmer. Anschließend gab Kern deren Materialien heraus.
Einen bedeutenden Teil seiner wissenschaftlich-organisatorischen Arbeit leistete Kern als Herausgeber. Bis zu seinem Lebensende war er Herausgeber der von Staudinger gegründeten Zeitschrift „Die makromolekulare Chemie“, bis zu dessen Tod 1965 zusammen mit ihm, dann 17 Jahre als Alleinherausgeber, ab 1982 schließlich zusammen mit seinem Schüler Hartwig Höcker. Die Redaktion befand sich ab 1961 in Mainz. Dank Kerns Einsatz gewann die Zeitschrift internationales Ansehen und trug wesentlich zur Verständigung der Wissenschaftler untereinander bei. Hinzu kam die Tätigkeit Kerns in Redaktionen mehrerer anderer Zeitschriften, in Gremien der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Gesellschaft Deutscher Chemiker, GDCh. Noch vor der Gründung der GDCh 1949 entstanden in den Besatzungszonen regionale Ortsverbände, auf Initiative Kerns zunächst „Das Chemische Kolloquium der Universität Mainz“, das als „GDCh-Kolloquium Mainz-Wiesbaden“ bald über die Zonengrenze hinausgriff.
Die Lehrtätigkeit Kerns in Mainz begann mit einer Antrittsvorlesung noch vor Anfang des Wintersemesters 1946/47. Bis zum Wintersemester 1963/64 las er dann jeden Winter je fünf Wochenstunden über „Organische Experimentalchemie“; in den Sommersemestern über „Analytische Methoden der organischen Chemie“ und über „Makromolekularchemie“. Sehr früh bot er auch Seminare und Kolloquien. Das gutbesuchte „makromolekulare Kolloquium“ (für Fortgeschrittene) führte Kern zusammen mit Günter Viktor Schulz (1905–1999) durch, dem Professor für Physikalische Chemie. Den eigentlichen Schwerpunkt aber bildete die Laborbetreuung: fast 150 Doktoranden und Diplomanden forschten unter Kerns Anleitung. Elf Männer habilitierten sich bei ihm und wurden fast alle Professoren. Er gründete also eine bedeutende Schule der makromolekularen Chemie, in der zahlreiche Mitarbeiter, zum Teil in selbstständigen kleinen Gruppen die verschiedenen Themen bearbeiteten. So erklärt sich auch, warum die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1969 den Sonderforschungsbereich „Chemie und Physik der Makromoleküle“ in Mainz gründete.
Kerns Lehrtätigkeit hatte noch eine weitere Facette: sein literarisches Wirken. Bedeutend darunter sein didaktisch sehr geschickt vorbereitetes „Praktikum der makromolekularen Chemie“, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde, nach drei Auflagen durch seine Schüler fortgeführt und noch heute weit verbreitet ist. Als Lehrmittel wichtig ist auch der umfangreiche Buchbeitrag „Organische Chemie der Kunststoffe“ von 1962, den Kern zusammen mit Hermann Kämmerer verfasste. Schließlich sind die insgesamt etwa 250 Druckseiten umfassenden Beiträge Kerns und seiner Mitarbeiter zum zweiteiligen Band 14 „Makromolekulare Stoffe“, (1961–1962) im vielbändigen Standardnachschlagwerk „Methoden der Organischen Chemie“ zu nennen.
Kerns Schüler Kämmerer listete 15 Gebiete auf, die das weite Themenspektrum der Forschungen Kerns umfasst. Außer den erwähnten Arbeiten über Polyoxymethylene, Polyelektrolyte und Redoxpolymerisationen gelten seine Problembearbeitungen über „konstitutionelle Exaktheit in der makromolekularen Chemie“ (1959) als besonders bedeutend, vor allem aber die Untersuchungen über Reaktionen an Polymeren ab 1955, woraus sich später die weite Forschungsrichtung „polymere Katalysatoren“ entwickelte. Viele von Kerns Fragestellungen erwiesen sich als so fruchtbar, dass sie von zahlreichen Wissenschaftlern im In- und Ausland aufgegriffen und fortgeführt wurden.
Nach der Emeritierung beteiligte sich Kern noch manche Jahre an Leben und Arbeit seines Instituts und publizierte mit jüngeren Kollegen Forschungsergebnisse und einige zusammenfassende Übersichten, von denen die über die Bedeutung von Endgruppen der linearen Makromoleküle von 1976 besonders interessant erscheint.
Die insgesamt 280 Publikationen Kerns spiegeln nur teilweise sein langes Berufsleben als Wissenschaftler, Lehrer und Organisator wider. Trotzdem bildet sein Werk eine Einheit; denn er hat „die makromolekulare Chemie aus ihrer Isolierung innerhalb der organischen Chemie herausgeführt“, wie sein Schüler Dietrich Braun (2006, S. 714) treffend formulierte.
Quellen: UA Freiburg Matrikel SS 1924, Nr. 188, B 44/164, B 44/ 168, Studentenakten; B 31/764, Promotionsakte Kern, B 1/4319, B 1/4320, Assistenten des Chemisches Laboratoriums, B 15/ 794 u. B 24/1707, Personalakten Kern; UA Heidelberg Studentenakte Kern; UA Mainz Best64, Nr. 65, Personalakte Kern; Auskünfte des UnternehmensA d. Höchst AG vom 6.6.2014, des StadtA Freiburg vom 23.7.2014, des StadtA Mainz vom 31.7.2014, des UA Frankfurt vom 4.8.2014, des StadtA Waldshut-Tiengen vom 4. u. 5.8.2014 u. des Bürgeramts Mainz vom 20.8.2014.
Werke: (mit H. Staudinger, R. Signer, H. Johner, O. Schweitzer) Über Polyoxymethylen-dihydrate, in: Liebigs Annalen d. Chemie 474, 1929, 238-259; Das Polyoxymethylen, ein Modell d. Cellulose, in: H. Staudinger, Die hochmolekularen organischen Verbindungen: Kautschuk u. Cellulose, 1932, 224-287; Polyoxymethylenfilme u. -fasern, in: Kolloid-Zs. 61, 1932, 308-310; (mit H. Staudinger) Viscositäts-Messungen an Lösungen von Fadenmolekülen mit verzweigten Ketten, in: Berichte d. Dt. Chemischen Ges. 66, 1933, 373-378; (mit H. Staudinger) Über die Konstitution d. Polyoxymethylene, ebd., 1863-1866; Vergleich d. osmotisch u. viscosimetrisch bestimmten Molekulargewichte von Gemischen von Polymer-homologen, ebd. 68, 1935, 1439-1443; Über heteropolare Molekülkolloide. I. Die Polyacrylsäure, ein Modell des Eiweißes, II. Die Viscosität von Lösungen d. Polyacrylsäure u. ihrer Salze, in: Zs. für physikalische Chemie, A, 181, 1938, 249-282, 283-300; Untersuchungen an wässrigen Lösungen hochmolekularer Säuren u. ihrer Salze, in: Angewandte Chemie 51, 1938, 566-569; (mit K. Feuerstein) Über die chemische Reaktion, die d. Inhibierung d. Polymerisation von Styrol durch Chinon zugrunde liegt, in: Journal für praktische Chemie 158, 1941, 186-199; (mit E. Brenneisen) Über heteropolare Molekülkolloide. III. Polymere Amine als Modelle des Eiweißes; IV. Untersuchungen an Salzen polymerer Amine u. an Polyäthyleniminen, ebd., 159, 1941, 193-218, 219-240; (mit H. Fernow) Über die Polymerisation des Acrylnitrils u. Polyacrylnitril, ebd. 160, 1942, 281-295; (mit H. Fernow) Über die Polymerisation des Methacrylnitrils u. Polymethacrylnitril, ebd., 296-314; (mit H. Kämmerer) Die chemische Molekulargewichtsbestimmung von Polystyrolen, I., II., ebd., 161, 1943, 81-112, 289-292; Über die Einfluss des molekularen Sauerstoffes auf die Polymerisation ungesättigter Verbindungen, in: Die makromolekulare Chemie, 1, 1948, 199-208; Die Katalyse d. Polymerisation ungesättigter Verbindungen mit Hilfe von Redoxsystemen, ebd. 209-228; Über den Primärakt d. mit Hilfe von Peroxyden ausgelösten Polymerisation ungesättigter Verbindungen, ebd., 229-248; Die Metallredoxkatalyse d. Polymerisation ungesättigter Verbindungen, ebd., 249-268; Die Autox- u. Metallautox-Katalyse d. Polymerisation ungesättigter Verbindungen, ebd. 2, 1948, 48-62; Die Beschleunigung d. Polymerisation ungesättigter Verbindungen mit Hilfe von Redoxsystemen, in: Angewandte Chemie 61, 1949, 471-473; Zur Entwicklung d. makromolekularen Chemie. H. Staudinger zum 70. Geburtstag, in: Angewandte Chemie 63, 1951, 229-231; Bildungsweisen makromolekularer Stoffe durch Polymerisation, in: Chemiker-Zeitung 76, 1952, 667-672; Die Katalyse d. Polymerisation ungesättigter Verbindungen, in: Naturforschung u. Medizin in Deutschland 1939–1946, Bd. 38, 1953, 175-213; (mit H. Willersinn) Die Katalyse d. Autoxydation ungesättigter Verbindungen, in: Angewandte Chemie 67, 1955, 573-581; Zur Entwicklung d. makromolekularen Chemie, in: Chemiker-Ztg. 80, 1956, 335-337; (mit R. C. Schulz) Synthetische makromolekulare Stoffe mit reaktiven Gruppen, in: Angewandte Chemie 69, 1957, 153-171; (mit M. Achon-Samblancal u. R. C. Schulz) Die Anwendung von Dicyclopentadienyl-Eisen bei d. Eisen-Redox-Polymerisation von Styrol, in: Monatshefte für Chemie 88, 1957, 763-767; Chemische Umsetzungen an synthetischen Polymeren, Chemiker-Ztg. 82, 1958, 71-77; Über die konstitutionelle Exaktheit in d. makromolekularen Chemie, in: Angewandte Chemie 71, 1959, 585-589; (mit H. Kämmerer). Makromolekulare u. organische Chemie. Gemeinsamkeiten u. Unterschiede, in: Umschau 64, 1961, 399-402; (mit H. Chedron u. V. Jaacks) Polywerner oxymethylene, in: Angewandte Chemie 73, 1961, 177-186; (mit H.Chedron u. L. Höhr) Die Ampullentechnik, eine einfache Präzisionsmethode für gaschromatographische Untersuchungen, ebd., 215-218; (mit H. Kämmerer) Die organische Chemie d. Kunststoffe, in: R. Houwink, A. J. Staverman (Hgg.), Chemie u. Technologie d. Kunststoffe Bd. I, 41962, 1-169; (mit D. Braun) Stereospezifische Polymerisation in homogenem Medium, in: Chemiker-Ztg. 87, 1963, 799-807; Über die Polymerisation u. Copolymerisation von Trioxan u. von Formaldehyd, ebd. 88, 1964, 623-630; (mit D. Braun u. H. Chedron) Praktikum d. makromolekularen organischen Chemie, 1966, 2. Aufl. 1971, 3. Aufl. 1979; (mit H. Kämmerer) Modelle für Matrizenreaktionen, ebd. 91, 1967, 73-79; Chemische Elementarvorgänge bei d. Alterung von Kunststoffen, ebd., 255-262; (mit V. Jaacks) Die Bedeutung d. Polyoxymethylene für die Entwicklung d. makromolekularen Chemie, in: Kolloid-Zs. u. Zs. für Polymere, 216-217, 1967, 286-298; Endgruppen linearer Makromoleküle u. ihre Bedeutung, in: Chemiker-Ztg. 100, 1976, 401-406; (mit H.-J. Cantow) Herrn Professor Dr. Günther Viktor Schulz zum 70. Geburtstag, in: Die Makromolekulare Chemie 177, 1976, 961-963; Das Institut für Organische Chemie, in: Fritz Krafft (Hg.), Mathematik u. Naturwissenschaften an d. Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Überblick d. Fachbereiche aus Anlass d. 500-Jahr-Feier d. Universität, 1977, 37-43.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (ca. 1960), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 239, UA Mainz, Bilder Sammlung, mit Genehmigung d. Univ. Mainz. – UA Heidelberg, Studentenakte Kern, Foto ca. 1926; UA Mainz, Bildersammlung (© Foto Rimbach, Mainz); Krafft (Hg.), 1977, 125; Braun, 2006, 754, 757, 758; Höcker, 2006, 145 ; Wegner, 2009, 69 (vgl. Literatur).

Literatur: DBE Bd.5, 2. Aufl. 2006, 592; Poggendorffs Biogr.-literar. Handwörterb. VIIa, Teil 2, 1958, 730f., VIII, Teil 3, 2004, 1648; Anonym, Werner Kern, in: Nachrichten aus Chemie u. Technik 14, 1966, 72 (mit Bildnachweis); H. Höcker, R. C. Schulz, Werner Kern zu seinem 70. Geburtstag, in: Die makromolekulare Chemie 177, 1976, 1639-1641; Fritz Krafft (Hg.), Mathematik u. Naturwissenschaften an d. Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Überblick d. Fachbereiche aus Anlass d. 500-Jahr-Feier d. Universität, 1977, 37-48, 95, 98, 114, 142 (mit Bildnachweis); J. Schurz, Werner Kern †, in: Almanach d. Österr. Akad. d. Wiss. 135, 1985, 349-352; H. Höcker, Professor Werner Kern 1906–1985, in: Macromolecular Chemistry and Physics 207, 2006, 145-147 (mit Bildnachweis); D. Braun, Redoxpolymerisation u. Superabsorber – Werner Kern (1906–1985), in: Nachrichten aus d. Chemie 54, 2006, 754-758 (mit Bildnachweis); G. Wegner, Werner Kern (1906–1985): Der Beginn d. organischen u. makromolekularen Chemie in Mainz, in: M Kießener, Fr. Moll (Hgg.), Ut omnes unum sint (Teil 3): Grundprofessoren d. Chemie u. Pharmazie, 2009, 69-83 (mit Bildnachweis). – Hermann Kämmerer u. Rita Weis, Das wiss. Werk von Prof. Dr. Dr. h. c. Werner Kern dargest. an seinen Publikationen bis 1983. 1986, (unpubl., aufbewahrt im UA Mainz, teilw. fehlerhaft).
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