Grünebaum, Saly (auch Sally, Sali oder Salli) 

Geburtsdatum/-ort: 29.04.1886; Homburg/Main
Sterbedatum/-ort: 25.03.1948; Tel Aviv, Israel
Beruf/Funktion:
  • Journalist, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1914-1918 Teilnahme am I. Weltkrieg
1922-1928 Chefredakteur der sozialdemokratischen „Volkszeitung“ Heidelberg
1928-1933 Redakteur für Politik und Feuilleton der sozialdemokratischen Zeitung „Volksfreund“ Karlsruhe
1931/1933 Privatklageverfahren des späteren Reichsstatthalters Wagner gegen Grünebaum wegen Beleidigung
1933 Schutzhaft (Gefängnis Karlsruhe, KZ Kislau) zusammen mit anderen badischen Politikern, u.a. Marum, Remmele; öffentliche Zurschaustellung durch die Nationalsozialisten bei der Überführung nach Kislau, Auswanderung nach Palästina
1934 Gedenkartikel zu Ehren des von den Nationalsozialisten im KZ Kislau ermordeten badischen Politikers Ludwig Marum
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: (1923?) Else Mathilde, geb. Dreyer (1900-1938)
Eltern: Vater: Mendel (1860-1920), Privatier, 1912 Vorstand der jüdischen Kultusgemeinde Homburg
Mutter: Fanny, geb. Schlossberger (1863-1942, gest. im KZ Theresienstadt)
Geschwister: 2 (3?) Brüder
Kinder: 2 Töchter
GND-ID: GND/134233786

Biografie: Christoph Clasen (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 110-113

Nach Absolvierung der Oberrealschulen in Schweinfurt und Aschaffenburg und beruflicher Tätigkeit im Bank- und Metallfach war Grünebaum etwa seit 1908 als Journalist tätig. In einem in seiner Wiedergutmachungsakte enthaltenen Schreiben, mit dem er sich 1933 nach seiner erzwungenen Auswanderung bei einem Verlagshaus in Tel Aviv um eine Stelle bewarb, bezeichnete er sich als „mit Kriegsunterbrechung bald 25 Jahre in der Journalistik tätig“. Er studierte nach der Rückkehr aus dem I. Weltkrieg Nationalökonomie an den Universitäten Heidelberg und Frankfurt/M., wo er im Wintersemester 1918/1919 im Fach Wirtschaftswissenschaften immatrikuliert war. Grünebaum ergänzte dieses Studium nach eigenen Angaben im Interesse einer möglichst universellen Bildung durch literarische, geschichtliche und philosophische Studien. Er war nach dem „Handbuch des Vereins der Arbeiterpresse“ 1912 Redakteur der Freien Presse, Reutlingen, 1913 und 1914 Landtagsberichterstatter und parlamentarischer Mitarbeiter der sozialdemokratischen Presse Badens in Karlsruhe, für die er dort auch 1919 bis 1922 als Vertreter wirkte. Weiterhin auch als Landtagsberichterstatter tätig, hatte er zwischen 1922 und 1928 neben Ämtern im Heidelberger SPD-Vorstand auch die Stelle als Chefredakteur der in Heidelberg erscheinenden sozialdemokratischen „Volkszeitung“ inne. Anschließend übernahm er bei der in Karlsruhe erscheinenden, ebenfalls sozialdemokratischen Zeitung „Volksfreund“ die Redaktion für Politik und Feuilleton, die er bis zu seiner Verhaftung 1933 innehatte.
Daneben lieferte er Beiträge für andere, auch außerhalb Badens erscheinende Zeitungen, z. B. die „Mannheimer Volkszeitung“ und die „Münchner Post“. Aus dem erwähnten Bewerbungsschreiben ergibt sich, dass er bereits während seiner Felddienstzeit im I. Weltkrieg Voltaires philosophischen Roman „Candide“ übersetzt und 1925 als Zeitungsroman veröffentlicht hatte. 1921 war von ihm eine Arbeit über den ersten Landtag Badens nach der Errichtung der Republik erschienen, und in seiner Zeit als Redakteur in Heidelberg (1924) verfasste er eine biographische Arbeit über Ludwig Frank, einen der führenden sozialdemokratischen Abgeordneten jüdischer Herkunft im badischen Landtag vor dem I. Weltkrieg, daneben Reichstagsabgeordneter, der am 4. August 1914 für die Bewilligung der Kriegskredite gestimmt hatte und als Kriegsfreiwilliger am 3. September 1914 an der Vogesenfront gefallen war.
Lässt sich dem spärlichen Quellenmaterial immerhin entnehmen, dass Grünebaum sich als Sozialdemokrat an der von Friedrich Ebert und anderen vertretenen politischen Linie orientierte, wie auch die Richtung des Karlsruher „Volksfreundes“ als revisionistisch charakterisiert wurde, so äußerte Grünebaum sich in dem erwähnten Bewerbungsschreiben von 1933 zu seinem Judentum dahingehend, dass er, wiewohl „aus deutsch-jüdischer Familie stammend „schon sehr frühzeitig noch zu Herzl’s Zeiten der Idee des Zionismus nahe [stand], so wenig Realisierungsmöglichkeiten sich mir auch boten“.
Es verwundert denn auch nicht, dass Grünebaum sich als Jude und Redakteur einer sozialdemokratischen Zeitung mit den persönlichen Qualitäten und dem politischen Wirken nationalsozialistischer Funktionäre befasste und sie teilweise mit spitzer Feder glossierte. Reaktionen der Nationalsozialisten blieben nicht aus. So wies um 1930/31 das Plakat, das den Vortrag eines Mitarbeiters des NS-Innenministers von Thüringen, Wilhelm Frick, in Heidelberg ankündigte, zur Weckung des Publikumsinteresses folgenden Slogan auf: „Frick in Thüringen noch nicht gestürzt? so fragen jeden Morgen die Redakteure von Grünebaum bis Höfler“. Außerdem hatte er sich mit mehreren Privatklagen des badischen NS-Landtagsabgeordneten und nachmaligen Reichsstatthalters Robert Wagner auseinanderzusetzen, u. a. wegen eines Artikels im „Volksfreund“ um die Jahreswende 1930/31, der Wagners Rolle im I. Weltkrieg in ironischer Form mit Herumtreiberei in der Etappe in Verbindung brachte und ihn als den Prototyp des sozial deklassierten Parteimitgliedes hinstellte, dessen Mitgliedschaft und politisches Verhalten nicht von Überzeugungen, sondern von finanziellen Motiven bestimmt und der darum auf Gedeih und Verderb an Hitler gekettet sei. Dieser Fall hatte durch ein Straffreiheitsgesetz von 1932 seine Erledigung gefunden. Der zweite, über dessen Hintergründe dem zugänglichen Quellenmaterial kaum etwas zu entnehmen ist, beruhte auf einer Klage Wagners vom März oder April 1933 und endete mit der Verhängung einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe. Inzwischen war Grünebaum jedoch bereits Opfer der Verfolgungsmaßnahmen geworden, die die Nationalsozialisten seit ihrem Machtantritt, insbesondere seit dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933, eingeleitet hatten: Am 11. März 1933 wurde Grünebaum zusammen mit anderen Repräsentanten der Weimarer Demokratie in Baden, u. a. Ludwig Marum, dem badischen Staatsrat und SPD-Land- und Reichstagsabgeordneten, verhaftet und zunächst in eine Karlsruher Haftanstalt eingeliefert. Am 16. Mai 1933, dem Tag der konstituierenden Sitzung des gleichgeschalteten badischen Landtages, wurde Grünebaum zusammen mit Marum, dem eigens von Hamburg ausgelieferten früheren badischen Staatspräsidenten A. Remmele und anderen sozialdemokratischen Staats- und Parteifunktionären auf offenen Polizeifahrzeugen, begleitet von einer SS-Eskorte und eingekeilt in eine johlende Menschenmenge, durch die Innenstadt zum Karlsruher Polizeipräsidium und von dort zum Konzentrationslager Kislau überführt. Hier wurde er, gestützt von Ludwig Marum, der sich als Aufsichtsratsvorsitzender des „Volksfreunds“ noch aus der Haft um Grünebaums Gehalt und den Unterhalt für dessen Familie bemühte, bis zum 18. Oktober 1933 festgehalten. Seine Freilassung erfolgte, begleitet von hämischen Kommentaren der NS-Presse, unter der Auflage, Deutschland sofort in Richtung Palästina zu verlassen; ihm blieb nicht einmal die Möglichkeit, den Transfer von Familienhabe oder Vermögen nach Palästina zu organisieren.
Grünebaum und seine Frau bemühten sich in ihrem palästinensischen Exil vergeblich, in ihrem bisherigen beruflichen Betätigungsfeld, dem Journalismus, eine Stelle zu finden. Abgesehen von einzelnen kleineren Beträgen war er auf Leistungen der Sozialfürsorge und auf Unterstützung durch die Familie seines ebenfalls nach Palästina ausgewanderten Bruders angewiesen. Schon 1938 verstarb seine Frau, er selbst erlag den Folgen eines Schlaganfalls, der sich während einer Augenoperation einstellte.
Nur er kann es den Umständen nach gewesen sein, der im Frühjahr 1934 unter dem Pseudonym „Germanicus“ in einer palästinensischen Zeitung einen Nachruf auf den im Konzentrationslager Kislau am 29. März 1934 vorgeblich durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen, in Wirklichkeit auf Befehl des Reichsstatthalters Wagner ermordeten Ludwig Marum erscheinen ließ. „Der Grabstein wurde gewälzt über den Lebensinhalt und die Werke Marums – der Grabstein wurde gelegt über den Juden Marum, der sein Leben und seine Seele für den deutschen Arbeiter, für Deutschland, sein Vaterland gegeben hatte“, hieß es in dem Nachruf als Fazit. Sinngemäß mochte dies auch für Grünebaums Lebenswerk gelten, wie letztlich für das Judentum schlechthin und sein kulturelles Erbe. Marum mag man als Repräsentanten jener ansehen, die sich als Deutsche fühlten und sich nicht aus ihrer Heimat verdrängen lassen wollten und dafür vielfach mit Verfolgung und Tod zahlten, Grünebaum für jene Richtung, für die sich die Auswanderung nach Palästina als Alternative zu einem Leben in Deutschland und damit, wenn auch unter schweren Opfern, als Rettungsanker anbot.
Quellen: GLA Karlsruhe Wiedergutmachungsakte Grünebaum, 480 EK 30337, u. Haftakte des Konzentrationslagers Kislau, 521/Zug. 1982 Nr.48/8400; StadtA Karlsruhe, Zeitgesch. Sammlung, biogr. Ausarbeitung zu S. Grünebaum v. Martin Harth, 97828 Marktheidenfeld; Mitteilung d. Johann Wolfgang Goethe-Universität, Der Präsident, Studentensekretariat, vom 20. 1. 2000; HStA München, Plakatsammlung Nr. 10191 und Mitteilung vom 15. 2. 2000.
Werke: Der erste Landtag d. Republik Baden, 1921; Ludwig Frank. Ein Beitrag zur Entwicklung d. dt. Sozialdemokratie, 1924; Candide von Voltaire, eingel. u. übers., 1925, als Zeitungsroman erschienen (Angaben nach: Handbuch des Vereins Arbeiterpresse, vgl. Lit.).
Nachweis: Bildnachweise: Ludwig Marum, Briefe, 1986, 33 (vgl. Lit.).

Literatur: Handbuch des Vereins Arbeiterpresse, hg. vom Vorstand des Vereins Arbeiterpresse, 4. Folge, 1927, 390; 70 Jahre Dienst am Volk, hg. vom SPD-Ortsverein Karlsruhe, bearb. v. Josef Eisele u. Helmut Köhler, o. J. [um 1959], 39, 44, 52, 56 ff., 64, 83; Leonhard Scherg, Homburg – das Schicksal einer jüd. Kultusgemeinde auf dem Land während des 19. u. 20. Jh.s, in: Mainfränk. Jb. für Gesch. u. Kunst Bd. 35, 1983, 135 ff. (143); Peter Merz (Bearb.), Erlebnisbericht Fritz Winteroll, in: Damit nichts bleibt wie es ist. Dokumente zur Gesch. d. Arbeiterbewegung in Heidelberg 1845-1949, hg. von d. Verwaltungsstelle d. IG Metall, 1986, 199; Horst Ferdinand, Robert Heinrich Wagner, in: BBNF II, 1987, 297-301; Gerhard Kaller, Jüd. Abgeordnete im bad. Landtag 1861-1933, in: Juden in Karlsruhe. Beiträge zu ihrer Geschichte bis zur NS-Machtergreifung, hg v. Heinz Schmitt unter Mitwirkung von Ernst Otto Bräunche u. Manfred Koch, 1988, 413 ff., bes. 424 ff., 427; Ludwig Marum, Briefe aus dem Konzentrationslager Kislau. Ausgew. u. bearb. von Elisabeth Marum-Lunau u. Jörg Schadt. Mit einem Lebensbild von Joachim W. Storck, hg von den StadtAen Karlsruhe u. Mannheim, 1988 2. Aufl., 19, 37 f., 39, 43, 48 f., 57, 58, 71, 80, 86, 120 f., 133, 137 f.; Ludwig Marum, in: BBNFIV, 1996, 198 ff.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)