Keller, Josef 

Geburtsdatum/-ort: 26.01.1887;  Riedlingen
Sterbedatum/-ort: 08.06.1981;  Radolfzell
Beruf/Funktion:
  • Konditormeister, „Erfinder“ der Schwarzwälder Kirschtorte
Kurzbiografie: 1893–1901 Schulbesuch in Riedlingen
1901–1904 Konditorenlehre in Riedlingen u. Reutlingen bis Gesellenprüfung
1904–1915 Wanderschaft durch Süddeutschland
1915–1918 Soldat im I. Weltkrieg beim Landsturm
1919 Meisterprüfung vor d. Handwerkskammer Konstanz
1925 Kauf des seit 1919 in Radolfzell gepachteten Cafés
1933 V 1–1945 Eintritt in die NSDAP u. Radolfzeller Stadtrat
1937 Vergrößerung d. Caféräume
1947 Ende d. beruflichen Tätigkeit
1982 Würdigung als „Erfinder“ d. Schwarzwälder Kirschtorte durch Georg Ubenauf
2001 Ausstellung des Stadtmuseums Radolfzell zu Keller u. d. „Schwarzwälder Kirschtorte“, danach in mehreren Orten gezeigt
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1915 (Überlingen) Sophia Theresia, geb. Rohnbühl (1889–1975)
Eltern: Vater: Anton (1854–1936), Strumpfwirker
Mutter: Josefa, geb. Sterk (1855–1893)
Geschwister: 9
Kinder: 2; Karl (1916–1995) u. Paul (1918–1996), beide Konditormeister
GND-ID: GND/141636939

Biografie: Achim Fenner (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 238-240

Sie heißt nicht nach dem Bodensee, weil das vielleicht wässrigen Geschmack assoziiert hätte?, auch nicht Godesberger Kirschtorte, obwohl sie dort erstmals komponiert worden war, und Radolfzell, von wo aus sie wortwörtlich in die Welt ging, mag nicht weltläufig genug sein für einen in wie viele Sprachen eingegangenen Begriff. Es wird wohl das einmalige Aroma des Kirschwassers gewesen sein, das Keller half, den heute international üblichen Namen zu finden: Schwarzwälder Kirschtorte. Mögen die dazu gebrannten Kirschen auch sonstwo gewachsen, geerntet und zum „Schwarzwälder“ Kirschwasser gebrannt worden sein: dem Schwarzwald half „seine“ Kirschtorte jedenfalls ungemein, auch wenn dort nirgendwo ein Denkmal des Mannes aufgerichtet wurde und die Wenigsten wissen, wer sie als Erster „gesetzt“ hat.
In der württembergischen Amtsstadt Riedlingen an der Donau wuchs Keller in beengten Verhältnissen einer Weberfamilie auf. Im Alter von sechs Jahren verlor er seine Mutter, die bei der Geburt ihres 10. Kindes starb. Nach der Schule begann er beim Nachbarn eine Ausbildung zum Konditor. Die Lehre setze er später in Reutlingen fort und die der Gesellenprüfung folgenden Wanderjahre führten ihn dann in renommierte Konditoreien in Schorndorf, Landau in der Pfalz, Tettnang, Biberach an der Riß, nach Müllheim im Markgräflerland, Forchheim in Oberfranken, Stuttgart, Überlingen, Diedenhofen im Elsass, nach Konstanz und Ulm. In Stuttgart besuchte Keller 1911 einen Kurs in der „Internationalen Lehranstalt für Conditoren Friedrich Hartmann“ und dreimal zog es ihn zu Franz Teriet nach Überlingen, wo er 1914 seine spätere Frau kennenlernte. Kurze Zeit nach der Hochzeit wurde der 28-jährige zum Landsturm in den Raum Koblenz eingezogen und musste die Vorbereitung zur Meisterprüfung unterbrechen.
Der Soldat im II. Landsturm-Infanterie-Bataillon Bonn VIII. 7 nahm im Frühjahr 1916 an den Stellungskämpfen in den mittleren Vogesen teil. Aber auch in der Armee kam Keller seiner beruflichen Begabung nach, wie Fotos vermuten lassen. Ende November 1918 wurde der Gefreite aus dem Heer entlassen und kam an den Bodensee zurück. Ein Jahr später bestand er vor der Handwerkskammer Konstanz die Meisterprüfung, als einer der Besten.
Zusammen mit seiner Frau, die im Hotelgewerbe ausgebildet war, betrieb Keller in Radolfzell am Bodensee ein bei der Konditorei gelegenes kleines Caféstübchen, das er anfangs vom Überlinger Konditor Teriet gepachtet hatte. Unter den Eheleuten entwickelte es sich zum renommierten Café mit mehreren Angestellten.
Aus der Zeit um 1927/28 stammt ein von Keller zusammengestelltes Rezeptbuch, worin sich die handschriftliche Rezeptur seiner Schwarzwälder Kirschtorte findet. Der Familienüberlieferung nach hat Keller in Bad Godesberg im Café von Konditor Eugen Agner erstmals die Süßspeise aus Schlagrahm und Kirschen verfeinert: er setzte unter die Kirschen einen Mürbeteigboden und aromatisierte die Schlagsahne mit Schwarzwälder Kirschwasser. Ein Sandboden bildete die Decke, die er mit Kirschbuttercrème überstrich und mit Schokoladenraspeln verzierte. Die Anregung für Kellers Komposition aus Kirschen, Sahne und Schwarzwälder Kirschwasser hatten Studenten aus dem nahen Bonn gegeben, die oft in großen Gruppen im Café Agner eingekehrt waren. Das scheint sich im Sommer oder Herbst 1916 ereignet zu haben, obwohl die Familie Keller dafür das Jahr 1915 überliefert. Die „Erfindung“ freilich hat das gewiss nicht verändert, zumindest nicht geschmacklich! Sein Wissen gab Keller später vielen Lehrbuben und Gesellen weiter und es fand sich in mancher Notiz, die sie aus Radolfzell hinaustrugen.
Am 1. Mai 1933 trat Keller in die NSDAP ein und zog wenig später in den Radolfzeller Stadtrat ein, dem er bis 1945 angehörte. Für die Deutsche Arbeitsfront war er 1936/37 ehrenamtlicher Ortsobmann, für „Kraft durch Freude“ von 1937 bis 1945 Ortswart. Im Trubel um seine Entnazifizierung ging des 60-jährigen Konditorei mit Café „krankheits- und altershalber“, wie der Nachfolger erklärte, in die Hände seines ältesten Sohnes über; denn der erste 1947 verkündete Entnazifizierungsbescheid war geradezu drakonisch: „Einzug des gesamten Vermögens. Dauerndes Verbot, eine leitende oder selbstständige Tätigkeit auszuüben. Entzug des Führerscheins auf dauernd. Drei Jahre Sondereinsatz“ (Amtsblatt vom 2. April 1947, Nr. 13 Beilage III, S. 552, in: StAF D 180/2 Nr. 154984). Aus dem Revisionsverfahren vom 23. Juli 1948 ging Keller verglichen damit fast unbeschadet hervor: als Mitläufer (ebd.). 1950 übergab er endgültig sein Geschäft.
Keller, in Radolfzell liebevoll der „süße“ Josef, galt seinen Gästen und der Nachbarschaft als Bescheidenheit in Person. Er erzählte zwar die Geschichte „seiner“ Torte, einem größeren Publikum wurde seine „Erfindung“ aber erst nach seinem Tod bekannt.
Quellen: StadtA Radolfzell 122/46, Café Keller (1911–1955), Bestand LA KN VII 1414, Gewerbe u. Handel, Gewerbebetriebe u. Anlagen, Konzessionsakte Karl Keller; Stadtmuseum Radolfzell, Sammlungsbestand Schwarzwälder Kirschtorte; StAF D 180/2 Nr. 154984, Entnazifizierungsakte Josef Keller; Privatsammlung d. Enkelin Heidi Keller, Radolfzell.
Werke: Rezeptsammlung, handschriftl., um 1927/28, in: Privatsammlung (vgl. Quellen).
Nachweis: Bildnachweise: Foto (um 1915), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 239, Firma A. Lauterwasser 498, Überlingen. – StadtA Radolfzell Sammlung 2001 Schwarzwälder Kirschtorte; Ubenauf, 1982, 35 (vgl. Quellen und Literatur).

Literatur: 30 Jahre Café Keller, in: Südkurier vom 31.12.1949; Georg Ubenauf, Nur d. Kirsch stammt aus dem Schwarzwald, in: Das Gelbe Heft, Febr. 1982, 34-37 (mit Bildnachweis); Ohne Kirschwasser geht es nicht, in: Südkurier vom 27.8.1990 (mit Bildnachweis); 75 Jahre Schwarzwälder Kirschtorte, in: Konditorei u. Café, 37/90 vom 15.9.1990, 1913f. (mit Bildnachweis); Achim Fenner, Der „süße Josef“ – Konditor Josef Keller u. die Schwarzwälder Kirschtorte; in: Hegau- Jb. 63, 2006, 113-120 (mit Bildnachweis).
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