Hirsch, Helmut (Helle) 

Geburtsdatum/-ort: 27.01.1916;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 04.06.1937; Berlin-Plötzensee
Beruf/Funktion:
  • Student, Gegner des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1931 Mitglied der Stuttgarter „Rominshorte“ der Deutschen Jungenschaft („d. j. 1. 11.“)
Aug. 1933 Ausschluss der jüdischen Mitglieder
1935 Abitur Dillmann-Gymnasium Stuttgart
Okt. 1935 Emigration nach Prag, Studium der Architektur an der dortigen Deutschen Hochschule. Kontakt zu Otto Strassers „Schwarzer Front“
12.4.1936 Veröffentlichung eines Beitrags „Weg, Not und Zukunft der Bewegung – Gedanken über den Neuaufbau der Jugendbewegung“ in Strassers Exilzeitschrift „Die Deutsche Revolution“
1936 Sommer: Einbeziehung Hirschs in Anschlagspläne
Dez. 1936 Hirsch willigt ein, einen Sprengsatz auf dem Reichsparteitagsgelände der NSDAP in Nürnberg zu deponieren
20.12.1936 Verhaftung Hirschs in einem Stuttgarter Hotel
8.3.1937 Todesurteil des Berliner Volksgerichtshofs wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“
4.6.1937 Hinrichtung in der Haftanstalt Berlin-Plötzensee
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Eltern: Vater: Siegfried Hirsch, Diplomingenieur
Mutter: Martha geb. Neuburger
Geschwister: („Käthe“)
GND-ID: GND/142431966

Biografie: Angela Borgstedt (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 127-129

Ein ganzer Mensch seiner Zeit sei er, ein Mensch, der sein Innenbild ganz ausfülle, sich vollendet habe, schrieb Helmut („Helle“) Hirsch 21-jährig am Tag vor der Hinrichtung den Eltern, der Schwester, sich selbst zur Vergewisserung, zum Trost. Als Angehöriger jener im Weltkrieg geborenen, in der Weimarer Republik aufgewachsenen Generation teilte er tatsächlich Erfahrungen, Orientierungen und Einstellungen mit nahezu Gleichaltrigen wie etwa Hans Scholl oder Willi Graf, den Mitgliedern des studentischen Widerstands „Die weiße Rose“. Mit Scholl verband ihn insbesondere die Zugehörigkeit zur Deutschen Jungenschaft d.j. 1. 11, einer Absplitterung der Freischar als größter Formation der Bündischen Jugend. Wie der Gründer des Jugendbundes, Eberhard Koebel, begeisterten sie sich für Literatur und Kunst, für fernöstliche Philosophie, den Buddhismus, Volks- und Brauchtum der bäuerlichen Kulturen der Samen und Kosaken. Partiell war dies, dazu die männerbündische, hierarchische Struktur, die elitäre Haltung der d.j. 1. 11 im nationalsozialistischen Führerstaat anschlussfähig. Eberhard Koebel, der sich selbst tusk, deutsch oder der Deutsche nannte, hatte vor dem demonstrativen KPD-Beitritt 1932 zu eindeutiger Ablehnung des NS erst finden müssen. Und selbst der später so entschiedene NS-Gegner Hans Scholl war zunächst voller Idealismus der organisierten Staatsjugend beigetreten.
Helmut Hirsch hatte die Staatsangehörigkeit seiner in den USA naturalisierten Eltern ohne je dort gelebt zu haben. Die Staatsbürgerschaft war zweifelhaft, der Pass nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr verlängert worden. Gleichwohl gab Hirsch bei seiner Anmeldung am Stuttgarter Dillmann-Gymnasium seine Nationalität mit „amerikanisch“ an. Ob eine innere Bindung an Amerika, schon damals Synonym der einerseits bewunderten, andererseits ob ihrer Kommerzialisierung verachteten Massenkultur, bestanden hatte, ist angesichts der so gegenläufigen Prägung fraglich. Es war die osteuropäische, die slawische Kultur, die Hirsch in seiner Lyrik pries. Und doch sollte die wenngleich zweifelhafte US-Staatsangehörigkeit ihn nicht nur von den Altersgenossen abheben, sondern ihm zuletzt bei seinem vergeblichen Begnadigungsgesuch ein Mindestmaß an Solidarität der amerikanischen Öffentlichkeit sowie der US-Diplomatie sichern.
Helmut Hirsch war, bekräftigte der Konsulatsvertreter 1937 beim Besuch in der Todeszelle im Gefängnis Plötzensee, amerikanischer Staatsbürger. Und Helmut Hirsch war Jude. Aus diesem Grund schloss ihn die d.j. 1. 11, deren Stuttgarter „Rominshorte“ er 1931 beigetreten war, noch im Sommer 1933 aus. Falls sie mit dieser Entsolidarisierung den Konformitätsdruck, gar eigene Risiken verringern, den internen Handlungsspielraum wahren wollte, ist ihr dies nicht gelungen. 1934 ereilte auch sie das Verbot. Die einen setzten ihre bündischen Aktivitäten in der Illegalität fort, die anderen gingen in die HJ. Das hatte der gleich 1933 inhaftierte Eberhard Koebel selbst empfohlen, allerdings zum Zweck der Unterwanderung, nicht der Selbstanpassung. Koebel, der nach der Haftentlassung nach England emigrierte, stand weiterhin in Briefkontakt zu Hirsch und lenkte so ein Stück weit dessen oppositionelle Entwicklung. Bedeutsam wurden Koebels indirekte Kontakte zu Otto Strassers „Schwarzer Front“ in Prag, der er, unwissend um die Durchsetzung des Büros mit Nazi-Spitzeln, den jungen Freund als journalistischen Mitstreiter empfahl.
Helmut Hirsch war 1935 nach bestandenem Abitur nach Prag übergesiedelt, um dort Architektur zu studieren. „Er zeichnete, malte, schnitzte und modellierte schon als kleiner Junge leidenschaftlich“, erinnerte sich die Schwester Käthe in einem 1937 verfassten Lebenslauf. Die erhaltenen Zeichnungen, Graphiken und Gedichte zeugen von einer mannigfaltigen künstlerischen Begabung. In der neu gewonnenen Freiheit des Exils sah sich Hirsch, dem 1936 auch die Eltern und die Schwester nach Prag gefolgt waren, in der Pflicht, eine „Front aller anständigen Deutschen“ für den Sturz des Hitlersystems zu einen. Ermunterung und Unterstützung für eine erste Rundbriefaktion erhielt er von Strassers Prager Büro, das unter dem Titel „Weg, Not und Zukunft der Bewegung – Gedanken über den Neuaufbau der Jugendbewegung“ im April 1936 auch einen Aufsatz Hirschs in der Exilzeitschrift „Die Deutsche Revolution“ abdruckte. Die Unerfahrenheit Hirschs ausnutzend, drängte ihn der Strasser-Kreis vom Sommer 1936 an zur politischen Tat. Ein Bombenanschlag auf den Stuttgarter Hauptbahnhof war im Gespräch, sodann das Redaktionsgebäude von Julius Streichers Hetzblatt „Der Stürmer“. Den Vorschlag eines Anschlags auf das im Winter ungenutzte Reichsparteitagsgelände in Nürnberg hingegen nahm Hirsch an. Ein Judas Makkabäus wollte er sein, das Opfer eines selbstmörderischen Komplotts sollte er sein. Die Auftraggeber nutzten, wohl wissend um die Risiken, Hirschs jugendlichen Idealismus skrupellos aus. Tatsächlich war der Anschlagsplan von Strassers Umfeld längst verraten worden, bevor der junge Emigrant auch nach Nürnberg kam.
Helmut Hirsch war am 20. Dezember 1936 zunächst nach Stuttgart gereist, wo er binnen weniger Stunden verhaftet wurde. Der Mitverschwörer, der zwei Tage später den Sprengsatz hätte nach Nürnberg liefern sollen, stellte sich nunmehr den deutschen Grenzbehörden. Hirsch wurde wegen Hochverrats in Tateinheit mit gemeingefährlichen Gebrauchs von Sprengstoffen angeklagt und am 8. März 1937 vom Zweiten Senat des Volksgerichtshofs zum Tode verurteilt. „Denke nicht, dass ich zusammenklappe, weil nun alles aus ist“, schrieb er am Folgetag in einem nie ausgehändigten Brief an seinen Onkel Dr. Eugen Neuburger. Für die Eltern erhoffte er Trost in der Gewissheit, „dass ich jetzt mein Innenbild ganz ausfülle und vollkommen ich bin. Und in diesem Ich ist viel von unserer Zeit und der Welt.“ Am 4. Juni 1937 wurde Helmut Hirsch im Gefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Literatur: Paulus Buscher, Helmut „helle“ Hirsch – ein junger Jude und bündischer Künstler im Widerstand. Von den Nazis ermordet und in Vergessenheit gebracht, in: Hinrich Siefken (Hg.), Resistance to national socialism. Kunst und Widerstand. Forschungsergebnisse und Erfahrungsberichte, 1995, 112–169; Bernd Burkhardt, Helmut Hirsch. Ein Aktivist der bündischen Jugend, in: Michael Bosch/Wolfgang Niess (Hg.), Der Widerstand im deutschen Südwesten 1933–1945 (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs 10), 1984, 319–329; ders., „Liebe Eltern …, ich bin zum Tode verurteilt. Helmut Hirsch, jüdisch und jugendbewegt, in: Ausstellungsreihe Stuttgart im Dritten Reich, 1984, 391–401.
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