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"Zelt in der Wüste" - die Notkirchen Otto Bartnings

Die Ludwig-Hofacker-Kirche in Stuttgart, Quelle Denkmalstiftung Baden-Württemberg
Die Ludwig-Hofacker-Kirche in Stuttgart, Quelle Denkmalstiftung Baden-Württemberg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war etwa ein Drittel aller Gotteshäuser in Deutschland zerstört oder nicht mehr nutzbar. Die Schaffung von Wohnraum hatte Priorität, doch erfüllten Kirchengemeinden wichtige soziale und karitative Funktionen, auch für die vielen hinzugekommenen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen. Das 1945 gegründete Hilfswerk der Evangelischen Kirchen in Deutschland (HEKD) stellte neben anderen Maßnahmen ein Selbsthilfeprogramm für den Wiederaufbau zusammen. Die Leitung übernahm der Architekt Otto Bartning, ein ausgewiesener Kirchen-Experte. Bartning hatte dem Deutschen Werkbund angehört und stand dem Bauhaus nahe. Nach der Verlegung des Bauhauses nach Dessau leitete er bis 1930 als Direktor die Staatliche Bauhochschule Weimar. Im Gegensatz zum sachlichen Stil des Bauhauses prägen Elemente mit expressionistischem Einschlag seine Entwürfe.

Für das von der HEKD angeregte Bauprogramm konzipierte Bartning ein System aus vorgefertigten Grundelementen. Unter Beteiligung des World Council of Churches in Genf zugeflossene Spenden, meist aus Skandinavien oder den USA, ermöglichten die Finanzierung. Bauausführung und weitere Materialbeschaffung oblag den Gemeinden, deren Mitglieder tatkräftig anpackten. Die als Notkirchen bezeichneten und innerhalb weniger Monate fertiggestellten Bauten waren alles andere als Provisorien. Im Gegensatz zu anderen Notkirchen wollte Bartning an die Ursprünge seiner Gotteshäuser im Zusammenhang mit dem Nothilfeprojekt der Nachkriegsjahre erinnern.

Charakteristisch für die Bauten ist ein umlaufendes Tragwerk aus Holz, das nebst Einbauten wie Emporen, Türen und Fenstern importiert wurde. Darüber hinaus konnten die beteiligten Gemeinden Anpassungen vornehmen oder die Überreste der ursprünglichen Kirchen integrieren. Vorgesehen waren mehrere Typen, wobei vorwiegende die Saalkirche mit Satteldach umgesetzt wurde. Dazu kamen Variationen des Turms und des Altarraums, der mit oder ohne Anbauten gestaltet werden konnte. Ein weiteres Charakteristikum der Notkirchen ist die Verwendung von Trümmersteinen, die teils unverputzt blieben. In viele der Kirche wurden umlaufende Obergadenfenster aus Buntglas eingebaut.

Eine der ersten Kirchen, die auf diese Weise entstanden, ist die Auferstehungskirche der evangelischen Johannesgemeinde in Pforzheim, die im Oktober 1948 eingeweiht wurde und als Vorbild für viele weitere diente. Die warme Atmosphäre übermittelt den von Bartning zugrunde gelegten Gedanken vom Zelt in der Wüste; ähnlich die Gnadenkirche in der Mannheimer Gartenstadt, eingeweiht im Juni 1949 oder wenige Monate später die Friedenskirche in Karlsruhe-Weiherfeld. Weitere Gestaltungsmöglichkeiten demonstriert die Ludwig-Hofacker-Kirche, unter Berücksichtigung der Stuttgarter Hanglage. Sie wurde im Februar 1950 eingeweiht und ersetzte einen schlichten, erst in den 1930er Jahren entstandenen Vorgängerbau, ursprünglich Filial der Leonhardskirche. Die verwendeten Backsteine stammten ebenfalls aus Kriegstrümmern, wurden aber verputzt. Seit 2012 setzt sich die Otto Bartning-Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau e. V. für die Aufnahme der Notkirchen in die Liste des Weltkulturerbes bei der UNESCO ein.

Mehr über die Nachkriegszeit finden Sie auch im Facebook-Blog des Landeskirchlichen Archivs Stuttgart.

 

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