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Das Haus am Grünen Weg oder der „Rote Winkel“ von Urach

Das Ermstal bei Seeburg, 2008 [Quelle: Wikipedia CC BY-SA 3.0 de]
Das Ermstal bei Seeburg, 2008 [Quelle: Wikipedia CC BY-SA 3.0 de]

Im wildromantischen Ermstal bei Urach entstand in den 1920er Jahren eine Künstler- und Literatenkolonie mit nonkonformistischer, lebensreformerischer und auch utopistischer Ausrichtung. Es war eine bunt gemischte Gruppe, eine blühende Kommune und das mitten in der württembergischen Provinz.

Gründer waren der u.a. der Kunstschmied Karl Raichle (1889-1965) der mit seiner Frau Elisabeth Anfang der 1920er Jahre das Häuschen am Grünen Weg, heute Oberer Brühl der Georgiisiedlung, in Urach erbaute. Raichle stammte aus Dettingen unter Teck, war ausgebildeter Kupferschmied und hatte in Berlin und der Schweiz gearbeitet. Seinen Wehrdienst absolvierte er bei der Marine in Wilhelmshaven, wohin er nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs zurückbeordert wurde. Hier traf er auf Theodor Plievier. Beide beteiligten sich 1918 am Kieler Matrosenaufstand und zogen anschließend nach Urach, wo Plievier ebenfalls heiratete. Sowohl Plievier als auch Raichle betätigten sich als Schriftsteller, Plievier siedelte schon bald mit seiner Frau nach Berlin über. Raichle trat für die KPD in den Uracher Gemeinderat ein.

Das Haus am Grünen Weg wurde zum Treffpunkt für Literaten, Denker und alle, die in eine neue Welt aufbrechen wollten. Zu den Freunden gehörten Gregor Gog, Vertreter der Vagabundenbewegung, der anarchistische jüdische Schriftsteller Erich Mühsam, der 1934 im KZ Oranienburg ermordet wurde sowie der Wanderdichter und Naturheiler Gustav Gräser. Es bestanden Beziehungen zum Vogelhof bei Ehingen, dessen Bewohner naturreformerische, deutsch-christliche, allerdings auch deutsch-völkische Ideen verfolgten. Schon 1919 fand der Dichter Johannes R. Becher den Weg nach und Aufnahme in Urach, ferner der Dichter Alexander Abusch, beide später Kulturminister der DDR, Becher seines Zeichens Verfasser des Textes der DDR-Nationalhymne. Die ersten Jahre an der Erms waren Aufbaujahre für die geschundene Kriegsgeneration. Neben dem geistigen Austausch dienten Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten, Wanderungen und Wassersport an der Erms der Gesundheit und Erholung. In den späteren Jahren und unter dem Einfluss von Johannes R. Becher wandelte sich der Geist zu einer pro-sowjetischen, streng kommunistisch ausgerichteten Gesinnung.

Karl Raichle gründete nach einem Studienaufenthalt am Bauhaus in Dessau 1928/29 zusammen mit seiner Frau die Werkgemeinschaft Urach K. und E. Raichle zur Herstellung von kunstgewerblichen Gegenständen aus Metall wie Gebrauchsgeschirr und Dekorationsartikeln. Nach der vorübergehenden Verlegung der Produktion nach Lützenhardt, heute Gemeinde Waldachtal sowie Kleinmachnow bei Berlin, eröffneten die Raichles 1933 eine Werkstatt mit mehreren Mitarbeitern in Meersburg am Bodensee. Kontakte bestanden weiterhin zu Plievier, den nach dem Zweiten Weltkrieg für einigen Jahre in Wallhausen bei Konstanz lebte. Karl Raichle starb 1965 in Meersburg.

Zum Weiterlesen:

Artikel zu Theodor Plievier und Johannes R. Becher auf: Schwäbische Alb! > Albgeschichten, Portal von Schwäbische Alb Tourismusverband e.V.

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