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Ferdinandsdorf – Geschichte eines aufgelösten Ortes

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Die Reste von Ferdinandsdorf auf der Badischen Gemarkungskarte, um 1890 (Ausschnitt), [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 378, 2]

Viele Wüstungen entstanden in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, als die Bevölkerung durch militärische Gewalt oder Seuchen und Hungersnöte dezimiert wurde. Andere Orte wurden nach Bränden oder Unwetterkatastrophen entweder gar nicht oder an anderer Stelle wiederaufgebaut. Das Verschwinden von Ferdinandsdorf jedoch war die Folge genauer Berechnung. Eine der Ursachen lässt sich an der geographischen Lage festmachen. Die in der Nähe von Eberbach gelegene Siedlung verteilte sich über den Hang des Winterhauchs sowie einen Teil der Hochfläche beim Katzenbuckel. Sie gehörte damit zu einer Region des Odenwalds, die bis heute den Beinamen Badisch-Sibirien trägt. Hier liegt die Jahrestemperatur nicht nur mehrere Grad unter dem Durchschnitt, es mangelt auch an Wasser und fruchtbaren Ackerböden.

Die beiden Siedlungen Ober- und Unterferdinandsdorf entstanden als separate Gründungen. Oberferdinandsdorf wurde Anfang des18. Jh. als Rodungssiedlung der Herrschaft Zwingenberg angelegt, die mit den katholischen Zuwanderern eine konfessionelle Zielsetzung verfolgte. Um 1780 kam Unterferdinandsdorf auf Initiative der kurpfälzischen Hofkammer hinzu. Die beiden Siedlungen wuchsen zusammen und bildeten um 1820 die Gesamtgemeinde Ferdinandsdorf. Die von äußerster Armut geprägte Situation der Einwohner wurde in der ersten Hälfte des 19. Jh. durch Kriege, Bevölkerungswachstum, Hungersnöte und die Kartoffelfäule weiter beeinträchtigt, sodass ihre Existenz nur durch Unterstützung von außen gesichert werden konnte. Auch die Einäscherung mehrerer Häuser, vermutlich durch Brandstiftung, trug zur Verschärfung der Situation bei. Um die öffentlichen Kassen zu entlasten, bemühten sich ab dem Ende der 1820er Jahre die zuständigen Stellen, Bewohner zur Auswanderung zu bewegen. In mehreren Gruppen traten die Auswanderungswilligen den Weg nach Amerika an. Ende Dezember 1850 erklärte das badische Staatsministerium, die Gemeinde sei aufgelöst. Schon Anfang der 1840er Jahre waren die auf der Hochfläche liegenden Gebäude abgebrochen worden. Einen Zwang zur Ausreise, wie die Abschiebung der Ortsarmen von Wimpfen 1854/55, scheint es hier nicht gegeben zu haben, doch wurden die Verweigerer auf umliegende Gemeinden verteilt. Die Ferdinandsdorfer waren nicht allein mit ihrem Schicksal, das sie u.a. mit den Einwohnern des nahegelegenen Rineck teilten. Einige wenige Anwesen von Ferdinandsdorf blieben nach 1850 erhalten. Heute ist die Fläche Bestandteil der Gemarkungen von Mülben, Strümpfelbrunn und Reisenbach, die den Gemeinden Waldbrunn und Mudau zugeordnet sind. Im überwachsenen Gelände finden sich noch einige Grundmauern.

Zum Weiterlesen:

Wege aus der Armut. Baden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Begleitband zu einer Ausstellung des Generallandesarchivs Karlsruhe, 2007

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