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Leopold Löwenstein - Rabbi und badischer Patriot

 

Die Synagoge in Mosbach, vor 1938, Quelle Landesarchiv BW, HStAS, EA 99/001 Bü 305 Nr. 1962.
Die Synagoge in Mosbach, vor 1938, Quelle Landesarchiv BW, HStAS, EA 99/001 Bü 305 Nr. 1962.

Als der Bezirksrabbiner Leopold Löwenstein am 16. Dezember 1923 im gesegneten Alter von 80 Jahren in Mosbach verstarb, war er ein hochgeachteter Mann, Ehrenbürger seines Wohnorts und Träger eines Ritterkreuzes 1. Klasse des Ordens vom Zähringer Löwen, mit dem das Haus Baden besondere Verdienste würdigte. Die Biographie des Rabbiners zeigt das Leben eines orthodoxen Juden, der mit vielen Veränderungen konfrontiert war, sich dennoch stets für seine Umwelt interessierte und dies gut mit seinen religiösen Anliegen verbinden konnte. Sie wirft darüber hinaus ein Licht auf die Welt der ländlichen Juden und ihrer Kultur, für deren Verblassen Leopold Löwenstein versucht hatte ein Bewusstsein zu schaffen.

Die Verfassungen von Baden und Württemberg ermöglichten im Verlauf des 19. Jh. eine allmähliche politische Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung. Diese verließ ihre bis dahin meist ländlichen Wohnorte und siedelte sich in Städten an. Hatten sich die ländlichen Gemeinden weitgehend selbst organisiert, was Sozial-, Schul- und Religionsangelegenheiten betraf, wurde dies nun Gegenstand einer zentralen obrigkeitlichen Verwaltung unter Beteiligung des Staates. Es begann ein Anpassungsprozess, jüdische Vereinigungen entstanden und mit der Zeit traten Angehörige jüdischen Glaubens den bestehenden bürgerlichen Vereinen bei. Die neuen liberalen Strömungen innerhalb der jüdischen Religionsgemeinschaft gefielen nicht allen, wie die Haltung einiger Familien zeigt, die 1868 der Israelitischen Gemeinde Karlsruhe den Rücken kehrten.

Leopold Löwenstein, 1843 als Sohn eines Rabbiners in Gailingen am Hochrhein geboren und gleichzeitig ein badischer Patriot, versuchte demgegenüber einen eigenen Weg einzuschlagen. Der junge Leopold besuchte die höheren Schulen von Tauberbischofsheim und Karlsruhe. Mehrere Jahre verbrachte er an der Universität Würzburg, wo er unter anderem Geschichte und Philosophie belegte, begleitet von Studien an weiterführenden jüdischen Einrichtungen. Entscheidende Impulse bekam er an der Talmudschule des wegweisenden orthodoxen Rabbiners Seligmann Baer Bamberger in Würzburg. In Eisenstadt im Burgenland suchte er die Jeschiwa unter Israel Hildesheimer auf, der eine neo-orthodoxe Anschauung für das deutschsprachige Judentum propagierte. Nach Beendigung seiner Ausbildung arbeitete Löwenstein als Lehrer in Hamburg, Güstrow und Tauberbischofsheim. Im Anschluss war er bis 1872 Rabbiner in seinem Geburtsort Gailingen, wo sich die Gemeinde modernen Entwicklungen gegenüber sehr aufgeschlossenen zeigte. Rabbi Löwenstein sah darin einen Verlust der jüdischen Kultur und ihrer alten Traditionen, auch in geschichtlicher Hinsicht. Daraufhin wechselte er nach Mosbach ans Bezirksrabbinat, das auch für Merchingen und Wertheim zuständig war. Hier gründete er jüdische Vereine, um den Zusammenhalt und das Bewusstsein für diese Kultur zu entwickeln.

Mehrere Jahre nach dem Tod Löwensteins erschien ein Beitrag in der Zeitschrift Der Israelit über die kleine orthodoxe Gemeinde Strümpfelbrunn im Rabbinat Mosbach, die den sehr berührenden Eindruck von Situationen vermittelt, die andernorts längst verschwunden waren: Pessach inmitten des Odenwalds […] Ein Kraftwagen der Reichspost bringt uns durch prächtige Waldungen in einer knappen halben Stunde von dem 130 Meter hoch gelegenen Eberbach nach Strümpfelbrunn, das umrahmt von dunklen Wäldern, etwa 600 bis 700 Meter hoch liegt. Das erste Haus dieses Ortes ist das Wirtshaus zum Löwen, das wir besuchen […] Als eine lobenswerte Eigenart ist hervorzuheben, dass hier, entgegen dem 'Minhag' (Tradition, Gebrauch) der meisten Landgemeinden, während des Gottesdienstes kein Wort gesprochen wird. Alle Anwesenden sind mit Herz und Seele bei der Tefilloh (Gebet) […] Eine Eintracht herrscht unter den Mitgliedern, wie man sie ihresgleichen wohl kaum in anderen Landgemeinden antrifft. Diese drückt sich besonders darin aus, dass jeder, der zur Tora tritt, jedem Gemeindemitglied, ob verwandt oder nicht, einen Mischeberach (Segensspruch) zukommen lässt. Nach dem Gottesdienst geht es wieder zu unserem Wirt. Er versteht, den Seder in altherkömmlicher Weise mit lieblichen und vertrauten Melodien zu geben. Die Festtafel in diesem einfach Dorfgasthof kann von erstklassigen Hotels berühmter Badeorte wohl kaum übertroffen werden.

Leopold Löwenstein setzte seine Ziele auch publizistisch und auf überregionaler Ebene um. Es entstanden Schriften zu historischen, topographischen, biographischen und literarischen Themen. Er sammelte jüdische Lieder und gab ab 1899 die Beilage Blätter für Jüdische Geschichte und Litteratur zu Der Israelit heraus. Ab 1901 arbeitete er bei der in New York erscheinenden Jewish Encyclopedia mit und ab 1917 im Sonderausschuss von Germania Judaica zur Förderung der Wissenschaft des Judentums mit Sitz in Breslau. Neben all seinem Einsatz für die orthodox-jüdische Glaubensrichtung wird Leopold Löwenstein als höchst toleranter und herzensguter Mensch beschrieben, der darüber hinaus eine patriotische Haltung gegenüber Baden vertrat. Alle vier Söhne kämpften im Ersten Weltkrieg, einer von ihnen fiel 1915 in Russland. Für seine historische Arbeit erhielt Löwenstein das Ritterkreuz 1. Klasse des Ordens vom Zähringer Löwen. 1920 wurde er in den Oberrat der Israeliten in Baden berufen. Kurz vor seinem Tod zeichneten ihn die Mosbacher 1923 als ersten Ehrenbürger der Stadt aus. Leopold Löwenstein wurde auf dem jüdischen Friedhof von Mosbach beerdigt.

Die ausführliche Biographie von Leopold Löwenstein finden Sie auf LEO-BW

Der Beitrag über Strümpfelbrunn erschien am 31. April 1931 in der Zeitschrift Der Israelit. Zitat und Übersetzungen nach Alemannia Judaica, aufgerufen am 12.12.2021.

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