Wittemann, Joseph Franz 

Geburtsdatum/-ort: 24.03.1866;  Buchen
Sterbedatum/-ort: 10.09.1931;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Jurist, badischer Minister und Staatspräsident, Mitglied des Landtags-Zentrum
Kurzbiografie: 1872-1875 Volksschule Buchen
1875-1884 Bürgerschule Buchen; danach Gymnasium Ehingen an der Donau und Tauberbischofsheim mit Abitur
1884-1890 Studium der Rechtswissenschaften und Literatur in Freiburg, Basel, Straßburg, Heidelberg, München
1890-1894 Rechtspraktikant, 1894-1897 Referendar
1897-1900 Amtsrichter Boxberg
1900-1908 Amtsrichter, seit 1903 Oberamtsrichter Donaueschingen
1905-1925 Mitglied des Landtags (Zentrum) 1905-1918 Wahlkreis Bonndorf-Waldshut; 1919-1925 Wahlkreis Donaueschingen-Konstanz
1908-1917 Landgerichtsrat Offenburg
1912-1917 Stadtverordneter Offenburg
1917-1919 Landgerichtsrat Freiburg
1919-1920 Oberlandesgerichtsrat Karlsruhe
1920-1923 Ministerialrat im Staatsministerium Karlsruhe
1921-1923 Präsident des badischen Landtages
1923-1929 (1.5.1923) Präsident des badischen Rechnungshofes
1924 Ehrenbürger Buchen
1925-1929 Stadtverordneter Karlsruhe
1929-1931 (22.11.1929) Innenminister
1930-1931 (20.11.1930-10.9.1931) Staatspräsident
1931 (30.6.1931) Justizminister
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1. 6.9.1898 Maria Theresia, geb. Fischer (1867-1924)
2. 4.12.1926 Maria Anna Magdalena, geb. Wittemann (geb. 4.4.1876 Buchen, gest. 27.2.1956 Merchingen, Kreis Buchen)
Eltern: Vater: Franz Anton Wittemann (1838-1880), Stadtschreiber
Mutter: Ernestine, geb. Schmieg (1835-1875)
Geschwister: 2:
Frieda (geb. 1864)
Karl August (geb. 1867)
Kinder: 3 aus erster Ehe: Erika, Christian, Amalia
GND-ID: GND/1012373118

Biografie: Clemens Siebler (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 325-328

Wittemanns Studiengang verrät eine auffallende geistige Regsamkeit. Nicht alltäglich war die von ihm praktizierte Verbindung eines juristischen und literarischen Studiums; außergewöhnlich auch der mehrfache Hochschulwechsel, der ihn in der Schweiz, im damaligen Reichsland Elsaß-Lothringen, in der bayerischen Metropole und an den beiden badischen Landesuniversitäten mit geistig-kulturellen Strömungen verschiedenster Art in Berührung brachte. Unbewußter oder bewußter Ausbruch eines katholischen Akademikers aus dem Kulturkampfgetto des Wilhelminischen Reiches?
Für die verhältnismäßig lange Studiendauer liefert dieser unübliche Studiengang eine plausible Erklärung. Wittemanns beruflicher Werdegang als Jurist mündete geradlinig in die Richterlaufbahn ein, und dank seiner fachlichen Kenntnisse war diese überaus erfolgversprechend. Im Kriegsjahr 1917 wurde er zum Landgerichtsrat in Freiburg ernannt: aus damaliger Sicht der krönende Abschluß seiner Richterkarriere.
Doch nicht nur im Berufsleben erwies sich Wittemann als äußerst tüchtig und befähigt. Er war auch bereit, staatspolitische Verantwortung zu übernehmen. Früh schon betätigte er sich auf politischem Gebiet. Daß er dies innerhalb des Zentrums tat, ergab sich folgerichtig aus seiner konfessionellen Provenienz. Er war bereits Mitglied dieser Partei, als er, damals in Donaueschingen wohnhaft, im benachbarten Wahlkreis Bonndorf-Waldshut eine so gezielte politische Aktivität und Versammlungsstrategie entfaltete, daß man ihn dort als Kandidaten für die Landtagswahl 1905 aufstellte. Erklärtes Ziel im Wahlkampf war, die bisher uneinnehmbare nationalliberale Hochburg Bonndorf für das Zentrum zu erobern. Wittemann gewann, wenn auch nur mit knappem Vorsprung, das Mandat. Obwohl die Wahl angefochten und vom Landtag für ungültig erklärt wurde, konnte er sich in der Nachwahl als Sieger behaupten.
Neuling in der 2. Kammer war neben Wittemann auch Schofer. Beide verbanden gemeinsame politische Ziele, und ihr dynamischer Kampfeifer wirkte sich auf die gesamte Landtagsfraktion befruchtend und beflügelnd aus. Im Parlament selbst wirkten sie darauf hin, die weitere Benachteiligung des Zentrums durch den sogenannten Großblock zu beenden, nachdem dieser fragwürdige Zweckverband die Wahl Fehrenbachs zum Landtagspräsidenten verhindert hatte. Wichtigstes politisches Anliegen nach außen war ihnen die Überwindung der für die Katholiken nachteiligen Kulturkampfgesetzgebung.
Nicht nur als Abgeordnete im Rondell, sondern auch in publizistischer Form dokumentierten Wittemann und Schofer ihre geistige Waffenbrüderschaft. Ihre meist gemeinsam redigierten Beiträge im „Badischen Beobachter“ waren mit einem geheimnisumwitterten „Mm.“ gezeichnet. Nur im engeren Kreise der Parteifreunde wußte man, daß die beiden Politiker unter ihren oft mit beißendem Spott und ätzender Kritik gewürzten Artikeln mit „Max und Moritz“ firmierten.
Angesichts kaum überwindbarer Gegensätze unter den politischen Parteien konnte es nicht ausbleiben, daß auch Wittemann manchen ungerechtfertigten Verdächtigungen und Angriffen ausgesetzt war. Doch kam ihm dabei zugute, daß ihn die Natur mit einem heiteren und sonnigen Gemüt ausgestattet hatte. Zu seinem sprichwörtlichen Frohsinn trat seine rednerische Gabe, die ihn dazu befähigte, die Abrechnung mit dem politischen Gegner auch in humorvolle und launige Worte einzukleiden. Und nicht zuletzt war sein unerschütterliches Gottvertrauen eine nie versiegende Kraftquelle, wenn er sich seiner Widersacher erwehren mußte.
Wittemann, der seine patriotische Gesinnung nie verleugnet hatte, teilte mit vielen seiner politischen Freunde die tiefe Niedergeschlagenheit über den verlorenen Krieg im November 1918, aber auch den festen Willen zum staatlichen Neubeginn. Da sich das alte System gänzlich überlebt hatte und nun vor allem aufbauwillige Demokraten gefragt waren, konnte das badische Zentrum, schon seit langem stärkste politische Kraft, endlich die ihm zustehende staatliche Führungsrolle zur Geltung bringen. Wittemann, der über die Zäsur des Kriegsendes hinweg sein Abgeordnetenmandat im Landtag behaupten konnte, war wie nur wenige dazu berufen, die junge Republik von der ersten Stunde an nachhaltig mitzugestalten. Wie schon in der Großherzoglichen Zweiten Kammer gehörte er auch in der Nationalversammlung verschiedenen Ausschüssen an, und dank seiner juristischen Fachkenntnisse nahm er wesentlichen Einfluß auf den Geist und Buchstaben der Verfassung. Auf verfassungsmäßiger Grundlage postulierte er den Durchbruch des Rechts und der sozialen Gerechtigkeit, und neben der juristischen Neufundamentierung des jungen Staatswesens erschien ihm nichts wichtiger als die Verwirklichung des Grundsatzes von einer freien Kirche im freiheitlichen Staat, was ihm, völlig im Einklang mit den alten Zentrumsidealen, immer vorrangiges Kampfziel war. Wie den meisten seiner politischen Weggefährten war auch für ihn der föderative Staatsaufbau bester Garant für den freiheitlichen Staat.
Unter grundlegend veränderten Verhältnissen eröffnete sich dem erfahrenen Juristen und einsatzfreudigen Politiker nach 1918 ein ungeahnter Aufstieg in höchste Ämter und Würden. Schon der ersten Nachkriegsregierung gehörte er als Staatsrat an, war dann für kurze Zeit Oberlandesgerichtsrat in Karlsruhe, um 1920 als Ministerialrat in das Staatsministerium überzuwechseln. Ein Jahr später erfolgte seine Wahl zum Präsidenten des badischen Landtages. Nicht nur seine berufliche und politische Erfahrung befähigte ihn in hohem Maße, dieses wichtige Amt zu übernehmen; seine menschenfreundliche und zugleich schlagfertige Art brachte ihm immer wieder auch den Respekt seiner politischen Gegner ein. Weder persönlicher Ehrgeiz noch Eigennutz hatten Wittemann dazu bewogen, das Präsidium des Landtages anzustreben. In der veränderten Situation nach 1918 entsprach es den nunmehr geltenden demokratischen Spielregeln, daß dem Zentrum als der stärksten Fraktion das Recht zukam, hierfür einen seiner Besten zu designieren.
Zur Wahrung seiner Unabhängigkeit verzichtete Wittemann auf sein bisheriges Landtagsmandat, nachdem er 1923 zum Präsidenten des badischen Rechnungshofes ernannt worden war. Um aber den direkten Kontakt zur Parteibasis und zu den Wählern nicht zu verlieren, bewarb er sich, wie schon in den Jahren 1912 bis 1917 in Offenburg, um das vergleichsweise unbedeutende Amt eines Stadtverordneten in Karlsruhe, blieb jedoch weiterhin im Vorstandsgremium des badischen Zentrums.
Nach den Landtagswahlen 1929 kehrte er erneut in die Landespolitik zurück, nachdem er zum Innenminister ernannt worden war. In einer Zeit verstärkt einsetzender Umtriebe extremistischer Kreise, allen voran der NSDAP, war er mit einem besonders verantwortungsvollen Staatsamt betraut worden.
Wittemanns Wahl zum Staatspräsidenten (November 1930) erfolgte im Einklang mit der Landesverfassung (Artikel 52), die für die Dauer eines Jahres einen Fachminister mit der Wahrnehmung des nominell höchsten badischen Staatsamtes beauftragte. In seine Amtszeit als Staatspräsident fiel eine weitere Kabinettsumbildung (30. 6. 1931), in der ihm das Justizministerium übertragen wurde. Für den verdienten Juristen und Richter bedeutete das neue Regierungsamt fraglos höchste Anerkennung und Auszeichnung, doch war ihm zu dessen Bekleidung nur kurze Zeit vergönnt. Zu Beginn des Monats September stellte sich eine ernsthafte Erkrankung ein. Der durch viele Anstrengungen geschwächte Körper vermochte einer typhösen Infektion keinen wirksamen Widerstand entgegenzustellen. Am 10. 9. 1931 starb Wittemann in seiner Karlsruher Wohnung. Nur kurz nach Schofers Tod verlor mit ihm das badische Zentrum einen weiteren profilierten Repräsentanten, die junge Republik aber einen selbstlosen Kämpfer für das Recht und die Gerechtigkeit, einen aufrechten Demokraten, der über alle politischen Meinungsverschiedenheiten hinweg nie das Allgemeinwohl aus den Augen verlor.
Nachweis: Bildnachweise: Foto im GLAK, ferner: StAF Bildnissammlung. Kohlezeichnung von Theodor Blatz, Bezirksmuseum Buchen; dasselbe in: Der Wartturm, a. a. O., 1.

Literatur: C. Amend, Staatspräsident Wittemann, in: Karlsruher Zt. Bad. Staatsanzeiger, 174 Jg., Nr. 211, 2 Karlsruhe 1931; N. N., Staatspräsident J. Wittemann, in: Freiburger Tagespost, 24. (67.) Jg., Nr. 211, 1 Freiburg 1931; N. N., Staatspräsident J. Wittemann, in: Konradsblatt, 15. Jg., Nr. 38, 506 Karlsruhe 1931; N. N., Persönlichkeiten des Landkreises und der Stadt Buchen. Staatspräsident J. Wittemann, in: Baden. Monographie einer Landschaft, 5. Jg., Nr. 6, 22 Karlsruhe 1953; J. Wittemann, in: Heinrich Köhler. Lebenserinnerungen des Politikers und Staatsmannes (1878-1949), hg. von J. Becker, 165-168, Stuttgart 1964; H. G. Zier, J. Wittemann: Bad. Staatspräsident, in: Der Kreis Buchen, hg. von K. Theiss und H. Baumhauer, 199-200, Aalen 1964; Die Regierungen d. dt. Mittel- u. Kleinstaaten (1815-1933), hg. von K. Schwabe, 148-150; 159-161; 320 Boppard 1983; Erinnerungen an Staatspräsident J. Wittemann, in: Der Wartturm. Heimatblätter d. Vereins Bezirksmuseum Buchen e. V., 32. Jg. (11. Jg. 3. Folge), H. 1, Buchen 1991.
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