Bender, Traugott 

Geburtsdatum/-ort: 11.05.1927;  Tübingen
Sterbedatum/-ort: 05.02.1979;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • CDU-Politiker, Justizminister
Kurzbiografie: 1946 Abitur in Lahr, danach zunächst Studium der Theologie, dann der Rechtswissenschaft in Erlangen, Bamberg und Freiburg i. Br.
1950 Erstes juristisches Staatsexamen
1952 Promotion zum Dr. jur., Referendarzeit in Karlsruhe
1955 Zweites juristisches Staatsexamen
1956-1972 und 1977-1979 Rechtsanwalt in Karlsruhe
1959-1972 Mitglied des Karlsruher Gemeinderats
1964-1979 Landtagsabgeordneter
1972-1977 Justizminister
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1953 Marianne, geb. Vidal
Eltern: Vater: D. Julius Bender, evangelischer Landesbischof in Baden (gest. 1966)
Mutter: Luise, geb. Kiefer
Geschwister: 9
Kinder: 5, 4 Töchter, 1 Sohn
GND-ID: GND/1012375722

Biografie: Fred Sepaintner (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 32-38

In den frühen Morgenstunden des 18. Oktober 1977 begingen die Terroristen Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin im Sicherheitstrakt der Vollzugsanstalt in Stuttgart-Stammheim Selbstmord: Baader und Raspe erschossen sich, Gudrun Ensslin erhängte sich. Eine vierte Untersuchungsgefangene aus der Terrorszene, Irmgard Möller, hatte sich durch mehrere Messerstiche schwer verletzt, überlebte jedoch. Eine Welle antideutscher Ausschreitungen ging durch die westlichen Nachbarländer; in Presseorganen wurden die Selbstmorde nicht selten als politische Morde gedeutet.
Auch die Bundesregierung richtete schwere Vorwürfe an die Adresse der baden-württembergischen Landesregierung, anfangs vor allem an das Justizministerium, später verstärkt gegen den Ministerpräsidenten, weil die Zellen der Untersuchungshäftlinge nicht gründlich genug durchsucht, ja – was sich hinterher als völlig falsch herausstellte – seit dem 5./6. September überhaupt nicht mehr kontrolliert worden seien. Uni sono mit Teilen der Presse forderte sie den Rücktritt des baden-württembergischen Justizministers Bender als Leiter des politisch verantwortlichen Ressorts. Selbst Vertreter von CDU und CSU diskutierten öffentlich über diese Möglichkeit. Allein Ministerpräsident Filbinger hielt intern wie öffentlich an seinem Justizminister fest. Bender hatte sogleich nach Bekanntwerden der Selbstmorde telefonisch seinen Rücktritt angeboten. Filbinger aber hatte ihn nicht angenommen und sich öffentlich vor Bender gestellt. Am 20. Oktober, zwei Tage später also, trat Bender dann doch gegen den Willen des Ministerpräsidenten zurück.
Inzwischen hatte er die Untersuchungen der Stammheimer Ereignisse noch eingeleitet, die sogleich mit intensivster Zeugenbefragung begannen. Bis zur Vorlage des vorläufigen Berichts der Landesregierung (Landtagsdrucksache 7/2500), acht Tage nach den Selbstmorden, waren 160 Zeugen vernommen. Die Zellen wurden wiederholt auf das gründlichste untersucht; jedoch erst als die Einrichtung dabei zerstört und der Putz von den Wänden geklopft worden war, fanden sich die Verstecke, weitere Waffen und sogar Sprengstoff. Bereits die ersten Ergebnisse der internationalen medizinischen Expertenkommission schlossen einstimmig die Möglichkeit von Gewalteinwirkung durch Dritte aus. Offen blieb noch die politische Klärung: hatte die Regierung, hatte der Justizminister versagt, wie er durch seinen Rücktritt zuzugeben schien?
Der oben erwähnte vorläufige Bericht der Landesregierung ließ keine gravierenden Versäumnisse erkennen, so daß die Schuld an den Selbstmorden, deren Hergang nun bis ins kleinste Detail rekonstruiert war, auf keinem Regierungsmitglied lastete. Aber auch der am 20. Oktober eingesetzte Untersuchungsausschuß des Landtags, dem der SPD-Abgeordnete und Vorgänger Benders als Justizminister, Dr. Schieler, vorsaß, kam in den entscheidenden Punkten zu keinem anderen Ergebnis (Landtagsdrucksache 7/3200). Bis zur Vorlage des Berichts am 9. März 1978 war der Ausschuß insgesamt neunzehnmal zusammengetreten. Zu den Zeugen, die in dieser Zeit vernommen worden waren, hatten unter anderem Generalbundesanwalt Rebmann, bis wenige Monate vor den Stammheimer Ereignissen Ministerialdirektor im baden-württembergischen Justizministerium und für die Sicherheitslage im Gefängnis verantwortlich, Ministerpräsident Filbinger, Innenminister Schiess und auch Bender gehört.
Vor allem die Antworten des Generalbundesanwaltes ließen erkennen, wo bisher Schwachstellen im Überwachungssystem gelegen hatten: in der geringen Möglichkeit, den Intimbereich von Besuchern und Anwälten hinreichend zu kontrollieren und in den Verteidigerakten, die aus rechtlicher Rücksichtnahme kaum untersucht werden konnten. Andererseits bemängelte Rebmann, daß während des Umbaus in Stammheim Umschlüsse der Häftlinge stattgefunden hatten und daß von Abteilungsfremden bauliche Veränderungen vorgenommen worden waren, worüber das Justizministerium nicht informiert gewesen war. Letztlich machte der Bericht des Ausschusses organisatorische Mängel in der Haftanstalt, vor allem die mangelnde Aufsicht beim Umbau im Frühjahr 1977 und die Tatsache, daß die Häftlinge bei der Rückkehr aus dem Prozeßgebäude nicht regelmäßig durchsucht worden waren, für die Anlage der Waffenverstecke und für das Hineinschmuggeln von Pistolen und Sprengstoff verantwortlich. Sicher hätte sich die Einführung von Trennscheiben zwischen Häftling und Besucher, wie von Bender gefordert, positiv ausgewirkt. Kernproblem aber war, daß die Beamten in Stammheim der terroristischen Intelligenz und Energie einfach nicht gewachsen waren (vgl. Landtagsprotokoll, 7. Wahlperiode, S. 2939).
Die Vermutung des Generalbundesanwalts, daß Pistolen und Sprengstoff durch die Anwälte ins Gerichtsgebäude, dort von den Untersuchungshäftlingen übernommen und in die Zelle gebracht worden waren, lag nahe, wenngleich der letzte Beweis hierfür auch im Nachhinein nicht erbracht werden konnte. Auch den Vorwurf der Bundesregierung, die gesetzlichen Möglichkeiten der Kontaktsperre seien unter Minister Bender nicht ausreichend wahrgenommen worden, parierte die Landesregierung. Sie verwies darauf, daß die Maßnahmen, die das Gesetz zuließ, unter Berufung auf den rechtfertigenden Notstand schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes durch Minister Bender für Stammheim angeordnet worden waren.
Damit stellt sich aber die Frage, warum Bender überhaupt zurückgetreten war. Hatte er sich subjektiv schuldig gefühlt? War er überfordert und hatte dem Trommelfeuer der Kritik nicht mehr standhalten können?
Vielleicht tragen die Betrachtung der Persönlichkeit von Bender und seines Lebenswegs – vor allem seiner Amtszeit als Justizminister – mit zur Klärung dieser Frage bei.
Die Tatsache, daß Bender in Tübingen geboren wurde, woraus gelegentlich (vgl. Badische Zeitung vom 6. 2. 1979, S. 4, und vom 24. 2. 1979, S. 7) geschlossen wurde, daß er ein „schwäbischer Pietist“ war, ist allein dem Zufall eines Krankenhausaufenthaltes seiner Mutter zuzuschreiben. Bender wuchs dort auf, wo sein Vater als evangelischer Pfarrverweser eingesetzt war, in Meßkirch, seit 1928 in Nonnenweier bei Lahr. In diesem mittelbadischen Städtchen besuchte er auch seit 1937 das humanistische Gymnasium. Vor der Abschlußprüfung wurde er 1943 zum Kriegsdienst eingezogen und war zuerst Luftwaffenhelfer, dann beim Arbeitsdienst und schließlich beim Heer. So konnte Bender erst 1946 die Reifeprüfung ablegen. Danach studierte er zunächst evangelische Theologie in Erlangen, wechselte im Sommer 1947 an die philosophisch-theologische Hochschule in Bamberg und studierte dort, seit 1948 in Freiburg i. Br. Rechtswissenschaft. Die erste juristische Staatsprüfung legte er 1950 ab. Den akademischen Abschluß seiner Studien bildete im Mai 1952 die Promotion beim Freiburger Staatsrechtler Theodor Maunz über „Die kirchenpolitischen Bestimmungen des Bonner Grundgesetzes“. Bender war dann Referendar bei mehreren Karlsruher Ämtern und Gerichten. Diese Stadt, wo sein Vater in der Zwischenzeit als Landesbischof residierte, war fortan seine Heimat. Hier praktizierte er auch vor und nach seiner Ministerzeit als Rechtsanwalt. Ein Musterprozeß vor dem Bundesverfassungsgericht, der die Frage klärte, ob die Kindertaufe die Mitgliedschaft in der Kirche nach sich zieht, dürfte der Höhepunkt seiner Anwaltslaufbahn gewesen sein.
Benders politischer Lebenslauf beginnt in Karlsruhe; er engagierte sich zunächst in der Jungen Union, kam zweiunddreißigjährig in den Karlsruher Gemeinderat und blieb dessen Mitglied bis 1972, die letzten Jahre über als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU. Sein kommunalpolitisches Engagement war breitgefächert. Er trat für die Erweiterung der Alb-Grünflächen ein, lehnte aber für 1975 eine Neuauflage der Bundesgartenschau in Karlsruhe aus finanziellen Gründen ab, gegen den Willen des damaligen Oberbürgermeisters. Intensiv war auch sein Einsatz für den Schulbau der Stadt; hier kämpfte Bender für mehr Investitionen. Bildungspolitisch wurde Bender in den späten sechziger Jahren aktiv und gründete, als die Diskussion um die künftige Schulform hohe Wellen schlug, einen bildungspolitischen Arbeitskreis für Nordbaden. Auf kulturellem Gebiet war er Anwalt der Karlsruher Theater. Die städtische Förderung von Kleinkunstbühnen wurde durch seine Initiativen erweitert. Schließlich trat der ehemals aktive Handballer auch für den Karlsruher Sport ein und gründete am Rand der neuen Waldstadt, dort, wo heute der Traugott-Bender-Sportpark an ihn erinnert, mit anderen zusammen den inzwischen zweitgrößten Sportverein der Stadt. Auch als Landtagsabgeordneter stellte Bender die Kommunalpolitik nicht hintan. Seine rasche Auffassungsgabe, sein enormes Arbeitstempo, vor allem aber die Anteilnahme am Geschick seiner Mitmenschen, denen er helfen wollte, waren ihm Ansporn. Bender war damals der politisch führende Kopf in der Gemeinderatsfraktion der CDU. Sicher ist es auch ein Gutteil auf seinen Einsatz zurückzuführen, daß die kommunal anfänglich dominierende SPD damals aus dieser Position verdrängt wurde. In seinem Wirkungskreis galt Bender als ausgesprochen geradlinig, zuverlässig, freundlich und wahrhaftig, als ein Mann, der Politik als Christ verstand und auch betrieb.
Diese Wesenszüge kennzeichnen auch den Landespolitiker, der, 1964 erstmals im Zweitmandat für den Wahlkreis 28, Karlsruhe Stadt I (Ost) gewählt, diesen Wahlkreis von 1968 an direkt gewann und bis zu seinem Tod hielt. Vor allem in der Zeit der großen Koalition, seit November 1967 als Vorsitzender des Rechtsausschusses, erwarb sich Bender einen Ruf als ausgezeichneter Jurist. Das Landesrichtergesetz, 1971 vom Landtag beraten, läßt Benders Handschrift deutlich erkennen. Als die CDU bei der Landtagswahl 1972 erstmals die absolute Mehrheit im Lande errungen hatte und damit die Position des Justizministers ebenfalls besetzen konnte, fiel die Wahl des Ministerpräsidenten Filbinger auf Bender. Heute nach dem Grund dafür gefragt, sagt Filbinger, es habe damals eine ganze Anzahl hervorragender Juristen in der CDU-Fraktion gegeben, kein anderer aber habe Benders Autorität und politisches Gewicht besessen. Damit begann der wohl bewegteste Abschnitt im Leben Benders, der so gar nichts dazu getan hatte, einen Ministersessel zu erreichen.
Schon heute fallen bei der Betrachtung der siebziger Jahre drei Wesenszüge auf: der Hang, das Bessere im Neuen zu finden, der seinen Ausdruck in einer großen Zahl von Reformen, in einer Unzahl aber von Reformansätzen fand; durch das – damit sinnverwandte – Bestreben, auch auf ethisch-moralischem Gebiet Überkommenes zu eliminieren und mehr „Lebensqualität“ in neuen Normen zu finden und schließlich – in der Perversion des studentischen Protests der ausgehenden sechziger Jahre – im Versuch einer terroristischen Minderheit, die vorhandenen Strukturen gewaltsam zu zerstören, wodurch das gesamte Staatsgefüge, die Gesellschaft, nachhaltig herausgefordert war.
Gerade der baden-württembergische Justizminister Bender mußte sich die ganzen fünfeinhalb Jahre seiner Amtszeit über permanent mit diesen Zeitcharakteristika auseinandersetzen. Dies zeigte sich bald nach der Amtsübernahme, weil Bender im Strafvollzug neben dem Gedanken der Resozialisierung auch die Sühne für begangenes Unrecht betonte. Als „Prophet des alttestamentarischen Rachegedankens“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. August 1974), als „Mann mit dem eisernen Besen“ (vgl. Heidenheimer Zeitung vom 22. August 1974), weil er sich offen zu „Law and Order“ (vgl. z. B. Südkurier Konstanz vom 29. Juli 1972) bekannte, als Initiator einer „harten Welle“ (siehe oben, Heidenheimer Zeitung) wurde er apostrophiert. Dabei ging es ihm tatsächlich um den straffällig Gewordenen, der nach Benders Überzeugung erst durch das Einsehen in seine persönliche Schuld und durch ihre Sühne die Voraussetzungen zu einer echten Reintegration in die Gesellschaft schaffe. Bender wollte Straftäter als Menschen mit freiem Willen ernstnehmen und ihnen die Chance zur Selbsterkenntnis geben, um ihnen hernach helfen zu können, wieder in die Gesellschaft zurückzufinden. Der christliche Gedanke der Umkehr wird deutlich.
Wie sehr sich Bender für einen humanen Strafvollzug einsetzte, der reale Chancen bietet zum Weg zurück, ließ sich auch an der Vollzugsreform 1975 erkennen, als der Minister sich allgemein um dessen Humanisierung, besonders um die räumliche Trennung älterer und jugendlicher Untersuchungshäftlinge bemühte, im Zusammenhang mit der Eröffnung der Jugendstrafvollzugsanstalt Adelsheim ein Jugendvollzugsprogramm mit deutlich pädagogischen Zielsetzungen erarbeitete, auf die Einführung eines Arbeitsentgelts für Strafgefangene hinarbeitete, sich in der Öffentlichkeit für Straffälligenhilfe einsetzte und um Patenschaften für entlassene Strafgefangene warb. Bender sah den Strafvollzug nicht technisch-mechanistisch. Gerade vom behördlichen Beigeschmack wollte er ihn befreien und auf den Menschen umorientieren, der gefehlt hatte, dies einsah und dem er zurückhelfen wollte. Er schuf auch den Resozialisierungsfonds, aus dem bis heute straffällig Gewordene bei der Ablösung ihrer Schulden unterstützt werden (heute „Traugott-Bender-Fonds“).
Teilweise waren diese Bemühungen auch Benders Konsequenzen aus dem sogenannten Mannheimer Gefängnisskandal. Der Strafvollzug in Baden-Württemberg war in den Jahren 1973/74 zum Gegenstand öffentlicher Diskussion geworden. In der Mannheimer Vollzugsanstalt kam am 26./27. Dezember 1973 ein Häftling nach gewaltsamen Ausschreitungen zum Tode. Vorwürfe wegen einer ganzen Reihe von Mißhandlungen und Bestechungen wurden laut. Bender griff energisch ein. Alle 897 seit 1970 eingestellten Verfahren wegen Körperverletzung an Gefangenen, unnatürlichen Todesfällen in Landesgefängnissen oder Bestechungen wurden überprüft; in 19 Fällen wurde Anklage erhoben. Der Leiter der Haftanstalt und der Leiter des Aufsichtsdienstes waren nach Bekanntwerden der Vorgänge ersetzt worden. Als sich der ständige Ausschuß des Landtags am 29. August 1974 mit der Sache befaßt hatte, hieß er diese Maßnahmen gut und die Presse, die dem Minister sonst nicht selten kritisch gegenüberstand, lobte ihn diesmal, weil er „jahrzehntelange Saumseligkeiten des Justizministeriums tatkräftig auszugleichen versucht und auch von einer Kompetenzverschiebung in der zuständigen Abteilung nicht zurückschreckt“ (Stuttgarter Zeitung vom 30. August 1974).
Derartiges Presselob blieb jedoch eine Seltenheit. Zu oft war Benders Haltung allein von Grundsatztreue gekennzeichnet, vom Mut zur unpopulären Entscheidung, ein Bekenntnis gegen den Zeitgeist. Dies zeigte sich besonders in der Debatte um die Reform des Abtreibungsparagraphen 218, um die Ehescheidung und um die Euthanasie. Bender betonte in allen drei Fällen moralische Gesichtspunkte. In der Fristenlösung erblickte er den Versuch einer „Umdeutung“ des Grundrechts auf Leben mit dem Ziel, den einzelnen Menschen durch das Kollektiv zu ersetzen (vgl. Stuttgarter Zeitung vom 24. Oktober 1975). Er forderte eine neue Besinnung auf die ethischen Grundsätze, damit eine kollektivistische und totalitäre Umarmung des Menschen verhindert werde. Angesichts dieser Haltung war es nur folgerichtig, daß Bender in der sozialistischen Forderung nach der Demokratisierung aller Lebensbereiche nichts anderes sah als den Versuch, auch die private Sphäre zu politisieren, zu vergesellschaften und damit letztlich aufzuheben. Wie bei seiner uneingeschränkten Ablehnung der Euthanasie besaß für Bender auch bei der Abtreibungsfrage der Schutz des Lebens absolute Priorität: „Zu beurteilen, ob ein Leben sinnvoll ist, können wir nicht dem Arzt überlassen … Der Grundsatz des Lebensschutzes darf nicht durchbrochen werden“ (Interview, zitiert nach Badische Neueste Nachrichten vom 30. August 1975).
Es ist vor allem Bender und auch Filbinger zuzuschreiben, daß die Landesregierung am 20. Juni 1974 alle Möglichkeiten ausschöpfte und buchstäblich in letzter Minute gegen die bereits beschlossene Reform des Paragraphen 218 Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht einlegte (vgl. Pressemitteilung des Staatsministeriums Nr. 359/74). Intern war man von den Erfolgsaussichten durchaus nicht überzeugt. Allein Bender und Filbinger drängten im Ministerrat regelrecht darauf, den Rechtsweg zu beschreiten. Bender hatte in seinem Hause die maßgebliche Vorarbeit geleistet, die schließlich zur Annahme des Antrages und zu dem für die Landesregierung positiven Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 führte. Aber Bender kämpfte auch noch gegen die gemäßigtere Neufassung des Gesetzes. Als das gesamte übrige Kabinett den weiteren Widerstand für sinnlos hielt, trat Bender öffentlich dafür ein, daß an Landeskrankenhäusern überhaupt keine Abtreibungen vorgenommen werden sollten. Seine christliche Grundüberzeugung war ihm wichtiger als der Konsens der Mehrheit.
Das brisanteste Thema während der Amtszeit aber war und blieb die Bekämpfung der Gewaltanwendung im öffentlichen und politischen Bereich. Auf diesem Felde fühlte sich der Justizminister mit der Überzeugung, daß ein Staat ohne Recht und Ordnung nicht funktionieren und den Menschen nicht dienen kann, am nachhaltigsten herausgefordert. Seine Reden und Aktivitäten machten deutlich, daß er für eine „wehrhafte Demokratie“ eintrat (vgl. Reutlinger Generalanzeiger vom 3. April 1975). Schon in den siebziger Jahren wollte Bender die Bestimmungen über den Landfriedensbruch auch auf Personen anwenden, die in einer Menschenmenge verharren, obwohl in deren Mitte Gewalttaten begangen werden. Über den Bundesrat wurde Baden-Württemberg im Mai 1975 aktiv. Der Gesetzentwurf zur wirkungsvolleren Bekämpfung des Terrorismus, den Baden-Württemberg damals zusammen mit Bayern einreichte, fand aber keine Mehrheit im Bundestag. Im April 1977, nach der Ermordung des Generalbundesanwalts Bubak, setzte Bender sich erneut für eine Gesetzesänderung ein, speziell für die Möglichkeit zur Überwachung des mündlichen Verkehrs zwischen Verteidiger und Mandanten in bestimmten Fällen. Die Begründung der Initiative läßt die Überzeugung erkennen, daß nur so das Informationssystem des Terrorismus zerschlagen werden könne. Auch dieser Schwachpunkt der Terrorismusbekämpfung wurde nicht beseitigt. Erst nach den Selbstmorden kam es zur entsprechenden Regelung.
Indessen sah sich der Justizminister über Jahre hinweg permanenter Anfeindung ausgesetzt. Zunächst ging es um die Unterbringung der Untersuchungsgefangenen in Stammheim. Schlagworte wie „Isolationsfolter“ kursierten, als die Terroristen mit einer Reihe von Hungerstreiks begannen. Interaktionsmöglichkeiten für die Untersuchungsgefangenen wurden gefordert. Bender initiierte die Erklärung der Justizministerkonferenz vom 12. November 1974, die die Hungerstreiks als Teil des Kampfes gegen den Rechtsstaat kennzeichnete. Doch spektakuläre Aktionen wie der Besuch Jean-Paul Sartres in Stammheim und die Korrespondenz des deutschen Staatsoberhauptes mit Ulrike Meinhoff verliehen den Gefangenen Sonderbedeutung. Gleichzeitig wurde die Rechtmäßigkeit des Gerichtsverfahrens in Stammheim angezweifelt. Im Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart, der mit den Terroristen befaßt war, sah eine namhafte deutsche Wochenzeitung ein Sondergericht mit exzeptioneller Zuständigkeit. Eine gezielte Auswahl erkennender Richter sei vorausgegangen (vgl. Stuttgarter Zeitung vom 7. November 1975).
Doch dann, im Frühjahr 1977, schlug das öffentliche Urteil über die Zustände in Stammheim jäh um. Das düstere Bild der Isolationsfolterkammer wurde ersetzt durch das vom fidelen Gefängnis, weil den einsitzenden Terroristen fast alles erlaubt sei: Radio, Fernsehen, Zeitungen, Literatur, Besuche (vgl. Stuttgarter Nachrichten vom 2. Mai 1977). Tatsächlich hatten ärztliche Gutachten sich dahin ausgesprochen. War Bender zuvor allzu große Härte vorgeworfen worden, so hielt man ihm nun fehlende Konsequenz in der Behandlung der Terroristen vor. Die Selbstmorde schienen dieses Urteil zu bestätigen.
Die Frage nach den Gründen für den Rücktritt läßt sich nach dem bisher Festgestellten so beantworten: Die Untersuchung der Stammheimer Ereignisse fand keine Schuld des Ministers heraus; seine gescheiterten Initiativen beweisen im Gegenteil, daß er schon zu härteren Maßnahmen riet, bevor die Mehrheit ihm darin zu folgen bereit war. So dürften persönliche Erwägungen zu seinem Schritt ausschlaggebend gewesen sein, nicht der zeitweilige Zweifel an sich selbst, sondern der Mut, ohne Not Konsequenzen zu übernehmen, weil er das Ansehen des Staates über sein eigenes Interesse stellte, gemäß seiner Erkenntnis, daß er als Christ zum Opfer und zum Verzicht bereit sein muß. Nach seinem Tod ist dieser Schritt als „keineswegs notwendig“ bezeichnet worden (Treffz-Eichhöfer in Mannheimer Morgen vom 6. 2. 1979).
Dennoch war er gewiß nicht Ausdruck der Resignation. Bender arbeitete auch nach seinem Rücktritt politisch weiter. Als stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion fand er ein neues Betätigungsfeld. Völlig rehabilitiert hätte er 1978 bereits wieder Minister werden sollen. Er lehnte ab.
Am 27. Januar 1979 sprach Bender auf Einladung der Michaels-Bruderschaft im evangelischen Gemeindezentrum in Durlach über das Thema „Der Christ in der Verantwortung“; wie er selbst sagte, war ihm dies „ein Stück persönliches Bekenntnis“ (Niederschrift der Tonbandaufzeichnung im Familienbesitz, MS S. 1). Bender faßte seine Überzeugung in sieben Punkten zusammen:
1. Der Mensch, von Gott durch die Taufe angenommen, hat Verantwortung für den Nächsten als Konsequenz aus seinem Christsein heraus. Aus dem unmittelbaren Verhältnis des Individuums zu Gott resultiert seine persönliche Würde und Unantastbarkeit. Er lebt in der Gemeinschaft, nicht durch sie.
2. Staat ist Ordnung und darauf basiert die Freiheit. Macht im Staate muß sein, eingebettet in das Recht, das aus der Gerechtigkeit resultiert.
3. Was im Staat geschieht, ist vorläufig. Über den Sinn der Welt ist durch Christi Opfer entschieden. Sinnerfüllung gibt also nicht der Staat; das ist Sache Gottes und der Erfahrung des einzelnen.
4. Der Christ in der Verantwortung muß das Mögliche erstreben und dabei von einem realistischen Menschenbild ausgehen.
5. Sein Handeln muß an den Grundwerten der Zehn Gebote orientiert sein.
6. Er muß die Existenz der Kirche als ein Stück fremdbestimmter Freiheit, letztlich dem Reglement Gottes, nicht des Menschen unterworfen, in sein Handeln einbeziehen.
7. Und er muß sich über den Stil seines Auftretens bewußt sein, zuhören können und partnerschaftlich handeln.
Unbeabsichtigt wurde diese Rede zum politischen Vermächtnis. Bei den letzten Worten brach Bender zusammen und fiel in Bewußtlosigkeit, aus der er nicht wieder erwachte. Wenige Tage darauf starb er an den Folgen des Gehirnschlages.
Werke: Die kirchenpolitischen Bestimmungen des Bonner Grundgesetzes. Diss. jur. Masch.schrl. Freiburg i. Br. 1952; Rechtspolitik in der heutigen Zeit – Grundfragen und Tendenzen. Vortrag gehalten auf dem 25. Bodensee-Juristentreffen am 1.10.1977. Auszug abgedr. in: Deutsche Richterzeitung 2, 1978. Kopie des Originalmanuskripts im StAF; Mein Standpunkt zu Artikel 2 des 5. Strafrechtsreformgesetzes. Stuttgart, 25.10.1976. Kopie im StAF; Neuere Aspekte der Kriminalitätsentwicklung unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftskriminalität. Rede gehalten vor dem Wirtschaftsrat der CDU in Karlsruhe am 24. 3. 1977. Kopie des Originalmanuskripts im StAF; Der Christ in der Verantwortung für Kirche und Gesellschaft. Vortrag vor dem Christophorus-Verein katholischer Studierender und Akademiker am 10.10.1976 in Augsburg. Kopie des Originalmanuskripts im StAF; Über christliche Verantwortung gegenüber dem Staat. Niederschrift der letzten, frei gehaltenen Rede Traugott Benders, gehalten am 27. 1. 1979 im Konvent Nordbaden der Evangelischen Michaels-Bruderschaft in Karlsruhe-Durlach. Kopie im StAF.
Nachweis: Bildnachweise: Foto StAF, Bildnissammlung; Karikatur u. a. Stuttgarter Nachrichten vom 29.10.1976.

Literatur: T. Bender, in: Munzinger-Archiv/Internationales Biographisches Archiv 10.3.1979 – Lieferung 10/79; Köpfe unseres Landes: T. Bender, in: Südkurier Konstanz vom 29.7.1972; Portrait der Woche: T. Bender, in: Stuttgarter Zeitung vom 30.10.1976; Nachrufe u. a. in: Heilbronner Stimme, Mannheimer Morgen, Schwarzwälder Bote, Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung, jeweils vom 6.2.1979. Sammlung weiterer Presseartikel über Bender in der Dokumentation des Staatsministeriums Baden-Württemberg und im StAF.
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