Boehringer, Ernst 

Geburtsdatum/-ort: 28.06.1860;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 14.09.1892; Chiavenna, Italien
Beruf/Funktion:
  • Unternehmer
Kurzbiografie: 1872 IX Umzug d. Familie nach Mannheim
1872 X–1877 VI Realgymnasium Mannheim, Reifezeugnis vom 3. Juli 1877
1877–1882 vermutl. Arbeit in d. väterlichen Firma Christian Frtiedrich Boehringer& Söhne
1882 III– 1883 VII Leitung d. Firma zus. mit seiner Mutter
1883 VII–XI Alleiniger Inhaber d. Firma
1883 XI 25 Vertrag mit Fr. Engelhorn jr. über dessen Eintritt in die Firma als Teilhaber
1884–1892 Kaufmännische Leitung d. Firma
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1889 (Mannheim) Franziska (Fanny) Luise Marie, geb Jörger (1868-1936)
Eltern: Vater: Christoph Heinrich (1820-1882), Unternehmer
Mutter: Mathilde, geb. Spring (1828–1902)
Geschwister: 6; Anna (1850–1926), verh. mit Wilhelm Wunderlich, Maria (1853–1919), verh. mit Hermann Gauger, Bertha (1856–1925), verh. 1877 mit Hermann Heinrich Müller, Albert (1861–1939), Unternehmer, Begründer d. Fa. Boehringer-Ingelheim; Mathilde (1858–1928), verh. 1883 mit Karl von Rambaldi; Clara (1863–1935), verh. 1883 mit Ewald Hornig
Kinder: Fanny Mathilde Marie (1890-nach 1968)
GND-ID: GND/1135936110

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 534-536

Boehringer gehört zur dritten Generation derjenigen Unternehmer, denen Südwestdeutschland den Aufschwung seiner chemischen Industrie verdankt. Boehringers Großvater gründete in Stuttgart die chemisch-pharmazeutische Firma Christian Friedrich Boehringer& Söhne. Damals war die Chinin-Produktion Geschäftsgrundlage. Um ihre weitere Entwicklung zu ermöglichen, verlegte sie Boehringers Vater Christoph nach Mannheim-Jungbusch. Die Familie ließ sich 1872 in Mannheim nieder.
1872 bis 1877 besuchte er das Realgymnasium, das kurz zuvor aus der Mannheimer Höheren Bürgerschule entstanden war. Dank der Bemühungen des ersten Leiters des Gymnasiums, Heinrich Schröder (1810–1885), war die Anstalt besonders für Chemie und Physik außerordentlich gut eingerichtet und hatte einen sehr qualifizierten Lehrkörper. Boehringer lernte dort von der Untertertia bis zur Prima; im Juli 1877 bestand er die Abschlussprüfungen. Er verließ das Gymnasium, wobei notiert wurde, dass Boehringer Chemie studieren werde, was sich jedoch nicht nachweisen lässt, zumindest gibt es keine Spuren von Boehringers Studium, weder in den Akten der Polytechnischen Hochschule Karlsruhe, noch in den leider lückenhaften Akten der TH Stuttgart, noch in den Akten der TH Darmstadt. So bleibt unklar, ob Boehringer eine weitere Ausbildung genoss, außer der Erfahrung, die er im Geschäft seines Vaters bekommen konnte.
Vermutlich hatte sich Boehringer sofort nach dem Wunsch des Vaters in dessen Unternehmen eingegliedert; denn damals schon plante er eine Verlegung des Betriebs aus dem Jungbusch.
Entsprechend dem letzten Willen führte seine Witwe Mathilde zusammen mit ihrem Sohn Ernst die Firma unverändert fort. Der Umzug in das kürzlich erworbene Gelände war bereits im Gange. Von 1881 bis 1883 wurde die Fabrik in Waldhof eingerichtet; das Büro blieb bis 1886 im Jungbusch. Dieses Zusammenwirken war offiziell geregelt. Im Handelsregister, datiert vom 26. Mai 1882, findet sich die Eintragung: „Die Firma ist mit dem Tod des Christoph Boehringer auf dessen Witwe Mathilde Boehringer, geborene Spring, übergegangen, welche das Geschäft fortführt. Collectiv-Procura bleibt bestehen. […] Ernst Boehringer, Chemiker und Kaufmann, ist Procura ertheilt mit der Befugnis zur Alleinzeichnung“ (Mit Menschen…, 2010, 24). Die Mutter entschied sich jedoch bald dafür, die Verantwortung für die Firma allein in die Hände ihres Sohnes Ernst zu legen und unterschrieb im Juli 1883 ein Kaufvertrag, nach dem Boehringer das Unternehmen abkaufte. Die Geschwister wurden ausbezahlt.
So wurde Boehringer alleiniger Leiter des schnell wachsenden Unternehmens. Ohne genügende chemische Ausbildung fühlte der 23-jährige sich dieser Rolle nicht gewachsen. Er hatte aber jetzt das Recht, einen Teilhaber aufzunehmen. So fand er auf Vermittlung von Friedrich Engelhorn einen Partner mit gutem chemischem Hintergrund in Fritz Engelhorn jr. Um ihn zum gleichberechtigten Mitbesitzer der Firma zu machen, hatte Engelhorns Vater 1 Million Mark für den Sohn eingezahlt. Im Dezember 1883 wurde der Vertrag unterzeichnet.
Die Kompagnons freundeten sich bald an; ihre Zusammenarbeit war von Vertrauen geprägt und sehr erfolgreich. Dabei kam dem fünf Jahre älteren Engelhorn die führende Rolle im Betrieb zu, während Boehringer sich dem Handel widmete. Die Jahre 1883 und 1884 waren für ihn besonders anstrengend. 1883 geriet die Chinin-Industrie durch das unerwartete Angebot von Chinarinde aus Holländisch Indien in eine äußerst schwierige Lage. Der Preis für Chinin war abgestürzt. Boehringer reiste unermüdlich, durch Deutschland, nach Italien, Holland, England, in die USA, um zuverlässige Käufer zu gewinnen, potentieller Konkurrenz vorzubeugen und sich mit ernsten Konkurrenten zu verständigen. Er ersann kaufmännische Konstruktionen und besprach sie auch mit Engelhorn sen. Einige Zeilen aus Boehringers Briefen an Engelhorn während seiner Reise in die USA geben einen Einblick in sein damaliges Leben und seine Tätigkeit: „Mit Weightman [Powers& Weightman – Chininhändler in Chicago] war nichts zu machen […]Wir müssen eben fortfahren ihm als Conkurrenten entgegenzutreten […] ich versuche, mit größeren Drogisten im Westen Contracte abzuschließen und zwar so, dass die Leute dabei ihren Vorteil sehen. Wir haben vielleicht für den Anfang einige Opfer zu bringen, die aber nicht verfehlen werden, nur gute Dienste zu leisten“ (Friedrich Engelhorn-A S 1/37,16. Okt. 1884). An anderer Stelle heißt es: „Ich kann Dich versichern, dass die Verhältnisse hier nur sehr compliziert sind und wir einem harten Kampf entgegen gehen“ (ebd., 7. Nov. 1884,) Schließlich konnte das Unternehmen die „Chinin-Krise“ durchstehen, nicht zuletzt, weil es auch viele andere Produkte verkaufen konnte. Hier zeigt sich Boehringers Einstellung, die er noch im Sommer 1884 formulierte, bestätigt: „Ich bin der Ansicht, dass wir am besten über die Calamität wegkommen, wenn wir suchen, flott in Betrieb zu bleiben und alle Orders annehmen, welche noch etwas Verdienst übrig lassen“ (ebd., Brief an Engelhorn, 15. Aug. 1884).
Tatsächlich konnte die Firma auf dem Waldhof mehrere neue Produkte herstellen, wie Tannin, Glyzerin und Carbolsäure (Phenol). Besonders wichtig war es, dass bereits ab 1882 mit der Herstellung anderer Alkaloiden als Chinin begonnen worden war: Codein, Strychnin, Coffein und Atropin. „Was die Fabrik an neuen Erzeugnissen zur Verfügung stellte, führte eine gute kaufmännische Organisation unter Boehringers geschickten Leitung einem erfreulichen Absatze“ (Christian Friedrich Boehringer& Söhne…[ 1934], 9).
Wie auch seine Eltern blieb Boehringer Württemberger. Zum Anfang 1889 erhielt er jedoch die badische Staatsangehörigkeit, wahrscheinlich, weil er in Mannheim zu heiraten vorhatte. Im Sommer 1889 verheiratete sich Boehringer mit einer jüngeren Schwester der Frau von Fritz Engelhorn und Tochter des Mannheimer Großkaufmanns Carl Jörger (1837–1895). Damit wurde Boehringer nicht nur Kompagnon, sondern auch Schwager Engelhorns, was die Verbundenheit beider nur stärkte. Die erfolgreiche Zusammenarbeit dauerte danach jedoch nur noch drei Jahre. Boehringer starb 32-jährig während einer Italienreise an Lungenentzündung, nicht an Fischvergiftung, wie das Geschlechterbuch berichtet. (Friedrich-Engelhorn-Archiv S 11/11).
Das kurze Leben Boehringers schließt die Geschichte des Mannheimer Zweigs des Unternehmergeschlechts Boehringer ab. Seitdem gehörte die Mannheimer Firma Boehringer der Familie Engelhorn, bis sie 1997 durch den schweizerischen Konzern Roche übernommen wurde.
Quellen: StadtA Mannheim: Familienbögen, Boehringer Christoph u. Ernst; Bestand Tulla-Gymnasium, Zug. 68/1993, Nr. 4, Nr. 5, Nr. 14; Württ. Landesbibliothek Stuttgart Aha 762, Fritz Kaufmann, Familie Boehringer. Stammbaum u. Geschichte, Maschinenschrift, 1921 (ohne Paginierung); Friedrich Engelhorn-A Mannheim S 1/37, Geschäftliche Korrespondenz zwischen Boehringer u. Fr. Engelhorn; S 1/38, S 1/87, Gesellschaftsvertrag zwischen Boehringer u. Fr. Engelhorn u. Ernst Boehringer, Korrespondenz u. einige Dokumente von Boehringer; S 1/86, Kondolenzschreiben von Geschäftspartnern anlässlich des Todes von Boehringer; S 11/11 u. S 11/12, Unterlagen aus dem Nachlass von Egon Dietz, ehem. Firmenarchivar von Boehringer Mannheim; Institut für Personengeschichte, Bensheim, Akten Boehringer; Auskünfte aus dem UA Stuttgart vom 11.8., StAL vom 31.8. u. UA Darmstadt vom 16.9.2015.
Nachweis: Bildnachweise: Denkschrift [1934], 6; Dt. Geschlechterbuch 146, 1968, zwischen 88 u. 89; Mit Menschen für Menschen, 2010, 24.

Literatur: DBE, 2. Aufl., Bd. 1, 2005, 780; Christian Friedrich Boehringer& Söhne, Mannheim- Waldhof, 1859–1909, [1909]; Christian Friedrich Boehringer& Söhne G.m.b.H., Mannheim-Waldhof (gegr. 1859), [1934]; Denkschrift d. Christian Friedrich Boehringer& Söhne, G.m.b.H Mannheim-Waldhof anlässl. ihres 75jährigen Bestehens 1859–1934, [1934]; Ernst Peter Fischer, Wissenschaft für den Markt: Die Geschichte des forschenden Unternehmens Boehringer-Mannheim, 1991; Mit Menschen für Menschen: Aus d. Geschichte des forschenden Pharmaunternehmens Boehringer-Ingelheim, 2010.
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