Bernhard, Henry Friedrich Christian 

Geburtsdatum/-ort: 01.01.1896; Dresden
Sterbedatum/-ort: 09.03.1960; Würzburg
Beruf/Funktion:
  • Herausgeber und Chefredakteur, MdL-FDP/DVP (Württemberg-Baden), Landtagsvizepräsident
Kurzbiografie: 1906–1911 höhere Bürgerschule „Ehrlichsches Gestift zu Dresden“, ohne Abschluss
1911–1914 Lehrling, später Angestellter beim Bund d. Industriellen; Ausbildung in Stenographie u. Maschinenschreiben
1914–1915 Assistent d. Geschäftsführung beim Verband Sächs. Industrieller
1915 „Zweiter Sekretär“ Gustav Stresemanns (1878–1929)
1916–1918 Teilnahme als Gefreiter am I. Weltkrieg in d. 10. Kompanie d. königl.-sächs. Landwehr, Infanteriereg. 388; mehrf. verwundet bei den Kämpfen in Flandern
1919–1923 Mitglied d. Geschäftsführung im Reichsverband d. Dt. Industrie, RDI
1923–1929 Privatsekretär Gustav Stresemanns, während dessen Kanzlerschaft Leiter des Kanzlerbüros, anschl. Leiter des Ministerialbüros im Auswärtigen Amt, 1926 Dienstbezeichnung „Konsul im Auswärtigen Amt“
1.VI.1930 Im Auswärtigen Amt „zur Disposition gestellt“, Herausgabe des Nachlasses von Gustav Stresemann
1931–1938 freier Journalist
1938–1945 Leiter d. Literar. Abteilung d. Daimler-Benz AG
1945–1946 Mithg. d. Stuttgarter Ztg.
1946–1959 Mithg. u. Chefredakteur d. Stuttg. Nachrichten
1946–1950 Mitglied d. Vorläufigen Volksvertretung, d. Verfassungsgebenden Landesversammlung u. des Landtages von Württ.-Baden, zuletzt Landtagsvizepräsident
1955ff. Mitglied des Personalgutachterausschusses zur Überprüfung d. Vergangenheit angehender Bundeswehroffiziere
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: EK II u. Friedrich-August-Medaille in Bronze mit dem Bande für Kriegsdienste (1917); Abzeichen für Verwundete in schwarz (1918), Friedrich-August-Medaille in Silber (1918)
Verheiratet: I. 1928 Lili Wronker-Flatow, geb. Kirch, gesch.;
II. 1934 Elisabeth, geb. Schneider (1910–1992)
Eltern: Vater: Carl Franz (gestorben 1925), Glasermeister
Mutter: Alma Antonie, geb. Ulbricht, verh. Lichtenberger (1871–1954)
Geschwister: 3; Martin, Erich (gestorben 1945), Emo Lichtenberger, Halbbruder aus d. 2. Ehe d. Mutter u. weitere Halbgeschwister aus einer weiteren Verbindung des Vaters
Kinder: 2; Rudolph (1934–2002) u. Maria-Anna (geboren 1936)
GND-ID: GND/116146184

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 26-30

Der Sohn eines Dresdener Glasermeisters besuchte dort 1906 bis 1911 das „Ehrlichsche Gestift“, erwarb aber keinen Abschluss. Die Familienverhältnisse erlaubten das nicht mehr; denn der Vater hatte sich bei Finanztransaktionen übernommen. 1899 war er nach Südafrika geflüchtet; 1908 wurden die Eltern geschieden.
Prägend für die weitere Laufbahn Bernhards war seit 1911 die Förderung durch Rudolph Schneider (1876–1933), der damals Syndikus beim Bund der Industriellen und mit Gustav Stresemann (1878–1929), dem Vizepräsidenten des Bundes der Industriellen, bekannt war. Auch Schneider entstammte einfachen Verhältnissen, hatte das „Ehrlichsche Gestift“ besucht und wollte nun, nachdem er zu Wohlstand gekommen war, einen finanziell schlechter gestellten Zögling des Instituts fördern, der wie er am 1. Januar geboren war. Schneider ließ Bernhard in Stenographie und Maschinenschreiben ausbilden, der bis zur Einberufung Schneiders 1914 als dessen Sekretär arbeitete. Nach einer kurzen Tätigkeit beim Verband sächsischer Industrieller 1914/ 1915 wechselte Bernhard als Sekretär 1915/ 1916 in den Dienst Stresemanns, der Bernhard bereits aus dessen Zeit bei Schneider kannte. 1916 wurde Bernhard ebenfalls einberufen. Bis Kriegsende kämpfte er in Flandern, wurde mehrfach verwundet und ausgezeichnet.
Nach dem Ende des I. Weltkrieges wurde der gerade 23-jährige Bernhard in die Geschäftsführung des neu gegründeten Reichsverbandes der Deutschen Industrie berufen, an dessen Spitze sein Förderer Rudolph Schneider stand. Nachdem Schneider 1922 durch Vertreter der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie aus dem Amt gedrängt war, wechselte Bernhard im März 1923 erneut in den Dienst Stresemanns, zunächst als dessen Privatsekretär, ab August 1923 als Leiter des Kanzlerbüros und schließlich vom Herbst 1923 bis zum Tod Stresemanns 1929 als Leiter des Ministerbüros im Auswärtigen Amt. Seit 1926 trug er die Dienstbezeichnung „Konsul im Auswärtigen Amt“. Er war damals zweifellos einer der engsten Vertrauten und Mitarbeiter des Reichskanzlers und Außenministers, begleitete Stresemann auf nahezu allen wichtigen Auslandsreisen, auch zur Unterzeichnung des Locarno-Vertrages im Dezember 1925, des Briand-Kellog-Paktes in Paris 1928 und zu den Beratungen über den Young-Plan 1929 in Den Haag. Auf Vorschlag Stresemanns trat er 1925 in die Berliner Freimaurer-Loge „Friedrich der Große“ ein und kam auch in engeren Kontakt zur Familie des Außenministers. Nach Stresemanns Tod wurde Bernhard Anfang 1930 beurlaubt und war nun freischaffender Journalist, der sich bis 1932/ 1933 zusammen mit Wolfgang Goetz (1885–1955) und Paul Wiegler (1878–1949) der Herausgabe der Schriften und Briefe Stresemanns widmete.
Während des „Dritten Reiches“ sah sich Bernhard zunehmend von Repressionen bedroht. Den NS-Machthabern war Bernhard überaus suspekt, zumal er, in erster Ehe mit einer Jüdin verheiratet, über einen großen jüdischen Freundeskreis verfügte und viele jüdische Bekannte nachdrücklich ermunterte, Leben und Vermögen, solange dies noch möglich war, aus Deutschland zu retten. In zweiter Ehe war Bernhard mit einer Nichte seines Förderers Schneider verheiratet. Auch dies erregte das Misstrauen des Regimes, da Schneider als Freund Stresemanns und DVP -Reichstagsabgeordneter stets zu den Gegnern der neuen Machthaber gehört hatte. Nach der „Machtergreifung“ konnte Bernhard begreiflicherweise nicht mehr als Journalist arbeiten. Bis 1938 führte er in Berlin ein Zeitungsausschnittsbüro, bis es auf Goebbels Druck geschlossen wurde. Bernhard siedelte nach Stuttgart und arbeitete in der Werbe- und Öffentlichkeitsarbeit des Daimlerkonzerns. Zwar war er auch dabei vor Anfeindungen der Nationalsozialisten nicht si-ihn stellte, kam es nicht zu konkreten Maßnahmen. 1943/ 1944 erkrankte Bernhard an der Bauchspeicheldrüse und musste sich in Herrenberg einer lebensgefährlichen Operation unterziehen.
Beim Einmarsch der Alliierten in Stuttgart war Bernhard gesundheitlich wieder hergestellt, so dass er sich wieder engagieren konnte. Maßgeblichen Anteil hatte Bernhard u.a. beim Wiederaufbau der Freimaurerlogen, die im „Dritten Reich“ auch unter Repressionen gelitten hatten. Er gehörte zu den Gründern der Stuttgarter „Johannisloge Furchtlos und treu“ und stand dieser von 1948 bis 1950 vor. Schließlich wirkte Bernhard von 1951 bis 1958 und erneut 1958/ 1959 erst als Stellvertreter, dann selbst als Landesgroßmeister der deutschen Großloge.
Bereits Ende 1945 war er auf Wunsch der Amerikaner zum Mitglied der Vorläufigen Volksvertretung von Württemberg-Baden ernannt worden und 1946 bei den Wahlen als Abgeordneter der Verfassunggebenden Landesversammlung bzw. des 1. Landtages von Württemberg-Baden bestätigt. Damals war er auch Mitgründer der FDP/DVP. Seine Wahl zum Vizepräsidenten belegt das hohe Ansehen Bernhards, der 1949 und nochmals 1955 auch in den Rundfunkrat des SDR einrückte. In dieser Tätigkeit war Bernhard über zehn Jahre Vorsitzender im SDR-Ausschuss Politik und Zeitgeschehen. 1955 wurde er auch in den Personalgutachterausschuss des Deutschen Bundestages berufen, der die Vergangenheit angehender Bundeswehroffiziere im „Dritten Reich“ und II. Weltkrieg überprüfen sollte.
Seine eigentliche Bedeutung freilich gewann Bernhard als Journalist, zumal von 1946 bis 1959 als Chefredakteur und Herausgeber der „Stuttgarter Nachrichten“. Auf Wunsch der amerikanischen Besatzungsmacht war er 1945 zunächst Herausgeber der „Stuttgarter Zeitung“ geworden. Die Lizenz für dieses Blatt hielt er gemäß den Richtlinien der amerikanischen Besatzungsmacht gemeinsam mit dem Sozialdemokraten Josef Eberle und dem Kommunisten Karl Ackermann. Damals wollte die Besatzungsmacht noch in den Zeitungsredaktionen alle relevanten politischen Strömungen zu Wort kommen lassen. Die „Stuttgarter Zeitung“, die erstmals am 18. September 1945 erschien, wurde in der Turmhausdruckerei des vormaligen „Stuttgarter Neuen Tageblatts“ gedruckt, was sich damals als relativ unproblematisch erwies: die technischen Anlagen waren während des II. Weltkrieges ausgelagert gewesen und das Druckereigebäude nur wenig beschädigt. Probleme bereitete, wie andernorts, die Papierzuteilung. So erschien die Zeitung anfänglich nur zweimal die Woche mit sechs, manchmal auch nur vier Seiten.
Zwischen den Herausgebern und den Presseoffizieren der Besatzungsmacht blieben Spannungen nicht aus. Letztere forderten eine klare Trennung zwischen Information und Meinung. Die Titelseite der Zeitung dürfe ausschließlich Meldungen, jedoch keine Leitartikel enthalten . Am Ende gelang es jedoch den Herausgebern, ihren Standpunkt durchzusetzen und deutscher Pressetradition gemäß den Leitartikel auf die Titelseite zu setzen.
Erhebliche Differenzen gab es auch zwischen dem Kommunisten Ackermann und dem Liberalen Bernhard, zumal wenn es um die Bewertung der Verhältnisse in der UdSSR oder der SBZ ging. So wurde von Seiten der kommunistischen Redakteure die Ansicht verbreitet, „dass die wirtschaftliche und politische Entwicklung in der russisch besetzten Zone derjenigen in den anderen Zonen um einiges voraus sei“ (Stuttg. Ztg., 30.3.1946). Bernhard wertete dies als Versuch, „eine bestimmte Meinung über die Zustände in der Ostzone zu bilden“, die dazu führe, „alles, was im Osten passiert, schön zu finden und zu billigen“, er hingegen sah dort nur „Spuren einer gewissen geistigen Uniformierung“ (ebd., 9.3.1946).
Tatsächlich wurde durch Ackermann und andere kommunistische Redakteure das Spektrum der „Stuttgarter Zeitung“ nach links verschoben, was die Spannungen in der Redaktion nur steigerte. Ein Teil der Redakteure beklagte auch, dass Ackermann die Redaktionsräume für parteipolitische Zwecke nutze. So erschien die Zusammenarbeit zwischen den politisch unterschiedlich ausgerichteten Herausgebern letztlich unmöglich; im Herbst 1946 schieden beide aus der „Stuttgarter Zeitung“ aus.
Bernhard wurde nun zusammen mit Otto Färber und Erwin Schoettle Herausgeber der „Stuttgarter Nachrichten“. Dieses Herausgebertrio harmonierte etwas besser. Mit Bernhard und dem CDU-nahen Färber dominierte das bürgerliche Lager; Schöttle verkörperte das moderate sozialdemokratische Element. Die eigentliche Problematik der zweiten Lizenzzeitung aber lag im wirtschaftlichen Bereich, hatte sich doch die „Stuttgarter Zeitung“ bereits etabliert. So entbrannte die nächsten Jahre ein scharfer Konkurrenzkampf beider Blätter, in dem sich die „Stuttgarter Nachrichten“ als eher bürgerlich-konservatives Organ profilierten. Die unterschiedliche Einstellung beider Zeitungen wurde auch im Dezember 1946 sichtbar, als die Allparteienkoalition unter Reinhold Maier entstand. Während die „Stuttgarter Zeitung“ dem Vorgang sehr kritisch gegenüberstand, plädierten die „Nachrichten“ für die Zusammenarbeit aller Parteien. Das zeigt die Überschrift: „Opposition ja! Gegen die Not“ (Stuttg. Nachrichten, 10. 12.1946). Unterschiedliche Positionen beider kennzeichneten auch die Diskussion um die Entnazifizierung. Im Januar 1946 hatte Franz Karl Maier, der neue Herausgeber der „Stuttgarter Zeitung“ und zugleich Öffentlicher Ankläger an der Spruchkammer Stuttgart, gegen Ministerpräsident Maier und Kultusminister Wilhelm Simpfendörfer (1888–1973) Klage eingereicht mit dem Hinweis, dass diese durch ihre Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz maßgeblich zur NS-Diktatur beigetragen hätten. Damit einher gingen scharfe Angriffe auf beide durch die „Stuttgarter Zeitung“; schließlich verbreitete Franz Karl Maier noch eine Schrift Simpfendörfers von 1936, in der dieser zur Wahl Hitlers aufgefordert hatte. Bernhard jedoch verteidigte die angegriffenen Politiker und warnte vor einer „krampfhaften Ausweitung“ der Entnazifizierung (Stuttg. Nachrichten, 28.1.1947). Die „Stuttgarter Nachrichten“ unterstellten Maier, ihm gehe es „um die Popularität des Verreißens der Parlamente“ (Stuttg. Nachrichten, 12.2.1947). Durch „rechthaberische und dialektische Selbstgerechtigkeit“ (ebd.) seien seine Äußerungen dazu geeignet, nur das Vertrauen in die im Aufbau begriffene Demokratie zu zerstören. Die „Stuttgarter Nachrichten“ nahmen selbst Simpfendörfer ein Stück weit in Schutz, sprachen vom „Willen zur Verständigung“; es dürfe nicht mehr zu einem „Wühlen in alten Zeitschriften, Bänden und Büchern“ (ebd., 29.3.1947) kommen.
Die Auseinandersetzungen in der Presse um den Fall „Maier contra Maier“ provozierten scharfe Polemiken. Bernhard und seine Mitherausgeber versuchten in mehreren gemeinsamen Artikeln die Politik gegenüber den „unsauberen Methoden“ (Stuttg. Nachrichten, 12.4.1947) Franz Karl Maiers zu schützen. Auch unterstützte Bernhard als Abgeordneter die Forderung seiner Parlamentskollegen, Parteiorgane zu schaffen, worauf ihn die „Stuttgarter Zeitung“ gouvernemental, ja regierungsabhängig zu sein höhnte.
Der Position Bernhards und der „Stuttgarter Nachrichten“ im Fall „Maier contra Maier“ waren die Stellungnahmen zum Thema Entnazifizierung und in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht unähnlich: Ein scharfes Vorgehen wurde nur gegen die Hauptschuldigen des NS-Regimes verlangt. Bernhard missbilligte demgemäß deutlich, dass von den Amerikanern 1947 erwogen wurde, Hjalmar Schacht als Wirtschaftsberater bei der Durchführung der Währungsreform heranzuziehen: „Hat er [Schacht] nicht schon genug Unheil angerichtet?“(Stuttg. Nachrichten, 21.6.1947). Eine deutsche Kollektivschuld jedoch wurde vehement geleugnet. Wie im Übrigen auch sozialistische Gruppierungen sah Bernhard die Ursache für den Aufstieg der Nationalsozialisten im unheilvollen Wirken „sehr interessensüchtiger Kreise“ der Großindustrie (Stuttg. Nachrichten, 29.12.1946), die durch finanzielle Zuwendungen die Wahlsiege der NSDAP erst ermöglicht hätten. Damit war der überschaubare Kreis der eigentlich Verantwortlichen markiert. Die vielen Mitläufer und minder Belasteten dagegen sollten für die neue Demokratie gewonnen werden.
Auch in anderer Hinsicht wurden signifikante Unterschiede zwischen den beiden Stuttgarter Zeitungen sichtbar; so wandte sich die „Stuttgarter Zeitung“ vor allem Fragen der Sozialpolitik zu, die „Stuttgarter Nachrichten“ unter Führung Bernhards dagegen Fragen der internationalen Politik und befürworteten die Westbindung.
Europapolitisch ist Bernhard den Spuren Stresemanns gefolgt und hat sich als Vorsitzender des „Europa-Bundes“ und „Präsident der Europa-Union“ eingesetzt für den Gedanken der deutsch-französischen Aussöhnung und der europäischen Einigung. Bernhard wollte Handelshemmnisse überwinden und eine Währungsunion schaffen. Drum hieße es für den Augenblick, Opfer für eine europäische Einigung zu bringen. Das Festhalten an nationalem Prestige schien ihm überholt. Das müsse den Deutschen klargemacht werden.
Zur Steigerung der Produktion, Stabilisierung der Währung und Lösung der Schulden- und Versorgungsprobleme forderte er die Internationalisierung der Rohstoffe. Es solle keine „nationale“ Kohle mehr geben, Rohstoffe sollten gemeinschaftlich unter gleichberechtigter Einbeziehung Deutscher verwaltet werden. Darum sollten auch Demontage und Beschlagnahme von Patenten durch die Alliierten in Deutschland beendet werden. Bernhard war Föderalist, wollte ein föderal strukturiertes Deutschland in einem geeinten, föderalen Europa, also Verzicht auf Souveränitätsrechte und Überwindung des Denkens in nationalstaatlichen Kategorien. Wirtschaftlich müsse man Frankreich entgegenkommen und Rücksicht auf berechtigte Befürchtungen vor einem allzu starken Deutschland nehmen. Bernhard forderte sogar über die Zeit der Besatzung hinaus eine internationale Kontrolle, sogar Selbstbeschränkung der deutschen Industrie in manchen Produktionszweigen.
Mit Bernhards Einsatz für die „Europa-Union“ ging seine Pflege der Erinnerung an Gustav Stresemann einher. Er war ein gefragter Interviewpartner bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Weimarer Außenministers. Leider gelang es ihm nicht, sein über Jahre verfolgtes Ziel einer Stresemannbiographie zu realisieren.
Die starke berufliche Belastung, der Konkurrenzkampf der beiden Stuttgarter Zeitungen, aber auch Dissonanzen in der eigenen Redaktion mit dem Mitherausgeber Otto Färber zehrten Bernhards Gesundheit auf. Der an Diabetes Erkrankte litt 1960 an einem Hautausschlag, den er in Bad Mergentheim auskurieren wollte. Dort trat eine Darmlähmung ein. Die Operation in Würzburg war erfolglos. Bei der Beisetzung Bernhards am 12. März 1960 würdigte ihn Erwin Schöttle als „Mann, der mit hohen Gaben und einem starken Berufsethos ausgestattet, [der] nimmermüde seinen Dienst an der journalistischen und politischen Aufgabe vollbrachte, die unsere Zeit ihm und uns auferlegt hat.“ (zit. nach Marianne Bernhard, 1996, 63).
Quellen: StadtA Stuttgart 2111, Nachlass Henry Bernhard; A des Landtags von B-W, Personengeschichtl. Sammlung; Verhandlungen d. Verfassungsgebenden Landesversammlung von Württ.-Baden 1946; Verhandlungen des Landtags von Württ.-Baden 1946–1950; Stuttg. Ztg. 1945/1946; Stuttg. Nachrichten 1946–1960.
Werke: Das Kabinett Stresemann, 1924; Reventlow, Hugenberg u. die anderen, 1926; (Hg.) Gustav Stresemann Vermächtnis. Der Nachlass in drei Bänden, 1932/1933; Gustav Stresemann: Ein Beitrag zur Geschichte d. dt. Freimaurerei, 1933; Finis Germaniae 1946; (mit Wolfgang Haussmann, Karl Lautenschlager u. Theodor Heuss) Wege zur Demokratie, 1946; (mit Fritz Eberhard) Schwerer Weg zum Frieden, 1947; Werdendes Europa, 1947; Nachwort zu: Antonia Valentin: Stresemann: Vom Werden einer Staatsidee, 1948; Gustav Stresemann: Tatsachen u. Legenden, in: Aus Politik u. Zeitgeschichte 1959, H. 41,529-46.
Nachweis: Bildnachweise: Bernhard, 1996, 4 (vgl. Literatur).

Literatur: Paul Sauer, Demokratischer Neubeginn in Not u. Elend, 1978; Uwe Mönninghoff: Neuanfang u. Wiederkehr. Die Tagespresse in Baden u. Württemberg, in: Von d. Preßfreiheit zur Pressefreiheit, 1983, 173-199; Edgar Lersch (Hg.), Stuttgart in den ersten Nachkriegsjahren, 1995; Marianne Bernhard, Henry Bernhard 1. Jan. 1869–9. März 1960. Konsul in Berlin. Zeitungsgründer in Stuttgart, 1996; Stefan Kursawe, Politische Kommentare bei Radio Stuttgart u. d. Stuttg. Tagespresse 1945–1947, 1996; Ders., Stimmen d. „Stunde Eins“: Politische Kommentare im Stuttgart d. unmittelbaren Nachkriegzeit, in: Rundfunk u. Geschichte 23, 1997, 208-223; Biograf. Handb. des Dt. Auswärtigen Dienstes 1871–1945. BD 01 A-F, 2000, 126–127; Eberhard Kolb, Gustav Stresemann – aus der Nähe gesehen. Aufzeichnungen seines engen Mitarbeiters Henry Bernhard, in: Jb. zur Liberalismusforschung 15, 2003, 265-291.
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