Bertsche, Karl 

Geburtsdatum/-ort: 31.10.1879;  Möhringen bei Tuttlingen (Baden)
Sterbedatum/-ort: 19.12.1946;  Freiburg i. Br.
Beruf/Funktion:
  • Literarhistoriker
Kurzbiografie: 1895 Oberrealschule Konstanz
1895-98 Oberrealschule Karlsruhe („Friedrichsschule“)
1898 Abitur
1898-1903 Studium in Freiburg, ein Studiensemester in Heidelberg
1901 Hauslehrer in Gutach
1903 Lehramtspraktikant u. a. in Karlsruhe und Säckingen
1904 Dr. phil. in Freiburg bei Friedrich Kluge; Thema: „Die volkstümlichen Personennamen einer oberbadischen Stadt. Ein Beitrag zur Geschichte der alemannischen Namensgebung.“
1906 Ernennung zum Prof. (damals jüngster Prof. im Großherzogtum Baden)
1908 Beginn der intensiven Beschäftigung mit Abraham a Sancta Clara
1915-1916 Militärdienst
1917 Kriegsverdienstkreuz
1918-1934 Lehrer in Schwetzingen (nach Stellen in Lahr und Wiesloch)
1926 Entdeckung der Handschriften Abraham a Sancta Claras in der Wiener Nationalbibliothek
1930 zwei Rundfunkvorträge über Abraham a Sancta Clara
1933 Verhaftung durch die geheime Staatspolizei (Schutzhaft)
1934 Versetzung in den Ruhestand
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1907 Maria, geb. Hartmann
Eltern: Vater: Julius Bertsche (1850-1923)
Mutter: Elisabeth, geb. Kreuzer (1845-1882)
Kinder: 2 Söhne (Dr. Karl-Josef; Bernhard, Pfarrer)
3 Töchter (Carola, Ruth, Mechtild)
GND-ID: GND/116150211

Biografie: Andreas F. Cedzich (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 42-44

Stets wird Bertsches Name mit dem Abraham a Sancta Claras verbunden sein. Ihm, dem großen Sohn seiner Heimat, hatte er vierzig Jahre seines Lebens gewidmet, um die Verbreitung seiner Schriften und Gedanken hatte er sich bemüht, so daß er noch heute als sein „gründlichster Kenner“ bezeichnet werden kann.
Geweckt hatten diese Liebe zu Abraham wohl seine Stiefmutter, die sich zur Megerle-Sippe, aus der Abraham stammte, zählte. Oft nahm sie ihren Stiefsohn mit nach Messkirch. Sein Onkel stand dem Leseverein der Amtsstadt vor, der auch über eine Gesamtausgabe der Schriften von Abraham a Sancta Clara verfügte. Zudem erzählte der Onkel viel aus dem Leben des Augustinermönchs, dessen klangvoller Name auf den kleinen Karl stark wirkte.
Neu geweckt wurde diese frühkindliche Liebe sicherlich durch sein Studium bei den Sprach- und Wortforschern Friedrich Kluge in Freiburg und Theodor Wilhelm Braune in Heidelberg. Die Anregungen, die Bertsche hier erfahren hat, werden um so stärker gewesen sein, als sie sich mit seiner Heimatliebe trafen. Nunmehr erhielt er das geistige und wissenschaftliche Rüstzeug, um dem von ihm Bewunderten gerecht zu werden, dessen Sprache und Sprachmächtigkeit bereits das Kind in Bann gezogen hatten.
Von beiden, seiner Heimatliebe und seiner Bewunderung für Clara, der sich, wie Bertsche später bewies, auch in seiner Zeit als Prediger am Wiener Hof immer zu seiner Heimat bekannt hatte, zeugt auch das Thema seiner Dissertation. Auch auf diesem Forschungsgebiet leistete Bertsche „Pionierarbeit“, war er seiner Zeit voraus. Erwähnung finden soll hier auch Bertsches Mitarbeit am Badischen Wörterbuch.
Es muß Bertsche betroffen haben, daß die Untersuchung in seiner Heimatstadt offenbar viele vor den Kopf gestoßen hatte, da er die Namen von Möhringen in seiner Dissertation untersucht hatte. Die Aufregung war so stark, daß es ihm geraten schien, sich dort längere Zeit nicht mehr blicken zu lassen.
Zweifellos bildete die Promotion zum Dr. phil. einen Höhepunkt im Leben des aus bescheidenen Verhältnissen Stammenden. Seinen Stiefgeschwistern gegenüber häufig zurückgesetzt, entwickelte er bereits im Elternhaus eine Art von Sparsamkeit, die später belächelt wurde und uns heute unverständlich geworden ist. Auch zu den Studienkosten mußte er erheblich selbst beitragen, weshalb er u. a. eine Hauslehrerstelle annahm und in Engen, Messkirch und Triberg Verwaltungsdienste leistete.
Einen weiteren Höhepunkt bedeutete die Ernennung zum damals jüngsten Professor im Großherzogtum Baden. In dieser Zeit war – wie er schreibt – die „alte Liebe zu meinem großen Landsmann“ erwacht, so daß er bereits im Jahre 1908 mit einer ersten Arbeit an die Öffentlichkeit trat. Und diese Liebe ließ ihn bis zu seinem Tod nicht mehr los. In mehr als einhundert Beiträgen, darunter auch eine Biographie Abrahams und Buchausgaben versuchte er den „Schöpfer der deutschen Sprache, der sogar Göthe und Schiller beeinflußte“, diesen „sprachgewaltigen Kanzelredner“ ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken, um diesen „Künstler der Sprache“ der Vergessenheit zu entreißen. Sicherlich hat bei diesen Bemühungen auch ein literaturhistorischer Aspekt eine Rolle gespielt. Bertsche zeigte sich besorgt darüber, daß die Schriften Abraham a Sancta Claras – wie überhaupt die katholische Literatur – in ihrer Bedeutung nicht erkannt und gewürdigt worden wären. Ein einseitig konfessioneller Standpunkt lag ihm aber fern. Er würdigte Luthers Verdienst um die deutsche Sprache. Die Protestanten nannte er „unsere Brüder in Christo“. Es ging ihm darum, Abraham a Sancta Clara, dessen Sprache er als kräftig, stark und volksnah empfand, wieder ins literarische Bewußtsein zu rücken.
Bereits 1910 veröffentlichte er den ersten Band einer „Blütenlese“ aus Abrahams Werken mit einer biographisch-literarischen Einleitung. Der zweite Band folgte ein Jahr später. Beide erlebten mehrere Auflagen und werden noch immer oft benutzt. Zur Grundlage wissenschaftlicher Beschäftigung mit Abraham a Sancta Clara wurde seine publizierte Zusammenstellung der Werke Abrahams in ihren Frühdrucken.
1926 gelang ihm dann „der große Wurf“, als er die bis dahin verschollen geglaubten Handschriften Abrahams nach jahrelanger Forschungsarbeit in der Wiener Nationalbibliothek ausfindig machte. Seine Entdeckung kam einer Sensation gleich. Fast zwanzig Jahre sollte es aber noch dauern, bis diese Entdeckung veröffentlicht werden konnte.
Die politischen Ereignisse des Jahres 1933 hatten für Bertsches Leben und Werk verhängnisvolle Auswirkungen. Eine mit haltlosen Vorwürfen gegen ihn eröffnete Kampagne führte zur „Schutzhaft“ durch die Gestapo, aus der er aber bald wieder entlassen werden mußte. Seine Arbeit als Pädagoge war damit beendet. Vor die Wahl gestellt, sich versetzen oder pensionieren zu lassen, entschied er sich, aus 'gesundheitlichen Gründen' um seine Pensionierung nachzusuchen. Dieser Schritt ist ihm nicht leicht gefallen, war er doch mit Leib und Seele Lehrer. Da er schon Jahre zuvor eine kritische Gesamtausgabe der Schriften und Predigten Abraham a Sancta Claras ins Auge gefaßt hatte, mag ihm die Aussicht, dieses Werk vollenden zu können, diesen Entschluß erleichtert haben. Es ist aber verbürgt, daß ihn die Umstände, die zu seiner Versetzung in den Ruhestand geführt hatten, tief verletzten. Fortan verbrachte er Jahre nach der Übersiedlung der Familie nach Freiburg/Littenweiler 1937 über den Schriften Abrahams. Es war ihm nicht vergönnt, sein Werk abschließen zu können. Er erlebte zwar noch die Veröffentlichung der von ihm entdeckten Handschriften (1943/45), konnte aber andere teilweise zur Druckreife gediehene Vorhaben nicht mehr verwirklichen.
Bertsches Würdigung wäre unvollständig, bliebe unerwähnt, daß er, der „bedeutendste Anreger und Beweger“ der Abraham a Sancta Clara-Forschung, in stets uneigennütziger Weise andere zur Beschäftigung mit Abraham ermutigte und auch unterstützte. Die weiterwirkende Bedeutung seines Lebenswerks tritt in postumer Publizierung oder Nachdrucken von Aufsätzen und Editionen bis in die 70er Jahre zutage.
Werke: W: (Auswahl)
a) Beiträge
Abraham a Sancta Clara in rationalistischem Licht und Gewände, in: Der Gral. Monatsschrift f. Kunstpflege im kath. Geiste, Trier und Wien 1911/12, 282 ff. und 354 ff; Totendank. Ein Trost- und Gedenkbüchlein aus den Werken von Abraham a Sancta Clara. Allen Kriegsleidtragenden gewidmet, Freiburg 1918; Abraham a Sancta Clara, Mönchen-Gladbach 1918, 2. verb. u. verm. Aufl. 1922, 204 S.; Die Werke Abrahams a Sancta Clara in ihren Frühdrucken, in: FDA 50, 1922, 50-81; 2. verb. u. erw. Aufl. Wien-Bad Bocklet-Zürich 1961, 49 S.; Die ersten Handschriften Abrahams a Sancta Clara entdeckt, in: Forschungen und Fortschritte 1, 1926, 166 f.; Die Echtheit der neuentdeckten Handschriften Abrahams a Sancta Clara, in: JB f. Landeskunde von Niederösterreich 25, 1932, 207-209; Die Predigten Abrahams a Sancta Clara in zeitlicher Reihenfolge, in: Schriften des Vereins f. Geschichte und Naturgeschichte der Baar u. d. angrenzenden Landesteile in Donaueschingen 21, 1940, 161-181.
b) Herausgeber
Auswahl aus Abraham a Sancta Clara, Bonn 1911; Abraham a Sancta Clara. Kriegsbrot für die Seele. Aus den Werken ... Freiburg 1915; Ein Karren voller Narren von Abraham a Sancta Clara, Saarlouis 1919; Abraham a Sancta Clara, Die Totenkapelle. Ein Totentanz in Wort und Bild. Mönchen-Gladbach 1921; Abraham a Sancta Clara, Wunderlicher Traum von einem großen Narrennest, nach dem Urtext erstmals hg., Leipzig o.J. (1923); Abraham a Sancta Clara, Die Wunderkur und etliche andere ergetzliche Sächelchen, eingel., erl. und mit Bildnis sowie Schriftprobe, Berlin o. J. (1925); Abraham a Sancta Clara. Gedrucktes und Ungedrucktes, Düsseldorf o. J. (1928); Abraham a Sancta Clara, Der Ur-Merkur von 1701, ein neuentdecktes Werk, mit Einleitung, Anmerkungen und Wörterverzeichnis, Augsburg 1928; Neun neue Predigten von Abraham a Sancta Clara, aus der Wiener Handschrift Cod. 11571, Halle 1930; Werk von Abraham a Sancta Clara, aus dem handschriftlichen Nachlaß, 3 Bde. Wien 1943/45.
Nachweis: Bildnachweise: A. Cedzich in Ekkhart a. a. O.

Literatur: Adam Wrede, In Memoriam. Dem Andenken an Bertsche in: Grillen und Pillen aus Abraham a Sancta Clara. Hg. Karl Bertsche. München 1948, 5-12; Herbert Schwedt, Zum informellen Namenssystem einer württembergischen Landgemeinde, in: Forschungen u. Berichte zur Volkskunde in B-W1 (1971/73) 75-79; Andreas F. Cedzich, K. Bertsche, ein Leben für Abraham a Sancta Clara, in: Ekkhart 1980, 145 ff. (mit Bild); Rudolf Graff, Meine Erinnerungen an K. Bertsche, in: Ekkhart 1980, 157 f.
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