Böhtlingk, Arthur Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 1849-05-31; St. Petersburg
Sterbedatum/-ort: 1929-11-15;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Historiker
Kurzbiografie: 1876 Privatdozent an der Universität Jena
1879 außerordentlicher Professor ebd.
1886-1919 Ordentlicher Professor für Geschichte an der Technischen Hochschule Karlsruhe
Weitere Angaben zur Person: Religion: ref.
Verheiratet: 1887 Nathalie, geb. Osterieth (geb. 1849) aus Straßburg
Eltern: Vater: [?] Kaufmann aus St. Petersburg, gest. 1889 als Rentier zu Baden-Baden
Kinder: Margarethe (Daisy, geb. 1890)
GND-ID: GND/116221895

Biografie: Rainer Brüning (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 27-28

Böhtlingk entstammte einer deutschen Kaufmannsfamilie, die sich im frühen 18. Jahrhundert mit kaiserlichen Privilegien versehen, im neu gegründeten St. Petersburg niedergelassen hatte. Einen Teil seiner Jugend verbrachte er in England, um nach ausgedehnten Reisen durch Europa schließlich Geschichte und Literatur an der Universität Jena – mit kurzen Visiten in Bonn und Heidelberg – zu studieren. Schon in seiner ersten wissenschaftlichen Arbeit entwickelte er seine Lieblingsthese über die Verantwortung Napoleon Bonapartes am Rastatter Gesandtenmord von 1799. Diese von ihm über Jahrzehnte mit großer Vehemenz vorgetragene Idee konnte er niemals beweisen, was schließlich den Unmut des einflussreichen Historikers Heinrich von Sybel und eines großen Teils der Fachkollegen heraufbeschwor. Einen Höhepunkt bildete hierbei seine Kontroverse mit dem Karlsruher Archivar Karl Obser, die ihm 1895 nicht nur eine Strafe wegen Beleidigung, sondern auch die bleibende Feindschaft der Badischen Historischen Kommission und des Generallandesarchivs eintrug. Dieses revanchierte sich kurze Zeit später, indem es Böhtlingks Forschungen am Nachlass des Innenministers Karl Friedrich Nebenius (1784-1857) behinderte. Vielleicht war es diese Außenseiterrolle im akademischen Betrieb, die Böhtlingk immer stärker auf das Feld der Tagespolitik trieb. Auch mag es durchaus sein, dass seine starke Schwerhörigkeit zu seiner polemischen Schärfe beigetragen hat. Kaum mehr zu überblicken sind die zahlreichen Vorträge, Broschüren und Zeitungsartikel, in denen er seine wissenschaftlichen und politischen Überzeugungen in die Öffentlichkeit trug. Seine Wirkung auf die Meinungsbildung in den bürgerlichen Kreisen ist nicht zu unterschätzen. Von 1892 bis 1902 Mitglied des Nationalliberalen Vereins in Karlsruhe, war er ein glühender Verehrer des Reichsgründers Bismarck und führte seinen privaten Kulturkampf gegen die katholische Kirche und das Papsttum noch am Anfang des 20. Jahrhunderts fort. Hatte er 1892 gegen die Berufung des Historikers Aloys Schulte an die Universität Freiburg polemisiert, so wandte er sich 1902 gegen den ultramontanen Einfluss auf die Schule und die Wiedereinführung von Männerklöstern in Baden, wobei er selbst einen Heinrich Hansjakob nicht verschonte. Sein weiteres politisches Augenmerk galt besonders den Themen Eisenbahnreform und Zollpolitik. Zahllos waren die von ihm erhobenen bzw. gegen ihn gerichteten Beleidigungsklagen, in die er sich in seinen Kontroversen mit dem zentrumsnahen „Badischen Beobachter“ und dem Erzbischöflichen Ordinariat in Freiburg, aber auch mit anderen Historikern, Richtern und sogar dem Staatsministerium verstrickte. Alle Mahnungen zur Mäßigung, mochten sie gar direkt aus dem großherzoglichen Hause kommen, blieben wirkungslos.
Seine weitgespannten Interessen, die er im provinziellen Karlsruhe wohl etwas zu kurz kommen sah, galten stets dem ihm vertrauten England und Russland: Publizierte er doch mehrfach über die Shakespeare-Rezeption in der deutschen Klassik. Sein letztes Werk galt einem angeheirateten Mitglied der Familie Böhtlingk, dem Schweizer Friedrich Caesar Laharpe, der als Erzieher und Berater des Zaren Alexander I. tätig gewesen war. Bloße Episoden blieben die eigenen Versuche im Bereich der Kunst: Keines seiner drei historischen Dramen über König Konrad, Franz von Sickingen und Napoleon war von Erfolg gekrönt.
Bei Böhtlingks Tod im Jahre 1929 bequemten sich weder die „Historische Zeitschrift“ noch die „Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins“ zu einem Nachruf auf den von der Historikerzunft Verstoßenen. Gewürdigt wurde sein schwieriger und kämpferischer Charakter nur in Teilen der Lokalpresse, wie von seinen Freunden im „Karlsruher Tageblatt“ und dessen Wochenbeilage „Die Pyramide“.
Quellen: GLA Karlsruhe 235/1812-1815 (Personalakte).
Werke: (Auswahl) Napoleon Bonaparte. Seine Jugend u. sein Emporkommen (1769-1801), 1883 2. Aufl.; Der Rastatter Gesandtenmord vor dem Karlsruher Schöffengericht, 1895; Carl Friedrich Nebenius. Der dt. Zollverein, das Karlsruher Polytechnikum u. die erste Staatsbahn in Deutschland, 1899; Der Kapuziner ist da! Zur Klosterfrage in Baden. Erwiderung an Hansjakob, 1903; Shakespeare u. unsere Klassiker, 1909/10; Bismarck u. das päpstliche Rom, 1911; Der Waadtländer Friedrich Caesar Laharpe. Der Erzieher u. Berater Alexanders I. v. Russland, 1925.
Nachweis: Bildnachweise: GLA Karlsruhe J-AC, Porträt A. Böhtlingk; Karlsruher Tageblatt Nr. 318 vom 16.11.1929.

Literatur: Die Pyramide. Wochenschrift zum Karlsruher Tageblatt Nr. 47 vom 24.11.1929, 187 f.
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