Holl, Karl Christian Clemens 

Geburtsdatum/-ort: 26.05.1886;  Heidelberg
Sterbedatum/-ort: 25.11.1971;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Germanist, Oberpräsident im amerikanisch besetzten Baden
Kurzbiografie: 1905–1909 Studium d. dt. Sprache u. Literatur, Philosophie u. Geschichte an den Univ. Heidelberg u. Berlin
1909 Promotion zum Dr. phil. bei Max Freiherr von Waldberg, Heidelberg: „Zur Geschichte d. Lustspieltheorie von Aristoteles bis Gottsched“
1910 Studien am Britischen Museum London; dann Lektor an d. TH Bromley/England
1911 Assistent an d. Univ. Liverpool
1912–1914 ao. Professor für dt. Sprache an d. Univ. Liverpool u. ab 1913 Prof. an d. Univ. Reading/England
1914–1918 Kriegsdienst bei d. Infanterie, Einsatz an d. Ost- u. Westfront, ab 1915 Leutnant d. Res.
1917 Habilitation an d. TH Karlsruhe: „Goethes Vollendung in ihrer Beziehung zu Byron u. Carlyle“
1919–1924 Privatdozent für dt. Literaturgeschichte u. Lektor für englische Sprache an d. TH Karlsruhe; dort ab 1920 planmäßiger ao. Professor; Ablehnung eines Rufs an die Reichsuniv. Peking
1924–1936 o. Professor für Literaturgeschichte an d. TH Karlsruhe;
1931 bis 1933 Rektor
1936 Ruhestand aufgrund § 4 des „Gesetzes über die Entpflichtung u. Versetzung von Hochschullehrern“
1936–1940 unabhängiger Wirtschaftsberater
1940–1942 Bevollmächtigter des Vorstandes d. Dt. Waffen- u. Munitionsfabriken AG Karlsruhe; 1940 Eintritt in die NSDAP
1942–1945 Mitarbeit in d. Rüstungsinspektion im besetzten Belgien; 1943 Ernennung zum „Wehrwirtschaftsführer“; zuletzt Wirtschaftsbeauftragter beim Wehrkreiskommando Karlsruhe
1945 Mitarbeit in d. Zivilverwaltung d. Besatzungsmächte in Baden, am 3. Nov. wegen Verheimlichung seiner NSDAP-Mitgliedschaft entlassen; Spruchkammerverfahren: Mitläufer
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: EK I. u. II. Kl.; Orden vom Zähringer Löwen mit Schwertern II. Kl.; Goethe-Plakette des Freien Dt. Hochstifts in Frankfurt (1931); Kriegsverdienstkreuz I. Kl. (1943)
Verheiratet: 1919 (Karlsruhe) Bertha, geb. Hofmann (geboren 1890)
Eltern: Vater: Johann Friedrich (1853–1884), Schreinermeister
Mutter: Susanne Katharina, geb. Seeger (1857–1931)
Geschwister: Friedrich (1884–1956)
Kinder: 2;
Anneliese (geboren 1921),
Eva Alma Maria (geboren 1923)
GND-ID: GND/116961538

Biografie: Tobias Seidl (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 192-195

Holl entstammte bürgerlichen Verhältnissen und verbrachte seine Kindheit und Jugend in seiner Vaterstadt Heidelberg. Nach dem Abitur 1905 begann er an der dortigen Universität Germanistik, u.a. bei dem bekannten Grammatiker Wilhelm Theodor Braune (1850–1926), Philosophie und Geschichte zu studieren. Im Rahmen seiner Promotion bei Max Freiherr von Waldberg (1858–1938) beschäftigte sich Holl erstmals intensiv mit der Lustspieltheorie, der er sich im Lauf seiner wissenschaftlichen Karriere immer wieder zuwandte. Seine 1923 erschienene „Geschichte des deutschen Lustspiels“, zuletzt 1964 neu aufgelegt, gilt bis heute als Standardwerk der Literaturgeschichte. Darin arbeitet er nicht nur die wesentlichen geistigen und formalen Tendenzen des deutschen Lustspiels heraus, sondern formuliert auch präzise Einzelcharakteristiken, mit denen sich vergleichende Betrachtungen der ausländischen Komödie verknüpfen.
Nach Abschluss des Promotionsverfahrens 1909 zog es Holl nach London, wo er am Britischen Museum seine Forschungsarbeit fortsetzte. Vom April des folgenden Jahres an arbeitete er als Deutschlehrer an einer höheren Knabenschule und als Lektor für deutsche Sprache an der TH Bromley, nahe London. In den folgenden Jahren schlug er die Hochschulkarriere in Großbritannien ein und war zunächst Lektor und Assistent am Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Liverpool, später dort Extraordinarius für Gotisch. 1913 erhielt Holl einen Ruf an das University College Reading, um dort ein Seminar für deutsche Sprache und Literatur einzurichten.
Der Ausbruch des I. Weltkriegs beendete Holls Karriere in Großbritannien. Als überzeugter Nationalist meldete er sich kurz danach freiwillig zu den Waffen. Mitte November wurde er mit dem Reserve-Infanterie-Regiment 40 an die Front verlegt und war dann bis Kriegsende an der Ost- wie der Westfront eingesetzt, ab März 1915 als Leutnant der Reserve. Da er kriegsbedingt seine wissenschaftliche Karriere in Großbritannien nicht fortsetzen konnte, richtete er bereits 1916 eine Bewerbung an das badische Kultusministerium und bat um eine „passende Verwendung nach dem Krieg, eventuell an der TH in Karlsruhe.“ Das Ministerium bewilligte ihm daraufhin, wirksam zum Ende des Krieges, einen dreistündigen Lehrauftrag in deutscher Literaturgeschichte an dieser Hochschule und stellte ihm ein Lektorat für englische Sprache in Aussicht. Die für diese Tätigkeiten notwendige Habilitation legte er 1917 mit einer Arbeit über „Goethes Vollendung in ihrer Beziehung zu Byron und Carlyle“ ab. Im Sommersemester 1919 konnte Holl seine Lehrtätigkeit als Privatdozent in Karlsruhe aufnehmen und wurde dort im folgenden Jahr zunächst außerordentlicher, 1924 ordentlicher Professor für Literaturgeschichte. Einen Ruf an die Reichsuniversität Peking lehnte er 1920 ab.
Neben Forschung und Lehre engagierte sich Holl in der Hochschulpolitik und war von 1931 bis 1933 für zwei Amtszeiten hintereinander Rektor der TH Karlsruhe. Das Wohl der Karlsruher Studenten lag ihm besonders am Herzen; ehrenamtlich übte er den Vorsitz des Karlsruher Studentendienstes aus, des Vorgängers des heutigen Studentenwerks. In dieser Funktion war er 1928 bis 1930 maßgeblich an der Planung und Realisierung des Studentenhauses auf dem Campus der TH beteiligt. Ihm zu Ehren wurde der Platz vor dem Gebäude 1931 „Karl-Holl-Platz“ benannt. Aufgrund von NS- Eingriffen in die Hochschule wurde diese Bezeichnung 1937 aber ebenso wie ein Portrait Holls im Eingangsbereich des Studentenhauses beseitigt. Neben seiner Tätigkeit an der Hochschule engagierte Holl sich in der evangelischen Kirche und im Karlsruher Rotary Club.
Schon am 4. Dezember 1924 als Unterzeichner des Aufrufs der deutschen Hochschullehrer, seit 1930 dann als Mitglied und zeitweise Wahlkreisvorsitzender der liberalen DDP war Holl lange vor der NS-„Machtübernahme“ im Frühjahr 1933 politisch in Erscheinung getreten. Ende März 1933 sah er sich deshalb gezwungen, in einem Brief an das Kultusministerium seine „nationale Einstellung“ zu beteuern, um einer drohenden Entlassung aufgrund seiner früheren politischen Tätigkeit zu entgehen. Das badische Kultusministerium akzeptierte die Ergebenheitsadresse, Repressalien gegen Holl blieben zunächst aus. Seine Hochschulkarriere aber wurde von anderer Seite gefährdet: 1935 gab es im Zuge einer stärker technischen Ausrichtung der Hochschule erste Überlegungen, Holls Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur zu Gunsten eines Lehrstuhls für Flugwesen und Flugzeugbau aufzulösen. Der amtierende Rektor Heinrich Wittmann (1889–1967) unterstützte dieses Vorhaben und wies darauf hin, „dass die Besetzung der von Professor Holl vertretenen Fächer durch einen Ordinarius solange überflüssig und untragbar ist, als andere lebenswichtige Fachgebiete der TH infolge Mangels an planmäßigen Stellen nicht besetzt werden können.“ Als Folge dieser Überlegungen wurde Holl 1936 nach § 4 des „Gesetzes über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern“ vom 21. Januar 1935 in den Ruhestand versetzt und sein Lehrstuhl dem Lehrgebiet der Gas- und Luftschutztechnik zugeschlagen. Politische Motive dürften die Entlassung Holls begünstigt haben. Zum zweiten Mal in seinem Leben fand seine akademische Karriere also einen jähen Abbruch. 1945 wurde eine Wiedereinsetzung Holls auf seinen alten Lehrstuhl zwar erwogen, scheiterte jedoch.
Obwohl er mit den politischen Verhältnissen in den letzten Jahren der Weimarer Republik unzufrieden war, konnte sich Holl nicht mit dem Nationalsozialismus identifizieren. Gerade in Zeiten „rassischer Säuberungen“ an den Hochschulen blieb er in engem freundschaftlichem Kontakt mit entlassenen und verfolgten Kollegen wie Edgar von Gierke oder Emil Probst. Auch nutzte er alte Beziehungen nach England, um jüdischen Freunden bei der Emigration behilflich zu sein.
Durch seine Heirat mit der Tochter eines Heidelberger Brauereidirektors war Holl bereits 1919 Aufsichtsratsmitglied der Brauerei seines Schwiegervaters geworden. Auf die so entstandenen Kontakte aufbauend etablierte er sich nach seiner Entlassung als Hochschullehrer als unabhängiger Wirtschaftsberater, erarbeitete Marktanalysen für die Automobilindustrie und führte Handels- und Patentverhandlungen in England. 1940 wurde er zum Bevollmächtigten des Vorstandes der Dt. Waffen- und Munitionsfabriken AG in Karlsruhe berufen und führte in deren Auftrag Inspektionsreisen in die Schweiz, nach Frankreich und Belgien durch. Im selben Jahr trat er aus pragmatischen Gründen der NSDAP bei. Angebote, an die neugegründete Reichsuniversität Posen bzw. als Referent zum Luftfahrtministerium zu wechseln, lehnte er ab. Von Mai 1942 bis 1944 war Holl in der Rüstungsinspektion als kommissarischer Verwalter der Fabrique Nationale AG in Lüttich im besetzten Belgien tätig. In dieser Eigenschaft wurde er im November 1943 zum „Wehrwirtschaftsführer“ ernannt, was dem Rang eines Offiziers der Wehrmacht entsprach. Beim Kriegsende war Holl Wirtschaftsbeauftragter beim Wehrkreiskommando Karlsruhe.
Seine Sprachkenntnisse und sein profundes Wissen über die wirtschaftliche Situation in Baden machten Holl nach der Besetzung Deutschlands als Ansprechpartner für die Alliierten interessant. Zunächst war er als Wirtschaftsführer für die französische Besatzungsverwaltung tätig. Im Mai 1945 wurde Holl dann für ein Vierteljahr von der amerikanischen Militärregierung zum Oberpräsidenten von Nordbaden bestellt und leitete die dortige Zivilverwaltung. Holl selbst beabsichtigte jedoch zu regieren und nicht lediglich zu verwalten. Zu diesem Zweck stellte er ein Schattenkabinett zusammen, dem u.a. der Historiker Franz Schnabel und der spätere Bundespräsident Theodor Heuss angehörten. Holls politisches Ziel war die Vereinigung Nordbadens mit dem amerikanisch besetzten Nordwürttemberg, was jedoch am Widerstand der Besatzungsmacht scheiterte. Am 3. November 1945 wurde Holl aufgrund amerikanischer Entnazifizierungsmaßnahmen – er hatte gegenüber den Amerikanern beim Einstellungsscreening seine NSDAP-Mitgliedschaft verheimlicht – entlassen und durch den Zentrumspolitiker Heinrich Köhler ersetzt. Ein späteres Spruchkammerurteil stufte Holl als „Mitläufer“ ein. Er kehrte danach als Unternehmer in die Privatwirtschaft zurück und wirkte bis zu seinem Tod in seiner Heimatstadt.
Quellen: GLA Karlsruhe 235/2114, 235/30465, 235/4355, 465a/59/3/5809 u. 481/946; UA Karlsruhe 21011/182 u. 28002/199; UA Heidelberg H-IV-75713.
Werke: Werkverzeichnis bei: Uwe Japp, Karl Holl, in: Christoph König, Internationales Germanistenlexikon 1800–1950, 2003, 790-792. – Auswahl: Zur Geschichte d. Lustspieltheorie, 1910; Grundlagen d. dt. Aesthetik des 18. Jh.s, in: Neue Jahrbb. für das klassische Altertum, Geschichte u. Dt. Literatur 31, 1913, 721-731; Gerhart Hauptmann, his life and his work 1913; Otto-Ludwig-Probleme I u. II, in: Germanisch-Romanische Monatsschr. 6, 1914, 16-31 u. 87-106; Otto Ludwig u. E.T.A. Hoffmann, ebd. 422; Das dt. Lustspiel, in: Neue Jahrbb. für das klassische Altertum, Geschichte u. Dt. Literatur 35, 1915, 453-473; Goethes Vollendung in ihrer Beziehung zu Byron u. Carlyle, in: Germanisch-Romanische Monatsschr. 9, 1921, 75-87; Ein Faustproblem, ebd. 309-313; Tolstoi nach seinen Tagebüchern, 1922; Geschichte des dt. Lustspiels, 1923; Schiller u. die Komödie. Rede zur Schillerfeier am 10.11.1924, 1925; Gotthold Ephraim Lessing: Gedächtnisrede zu seinem 200. Geburtstage gehalten in d. Aula d. TH Karlsruhe am Tage der Reichsgründungsfeier 1929, 1929; Die Technische Hochschule, Bildungsanstalt oder Fachschule. Rede gehalten anlässl. des Rektoratswechsels am 5. Dezember 1931, 1931; Karlsruher Hochschulreform, 1931; Bericht über das Rektoratsjahr 1931/32, 1932.
Nachweis: Bildnachweise: UA Karlsruhe Pb 61, Pb 114; Haselier, 1973, 249 (vgl. Literatur).

Literatur: Karl Holl in: Gerhard Lüdtke (Hg.), Kürschners Dt. Gelehrten- Kalender 2, 1926, 788; Karl Holl, in: Herrmann A. L. Degener (Hg.), Wer ist’s, 1935. Zeitgenossenlexikon enthaltend Biographien u. Bibliographien X, 1935, 709; Karl Holl in: Handb. d. dt. Wissenschaft, 1949, 1022; Karl Holl in: Friedrich Bertkau (Hg.), Kürschners Dt. Gelehrten-Kalender 7, 1950, 849; Günther Haselier, Die Bildung des Landes Württemberg-Baden 1945/46, in: Alfons Schäfer (Hg.), Neue Forschungen zu Grundproblemen d. bad. Geschichte im 19. und 20. Jh., 1973, 243-284 (mit Bildnachweis); Karl Holl in: Wilhelm Kosch, Dt. Theater Lexikon, 1953, 831; Jürgen Treffeisen, Der Präsident des Landesbezirks Baden (1945–1952). Präsidialstelle. Inventar des Bestandes 481 im GLA Karlsruhe, 1997; Karl Holl in: Christoph König, Internationales Germanistenlexikon 1800–1950, 2003, 790-792.
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