Simson, Bernhard von 

Geburtsdatum/-ort: 19.02.1840; Königsberg
Sterbedatum/-ort: 15.08.1915; Berlin-Charlottenburg
Beruf/Funktion:
  • Historiker
Kurzbiografie: 1849 Nach privatem Unterricht Eintritt in die Quinta des Friedrichsgymnasiums in Königsberg
1851 Joachimsthalsches Gymnasium in Berlin
1852-1856 Gymnasium und Abitur in Königsberg
1856-1860 Studium der Geschichte in Königsberg und Berlin, u. a. bei Rudolph Gneist, Karl Ritter, Leopold von Ranke, Friedrich Wilhelm Schubert, Johannes Voigt, Ludwig Friedländer und Wilhelm Giesebrecht
1860 Dr. phil. in Königsberg mit dem Thema „De statu quaestionis sintne Einhardi necne sint quos ei ascribunt annales imperii specimen“
1860-1861 Oberlehrerexamen und pädagogisches Probejahr am Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin
1861-1862 Mitarbeiter der Kommission für die Herausgabe der Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des Großen Kurfürsten, Archivaufenthalt in Paris
1863 Habilitation („Über die Annales Einhardi Fuldensis und Annales Sithienses“) und Privatdozent in Jena
1868 Lehrer am Wilhelmsgymnasium in Berlin
1869 Zweiter Archivar am Staatsarchiv in Düsseldorf
1871-1872 Archivar am Geheimen Staatsarchiv in Berlin, zuletzt am Geheimen Ministerialarchiv
1872-1874 Privatgelehrter, Mitarbeiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Abteilung Jahrbücher der deutschen Geschichte)
1874 außerordentlicher Prof. für Geschichte in Freiburg mit dem Auftrag, über Alte Geschichte (bis 1887) und Geschichte des Mittelalters zu lesen
1877-1905 ordentlicher Prof. in Freiburg
1883 ordentliches Mitglied der Badischen Historischen Kommission, seit 1908
Ehrenmitglied
1884/85 Dekan der Philosophischen Fakultät
1887 ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München
1894/95 Dekan der Philosophischen Fakultät
1895/96 Prorektor
1905 Geheimer Hofrat. Übersiedlung nach Berlin
1907 Wahl in die Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1869 Anna, geb. Jonas (gest. 1915), Tochter des Predigers an der Nikolaikirche Dr. Ludwig Jonas (gest. 1859), des Lieblingsschülers von Schleiermacher
Eltern: Vater: Martin Eduard von Simson (1810-1899), Prof. der Rechte, Richter am preußischen Tribunal in Königsberg, Parlamentarier, zuletzt Präsident des Reichsgerichts in Leipzig
Mutter: Clara, geb. Warschauer (1814-1883)
Geschwister: 1 Bruder
7 Schwestern
GND-ID: GND/117400300

Biografie: Volker Dotterweich (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 256-258

Simson gehörte zur zweiten Generation jener Ranke-Schüler, die der deutschen Mediävistik im 19. Jahrhundert zu ihrer Blüte verhalfen. Er besuchte noch Rankes Seminar in Berlin (1856/57), ohne jedoch zu dem „princeps historicorum“ in ein näheres persönliches Verhältnis zu treten, bevor er an die Heimatuniversität Königsberg zurückkehrte, wo ihn Friedrich Wilhelm Schubert, Johannes Voigt und Ludwig Friedländer in die kritische Geschichtsforschung einführten, hauptsächlich aber Wilhelm Giesebrecht, sein früherer Gymnasiallehrer, bei dem er mit einer Untersuchung über Einhards Anteil an den karolingischen Reichsannalen promovierte. Simson hat Giesebrecht stets als seinen akademischen Lehrer angesehen. Gleichwohl fühlte er sich geistig-wissenschaftlich am nächsten mit Georg Waitz verwandt, dessen Berufsaskese und methodische Strenge ihm als höchstes Vorbild galten.
Das große politische Ereignis in Simsons Jugend war die 1848er Revolution, die den Namen seines Vaters, des Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung, in ganz Deutschland bekannt machte. Indes, das Zeitereignis wurde für seinen weiteren Lebensweg nur auf unpolitische Weise bedeutsam. Denn in Frankfurt waren die Historiker Johann Gustav Droysen und Max Duncker Freunde seines Vaters geworden, die ihm nun, nach dem Abschluß seines Examens am Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin, die Mitarbeit an der Urkunden- und Aktenedition zur Geschichte des Großen Kurfürsten ermöglichten, in deren Rahmen er den ersten Band der Auswärtigen Akten (1865) mit den französischen Gesandtschaftsberichten herausgab. Als ihm die Pariser Behörden nach kurzer Zeit die Akten über das Jahr 1667 hinaus sperrten und das Scheitern des Gesamtprojekts absehbar war, kehrte Simson zu seinen mediävistischen Studien zurück. 1862 veröffentlichte er eine quellenkritische Untersuchung über Poeta Saxo, 1863 eine Übersetzung von Willibalds Bonifatius-Biographie, im gleichen Jahr eine Abhandlung über die Abhängigkeit der Fuldaer Annalen von den Jahrbüchern aus Sithiu, die ihn in der Technik subtilster Quellenkritik auswies und mit Unterstützung Droysens in Jena als Habilitationsschrift angenommen wurde.
Nach vier wenig erfolgversprechenden Jahren als Privatdozent und nach weiteren, nicht gerade aussichtsreichen Versuchen, im höheren Lehramt und im Archivdienst zu bestehen, wurde der etwas lebensfremde und in den praktischen Geschäften des Alltags unerfahrene Gelehrte von der Historischen Kommission in München mit den „Jahrbüchern des Fränkischen Reichs unter Ludwig dem Frommen“ (1874-1876) betraut, die ihm die Rückkehr in die akademische Laufbahn ermöglichten und in Freiburg zu einer bleibenden Stätte des Wirkens verhalfen.
Seither stellten die Karolinger den eigentlichen Gegenstand seiner wissenschaftlichen Tätigkeit dar. Simson übernahm die Fortsetzung und Überarbeitung der von Sigurd Abel begonnenen Jahrbücher Karls des Großen (Band 2, 1883; 2. Auflage des 1. Bandes 1888) und veröffentlichte in den „Forschungen zur Deutschen Geschichte“, im „Neuen Archiv“ und in der „Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins“ eine Reihe von mehr oder minder umfangreichen quellenkritischen Untersuchungen zur karolingischen Zeit. Kontroversen, etwa über die Ursprünglichkeit der Fuldaer Annalen (mit Waitz) oder über die Entstehung der pseudoisidorischen Dekretalen trug er geräuschlos, maßvoll im Ton und mit der Bereitschaft aus, den eigenen Standpunkt zu modifizieren. Stets blieb gewissenhafte und solide Arbeit sein oberstes Ziel. Dies trifft für die „Jahrbücher“ ebenso zu wie für die Editionen, die er kurz vor und nach seiner Emeritierung für die Monumenta Germaniae übernahm. Still und fleißig hat er für die Monumenta erstmals die älteren Annalen von Metz (1905) veröffentlicht, die von Xanten und St. Vaast (1909) sowie die „Gesta Friderici“ Ottos von Freising und Rahewins (1912) überarbeitet und noch die von Holder-Egger in Angriff genommene Ursberger Chronik (1915) zum Abschluß gebracht.
Simson ging es vor allem um die Vermehrung positiver Kenntnisse, um die Schaffung eines sicheren Quellenfundaments mit Hilfe der historisch-kritischen Methode der Ranke-Schule, deren Vernachlässigung er mit dem Niedergang der Geschichtswissenschaft gleichsetzte. In diesem Sinne sah er es als die Hauptaufgabe der „Jahrbücher“ an, möglichst vollständige, geordnete und kritisch gesichtete Materialsammlungen zu bieten und als Nachschlagewerk zu dienen. Weitergehende Ansprüche lehnte er ab. In diesem Sinne hat er aber auch seine Lehrtätigkeit in Freiburg verstanden und seine beste Wirkung in den Seminarübungen zur mittelalterlichen Geschichte erzielt, die er bis zu seiner Emeritierung beharrlich anbot. Nur gelegentlich griff er in Vorlesungen auf die neuere und neueste Geschichte aus, so in seinen Kollegien über „Preußische Geschichte“, „Lothringen und Elsaß“ oder zur „Geschichte der deutschen Einheitsbestrebungen 1848-1850“. In ihnen kam seine nationalliberale Haltung zum Durchbruch, Tenor auch eines Vortrags „Über die Beziehungen Napoleons III. zu Preußen und Deutschland“ (1882) und der von ihm zusammengestellten Lebenserinnerungen Eduard von Simsons (1900). Aber im Unterschied zum Vater, der als Präsident der Frankfurter Nationalversammlung, des Erfurter Parlaments, des Norddeutschen und des Deutschen Reichstags sowie des Reichsgerichts in Leipzig prägenden Einfluß auf die deutsche Parlamentsgeschichte und die Entwicklung des deutschen Verfassungsrechts ausübte, war Simson kein politischer Kopf. Er blieb – trotz der zahlreichen Verbindungen und Möglichkeiten, die das Elternhaus bot – der philologisch-historische Mediävist, der in der Kritik und Echtheitsprüfung der Quellen, der Herstellung zuverlässiger Texte und in der Unterscheidung des Selbständigen vom Abgeleiteten nach handwerklicher Perfektion strebte. Er gehörte somit einer Gruppe von Historikern an, der nach der deutschen Nationalstaatsgründung, in einer Zeit konventioneller Sättigung, die positiven Ziele fehlten, um die die Droysen, Sybel und Treitschke noch leidenschaftlich gerungen hatten, und die eine tendenzfreiere Betrachtung der Geschichte forderte. Ihre akademische Wirksamkeit hielt sich vergleichsweise in engen Grenzen. Auch hierfür steht Simson symbolisch. Eigentliche Schule hat er nicht gemacht. Denn gegen Ende des Jahrhunderts wuchs eine jüngere Generation heran, die zwar das Pathos der „politischen Historiker“ ablehnte, der aber auch das Streben nach wissenschaftlicher Exaktheit allein, so wie es Simson vertrat, als allzu selbstgenügsam vorkam.
Werke: (Auswahl) Der Poeta Saxo und der Friede zu Salz, in: Forschungen zur Deutschen Geschichte 1 (1862), 301-326; Wilibalds Leben des h. Bonifazius, Berlin 1883 (Übersetzung); Über die Annales Sithienses, in: Forschungen zur Deutschen Geschichte 4 (1864), 575-586; Zur Beurteilung Kaiser Heinrichs IV., in: Preuß. Jb. 20 (1867), 398-412; Pseudoisidor und die Geschichte der Bischöfe von Le Mans, in: Zs. für Kirchenrecht 21 (1886), 151-169; Die Entstehung der pseudo-isidorischen Fälschungen in Le Mans, Leipzig 1886; Kritische Erörterungen, in: Neues Archiv 15 (1890), 555-579; Über das Vaterland der falschen Dekretalen, in: HZ 68 (1892), 193-210; Über eine Freiburger Handschrift von Strabos Prolog zu Einhards Vita Karoli Magni, in: ZGO 46 (1892) 314-319; Wilhelm Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit, Bd. 6, hg. und fortgesetzt von B. v. Simson, Berlin 1895; Zu dem Aufenthalt der verbündeten Monarchen in Freiburg i. Br. im Winter 1813/14, in: ZGO N.F. 14 (1899), 635-664; Eduard von Simson. Erinnerungen aus seinem Leben, Leipzig 1900; Johann Georg Schlossers Leben in Emmendingen, in: FS d. Univ. in Freiburg zum fünfzigjähr. Regierungs-Jubiläum S. K. H. des Großherzogs Friedrich, Freiburg 1902, 237-256; Über Leopold von Ranke und seine Schule. Prorektoratsrede, Freiburg 1905; Annales Mettenses Priores, Hannover 1905; Annales Xantenses et Annales Vedastini, Hannover 1909; Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. Imperatoris, 3. Ausg., Hannover 1912; Pseudoisidor und die Le Mans-Hypothese, in: ZSRG, Kan. Abt. 4 (1914), 1-74; Die Chronik des Propstes Burchard von Ursberg, 2. Aufl. Hannover 1916.
Nachweis: Bildnachweise: Fotoalbum A I im GLAK.

Literatur: Harry Bresslau, in: Neues Archiv 40 (1915), 819-827; Alfred Dove, in: HZ 115 (1916), 469-471; Hans-Günter Zmarzlik, in: Clemens Bauer u. a., Beiträge zur Geschichte der Freiburger Philosophischen Fakultät, Freiburg 1957, 171 f.; Günther Meinhardt, Eduard von Simson, Bonn 1981 (über den Vater).
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