Bergengruen, Werner 

Geburtsdatum/-ort: 16.09.1892; Riga
Sterbedatum/-ort: 04.09.1964;  Baden-Baden
Beruf/Funktion:
  • Schriftsteller
Kurzbiografie: 1902-1911 Gymnasium Katharineum in Lübeck (bis 1908)
1909 Übersiedlung der Familie nach Marburg. Abitur
1911-1914 Studium der Theologie, Germanistik und Kunstgeschichte, Marburg, ab 1913 München und Sommer 1914 Berlin. Erste Italienreise. Volontär in der Redaktion der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“
1914-1918 Erster Weltkrieg. Kriegsfreiwilliger auf deutscher Seite. Leutnant. Beide Brüder fallen
1919 Kornett (Oberleutnant) in der Baltischen Landwehr. Kämpfte gegen die Rote Armee
1920-1922 Redakteur der „Ost-Information“ und des „Ost-Expreß“. Wohnhaft in Tilsit und in Memel, seit 1922 in Berlin
1925 Chefredakteur der „Baltischen Blätter“
1926 Freier Schriftsteller
1936 Konversion zum Katholizismus. Ergebnis einer „langsamen, organischen“ Entwicklung (Bergengruen). Umzug nach Solln bei München
1937 Oktober: Ausschluß aus der „Reichsschrifttumskammer“. Schreibverbot
1942 19.09.: Zerstörung des Hauses und Verlust der Habe. Übersiedlung nach Achenkirch in Tirol
1945 Einberufung zum Volkssturm
1946 Umzug nach Zürich
1947 Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft
1948-1949 Aufenthalt in Rom
1948 Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München. November: Wilhelm-Raabe-Preis der Stadt Braunschweig
1949 Juli Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz; 28. August: Gründungsmitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt
1951 21.10.: Begegnung mit Gottfried Benn bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises an Benn in Darmstadt
1957 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1958 Übersiedlung nach Baden-Baden; 24.06. Verleihung der Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München; 07.07. Aufnahme in den Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste (Nachfolger von Reinhold Schneider),23.11 Ordentliches Mitglied der Akademie der Künste, Abteilung Literatur, in Berlin
1962 Plakette des ostdeutschen Kulturrates; 11.11. Schiller-Gedächtnispreis des Landes Baden-Württemberg; Ehrenmitglied der Philosophisch-Literarischen Gesellschaft
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch, später römisch-katholisch
Verheiratet: 1919 Marburg/Lahn, Charlotte, geb. Hensel (1896-1990)
Eltern: Dr. med. Paul Bergengruen (1861-1945)
Helene, geb. von Boetticher (1863-1945)
Geschwister: Wolfgang (1891-1915)
Olaf (1896-1916)
Marie Helene (1904-1934)
Kinder: Luise (geb. 1924)
Maria (geb. 1928)
Alexander (geb. 1930)
GND-ID: GND/11850939X

Biografie: Horst Mühleisen (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 38-40

Bergengruen, der Balte, blieb ein Heimatloser sein Leben lang. Riga, seine Geburtsstadt an der Düna, hatte ihn geprägt. Sein Vater, ein Arzt, war vor dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland ausgewandert, um der gewaltsamen Russifizierung der baltischen Provinzen zu entgehen. Er ließ sich in Bad Kissingen, später in Danzig nieder.
Nach eigener Bekundung war Bergengruen ein widerwilliger Schüler. Bis in seine Studienjahre hinein behielt er diese Protesthaltung. Dann brach, 1914, der erste Weltkrieg aus, und Bergengruen trat in die preußische Armee ein. Er wurde Ulan, dann Offizier bei der Infanterie, tat als Sprachenkundiger in Stäben Dienst und wurde im Osten eingesetzt. 1918 befand er sich in Kiew, ein Jahr danach in Berlin. Dazwischen kämpfte er gegen die Rote Armee im Baltikum, seiner Heimat. Nach Rückkehr heiratete er Charlotte Hensel, eine Nachfahrin Moses Mendelssohns. Fast schien es, als wollte Bergengruen Journalist werden. Als Redakteur arbeitete er bei Zeitschriften für Ostfragen, die er auch mitbegründet hatte. In diesen Jahren begann er zu schreiben und veröffentlichte 1926 den Roman ‚Das große Alkahest‘, der in überarbeiteter Fassung 1938 als ‚Der Starost‘ erschien. Die frei erfundene Handlung spielt im Baltikum (Herzogtum Kurland) und im Rußland Katharinas II. Aber dies war nicht seine erste Publikation. 1923 waren erschienen ‚Das Gesetz des Atum‘, auch ein Roman, seine Erzählungen ‚Rosen am Galgenholz‘ und ‚Schimmelreuter hat mich gossen‘, expressionistische Arbeiten, die noch unter dem Einfluß E. T. A. Hoffmanns, dem er sich verwandt fühlte, entstanden waren. Jahrzehnte später schrieb er: „Beide sind mit Recht vergriffen, verbrannt, vergessen.“
In diesen Jahren lernte Bergengruen Reinhold Schneider kennen, der in Potsdam lebte. Eine lebenslange Freundschaft entstand, und beide waren gegenseitige Anreger. Zu den engsten Freunden gehörte auch das Ehepaar Horst Lange und Oda Schaefer.
Bergengruen veröffentlichte Erzählungen und Novellen, ‚Das Buch Rodenstein‘ (1927), eine Sammlung von Sagen, Gespenster- und Gruselgeschichten, die sich um ein hessisches Geschlecht dieses Namens gruppieren, und ‚Der tolle Mönch‘ (1930). Immer war Bergengruen der Novellistik Kleists und C. F. Meyers verbunden. Historische Romane entstanden. ‚Das Kaiserreich in Trümmern‘ (1927) behandelt den Aufstieg und das Ende des germanischen Königs Odoaker. ‚Herzog Karl der Kühne oder Gemüt und Schicksal‘ (1930) erzählt vom Glanz des alten Burgund. Mit diesen Romanen hatte Bergengruen die Abkehr vom Romantischen, von Hoffmanns Einfluß, vollzogen. Er befand sich auf dem Wege zur Meisterschaft und erreichte sie in dem Roman ‚Der Großtyrann und das Gericht‘ (1935), der seiner packenden Thematik wegen „irrtümlicherweise“ (Bänziger) als Schlüsselroman gegen die nationalsozialistische Diktatur verstanden wurde. Es ist eines der meistgelesenen Bücher Bergengruens und dasjenige, das in fast allen Weltsprachen vorliegt. Ursprünglich als Novelle geplant, trägt der Roman noch deutlich novellistisch-dramatische Züge, die an C. F. Meyers Erzähltechnik erinnern: straffer, zugespitzter Verlauf der Handlung, Konzentration auf eine einzige „unerhörte“ Begebenheit und übersichtlicher, bühnenhafter Wechsel der Schauplätze kennzeichnen seine durchdachte, überaus spannungsgeladene Komposition.
Als Bergengruen diesen Roman veröffentlichte, war das NS-Regime gefestigt. Schon früh hatte er den verbrecherischen Charakter des Nationalsozialismus erkannt. Daher war das Jahr 1933 für ihn zum Schicksalsjahr Deutschlands geworden. Bald danach begannen die Anfeindungen gegen Bergengruen und sein Werk: Denunziationen in Parteizeitungen, Verbote von Leseabenden oder plötzliche Absagen, weil er unerwünscht und unzuverlässig sei. Nach Veröffentlichung von ‚Der Großtyrann und das Gericht‘ mehrten sich die Schikanen.
„Die große Bewährung aber hat Bergengruen in der dunkelsten Zeit zwischen 1933 und 1945 auf besondere Weise bestanden. Gefahr steigerte immer sein Lebensgefühl und machte ihn produktiv.“ Dies sagte Carl Jacob Burckhardt, der Freund, in seiner Gedächtnisrede. Nach Veröffentlichung der Novelle ‚Die drei Falken‘ (1937) schloß ihn die „Reichsschrifttumskammer“ aus („da Sie nicht geeignet sind, durch schriftstellerische Veröffentlichungen am Aufbau der deutschen Kultur mitzuarbeiten“) und erteilte ihm Schreibverbot.
Äußerst gefährdet war Bergengruen, als 1938 die Geheime Staatspolizei seinen Gedichtband ‚Der ewige Kaiser‘, ein Jahr zuvor in Graz erschienen, beschlagnahmte. Darin hatte er zahlreiche zeitbezogene Gedichte, die bisher nur in Abschriften von Hand zu Hand weitergegeben worden waren, veröffentlicht. Er wollte sie als Sammlung publizieren, und dies war nur im Ausland möglich. Jetzt, nach der Besetzung Österreichs, forschte die Geheime Staatspolizei nach dem Autor. Bergengruen aber schrieb einen Brief und gab sich als deren Verfasser zu erkennen, ging hingegen auf die Gedichte nicht ein. Er erhielt keine Vorladung.
Bergengruen trat nicht nur als Romancier, Erzähler und Novellist hervor, sondern auch als Lyriker. Seine Lyrik ist, wie sein erzählerisches Werk, geprägt von christlicher Weltanschauung, verbunden mit einem letztlich religiös begründeten Selbstverständnis von der Rolle des Dichters. 1930 hatte er seinen ersten Gedichtband über Impressionen der Insel ‚Capri‘ veröffentlicht. In der Sammlung ‚Der Wanderbaum‘ (1932) und ‚Die Rose von Jericho‘ (1934, Reinhold Schneider gewidmet) deutet sich schon jenes religiös fundierte Weltbild an, das nach Bergengruen s Konversion auch die Gedichtsammlungen ‚Der ewige Kaiser‘ und ‚Die verborgene Frucht‘ (1938) in barocker Expressivität prägt. Im Zyklus ‚Der ewige Kaiser‘ erscheint die Idee eines Heiligen Reiches, in dem sich „die beseelte Ordnung der Welt“ offenbart und bestätigt. Doch in seinen nachgelassenen autobiographischen Aufzeichnungen hat er die Problematik seines Verhältnisses zur Lyrik angedeutet: „Recht zuhause fühle ich mich doch nur in der erzählenden Prosa.“
Nach seinem Ausschluß aus der „Reichsschrifttumskammer“ gehörte Bergengruen zu den Vertretern der „Inneren Emigration“. Trotz des Schreibverbotes gelang es der Hanseatischen Verlagsanstalt in Hamburg, die Bergengruens Bücher seit 1935 verlegte, eine „jederzeit widerrufliche Sondergenehmigung“ zu erhalten. Daher konnte er 1940 den Roman ‚Am Himmel wie auf Erden‘ veröffentlichen.
In diesem Roman, dessen Sprachgestaltung stark in der Tradition des 19. Jahrhunderts wurzelt und der in Gehalt und Form für Bergengruens erzählerisches Schaffen charakteristisch ist, gibt Bergengruen Darstellung und Deutung zugleich. Ähnlich wie in ‚Der Großtyrann und das Gericht‘ geht es um das Verhalten des Menschen, der sich in einer Grenzsituation befindet und seine Fehlbarkeit offenbart. Trotz des Umfangs erweist sich Bergengruen wieder als ein Meister der epischen Kleinform, den sein Fabulierbedürfnis zu Großformen unterschiedlichster Prägung führt. Ein Jahr später, 1941, nachdem 65 000 Exemplare verkauft worden waren, verboten die Nationalsozialisten dieses Buch. Bergengruen aber blieb unbehelligt.
Nach dem Zusammenbruch des Regimes, den Bergengruen in Tirol erlebte, begann auch für ihn ein Neuanfang. Er zog nach Zürich und traf den jungen Peter Schifferli, der bis zu seinem Tode Verleger und Freund wurde. Jetzt, nachdem die Hemmnisse, die der Nationalsozialismus auferlegt hatte, fortgefallen waren, konnte Bergengruen sein Œuvre fortführen. Gedichte, Erzählungen, Novellen und Romane entstanden, und Jahr um Jahr wuchs sein Werk. In ‚Das Feuerzeichen‘ (1949), einem Roman, bekennt sich Bergengruen zur Richtigkeit der Schöpfung und zeigt die Notwendigkeit, daß der grundsätzlich unzulängliche und schuldige Mensch sich unterwerfen muß, um sich der Gnade Gottes anheimzugeben. Drei Jahre danach, 1952, veröffentlichte Bergengruen den Erzählband ‚Der letzte Rittmeister‘. Zusammen mit ‚Die Rittmeisterin‘ (1954) und ‚Der dritte Kranz‘ (1962) bildet dieser Band eine locker gefügte, durch die Titelgestalt zusammengehaltene Trilogie. In der Zentralfigur des „rittmeisterlichsten aller Rittmeister“ versucht Bergengruen das Bild eines „wohlgearteten“ Menschen zu zeigen, in dem Weltfreude und Edelmut, Fröhlichkeit und Glaube vereinigt sind.
Bergengruen, „eine durch Gewißheit gefestigte, völlig furchtlose Persönlichkeit“ (Burckhardt), zählt zu den herausragenden Autoren dieses Jahrhunderts, die weit über den deutschen Sprachraum hinaus wirken. Seine streng gebauten Novellen, die, wie seine Romane, auf eine Handlungslinie konzentriert sind, gehören zu den sprachlich eindrucksvollsten Zeugnissen. Ausgewogene reife Erzählkunst, Geschlossenheit der inneren und äußeren Form, Fabulierfreude kennzeichnen sein Werk, das häufig historische Stoffe mit religiöser Thematik, psychologischen und kriminalistischen Motiven behandelt. Und immer blieb Bergengruen selber ‚Der letzte Rittmeister‘.
Quellen: Nachlaß: Der literarische Nachlaß, ausgenommen Familienpapiere, im DLA, Marbach am Neckar, vgl. Ingrid Kussmaul, Die Nachlässe und Sammlungen des DLA Marbach am Neckar. Ein Verzeichnis. 1983, S. 39; zusätzlich: Mitteilungen des Sekretariats des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste (Bundesminister des Innern) vom 30. November 1989 und von Herrn Dr. Alexander Bergengruen vom 16. Februar 1990
Werke: Bibliographisch (jedoch lückenhaft) Ingrid Bode, „Schriftenverzeichnis“, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften und der Literatur 1965, 54-61; Hans-Dieter Roth [u. a.], Bibliographie Werner Bergengruen, in: Der Schiller-Gedächtnispreis des Landes Baden-Württemberg 1955-1980. Eine Ausstellung des DLA Marbach am Neckar. 1980, 122-126; Danach u. a. erschienen: Herbstlicher Aufbruch. Gedichte. 1965; Die schönsten Novellen. In der Auswahl des Dichters. Mit Zeichnungen von Hans Fronius. 1965; Dichtergehäuse. Aus den autobiographischen Aufzeichnungen. Mit einem Nachwort von Emil Staiger. 1966; Die Glückliche. Zwei Erzählungen. 1968; Und dein Name ausgelöscht. Erzählungen. 1971; Geliebte Siebendinge. Aus den nachgelassenen Aufzeichnungen. Ausgewählt und hg. von Charlotte Bergengruen. 1972; Männer und Frauen. Liebesgeschichten. 1977; Magische Nacht. Gesammelte Liebesgedichte. 1978
Nachweis: Bildnachweise: Enthalten (vgl. Literatur) in: Burckhardt: Gedenkworte ..., 28; Grenzmann, Dichtung und Glaube, nach 240; Soergel – Hohoff, Dichtung und Dichter der Zeit, 777; Wilk, Werner Bergengruen: auf dem Einband (Literatur)

Literatur: (Auswahl) Hans Bänziger: Werner Bergengruen. Weg und Werk. 1968; Peter Baumann, Die Romane Werner Bergengruens. Phil. Diss. Zürich 1954; Carl J. Burckhardt, Gedenkworte für Werner Bergengruen, in: Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste. Reden und Gedenkworte. 7. Bd. 1965/66. [1967], 31-40; ders., Über Werner Bergengruen. 1968. Wilhelm Grenzmann, Werner Bergengruen. Offenbarmacher ewiger Ordnungen, in: ders.: Dichtung und Glaube. Probleme und Gestalten der deutschen Gegenwartsliteratur. 5. neubearbeitete Aufl. 1964, 239-257. A. J. Hofstetter, Werner Bergengruen im Dritten Reich. Phil. Diss. Fribourg [Schweiz]1968. Werner Bergengruen, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Hg. von Walter Jens. Bd. 2. 1989, 545-551; Theoderich Kampmann, Die Welt Werner Bergengruens. 1952; Helga Kaufmann, Das Problem der Furcht im Werk Werner Bergengruens, Phil. Diss. 1984; Günther Klemm, Werner Bergengruen. 2. Aufl. 1954; Peter Meier: Die Romane Werner Bergengruens. Bern 1967. Peter Schifferli (Hg.), Dank an Werner Bergengruen. Im Einvernehmen mit Frau Lotte Bergengruen und den Freunden des Dichters zum 70. Geburtstag 1962; Werner Bergengruen, in: Der Schiller-Gedächtnispreis des Landes Baden-Württemberg 1955-1980, 109-126; Annemarie Schuler, Geschichte und Weltbild im Prosawerk Werner Bergengruens. Phil. Diss. 1953; Albert Soergel – Curt Hohoff, Werner Bergengruen, in: diess., Dichtung und Dichter der Zeit. Vom Naturalismus bis zur Gegenwart. 2. Bd. Düsseldorf 1964, 776-779; Max Wolfgang Weber, Zur Lyrik Werner Bergengruens. Phil. Diss. 1958; Werner Wilk, Werner Bergengruen. 1968 (Köpfe des XX. Jahrhunderts, Bd. 52)
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