Besson, Waldemar 

Geburtsdatum/-ort: 20.11.1929;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 12.06.1971;  Konstanz
Beruf/Funktion:
  • Politikwissenschaftler, Zeithistoriker und Publizist
Kurzbiografie: 1936–1940 Volksschule in Stuttgart
1940–1949 Gottlieb-Daimler-Oberschule in Stuttgart-Bad Canstatt bis Abitur mit Auszeichnung
1949/50 Studium d. Geschichte, Politischen Wissenschaft, des öffentlichen Rechts und d. Anglistik an d. Universität Tübingen
1950/51 Mit Stipendium d. Marsden-Stiftung for gifted Youth Aufenthalt an d. University of California in Santa Barbara
1951–1954 Universität Tübingen
1952–1953 Stipendiat am Salzburg Seminar in American Studies
1954 V 1 Verwalter einer wiss. Assistentenstelle
1954 VIII/IX Sommerkurs d. Universität Grenoble
1954 XII 16 Promotion zum Dr. phil. mit magna cum laude bei Hans Rothfels: „Die politische Terminologie des Präsidenten F. D. Roosevelt“
1956 IV 1 wiss. Assistent
1958 Habilitation für das Fach Neuere Geschichte:„Württemberg u. die dt. Staatskrise 1928– 1933. Eine Studie zur Auflösung d. Weimarer Republik“
1960 X 31 Berufung zum ordentlichen Professor für Politische Wissenschaft an d. Universität Erlangen-Nürnberg
1961 IV 1 ordentlicher Professor für Politische Wissenschaft
1962 Mitglied im ZDF-Fernsehrat
1963–1969 Kommentator beim Bayerischen Rundfunk
1964 Gründungsausschussmitglied d. Universität Konstanz
1966 IV 1 ordentlicher Professor für Politische Wissenschaft an d. Universität Konstanz
1966/67 Prorektor
1967–1971 Mitglied des Universitöts-Ausschusses für Forschungsfragen
1971 Designierter Intendant des ZDF
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1955 Margrit, geb. Lutz (geboren 1931)
Eltern: Vater: Richard, Stadtobersekretär
Mutter: Mina, geb. Schlecht
Kinder: 2; Matthias Hans (geboren 1957) u. Christian (geboren 1960)
GND-ID: GND/118510258

Biografie: Arno Mohr (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 28-33

Besson, ein Nachfahre französischer Waldenser, wurde als Sohn eines Kommunalbeamten in Stuttgart geboren. Nach der Volksschule besuchte er die Gottlieb-Daimler-Oberschule in Stuttgart-Bad Cannstatt und legte dort mit Auszeichnung das Abitur ab. Im Wintersemester 1949/50 immatrikulierte er sich an der Universität Tübingen und studierte Geschichte, Politische Wissenschaft, öffentliches Recht und Anglistik. Ein Jahr später konnte Besson ein Stipendium der Marsden-Stiftung erlangen, womit er einen einjährigen Studienaufenthalt an der University of California in Santa Barbara finanzieren konnte. Dort studierte er vorzugsweises wissenschaftliche Politik und Soziologie. Nach seiner Rückkehr vertiefte er seine Studien neben der Geschichte in den Fächern Anglistik und Amerikanistik; auch führte er das Studium der Politischen Wissenschaft, vor allem bei Theodor Eschenburg fort. Bessons Hauptarbeitsgebiet blieb aber die Geschichte. Auf ihn wurde Hans Rothfels aufmerksam, der Bessons tiefprägender Mentor wurde. Er hat ihm die besten Traditionen des deutschen Historismus (Ranke, Meinecke) im Rahmen eines intensiven Lehrer-Schüler-Verhältnisses vermittelt. Seine mit einem Preis ausgezeichnete Dissertation verfasste er über „Die politische Terminologie des Präsidenten F. D. Roosevelt“ (1954). Prüfer in Geschichte war Rothfels, in den Nebenfächern Wissenschaftliche Politik Eschenburg, in Anglistik Carl August Weber (1895–1955). Besson wurde 1954 zum Verwalter einer wissenschaftlichen Assistentenstelle bestellt und im April 1956 Assistent bei Rothfels. Im Januar 1958 beantragte Besson bei der Philosophischen Fakultät die Zulassung zur Habilitation. Als wissenschaftliche Leistung legte er die Arbeit „Württemberg und die deutsche Staatskrise 1928–1933. Eine Studie zur Auflösung der Weimarer Republik“ vor. Die Gutachten des Hauptberichterstatters Rothfels, von Eschenburg, des Frühneuzeithistorikers Ernst-Walter Zeeden (1916–2011), des Althistorikers Joseph Vogt (1895–1986), des Philosophen Walter Schulz, des Osteuropahistorikers Werner Markert (1905–1965) und des Ordinarius für historische Hilfswissenschaften und Genealogie Hansmartin Decker-Hauff (1917–1992), waren durchwegs positiv, so dass einer Zulassung zum weiteren Habilitationsverfahren nichts mehr im Wege stand. Den Habilitationsvortrag hielt Besson am 3. Juli 1958 zum Thema „Thomas Jefferson und die amerikanische Staatsräson“. Mit Wirkung vom 30. August 1958 wurde er zum Dozenten ernannt. Die Venia legendi lautete für „Neuere Geschichte“. Die Antrittsvorlesung am 14. November 1958 war dem Thema „Friedrich Meinecke und die Weimarer Republik. Zum Verhältnis von Geschichtsschreibung und Politik“ gewidmet.
Bereits Ende Dezember 1959, ein Jahr nach der Habilitation, erhielt Besson vom nordrhein-westfälischen Kultusminister Werner Schütz das Angebot, entweder einen Lehrstuhl an der Pädagogischen Hochschule in Kettwig oder in einer in Münster neu zu gründenden Pädagogischen Hochschule (als Evangelische Pädagogische Akademie) zu bekleiden, wobei er zugleich Mitglied des Lehrkörpers der Universität Münster würde. Besson aber lehnte den Ruf ab, weil er auf die Hochschule in Kettwig bezogen war, er aber die Bindung an die Universität Münster gesucht hatte. Einen weiteren, im Frühjahr 1960 ergangenen Ruf an das Department für Geschichte und Politische Wissenschaft am Cornell College, Mount Vernon, Iowa, auf den Lehrstuhl für europäische Geschichte wies Besson ebenfalls ab. Stattdessen nahm er einen Ende Oktober 1960 vom Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus ergangenen Ruf auf den neuen Lehrstuhl für Politische Wissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg an. Mit Wirkung vom 1. April 1961 war er ordentlicher Professor an der Philosophischen Fakultät. Im März 1961 hatte Besson ein von der Philosophischen Fakultät der Universität Köln gemachtes Angebot auf eine Vertretung des Lehrstuhls für Amerika- Wissenschaft abgelehnt. Seine Antrittsvorlesung in Erlangen am 3. Februar 1962 behandelte das Thema „Regierung und Opposition in der deutschen Politik“.
In Erlangen betrachteten die Kollegen in der Philosophischen Fakultät, den Aussagen Bessons zufolge, das neue Fach skeptisch, sie bezweifelten seinen Nutzen und sahen darin abschätzig eine „modische Neuerung“. Besson konnte sich aber dank seiner stupenden Gelehrsamkeit, seiner immensen Produktivität in Forschung und Lehre bald einen respektablen Platz an der Universität sichern. 1964 wurde er zum Dekan gewählt. Die Erlangener Erfahrungen lehrten ihn u.a., dass es allerhöchste Zeit sei, die deutsche Universität grundlegend zu reformieren. Bei Besson spielten in diese Anstrengungen zudem Erfahrungen mit hinein, die noch aus seinem ersten Amerika-Aufenthalt Anfang der 1950er-Jahre resultierten, als er bereits ein kritisches Bewusstsein gegenüber den tradierten deutschen universitären Organisations- und Lebensformen entfaltet hatte. Die Hochschulpolitik sollte in den 1960er-Jahren sein bedeutendstes öffentlich-praktisches Betätigungsfeld werden. Die Gelegenheit ergab sich 1959 mit dem Plan des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kurt-Georg Kiesinger, eine Universität am Bodensee zu gründen. Besson war dabei an vorderster Front aktiv, als sich die Gründung in Konstanz konkretisieren sollte. Er wurde Mitglied des Gründungsausschusses. Hinter dieser Gründung stand die Idee, eine zeitgemäße, den Erfordernissen der demokratischen Industriegesellschaft zugeschnittene Universität zu schaffen. Diese reformierte Universität sollte bestrebt sein, den Hiatus zwischen Bildung und Ausbildung überbrücken zu helfen. Bessons Vorstellung entsprach es, das vom Staat ausgehende und auf diesen bezogene Humboldtsche Universitätsideal in eine produktive und solidarische Partnerschaft mit den als berechtigt anerkannten Ansprüchen der Gesellschaft zu versöhnen. Dabei blieb das Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre grundsätzlich garantiert, aber unter anderen Voraussetzungen. Auch sollte die tradierte Form der Hierarchisierung des Lehrkörpers mit dem Ordinarius an der Spitze zugunsten einer eher funktionalen Struktur überdacht bzw. aufgegeben werden. Erste Anzeichen von Forschungsrelevanz und -wettbewerb wurden sichtbar. Die Führung der Universität sollte durch das amerikanische Präsidialsystem angemessen zum Ausdruck gebracht werden. Eine besondere Note war die Hervorhebung der Relevanz der Sozialwissenschaften für die moderne Gesellschaft und ihre entsprechende großzügige Verankerung in Konstanz. Für all diese Fragen hatte Besson sich in den zuständigen Gremien stark gemacht und darüber mehrfach publiziert. Sein Übergang von Erlangen nach Konstanz war vorgezeichnet. Er gehörte zu der Gruppe der ersten Professoren, die zum 1. April 1966 in Konstanz ihren Dienst antraten. Dort vertrat er bis zu seinem Tode das Fach Politische Wissenschaft.
Besson war schon früh sozial und politisch aktiv. Als engagierter Protestant war er Mitglied beim CVJM. Bereits seit seinen Studententagen, mehr noch während seiner Tübinger Assistentenzeit verfasste er Artikel für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, häufig im Konstanzer „Südkurier“, in der „Zeit“ und in der „FAZ“. Viele Rundfunkbeiträge stammen aus seiner Feder, zwischen 1963 und 1969 besonders für den Bayerischen, auch für den Süddeutschen Rundfunk war er als regelmäßiger Kommentator tätig. Für das ZDF, dessen Fernsehrat er seit 1962 angehörte, kommentierte er das politische Geschehen. Besson war im Grunde ein echter homo politicus, der geradezu die Nähe zur praktischen Politik gesucht hatte. Intellektuelle Glasperlenspiele und Elfenbeinturm-Wissenschaft waren ihm zuwider. Er war Mitglied der CDU und trat z.B. als Berater von Kurt-Georg Kiesinger in Erscheinung. Während der „Spiegel-Affäre“ 1962 unterzeichnete er mit anderen Professoren einen Aufruf, der Anstoß nahm an der Unangemessenheit des Verfahrens. Auch die politische Pädagogik spielte bei ihm eine zentrale Rolle. In Baden-Württemberg fungierte er als Vorstandsmitglied der „Arbeitsgemeinschaft Bürger im Staat“. Besson war Mitarbeiter an einer der ersten Fernsehsendungen zum „Dritten Reich“. Ende der 1960er-Jahre war er mehr und mehr geneigt, aus der Wissenschaft auszusteigen und ein öffentliches Amt zu übernehmen. Der damalige Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrats, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl, hatte Besson als Nachfolger des ZDF-Indentanten Karl Holzamer (1906–2007) vorgeschlagen.
In einem Rundfunkbeitrag kurz vor Weihnachten 1970 und ein halbes Jahr vor seinem jähen Tod gab Besson zu Protokoll, dass es die „ersten Jahre nach der Hitler-Katastrophe“ gewesen seien, die „den entscheidenden Ausgangspunkt“ dargestellt hätten für seine spätere glänzende akademische Karriere sowohl als Vertreter der noch jungen und misstrauisch beargwöhnten Disziplin Politische Wissenschaft als auch als Maßstäbe setzender Zeithistoriker. Damit teilt er das Schicksal jener Generation, die man später „Flakhelfergeneration“ genannt hat, sich reflektierend mit der NS-Diktatur und ihren Hinterlassenschaften auseinanderzusetzen und ein Menschenbild zu begründen bzw. zu revitalisieren, das sich von „guten“ Traditionen des europäischen Geistes wie Menschenwürde, Humanismus, christliche Botschaft oder soziale Gerechtigkeit herleitet. In seiner Forschung, die diesen Impuls aufnahm, lassen sich insgesamt wenigstens sechs Schwerpunkte identifizieren: Untersuchungen zur Spätphase der Weimarer Republik und zum NS-Staat, zu Wesen, Begriff, Formen und Prozessen der Demokratie, zur amerikanischen Innen- und Außenpolitik im 20. Jahrhundert, zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, zu Grundlagenfragen von Geschichtswissenschaft und Politikwissenschaft sowie zur Hochschulpolitik.
Es waren zunächst nicht die deutschen Zustände, die den Anfang von Bessons wissenschaftlicher Publizistik umschrieben, sondern ein Thema aus der jüngsten amerikanischen Geschichte: „Die politische Terminologie des Präsidenten Franklin D. Roosevelt“, seine Dissertation. Das Innovative daran war, dass hier eine selten geglückte Verbindung von sprachlicher und politischer Analyse hergestellt wurde, die für die damalige Zeit wegweisend wirkte, weil hier die Bedeutung einer „symbolischen Politik“ für die Implementierung insbesondere der innenpolitisch akzentuierten New-Deal-Politik detailliert nachgewiesen wurde, jenseits vordergründiger phraseologischer Rhetorik. Ausgehend vom aktuellen Wort über die Terminologie sollte der Weg der Analyse zur Freilegung der politischen Philosophie des berühmten amerikanischen Präsidenten führen. Insoweit war diese Studie methodisch gesehen avant la lettre eine Pionierarbeit zur politischen Kommunikation, aber auch zur politischen Ikonologie, da Besson auch die Bildersprache Roosevelts als substantiell angesehen hat. Die zweite große Arbeit Bessons über die USA berührte, so der Untertitel, die „Grundzüge der amerikanischen Außenpolitik 1933–1963“, also die Epoche „Von Roosevelt bis Kennedy“ (1964). Hier suchte er dem deutschen Leser mittels einer verständnisvollen, aber nicht unkritischen Analyse nahe zu bringen, wie ein „genossenschaftlich“ organisiertes Gemeinwesen wie die USA die Befähigung zur Weltpolitik zu erringen vermocht hatte.
Die Beschäftigung mit der Weimarer Republik, ihre Mängelerscheinungen und insbesondere die Jahre ihrer Agonie, standen in den 1950er-Jahren (und natürlich auch später) im Interesse politologischer und zeithistorischer Forschung. Das erschien für die junge Generation von Forschern zwingend, um nach dem Schrecken der nationalsozialistischen Diktatur die individuellen und strukturellen Defekte von „Weimar“ aufzudecken, um nicht die noch junge bundesrepublikanische Demokratie ähnlich gelagerten Gefährdungen ausgesetzt zu sehen. Besson hatte sich 1959 als Habilitationsleistung eine regionalgeschichtliche Aufgabe gestellt, um dieser Forderung gerecht zu werden: „Württemberg und die deutsche Staatskrise 1928–1933. Eine Studie zur Auflösung der Weimarer Republik“. Er teilte die Auffassung der württembergischen Regierung unter dem Staatspräsidenten Eugen Bolz (1881–1945), sich aus Gründen der Staatsräson beim Rückbau der staatlichen Schulden sowie der Zurückdrängung parteigebundener gesellschaftlicher Sonderinteressen voll hinter die Politik der Regierung Brüning zu stellen – auch unter Preisgabe demokratisch-parlamentarischer Überzeugungen und Prozeduren. Besson hat sich mit dieser Studie in die Reihe der Historiker begeben, die skeptisch bis misstrauisch strukturanalytischen und typologischen Zugängen zum Verständnis der Auflösung des Weimarer Systems gegenübergestanden haben. Er sah darin einen fatalistischen Grundzug, der verhindere, dass die Offenheit möglicher politischer Entscheidungsmöglichkeiten für die Akteure zumindest in Erwägung gezogen würden. Konkret war dies gegen Karl-Dietrich Brachers (geboren 1922) wegweisendes Werk über die Auflösung der Weimarer Republik von 1955 gerichtet. Besson vertrat hier den klassischen Historismus, der vorzugsweise akteursbestimmt war, der die individuellen Unterschiede im Verhalten, Denken und Handeln der Protagonisten als wichtiger ansah als abstrakte typologische Generalisierungen. Als weitere selbstständige Schrift Bessons in diesem Zusammenhang sei auf eine kleine biographische Studie über den ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, Friedrich Ebert, verwiesen, den er als „Politiker der Mitte“ stilisierte, weil dieser sich gerade in den hochdramatischen Momenten im August 1914 sowie 1918/19 sowohl der Radikalen in seiner eigenen Partei habe erwehren müssen als auch politische wie persönliche Abwehrkämpfe gegen die perfiden Anschuldigungen der völkisch-nationalistischen Agitation habe führen müssen.
Auch in der Folgezeit waren die Hauptwerke Bessons zunächst auf die Zeitgeschichte fixiert. 1961 gab er im Rahmen der damals sehr bekannten und viel gerühmten Reihe „Das Fischer Lexikon“ den Band „Geschichte“ heraus, quasi eine Tübinger Gemeinschaftsarbeit, zu der Rothfels eine Einleitung beisteuerte. Besson selbst bearbeitete die Einträge „Historismus“, „Periodisierung (Zeitgeschichte)“ sowie „Zeitgeschichte“. Mehrfach hatte Besson auf die Komplementarität von Tradition und Reform im Sinne von Erneuerung aufmerksam gemacht, die sein Denken prägten. In seiner erwähnten Selbstbetrachtung war es ihm wohl zentral festzuhalten, dass ein Historiker immer in seiner Grundveranlagung etwas Konservatives in sich tragen müsse. Dieses konservative Moment bestimmte auch Bessons Bewertung des Historismus, mit dem die Geschichte als Wissenschaft stehe und falle als leitendem Prinzip der Geschichtswissenschaft, auch wenn die Fehlentwicklungen dieses Erkenntnisprinzips gerade in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unübersehbar gewesen seien. Das historistische Denken besaß Besson zufolge auch eine politische Dimension, setzte es doch die je und je verschiedenartige Individualität personaler wie kollektiver Identitäten ins rechte Licht und widerstreite so jeglichen totalitären Ansprüchen oder Versuchungen, die Welt deterministisch oder eschatologisch zu sehen. Das hatte Konsequenzen für den Begriff von ‘Zeitgeschichte’, in welcher ebenso die Spezifik bestimmter Tendenzen und Strukturen im Blickpunkt stehen sollte und nicht die Subsumierung unter abstrakte Formbestimmungen, die doch nur eine teleologische Note in die zu untersuchende historische Konstellation hineinbringe. Was die Aufgabenstellung und die Grundlegung der Politikwissenschaft anbelangt, so wies Besson ihr die Funktion einer „Hilfswissenschaft“ für das demokratische Gemeinwesen zu, in kritischer und kooperativer Solidarität mit den handelnden Akteuren. Er verstand sie – und die Sozialwissenschaften insgesamt – im Sinne einer „engagierten“ Wissenschaft, ja geradezu als „Reformwissenschaft“. Sein Politik-Verständnis war eng an dasjenige von Arnold Bergstraesser angelehnt, wonach das politische Gemeinwesen nicht nur vorgegeben, sondern auch aufgegeben sei. Die „res gerendae“ bildeten den Kristallisationspunkt politischen Entscheidungshandelns. Das elementare Verhängnis des „Dritten Reichs“ und die vorangegangenen autoritären Staatsüberzeugungen vor Augen war für Besson die Loslösung rein machtorientierten Handelns von wertbezogenem Verhalten undenkbar. Die Verbundenheit dieser Wissenschaft mit pädagogischen Fragestellungen bzw. entsprechenden institutionalisierten Rahmenbedingungen in Hochschule und Schule waren für ihn selbstverständlich. Methodisch gesehen versuchte er eine Korrespondenz zwischen systematischem und historischem Zugriff herzustellen. Politikwissenschaft ohne Beachtung des historisch Gewordenen war ihm unverständlich und fragmentarisch. Aber auch umgekehrt konnte es in seinem Verständnis keine Geschichtswissenschaft geben, die die Bedrängnisse und Nöte gegenwärtiger Gesellschaften ignoriere und lediglich dem Quietismus aktualitätsferner Sachforschung das Wort rede. Beim Politik-Begriff unterschied Besson drei Ebenen: Gestaltung der Grundentscheidungen eines politischen Gemeinwesens (policy determination), Ausformung und Durchführung dieser Fundamentalentscheidung im politischen Prozess (policy execution) und politische Kontrolle (policy control).
Bessons größte politikwissenschaftliche Leistung stellte 1970 seine umfangreichste Studie über „Die Außenpolitik der Bundesrepublik. Erfahrungen und Maßstäbe“ dar. Er war einer der ganz wenigen Politologen, die sich in der damaligen Zeit intensiv um das Fachgebiet der Außenpolitik bzw. der Internationalen Beziehungen bemüht hatten. Das zeigt sich auch in seiner Antrittsvorlesung „Die grossen Mächte“ in Konstanz im Juni 1966. Trotz der aufkommenden mathematisch-quantifizierenden Außenpolitikanalyse mit ihrem Modellplatonismus und abstrakter Begrifflichkeit, wie sie schon lange in den USA praktiziert worden war und deren Wert Besson durchaus anerkannte, hielt er am Erkenntniswert der historischen Betrachtungsweise fest. Der „rote Faden“ in seiner „Außenpolitik“ war die Staatsräson der Bundesrepublik: die Selbstbehauptung dieses Gemeinwesens in Konkurrenz zu anderen Staaten, in diesem konkreten Falle die Wechselbeziehung zwischen Integration und Nation. Die Maßstäbe, von denen er sprach, drücken sich in einer spezifischen Ziel-Mittel-Relation aus, die von der jeweils unterschiedlichen außenpolitischen Konstellation abhängig ist: eine Gratwanderung zwischen erfolgreich angewandten Maximen und lähmenden Petrifizierungen. Daraus resultierte seine mit großer Sympathie bedachte Sicht der Anfänge der sozialliberalen Ostpolitik mit ihrer auf Entspannung zielenden Motivation, weil sie an der Politik der Kontinuität der Westbindung festhielt.
Seine Auffassungen über Demokratie hat Besson 1965 in seine Broschüre über „Das Leitbild der modernen Demokratie“ einfließen lassen, eine Auftragsarbeit für das bayerische Kultusministerium. Ausgangspunkt war für ihn die moderne Industriegesellschaft, die einen neuen Begriff von Demokratie verlange. Zentrales Axiom war die persönliche Freiheit und Würde des Einzelnen. Diejenigen Gemeinwesen, die dies garantierten, könnten als Demokratien bezeichnet werden. Ein zweites Axiom bestand in der pluralistischen Strukturierung der Demokratie, die nicht einer konformen einheitlichen Wertvorstellung folge, sondern diversitär bestimmt sei nur von der Gewissensentscheidung des Einzelnen. Letzte Wahrheiten und damit die autoritative Verpflichtung auf eine allgemeinverbindliche Formel können in einer derart verfassten Gemeinschaft nicht der alleinige Maßstab sein, da eine pluralistische Gesellschaft prinzipiell offen sei. Wenn Besson die „europäische Revolution“ 1989/90 noch hätte erleben dürfen, wäre ihm von diesem Standpunkt aus eine Publikation, die er 1971 hat erscheinen lassen, mehr als unangenehm gewesen: nämlich die Publikation von Reden, Aufsätzen und Interviews des rumänischen Diktators Nicolae Ceauşescu. In seinem Vorwort würdigt Besson lobend den Diktator als Wahrer eines nationalkommunistischen Prinzips, das den Nationalstaat emphatisch gegen Bevormundungen von außen zu bewahren und die Eigenart des rumänischen Staates hervorzuheben suche. Nicht von ungefähr erscheint dieses Werk nicht in der offiziösen Bibliographie von Bessons Arbeiten.
Quellen: UA Tübingen 131/333, Personalakte, 131/2016, Promotionsakte; UA Erlangen/Nürnberg F2/1 Nr. 1857, Personalakte; UA Konstanz LS Besson (28).
Werke: Die politische Terminologie des Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Eine Studie über den Zusammenhang von Sprache u. Politik, 1955; Württemberg u. die dt. Staatskrise 1928–1933. Eine Studie zur Auflösung d. Weimarer Republik, 1959; (Hg.) Geschichte, mit einer Einleitung von Hans Rothfels (= Fischer- Lexikon 24), 1961; Engagierte Wissenschaft. Die Gegenwartsaufgaben d. Sozialwissenschaft, 1962; Regierung u. Opposition in d. dt. Politik, in: PVJS 1962, 225-241; Engagierte Wissenschaft. Die Gegenwartsaufgaben d. Sozialwissenschaft, 1962 (Sonderdr. aus d. Zeitschrift „Offene Welt“ Nr. 75, 1962); Friedrich Ebert. Verdienst u. Grenze, Persönlichkeit u. Geschichte 30, 1963,. 2. Aufl. 1970, verbess.; (Hg. mit Fr. Frhr. Hiller v. Gaertringen.) Geschichte als Politische Wissenschaft. Zum Verhältnis von nationalstaatlichem u. historischem Denken, in: Geschichte u. Gegenwartsbewusstsein, Fs. für Hans Rothfels, 1963, 66-85; Von Roosevelt bis Kennedy. Grundzüge d. amerikanischen Außenpolitik 1933–1963, 1964; Universität vor den Ansprüchen unserer Zeit, in: Die Dt. Universitätszeitung, 1964, 5-11; Das Leitbild d. modernen Demokratie. Bauelemente einer freiheitlichen Staatsordnung, 1965, 2. Aufl. 1966, überarb. u. aktualis. Neuausg. hgg. v. G. Jasper, 1990; Die grossen Mächte. Strukturfragen d. gegenwärtigen Weltpolitik, 1966; Politik, in: Ev. Staatslexikon, Sp. 1547-1560 Politische Wissenschaft, in: Die Zukunft d. Universität. Lehre und Forschung oder Lehre u. Verwaltung, hgg. v. Eckart Heimendahl, 1966, 45-50.; Die Universität Konstanz, in: Zeitschrift für Politik, 1966, 285-302; Universitätsreform in d. heutigen Zeit, in: Konstanzer Bll. für Hochschulfragen, 1967, 5-22; Die Außenpolitik d. Bundesrepublik. Erfahrungen u. Maßstäbe, 1970; Erlebte Zeitgeschichte – Kritisch beobachtet. 44 Stücke Politischer Publizistik, 1970 [Artikel, die Besson im „Südkurier“ veröffentlicht hat].
Nachweis: Bildnachweise: Foto (o. J.), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 29 – Gotthard Jasper (Hg.), Tradition und Reform in der deutschen Politk. Gedenkschrift für Waldemar Besson, 1976, o. S.

Literatur: Munzinger Internationales Biogr. Archiv 30/1971 vom 19.7.1971; Gotthard Jasper (Hg.), Tradition u. Reform in d. dt. Politik. Gedenkschrift für Waldemar Besson, dargebr. von Freunden, Kollegen u. Schülern., 1976 (dort bes. die biogr. Skizzen von Franz Georg Maier, Waldemar Besson 1929–1971, 9-13, u. Hans Mommsen u. Gotthard Jasper, Engagierte Wissenschaft. Zum Gedenken an Waldemar Besson, 14-23); Besson, Waldemar, Wie ich mich verändert habe, in: VJfZ 19, 1971, H. 4, 398-403, hgg. v. Hans Rothfels.
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