Borst, Otto 

Geburtsdatum/-ort: 30.07.1924;  Waldenburg, Hohenlohekreis
Sterbedatum/-ort: 22.08.2001;  Esslingen am Neckar
Beruf/Funktion:
  • Stadtarchivar und Landeshistoriker
Kurzbiografie: 1942 Abitur am Uhland-Gymnasium in Tübingen
1942–1945 Panzeroffizier im II. Weltkrieg beim Grenadier-Reg. 119 d. 25. Infanterie-Div., eingesetzt in Brjansk u. Orel
1945–1951 Studium zunächst d. Theologie, später d. Germanistik, Geschichte u. Altphilologie in Tübingen
1952 II. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien
1953ff. Tätigkeit im Schuldienst am Georgii-Gymnasium Esslingen
1954 Promotion bei Hermann Schneider (1886–1961) u. Paul Kluckhohn: „Friedrich von Hardenbergs Wirkungen in d. zweiten u. dritten Phase d. dt. Romantik“
1955–1977 Nebenamtl. Leiter des StadtA Esslingen
1960–1981 Geschäftsführer des Geschichts- u. Altertumsvereins Esslingen bis 1972, dann Vorsitzender
1971–1984 Professor an d. PH Esslingen
1974 Gründung d. Arbeitsgemeinschaft „Die alte Stadt“
1984–1989 Professor für Landesgeschichte am Historischen Institut d. TU Stuttgart
1985 Gründung d. Stuttgarter Symposien
1988–1998 Präsident d. Schwäb. Gesellschaft
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Ehrenplakette d. Stadt Esslingen u. Publizistik-Preis des Dt. Nationalkomitees für Denkmalschutz (1976); Schubart-Literatur-Preis d. Stadt Aalen, Dr. Fritz-Landenberger-Preis zur Förderung d. Esslinger Stadtgeschichtsforschung u. Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens d. Bundesrepublik Deutschland (1984); Bürgermedaille in Gold d. Stadt Waldenburg (1987); Bundesverdienstkreuz I. Klasse des Verdienstordens d. Bundesrepublik Deutschland (1989); Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg (1993), Bürgermedaille d. Stadt Esslingen u. Heimatmedaille Baden-Württemberg (1994); Jubiläumsmünze in Gold d. Stadt Esslingen (1999); Daniel-Pfister-Preis des Geschichtsvereins Köngen (2000).
Verheiratet: 1951 (Tübingen) Ruth Elfriede, geb. Frick (geboren 1923)
Eltern: Vater: Albert Wilhelm (1892–1941), ev. Pfarrer, Oberkirchenrat
Mutter: Else Julia, geb. Krauß (1895–1975)
Geschwister: 2; Ursula Stephania Käthe (geboren 1919) u. Emma Johanna Dorothea (geboren 1922)
Kinder: 2; Andreas (geboren 1955) u. Frauke (geboren 1959)
GND-ID: GND/11851377X

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 49-51

Die schulische Ausbildung erhielt der Pfarrerssohn, ganz der württembergischen Tradition folgend, am Seminar in Schöntal, das von den Nationalsozialisten 1941 geschlossen wurde. Auf das Abitur am Eberhard-Ludwig-Gymnasium in Stuttgart 1941 folgten drei Jahre als Panzeroffizier und schließlich ab 1945 das Studium der ev. Theologie bzw. der Fächer Geschichte, Germanistik und der alten Sprachen in Tübingen. Geprägt worden ist Borst dort vor allem durch Rudolf Stadelmann (1902–1949), der ihm bei seinem Geschichtsverständnis ebenso als Vorbild diente wie der Basler Universalhistoriker Jacob Burckhardt (1818–1897) und Golo Mann (1909–1994). Mit Burckhardt teilte Borst die tiefe Skepsis gegenüber der Idealisierung des preußischen Machtstaates, ja des Nationalstaates überhaupt, mit Golo Mann die Überzeugung, dass Geschichte zwar wissenschaftlich, aber doch leicht verständlich geschrieben sein sollte.
Auf den Eintritt in den Schuldienst 1952 folgte zwei Jahre später die Promotion. Seit 1955 leitete Borst nebenamtlich das Stadtarchiv Esslingen, wo er die Leidenschaft für die Erforschung der alten Reichsstädte entwickelte. In einer ganzen Reihe von Aufsätzen hat Borst, immer in starkem Bezug auf Esslingen, die Kulturbedeutung der Reichsstädte herausgestellt und sich auch der Erforschung der Struktur des Alten Reiches zugewandt, womit er zu der Gruppe von Historikern gehörte, denen es nach dem II. Weltkrieg gelang, das Alte Reich als Instrument der Friedensordnung in bewusster Abgrenzung zur NS-„Machtübersteigerung“ vorangegangener Jahrzehnte herauszuarbeiten.
Borsts stadtgeschichtliche Forschungen zeigen ein überaus breites Spektrum an Fragestellungen und Methoden. Deutlich wird dies an seinem Werk über die Esslinger Pliensaubrücke, worin er sich gleichermaßen Fragen der Wirtschafts-, Verkehrs- und Stadtgeschichte zuwendet. Zudem schrieb Borst drei umfassende Stadtgeschichten, von Stuttgart, Esslingen und Nellingen.
Engagiert hat sich Borst auch für die sachgerechte Sanierung der Altstädte, wobei er Historiker, Architekten, Archäologen, Stadtsoziologen und Kommunalpolitiker zusammenführen wollte. Ihm lag daran, die jeweils eigene historische Identität der Stadt zu bewahren, darum wehrte er sich vehement gegen „Stadtsanierungen von der Stange“. Zugleich wollte er einer überbordenden Kommerzialisierung der Altstädte entgegenwirken. In dieser Hinsicht können die von ihm vorgelegten Materialien zur Sanierung der Esslinger Altstadt als vorbildlich angesehen werden.
Der Aktivität Borsts als Stadthistoriker ist schließlich 1961 der Zusammenschluss ehemaliger oberdeutscher Reichsstädte zur „Arbeitsgemeinschaft für reichsstädtische Geschichtsforschung, Denkmalpflege und bürgerschaftliche Bildung“ zu verdanken, aus der 1977 die Arbeitsgemeinschaft „Die alte Stadt“ hervorging, an deren Spitze Borst lange Jahre als Generalsekretär und Herausgeber der gleichnamigen, erstmals 1974 erschienenen Zeitschrift gestanden hat. In dieser Funktion hat er regelmäßig Tagungen organisiert, so 1967 in Ravensburg, wo die sog. Ravensburger Thesen als Vorschläge zur Erhaltung der Innenstädte vorgelegt wurden. Unmittelbar nach der Wiedervereinigung suchte Borst das Gespräch mit Stadtvertretern aus den neuen Bundesländern und lud wiederum nach Ravensburg zu einer gemeinsamen Arbeitstagung ein.
1971 wurde Borst an die PH Esslingen berufen, nach deren Schließung 1984 übernahm er den Lehrstuhl für Landesgeschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart, womit er an der „Schule des Schwabenlandes“ angekommen war, deren Geschichte er bereits einige Jahre zuvor anlässlich des hundertjährigen Gründungsjubiläums nachgezeichnet hatte.
Nicht zuletzt diese Berufung erweiterte die Fragestellung Borsts erneut. Sein Blick wandte sich nun über die Stadtgeschichte hinaus verstärkt der Landesgeschichte zu. Zu verweisen ist hier auf seine Geschichte Württembergs und die postum erschienene Geschichte Baden-Württembergs, die in vielerlei Hinsicht als eine Summe seiner Arbeiten verstanden werden kann. Borst hat die Gründung des Südweststaates leidenschaftlich begrüßt und sich mit dessen Geschichte identifiziert, bildete doch der südwestdeutsche Raum für ihn seit dem Mittelalter eine kulturhistorische Einheit, die beispielsweise im jüngeren schwäbischen Stammesherzogtum, im Schwäbischen Bund oder auch im Schwäbischen Reichskreis verkörpert wurde. Zerrissen wurde diese Einheit erst durch die Entscheidung des Jahres 1098 und die Trennung des schwäbischen Herzogtums in einen staufischen und einen zähringischen Machtbereich, dann die später einsetzende Territorialisierung.
Es fällt freilich auf, dass Borst die Geschichte des Südwestens immer aus dem spezifisch württembergischen Blickwinkel darstellt. Prägende Kräfte für dessen kulturelle Entwicklungen sind für ihn neben den Reichsstädten der württembergischen Pietismus und das daraus erwachsene Denken. So wendet sich Borst in seiner Geschichte Baden-Württembergs der Frage nach der speziell württembergischen Geisteshaltung zu und fragt nach den geistigen Kräften, die die Gestalt des Landes in der frühen Neuzeit, insbesondere dann aber im von starken Umbrüchen gekennzeichneten 19. Jahrhundert geprägt haben. Dagegen streift Borst die Geschichte der badischen Markgrafschaften oder der Kurpfalz und die der oberschwäbischen Prälatenklöster in seinen Forschungen nur randlich.
Dem Wissenschaftsorganisator Borst ist es zu verdanken, dass 1985 die sog. Stuttgarter Symposien ins Leben gerufen wurden, bei deren Konzeption er auch vor heiklen Themen nicht zurückschreckte: Gleich das erste Symposium beschäftigte sich mit der Entwicklung des Südweststaates im „Dritten Reich“. Ebenfalls ist es sein Verdienst, dass nach seiner Emeritierung der Lehrstuhl für Landesgeschichte an der Universität Stuttgart als Planstelle neu besetzt werden konnte. Von 1988 bis 1998 war Borst Präsident der Schwäbischen Gesellschaft und hat bis in sein letztes Lebensjahr an der Konzeption und Ausgestaltung des Hauses der Geschichte des Landes mitgewirkt, dessen Eröffnung 2002 er nicht mehr erleben durfte.
Quellen: StadtA Esslingen am Neckar, Nachlass Otto Borst.
Werke: Thomas Kärcher, Die Veröffentlichungen von Professor Dr. Otto Borst. Eine Bibliographie, 2001; Auswahlbibliographien in: „Esslingen“ Otto Borst, zusammengest. von Karla Rommel, in: Esslinger Studien Zs. 42, 2003, 13-24 u. in: Geschichte Baden-Württembergs. 3. Aufl. 2012, 447f. – Auswahl: Die Kulturbedeutung d. oberdt. Reichsstadt am Ende des alten Reiches, in: Bll. für dt. Landesgeschichte 100, 1964, 159-246; Zur Verfassung u. Staatlichkeit oberdt. Reichsstädte am Ende des alten Reiches, in: Esslinger Studien 10, 1964, 106-194; Die Esslinger Pliensaubrücke, 1971; Nellingen: Geschichte u. Gegenwart einer Fildergemeinde, 1971; Die Esslinger Altstadt. Materialien zu ihrer Erneuerung, 1972; Alte Städte in Württemberg, 2. Aufl. 1974; Buch u. Presse in Esslingen, 1975; Geschichte d. Stadt Esslingen am Neckar, 3. Aufl. 1978; Württemberg. Geschichte u. Gestalt eines Landes, 1978; Die Schule des Schwabenlandes. Geschichte d. Univ. Stuttgart, 1979; Die heimlichen Rebellen, 1980; Alltagsleben im Mittelalter, 1983; Babel oder Jerusalem?, 1984; Stuttgart. Die Geschichte d. Stadt, 3. durchges. u. erweit. Aufl. 1986; Dichtung u. Literatur, in: Das Dritte Reich in Baden u. Württemberg, 1988, 183-210, 313-316; Musik u. Kultur, ebd., 272-289 u. 315f.; Die Wissenschaften, ebd., 149-182 u. 304-313; Die Epoche u. ihre schwäbisch-alemannische Variante, in: Aufruhr u. Entsagung, Vormärz 1815–1848 in Baden u. Württemberg, 1992, 10-43 u. 445-450; Schwäb. Frühsozialisten, ebd., 147-169 u. 463-466; Mein Land hat kleine Städte, 1994; Geschichte Baden-Württembergs. Ein Lesebuch. 3. Aufl. 2012.
Nachweis: Bildnachweise: Univ. Stuttgart, Historisches Institut; Geschichte Baden-Württembergs, 3. Aufl. 2012, 449 (vgl. Werke).

Literatur: Hans Schultheiß (Hg.), Vergangenheit als Verantwortung. Otto Borst zum Fünfundsechzigsten, 1989; Helmut Böhme (Hg.), Die Erfindung d. „Alten Stadt“. Otto Borst zum Fünfundsiebzigsten, 1999; Alfred Jung (Hg.), Dona minima Esslingensia. Otto Borst zum 75. Geburtstag, 1999; Städtegeist – Otto Borst in memoriam, in: Die Alte Stadt 28, 2001, 265-269; Franz Quarthal, Zum Tode von Otto Borst, in: Schwäb. Heimat 52, 2001, 507f.; Rainer Jooß, Professor Otto Borst (1924–2001), in: Esslinger Studien Zs. 42, 2003, 7-12; Karlheinz Engelhard, Mit Leidenschaft für Geschichte u. Heimat – d. Historiker Otto Borst (1924–2001), in: ders.: Waldenburg, 2003, 515-517; Peter Adloff/Thomas Schnabel, Nachruf auf Otto Borst, in: Peter Voß, Radio u. Fernsehen wohin?, 7f.; Rainer Jooß, Otto Borst, in ZWLG64, 2005, 455-459; Franz Quarthal, Geleitw., in: Otto Borst, Geschichte Baden-Württembergs. 3. Aufl. 2012, 7-16.
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