Altig, Rudi 

Geburtsdatum/-ort: 18.03.1937;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 11.06.2016; Remagen
Beruf/Funktion:
  • Radrennfahrer
Kurzbiografie:

1943–1950 Volksschule in Hundszell bei Ingolstadt

1952–1960 Betriebselektriker bei Benz in Mannheim

1952 I 21–1959 Erstes Rennen, Amateur-Radrennfahrer

1960–1971 Berufsradrennfahrer

1972–1975 Bundestrainer der Amateure

1978–2011 Technischer Berater der Schauff-Fahrradwerke

1979–1995 Rennleiter diverser Amateurrennen, u. a. „Rund um den Henninger Turm“ in Frankfurt

1980–1998 TV-Experte bei verschiedenen Sendern, u. a. ARD 1995–2007

1981–1982 Technischer Direktor des französischen Puch-Profiteams

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Auszeichnungen: Sportler des Jahres und Silbernes Lorbeerblatt (1966); Bundesverdienstkreuz am Bande (1992); Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz (2010); Altig-Radrennbahn in Mannheim-Herzogenried (2012 ); Umbenennung d. Rhein-Ahr-Sporthalle in Sinzig in Rudi-Altig-Sporthalle und Altig-Weg in Mannheim (2017).
Verheiratet:

I. 1962 Christa, geb. 1941, gesch. 1973;

II. 1983 Monique, geb. 1952


Eltern:

Vater: Valentin (1913–1968)

Mutter: Christine, geb. Hemmeter (1905–1956)


Geschwister:

Willi (geb.1935)


Kinder:

3; aus I. Iris (geb.1962); aus II. Cindy (geb.1982) und Steven (geb.1986)

GND-ID: GND/118648454

Biografie: Klaus Schlütter (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 12-16

Viele deutsche Radrennfahrer haben Radsportgeschichte geschrieben. In den 1950er Jahren beherrschte Gustav-Adolf „Täve“ Schur, 1958 und 1959 Einzel-Weltmeister, die Szene; Didi Thurau fuhr 1977 bei der Tour de France 15 Tage im Gelben Trikot, wurde Vize-Weltmeister; Olaf Ludwig fuhr 1990 bei der Tour als Punktbester 18 Mal in Grün, nachdem er 1988 in Seoul Olympiasieger geworden war; Jan Ullrich gewann 1997 die Tour de France, war fünfmal Zweiter, Olympiasieger 2000 und zweimal Einzel-Weltmeister; Sprintspezialist Erik Zabel gewann zwischen 1996 und 2007 über 200 Straßenrennen, fuhr bei der Tour 81 Tage in Grün, entschied 12 Etappen für sich und sicherte sich in der Gesamtwertung sechsmal das Grüne Trikot. Sie alle – und noch einige mehr – waren zu ihrer Zeit sehr erfolgreich und berühmt. Aber keiner erreichte die Popularität von Altig, weil er nicht nur als Radsportler die Massen begeisterte, sondern mit seiner herzlichen Art viel von dem zurückgab, was er von seinen Fans erhalten hatte: Mal schenkte er einem kleinen Jungen seine Rennmütze, mal einem Behinderten sein Trikot. Er gab sich nicht nur, er war und blieb „volksnah“, trotz all seiner Erfolge.

Altig war 1961 aus seiner Heimatstadt in den Raum Köln gezogen, von wo er 1978 nach Bad Neuenahr und 1981 nach Sinzig kam. Bei der Trauerfeier in der Basilika von Sinzig lobte Kurt Beck, der damalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, den Verstorbenen als einen Menschen, „der Freundlichkeit und Ehrlichkeit in sich vereinte, der immer ansprechbar war, wenn es darum ging, etwas für andere zu tun.“ (radsport-news.com, 26.6.2016). Altigs soziales Engagement war umfangreich: für die „Aktion Sorgenkind“, den Hilfsfond „Nachbar in Not“ des Kreises Ahrweiler, die „Tour der Hoffnung“ oder beim von ihm selber ins Leben gerufenen jährlichen Charity-Golfturnier auf dem Golfplatz Köhlerhof, mit dem der dortige Golfverein bis zu Altigs Tod 27 Mio. € für soziale Zwecke zusammenbrachte.

Altigs Hilfsbereitschaft kam nicht von ungefähr. Schon das Kind Altig wusste, was mittellos zu sein bedeutet. Er war gerade fünf Jahre alt, als die Familie im II. Weltkrieg in Mannheim ausgebombt wurde und über eine Zwischenstation im Elsass bei den Großeltern in Hundszell bei Ingolstadt Zuflucht fand. „Wir waren so arm, ärmer ging`s nicht“, berichtet sein Bruder Willi darüber in „Monnem Bike“ vom 18.1.2017. Ostern 1949 fuhr Willi mit dem Fahrrad nach Mannheim zurück. Nach bestandener Eignungsprüfung arbeitete er bei Benz. Die Eltern hatten sich inzwischen getrennt, die Mutter kam nach. Ihr erstes Zuhause war nach Aussage von Altigs Bruder eine Souterrainwohnung in einem maroden Wohnhaus in der Kantstraße, wo die Familie untergebracht, wenn auch nicht gemeldet war. „Wenn es regnete, half nur ein Schirm über dem Bett“, so Willi Altig (in: „Monnem Bike“, 17.1.2017). Erst als die Familie 1950 eine andere Wohnung bekam, kehrte auch der jüngere Bruder in seine Geburtsstadt zurück. Er hatte die Volksschule 1943 bis 1950 in Bayern absolviert.

In Mannheim begann Altigs sportliche Laufbahn. Erst liebäugelte er mit dem Fußball, angeregt von seinem Bruder kam er zum Radsport und sein großes Talent zeigte sich rasch. Als knapp 15-jähriger gewann er sein erstes Querfeldeinrennen am 27. Januar 1952, ein Datum, das er nie vergaß. Drei Monate später wurde er Bezirksmeister der B-Jugend auf der Straße. Als Amateur im Trikot des RRC Endspurt Mannheim feierte er in den 1950er Jahren vor allem Bahnrad-Erfolge im Sprint, in der Einer- und Mannschafts-Verfolgung, aber auch auf der Straße. Bei einer Mannheimer Kreismeisterschaft auf dem Luzenberg war er schon so stark, dass er sich einen Scherz erlauben konnte: Gemeinsam mit seinem Vereinskameraden Hans Mangold fuhr er einen Vorsprung heraus, der beiden erlaubte, Arm in Arm millimetergenau Rad an Rad über die Ziellinie zu fahren. Die Sitten waren streng zu jener Zeit: beide wurden wegen „nicht Wahrnehmens ihrer Chancen“ disqualifiziert; Meister wurde Willi Altig, Spurtsieger des Hauptfelds.

Die Episode änderte nichts am innigen Verhältnis der Brüder. „Im Training sind wir zwar unerbittlich gegeneinander gefahren, aber wenn es Probleme gab, haben wir sie immer gemeinsam gelöst.“ (Willi Altig zum Autor am 8.11.2017 in Mannheim). Der frühe Tod ihrer Mutter bei einem Autounfall 1956 schweißte sie noch mehr zusammen. Besonders tragisch: Willi Altig saß am Steuer des Unglückswagens, der bei Pforzheim von einer Windböe erfasst und auf regennasser Autobahn ins Schleudern geriet. Die Mutter war sofort tot.

Auch Vergessen suchten die Brüder im Radsport, den sie nun immer intensiver betrieben. Wegen ihres Ehrgeizes und wegen ihrer Kampfkraft wurden sie in ihren Kreisen bald „die Ochsen“ genannt. Die Erfolge mehrten sich. 1959 erregte Altig großes Aufsehen, als er sich in Amsterdam durch einen Yoga-Kopfstand auf den WM-Endlauf in der 4000 m Einzelverfolgung vorbereitete. Wegen seiner Bandscheibenprobleme hatte ihm Trainer Karl Ziegler (geb. 1919), der als Entdecker der Altig-Brüder gilt, dazu geraten. Das war neu, und dann wurde der Deutsche auch noch Weltmeister! Er führte klar im Duell mit dem Italiener Mario Valotto, als ihm in der letzten Runde ein Reifen platzte. Aufgrund seines großen Vorsprungs sprachen ihm die Juroren trotzdem den Titel zu.

Mentor Ziegler empfahl den „Altig-Brothers“ 1960 den Wechsel zu den Profis. In dem Jahr in Leipzig und 1961 in Zürich sicherte sich Altig über 5000 m zwei weitere WM-Titel auf der Bahn.

Als Profis stiegen die Altigs auch ins lukrative Sechstage-Geschäft ein. Das Gespann aus dem temperamentvollen Siegertypen Altig und dem eher kühlen Strategen Willi war fast unschlagbar. Gemeinsam oder auch mit wechselnden Partnern, Rik van Steenbergen (1924–2003) oder Siggi Renz (geb. 1938), bestritt Altig 75 Rennen, wovon er 23 gewann. Vorrang hatte aber nun die Straße. Den ersten Vertrag für Straßenrennen unterschieben sie 1962 bei der renommierten Equipe von St. Raphael-Helyett in Frankreich. Altigs sehnlichster Wunsch war es, sich einmal in die Siegerliste einer der Klassiker einzutragen, nämlich Mailand – San Remo, Paris – Roubaix oder Paris – Brüssel. Doch da musste er erst dazulernen. Die Taktik bei Bahnrennen war stets, vom Startschuss bis ins Ziel ein unglaubliches Tempo vorzulegen. Die Rennaufteilung bei mehr als 100 km langen Straßenrennen war naturgemäß anders: sich nicht verausgaben, um im Spurt noch entscheidend eingreifen zu können.

Altig lernte schnell und trainierte verbissen. Gemäß seinem Wahlspruch: „Je mehr man im Leben erreichen möchte, desto mehr muss man dafür tun.“ Noch im selben Jahr wurde Altig für die „Vuelta“, die Spanien-Rundfahrt, nominiert. Laut Mannschaftsorder sollte er seine Kraft in den Dienst von Jaques Anquetil stellen, der schon zweimal die Tour de France und einmal den Giro d‘ Italia gewonnen hatte. Voller Selbstbewusstsein kannte Altig keinen Respekt. Bereits auf der zweiten Etappe gewann er den Sprint und führte in der Gesamtwertung. Star Anquetil kam fast eine Viertelstunde später mit dem Hauptfeld ins Ziel. Altig entschied auch das Zeitfahren für sich, der Neo-Profi deklassierte Anquetil selbst auf einer Bergetappe. Völlig demoralisiert verließ der Mannschaftskapitän die Vuelta am vorletzten Tag, angeblich wegen Gastritis. Der große Sieger hieß Altig. Wenige Wochen später, beim Beginn der Tour de France. hatten sich Anquetil und Altig versöhnt und ergänzten sich im Rennen prächtig. Altig gewann die erste Etappe in einem furiosen Schlussspurt und präsentierte sich gleich im Gelben Trikot. Doch für die Bergetappen war er nicht geschaffen. Ihm war klar: „Für einen guten Bergfahrer sind meine Beine zu kurz“ (Altig 1962 bei der Tour). Dafür war Altig mit seinem Kampfgewicht von 75 kg der geborene Sprinter. Das Grüne Trikot des Punktbesten war sein Ziel, das er am Ende auch überstreifen durfte. Auf der neunten Etappe riss die Gabel. Trotz dieses Handicaps gelang es ihm auf dem holprigen Pflaster, die letzten 10 km ohne Unfall und Zeitverlust zu beenden. Dafür erhielt er den Beinamen „Sacré Rudi“ und wurde auch in Frankreich zum Star, dem seine zahlreichen lukrativen Bahnverträge finanziell weiterhalfen.

Mit draufgängerischer Fahrweise und leutseliger Art begeisterte er die Massen. Im Nu wurde Altig zum Publikumsliebling, wofür ihn Anquetil bewunderte: „Ich beneide dich um deine Natur. Ich kann keine Kusshändchen und Blumensträuße in die Menge werfen, kann die Zuschauer nicht anlachen, selbst wenn ich glücklich und zufrieden bin. Du kannst es, darum lieben sie dich.“ (FAZ, 5.7.2001).

Im folgenden Jahr konnte Altig das Grüne Trikot nicht verteidigen. Ein Schlüsselbeinbruch nach einem Sturz auf einer Pariser Hoteltreppe verhinderte seinen Start. 1964 kehrte der Erfolg zurück. Dem wertvollen Sieg bei der Flandern-Rundfahrt folgten bei der Tour drei Tage in Gelb und der 15. Rang im Endklassement. Ganz oben auf dem Treppchen stand nach der Zeitfahr-Halbetappe über 27,5 km Jaques Anquetil. 1966 war Altigs erfolgreichstes Jahr. Er feierte zwei Etappensiege beim Giro und drei bei der Tour, trug neun Tage das Gelbe Trikot und war am Ende Zwölfter. Sowohl die Toscana- als auch die Piemont-Rundfahrt beendete er als Sieger.

Das erfolgreichste Jahr krönte Altig bei der Weltmeisterschaft auf dem Nürburgring. Mehr als 100 000 Zuschauer beobachteten den schweren Eifel-Kurs. Das Einzelrennen der Profis ging über die Distanz von 273,72 km; von 74 kamen nur 22 ins Ziel. Gegen Ende des Rennens hatte sich eine 7-köpfige Spitzengruppe gebildet, darunter die französischen Mitfavoriten Raymond Poulidor, Jacques Anquetil und der Italiener Felice Gimondi. Für den Belgier Eddy Merckx und den Briten Tim Simpson, ebenfalls im Kreis der Titelanwärter, endete damit der WM-Traum. Altig hatte vor der letzten Runde einen beachtlichen Rückstand. Die Entscheidung schien zwischen Anquetil und Poulidor zu fallen. Doch wider Erwarten kämpfte der Mannheimer sich an die Spitzengruppe heran. Mit einem gewaltigen Endspurt überholte er auf den letzten Metern die beiden französischen Stars und gewann das Regenbogentrikot des Weltmeisters: eine Glanzleistung, für Altig die wichtigste überhaupt! Mit diesem Erfolg stand er endgültig in der ersten Reihe der deutschen Sportstars.

Nach dem Rennen gab es Ärger. Anquetil kam aus gekränkter Eitelkeit nicht zur Siegerehrung und erhielt dafür eine Geldstrafe. Altig kehrte ins Hotel zurück, ohne – wie alle sechs Erstplatzierten! – die für den Dopingtest notwendige Urinprobe abgegeben zu haben. Der Weltverband UCI sperrte alle sechs Fahrer, machte die Sperren später jedoch wieder rückgängig, wohl aus Furcht, von diversen Rennorganisatoren auf Schadenersatz verklagt zu werden.

1967 gewann Altig zwei Etappen des Giro d`Italia. 1968 den Klassiker Mailand – San Remo, nach eigenem Bekunden sein schönster Sieg überhaupt. 1969 schlüpfte er bei der Tour de France nochmal für zwei Tage ins Gelbe Trikot, doch dann platzte eine Doping-Bombe. Altig wurde die Einnahme von Amphetaminen nachgewiesen. Zwar wurde immer schon gedopt, aber damals wollte kaum jemand etwas davon wissen. „Pharmazeutischer Treibstoff“ bildete im internationalen Radsport von jeher die „Normalität“. „Die Ehrfurcht vor den gigantischen Leistungen der Pedaleure war stärker als jeder Vorwurf, sie missbrauchten Medikamente“ (FAZ, 20.3.2007). Altigs spätes Bekenntnis: „Ich habe Pillen geschluckt wie alle anderen auch. Aber in Absprache mit meinem Arzt, nie unkontrolliert.“ (Bild-Zeitung, 18.3.1997)

1969 hatte er noch wortreich das Gegenteil versichert:„Wir haben gut trainiert, viel geschlafen und gut gegessen. Doping ist, wenn man Blut panscht.“ (dpa, 11.6.2016). Doch alle Erklärungen halfen nichts. Altig ging sogar als „fahrende Apotheke“ in die Annalen der Tour-Berichterstattung ein: „Der Kontrolleur fragte mich, was ich genommen hatte. Ich diktierte ihm alle Medikamente, die mir einfielen –20 Minuten lang. Der hat den Zettel gleich einem Journalisten gegeben. So ist das Wort in die Welt gekommen.“ (Klaus Tödt-Rübel, in: Tour-Magazin, Heft 3, 18.3.2007). Tourarzt Dr. Pierre Dumas fand zwei Drogen und Spuren weiterer Aufputschmittel, was bei der Gegenanalyse im Laboratorium für Toxikologie in Gent bestätigt wurde.

1970 wurde Altig nochmal Deutscher Straßenmeister. Der Publikumsliebling ließ viele zur Strecke pilgern. Nach 70 km riss Altig aus und rettete völlig erschöpft 45 Sekunden seines Vorsprungs ins Ziel. 1972 beendete Altig dann seine Laufbahn als Radrennfahrer beim Sechstagerennen in Münster. „Ich hatte mir immer vorgenommen, mit 35 aufzuhören. Das ist mir gelungen“ (radsport-news, 18.3.2002). Er war vier mal Weltmeister, dreimal auf der Bahn, einmal auf der Straße, fuhr bei der Tour de France 18 Tage im Gelben Trikot, gewann die Spanien-Rundfahrt und zahlreiche Klassiker. 13 Mal war er Deutscher Meister, sein Bruder Willi fünf Mal. Auch dieser hörte damals auf und hat seit 1969 in Mannheim ein Fahrrad-Fachgeschäft mit heute 300 qm Fläche und sechs Mitarbeitern.

Ein Jahr später wurde Altig Bundestrainer der Amateure, blieb dabei jedoch erfolglos, was auch damit zu tun hat, dass er stets sein Herz auf der Zunge trug. Das kam nicht immer gut an; es fehlten aber auch Fahrer seiner Qualität. Überliefert ist dazu eine Anekdote vom Trainingslager für die Olympischen Spiele 1972 in München. Altig begleitete den Straßenvierer auf einer Trainingsfahrt. Nach seinem Geschmack waren die Jungs viel zu langsam unterwegs. Er stoppte sein Begleitfahrzeug, holte ein Ersatzrad vom Dach und fegte selber los. Immer noch gut durchtrainiert wollte er seinen Schützlingen zeigen, wie es geht. Tatsächlich überholte er den Vierer, der mit ständig wechselnder Führung und Windschattenfahren klar im Vorteil war.

Nach drei mageren Jahren war Schluss bei den Amateuren. Zwischen 1980 und 1995 coachte Altig die deutschen WM-Profis, war Rennleiter und immer wieder streitbarer Experte mit kernigen Sprüchen im Fernsehen: „Grenoble ist ja auch weltberühmt für seine Nüsse, also Walnüsse, nicht dass ich jetzt falsch verstanden werde.“ (ARD, 23.7.2004). Aber seine Anekdoten und Analysen waren nicht nur amüsant und seine Mit-Moderatoren zuckten zusammen bei einer Übertragung von der Tour 1998. Als das halbe Peleton mit Spritzen und Kanülen aufflog und die Tour mit prominenten Dopern wie Lance Armstrong und Jan Ullrich zur Farce geriet, regte Altig in der ARD die Freigabe von Doping an. Damit machte er sich keine Freunde; er verlor nicht nur seinen TVJob, bei der WM 2007 in Stuttgart galt Altig sogar als unerwünschte Person. Seiner Popularität tat das keinen Abbruch.

War die eigene Doping-Vergangenheit schuld am schweren Magenleiden, das 1994 operiert wurde, wollte ein Rad-Journalist wissen? Jacques Anquetil war 1987 an Magenkrebs gestorben, der auf die Substanzen zurückzuführen sein könnte, die er jahrelang geschluckt hatte. Altig über seine Diagnose: „… man [hat] mir den ganzen Magen entfernt. Das Geschwür lag so ungünstig, dass es nicht anders ging. Aber ich habe nicht einen Moment daran gedacht, dass das Doping bei mir der Auslöser für den Krebs gewesen sein könnte.“ (Tour Magazin, 18.3.2007). Auch ohne Magen fuhr Altig weiter viel Rad, 2000 bis 3000 km im Jahr. Er machte Yoga, spielte Golf, seine neue Leidenschaft, mochte Austern, Sauerbraten und Rotwein. Aber er war schmal geworden, wog nur noch 59 kg. Wenige Tage vor seinem 75. Geburtstag erklärte er nach einer Untersuchung in der Uni-Klinik Freiburg noch, es sei alles prima. Keine drei Monate später erlag er in Remagen dem Pankreas-Krebs. Der unermüdliche Kämpfer auf den zwei Rädern hatte seinen letzten Kampf verloren, 50 Jahre nach seinem größten Sieg, nach über einer Million Radkilometern. Zu den Gästen bei der Trauerfeier am 24. Juni in der katholischen Pfarrkirche St. Peter in Sinzig, wohin er 1981 umgezogen war, gehörten neben Familie und Freunden zahlreiche Persönlichkeiten aus Sport, Politik und Gesellschaft, darunter Henry Maske, Sven Ottke, René Weller, Heiner Brand und Ulrike Meyfarth. Nach der Einäscherung wurde die Urne im engsten Familienkreis in der Schweiz, der Heimat seiner zweiten Frau, beigesetzt.

Werke: Die goldenen Speichen, 1967; Die 10 erfolgreichsten Schritte, 1986; (mit Karl Link) Optimale Radsport-Technik I und II, 1993.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (ca. 1959) S. 5, Besitz des Bruders Willi Altig, Mannheim.

Literatur:

(Auswahl) Sigmund Durst, Rudi Altig, 1960; Werner Schorch, Der radfahrende Athlet, 1974; dpa, Ab und zu ein Rotwein, zum 65. Geburtstag von Rudi Altig, Meldung vom 18.3.2002; Klaus Tödt-Rübel, Interview mit Altig, in: radsport-news.com und Tour Magazin, Heft 3, 2007; Eva Simeoni, Rudi Altig war ein Bauernopfer, in: FAZ vom 20.3.2007; SWR Archiv, Die 100 größten Rheinland-Pfälzer, Sendung vom 15.8.2007; dpa, Alles prima, zum 75.Geburtstag von Rudi Altig, Meldung vom 18.3.2012; Stefan Tabeling, dpa, An Krebs gestorben, Meldung vom 11.6.2016; Spiegel-Online, Radsport-Legende ist tot, Meldung vom 11.6.2016; Zeit-Online, Rad-Legende ist tot, Meldung vom 11.6.2016; Peter Burghardt, Husar auf zwei Rädern, Süddeutsche.de, Meldung vom 12.6.2016; radsport-news.com, Ein letzter Applaus, Meldung vom 26.6.2016; Willi Altig, Der Erfolg hat zwei Namen, in: Monnem-Bike`s Stories vom 18.1.2017; auf Cycling4Fans.de, Biographie Rudi Altig, abgerufen am 12.11.2017.

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