Boehmer, Gustav 

Geburtsdatum/-ort: 07.04.1881; Körlin bei Kolberg/Pommern
Sterbedatum/-ort: 22.11.1969;  Kirchzarten bei Freiburg
Beruf/Funktion:
  • Zivilrechtslehrer
Kurzbiografie: 1899 Abitur Stargard/Pommern
1899-1902 Studium der Rechte in Greifswald und Heidelberg
1902 Erste juristische Staatsprüfung
1907 Promotion zum Dr. jur., Greifswald
1908 Zweite juristische Staatsprüfung
1909 Habilitation in Greifswald („Der Erfüllungswille“, München 1910)
1913 außerordentlicher Prof. in Neuchâtel/Schweiz
1914-1918 Kriegsdienst
1919 außerordentlicher Prof. in Halle/Saale
1920 ordentlicher Prof. in Halle/Saale
1934 ordentlicher Prof. in Frankfurt
1935 ordentlicher Prof. in Marburg
1941 ordentlicher Prof. in Freiburg i. Br.
1957 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1966 Dr. h. c. (Staatswissenschaften) der Universität Marburg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1939 Charlotte, geb. Slevogt
Eltern: Vater: Felix Boehmer, Geheimer Justizrat
Mutter: Antonie, geb. Bachmann
Kinder: 1 Adoptivtochter
GND-ID: GND/118660721

Biografie: Karl F. Kreuzer (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 1 (1982), 70-71

Boehmers Wirken als Forscher und Hochschullehrer umspannte nahezu zwei Lebensalter. In diesem langen Zeitraum hat die deutsche Zivilrechtswissenschaft umwälzende Veränderungen erfahren, die auch auf das Schaffen Boehmers nicht ohne Einfluß geblieben sind. Seine ersten Arbeiten gehören in die sogenannte exegetische Periode, d. h. die Phase der wissenschaftlich-systematischen Erfassung des 1900 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Wirtschaftliche und soziale Folgen des ersten Weltkrieges, persönliche Auslandserfahrungen sowie die Neigung, den historisch-philosophischen Grundlagen des Rechts nachzugehen, lenkten Boehmer zu einem breiteren methodischen Ansatz: Die philosophischen, historischen und rechtsvergleichenden Dimensionen bereicherten die streng-dogmatische Fragestellung und führten Boehmer zu einer vertieften Problemerfassung. Sein Werk verbindet so die dogmatische Darstellung mit rechtspolitischer, auf Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung gestützter Kritik zu einer fruchtbaren Einheit.
Das umfangreiche Werk Boehmers behandelt neben rechtsphilosophischen und geschichtlichen Fragen vor allem Probleme des bürgerlichen Rechts in dessen gesamter Breite. Von den allgemeinen selbständigen Schriften sind hier neben der kurzen, aber einflußreichen Habilitationsschrift zunächst die dreibändigen „Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung“ besonders hervorzuheben (Tübingen 1950, 1951, 1952). Der gewählte Titel kennzeichnet treffend eines seiner Hauptarbeitsgebiete. Die über den deutschen Rechtskreis hinausreichende Bedeutung dieses Alterswerks zeigt sich in den ausländischen Rezensionen, vor allem aber in der von José Puig Brutau besorgten und annotierten spanischen Übersetzung des letzten Teilbandes (El derecho a través de la jurisprudencia. Su aplicación y creación. Barcelona 1959). In diesem Zusammenhang ist ferner die auch im Ausland beachtete, insgesamt in drei Auflagen erschienene, von ungezählten Jurastudenten gelesene „Einführung in das bürgerliche Recht“ zu nennen.
Neben den „Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung“ steht das Familien- und Erbrecht, die von ihm sog. „Ordnung des Familienlebens“ im Mittelpunkt von Boehmers Lebenswerk.
Aus den über 50 familienrechtlichen Arbeiten zum persönlichen Eherecht (insbesondere zur Ehestörungsklage und zur Gleichberechtigung der Frau), zum Ehe- bzw. Familienwirtschaftsrecht (Haushaltsgeschäfte, Familienunterhalt, Ehegüterrecht) und zum Kindschaftsrecht können hier nur zwei besonders wichtige Monographien genannt werden: „Die Rechtsstellung des Stiefkindes nach heutigem und künftigem Recht“ (München 1941) und die von Franz Wieacker als bedeutende Gesamtkonzeption bezeichnete Schrift „Die Vermögensverfassung des deutschen 'Hauses'. Umblick und Ausblick“ (München 1943). In diesen beiden Beiträgen kommt ein Hauptanliegen Boehmers zum Ausdruck: Er verwirft die ursprünglich im BGB kodifizierte Auffassung, die in der Familie nur eine Summe wechselseitiger interindividueller Rechte und Pflichten sieht. Statt dessen stellt sich die Familie für Boehmer als eine lebendige Gemeinschaft dar, die die Ordnung des „Hauses“, d. h. der Kleinfamilie, zu bestimmen hat. Die aus dieser Konzeption abgeleiteten rechtspolitischen Gedanken haben sich in ihren Grundzügen auf vielfältige Weise in der Reform des deutschen Ehe- bzw. Familienwirtschaftsrecht niedergeschlagen. Auf dem Gebiet des Erbrechts hat Boehmer eine Reihe hervorragender Schriften sowohl zum geltenden Recht wie zu Fragen der Rechtsreform vorgelegt. Hervorzuheben sind hier vor allem: „Erbfolge und Erbenhaftung“ (Halle 1927); die umfassend historisch und rechtsvergleichend angelegte Einleitung zum Erbrecht im Staudingerschen Kommentar zum BGB (München 10. Auflage, 1937, Berlin 11. Auflage 1954); die grundsätzlichen, mit einem Gesetzentwurf versehenen „Vorschläge zur Neuordnung der gesetzlichen Erbfolge“ (Berlin 1938) und die rechtsvergleichend abgestützten Anregungen zur Reform des Pflichtteilrechts (Archiv für die civilistische Praxis 1938, 32 ff. und 249 ff.). Boehmers rechtspolitische erbrechtliche Arbeiten dürften bei der in der Bundesrepublik Deutschland anstehenden Reform dieses Rechtsgebiets eine wichtige Rolle spielen.
Boehmer war ein beliebter Lehrer. Seine allzeit – auch unter der nationalsozialistischen Herrschaft – kritischen, temperamentvollen und humorgewürzten Vorlesungen aus dem gesamten Bereich des bürgerlichen Rechts, die er bis ins hohe Alter von 85 Jahren halten konnte, zogen Hörer aller Fakultäten an. Diese Anerkennung in der Studentenschaft fand ihren deutlichen Ausdruck in Fackelzügen der Freiburger Jurastudenten zum 70., 75. und 80. Geburtstag Boehmers.
Über die eingangs verzeichneten offiziellen Ehrungen hinaus erfuhr Boehmer eine Fülle von Würdigungen durch seine Fachkollegen. Ausdruck dieser Hochschätzung sind insbesondere die ihm zum 70. Geburtstag gewidmete Festschrift (Bonn 1954) sowie die drei Hefte der „Zeitschrift für das gesamte Familienrecht“, die zu seinen Ehren erschienen sind (Hefte 4/1961, 5/1966, 12/1969).
Boehmer war einer der hervorragendsten deutschen Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Sein Lebenswerk ist gekennzeichnet durch die Verknüpfung von scharfsinniger dogmatischer Darstellung mit rechtspolitischer Kritik, die sich auf rechtsgeschichtliche und rechtsvergleichende Argumente stützt. Mit brillanter Intelligenz verband sich die Liebe zu Wahrheit und Gerechtigkeit: Pectus facit jurisconsultum (C. von Savigny).
Werke: Insgesamt 130 monographische und andere Schriften in der Zeit von 1907-1965 (1970). Vollständiges Verzeichnis der Schriften in: Gustav Boehmer, Zur Entwicklung und Reform des deutschen Familien- und Erbrechts. Ausgewählte Schriften. Herausgegeben von K. F. Kreuzer, 1970, II., 479-493 (bearbeitet von K. F. Kreuzer).
Nachweis: Bildnachweise: Foto in: G. Boehmer, Zur Entwicklung und Reform des deutschen Familien- und Erbrechts. Ausgewählte Schriften. Herausgegeben von K. F. Kreuzer, 1970, II.

Literatur: S. Werkverzeichnis, Einleitung des Hrg. ebda, mit Nachweisen (XIIf.).
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