Bringolf, Walther Hans 

Geburtsdatum/-ort: 01.08.1895;  Lörrach
Sterbedatum/-ort: 24.03.1981; Schaffhausen
Beruf/Funktion:
  • Redakteur, Schweizerischer Nationalrat-SP, Stadtpräsident von Schaffhausen
Kurzbiografie: 1918 Zentralpräsident des schweizerischen Soldatenbundes
1919 Eintritt in die Sozialdemokratische Partei, SP
1920 Teilnahme am II. Weltkongress d. Komintern in Moskau
1921 Übertritt zur KP
1922–1932 Redakteur d. kommunistischen Arbeiter-Zeitung in Schaffhausen
1924 Wahl in den Stadt- u. Kantonsrat Schaffhausen
1925–1971 Mitglied d. Schweizer Nationalrates
1930 Konflikte mit Moskau, Bringolf lehnt die ultralinke Politik d. Komintern ab, Ausschluss aus d. KP, Wechsel zur Kommunistischen Partei-Opposition, KPO
1932–1968 Stadtpräsident von Schaffhausen
1935 KPO geht in d. SP auf
1940 Mitbegründer d. Aktion nationaler Widerstand
1952–1962 Präsident d. SP Schweiz
1959 Niederlage als Bundesratskandidat wegen KP-Vergangenheit
1961–1962 Präsident des Nationalrates
1980 Präsident d. internationalen Bachgesellschaft
Weitere Angaben zur Person: Religion: konfessionslos
Auszeichnungen: Ehrungen: Ehrenmitglied d. Wilhelm-Busch-Gesellschaft (1950); Hans-Georg-Nägeli-Medaille für bedeutende Verdienste auf dem Gebiet d. Musik (1962); Ehrenbürger d. Stadt Schaffhausen (1965); Ehrenpräsident d. Sozialdemokratischen Internationalen (1976)
Verheiratet: 1932 (Schaffhausen) Margarita, geb. Wildberger (verst. 1949)
Eltern: Vater: Johann Heinrich Conrad (1859–1918), Silberarbeiter
Mutter: Verena, geb. Häussler (1865–1949)
Geschwister: 5; Elfriede (geboren 1888), Ernst (1889–1954), Ottilie (1891–1970), Johann Otto (1899–1954) u. Martha Verena (geboren 1906)
Kinder: keine
GND-ID: GND/118674145

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 49-53

Bringolf gehört ohne Zweifel zu den herausragenden Persönlichkeiten in der Geschichte des Kantons Schaffhausen. Über ein halbes Jahrhundert hat er dessen Geschicke mitgeprägt, genauso wie er zu den führenden Schweizer Sozialdemokraten im 20. Jahrhundert zählt. Dabei lässt Bringolfs Leben eine Vielzahl von Brüchen und scheinbar widersprüchlichen Entwicklungen erkennen. Bringolf polarisierte: die Einen verehrten ihn, bei Anderen erregte er leidenschaftliche Ablehnung. Auch wenn er ein politisches Lebensziel nicht erreichte, die Wahl in den Schweizerischen Bundesrat, gehörte Bringolf, während zehn Jahren Vorsitzender der Schweizer Sozialdemokraten, zu den Schwergewichten in der Schweizer Bundespolitik. Mit der Wahl zum Präsidenten des Nationalrates erreichte er schließlich das höchste Amt der Eidgenossenschaft.
Bringolfs Lebensweg begann in Lörrach in durchaus ärmlichen Verhältnissen. Der Vater, ursprünglich Silberarbeiter, erlitt eine Berufskrankheit, worauf er als Nachtwächter für einen Basler Chemiekonzern arbeitete. Auch bei dieser Tätigkeit atmete er wiederholt das Giftgas Phosgen ein, was letztlich zum Verlust eines Lungenflügels führte, so dass die Mutter, eine gebürtige Württembergerin aus Laufen/Kreis Balingen, als Reinigungskraft für den Unterhalt der Familie sorgen musste. Die Familie siedelte 1901 von Lörrach nach Schaffhausen, der Heimatstadt von Bringolfs Vater, wo dieser auf Armenunterstützung angewiesen war.
Wegen der finanziell beengten Verhältnisse blieb Bringolf dann die höhere Schulbildung in Schaffhausen verwehrt. Nach einer Lehre als Maurer besuchte er das Staatstechnikum in Winterthur, das er fehlender Mittel wegen abbrechen musste. Der I. Weltkrieg brachte die Einberufung zur Landesverteidigung: Zwar wurde er aufgrund seiner Befähigung von einem Vorgesetzten für die Offizierslaufbahn vorgeschlagen, was jedoch aufgrund des angeblich schlechten Rufes der Familie versagt wurde. Diese Erfahrung führte u.a. dazu, dass Bringolf im Oktober 1917 seine Kameraden im Schaffhauser Soldatenverein sammelte, dessen Ziel es war, die Rechte der Mannschaftsgrade zu schützen, und notfalls auch Beschwerden gegen Offiziere durchzusetzen. Aus dem Schaffhauser Soldatenverein ging der Schweizerische Soldatenbund mit Bringolf an der Spitze hervor.
Bringolfs eigentliches politisches Engagement setzte 1919 ein. Damals trat er in die Sozialdemokratische Partei ein. Bald kam es zu Konflikten über die Frage des Beitritts zur III. Internationalen. Bringolf war dafür und mit der Mehrheit der Schaffhauser Sozialdemokraten wechselte er zu den Kommunisten. Damit nahm Schaffhausen eine Sonderstellung ein. Während die Kommunisten in der Schweizer Arbeiterschaft unbedeutend blieben, dominierten sie zeitweise in Schaffhausen.
Innerhalb seiner Partei entwickelte sich Bringolf in Schaffhausen zu einer der führenden Persönlichkeiten. Dabei ging er, der seit 1921 auch Redakteur der „Arbeiterzeitung“ war, reichlich entschlossen vor, ja scheute sich nicht, ältere Genossen aus der Partei zu drängen. Seit Mitte der 1920er- Jahre erzielte er Wahlerfolge: 1924 wurde er in den Großen Stadtrat gewählt, kurz darauf in den Kantonsrat bzw. in den Nationalrat. Es zeigte sich, wie Bringolf in Parlament und Öffentlichkeit eine Doppelstrategie verfolgte. Bei Arbeitskämpfen etwa ging er recht aggressiv vor, in der parlamentarischen Arbeit trat er dagegen gemäßigt auf. Erwartungsgemäß wandte Bringolf sich vor allem sozialen Anliegen zu, der Förderung des sozialen Wohnungsbaus zumal. Mit kommunalen Zuschüssen suchte er die Mieten für Arbeiterfamilien zu senken. Er wies auch auf unhygienische Zustände in Altstadtwohnungen hin, um diesen Missständen abzuhelfen. Große Aufmerksamkeit widmete er den Arbeitslosen, für die er neue Hilfskassen anregte und bestehende stärker subventionieren wollte. Vor allem kämpfte Bringolf aber gegen die Quarzstaub-, auch Sandlunge, die seit etwa 1925 zumal bei Arbeitern der Georg Fischer AG in Schaffhausen auftrat, wenn sie mit Hochdruckgeräten und Quarzsand frisch gegossene Stücke zu reinigen hatten. Der feinkörnige Sand setzte sich in der Lunge fest, schwächte den Organismus, mündete häufig in Tuberkulose und wirkte oft tödlich. Dennoch leitete die Firma Georg Fischer, GF, keine Maßnahmen zum Schutz ihrer Arbeiter ein. Auch die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt erkannte die Quarzlunge damals nicht als Berufskrankheit an, kam also nicht für Kosten auf. Da griff Bringolf in vielen Zeitungsartikeln und Motionen im Kantons- und Nationalrat diese Missstände auf. Zusammen mit zwei Ärzten des Schaffhauser Kantonsspitals konnte er schließlich durchsetzen, dass die GF den technischen und hygienischen Schutz verbesserte. Die betroffenen Arbeiter wurden nun regelmäßig untersucht und maximal ein Jahr als Quarzstrahler eingesetzt. Schließlich konnte Bringolf auch erreichen, dass die Unfallversicherungsanstalt Schäden durch Quarzsand anerkannte, was auch Arbeitern in Steinbrüchen und Minen zugute kam.
Das Jahr 1930 leitete eine große Krise im Leben Bringolfs ein. Die Stalinisierung der KP traf innerhalb der Schaffhauser Sektion auf Widerstand, bis sie aus der Partei ausschied. Bringolf ließ hier anfangs eine zögerliche Haltung erkennen. Nach Moskau einbestellt vertrat er kurzfristig noch einmal die von dort vorgegebene Linie. Dann aber brach auch er aus der KP aus und in Schaffhausen konstituierte sich unter seiner Führung die Kommunistische Parteiopposition, KPO, die 1935 in der SP aufging.
Überraschenderweise gelang es Bringolf 1931 sein Nationalratsmandat zu verteidigen, obwohl damals wegen einer Wahlrechtsreform die Zahl der Schaffhauser Mandate von drei auf zwei abnahm. Für die bürgerliche Seite wohl noch erschreckender war 1932 die Wahl des „Exkommunisten“ Bringolf zum Schaffhauser Stadtpräsidenten. Der überwiegend bürgerliche Stadtrat, was etwa dem Magistrat in Deutschland entspricht, hat ihn hier freilich deutlich eingeschränkt. Insgesamt stand Bringolf 36 Jahre an der Spitze der Stadt Schaffhausen; noch in seiner aktiven Zeit wurde von der „Ära Bringolf“ gesprochen.
In den 1930er-Jahren bemühte sich der junge Stadtpräsident vor allem um Belebung durch Investitionen: er ließ das Allerheiligen-Münster restaurieren und sorgte dafür, dass das Allerheiligenmuseum zum Heimat- und Kunstmuseum wurde. Um die gleiche Zeit ließ er den Gerberbach eindecken und den Rhein-Ufer-Kanal bauen. Eine Herausforderung besonderer Art für Bringolf ergab sich am 1. April 1944. Die Amerikaner hatten die Stadt versehentlich bombardiert, 45 Brandherde loderten. Bringolf leitete persönlich die Löscharbeiten und sorgte dann für den Wiederaufbau. Die Schaffhauser Mappe von 1995 stellte bei seinem Rücktritt eine eindrucksvolle Liste zusammen: Großbauten am Rhein, eine Kläranlage, ein neues Kraftwerk, das Herblinger Tal wurde zu einem Industriegelände umgestaltet, ein neues Güterbahnhofareal konzipiert. Auf kulturellem Sektor wird das neue Stadttheater erwähnt, die Bach-Feste sowie die großen Kunstausstellungen und die 900-Jahr-Feier der Stadt. Hier klingt an, dass Bringolf ein hervorragender Kunstkenner und -liebhaber war. In jungen Jahren, er wollte Journalist werden, hatte er Kurse in literarischen und künstlerischen Fächern an der Universität Zürich besucht. Den Traum, Feuilletonredakteur bei der NZZ, konnte er nicht verwirklichen, er verfasste aber Anfang der 1920er-Jahre Kunst- und Kulturkritiken für ein sozialistisches Zürcher Blatt. 1946 initiierte der Schaffhauser Stadtpräsident die Bach-Festspiele. Im Allerheiligen-Museum fanden Ausstellungen namhafter Künstler statt, deren Auftakt zum Thema „Meisterwerke altdeutscher Malerei“ 1947 war, trotz aller zeitbedingten Schwierigkeiten. In späteren Jahren wurden „deutsche Impressionisten“ und Venezianische Malerei gezeigt.
Schon während der 1930er-Jahre hatte sich die Integration der Sozialdemokraten in das politische System der Schweiz vollzogen. Dank des Proporzwahlrechtes stieg die Mandatszahl der SP im Nationalrat von 19 auf 50. Sozialdemokraten arbeiteten nun auch mit den bürgerlichen Parteien zusammen, auf kommunaler Ebene und in mehreren Kantonsregierungen. Angesichts der NS-Bedrohung erwog die SP 1936 erstmals, dem Wehretat zuzustimmen. Bringolf bekannte sich nun ausdrücklich zur Landesverteidigung; denn die Nationalsozialisten wollten „Europa in ein faschistisches Zuchthaus und Konzentrationslager […] verwandeln“ (zit. nach Wolf, 1995, S. 152). Damit verband Bringolf aber die Forderung nach einer Demokratisierung der Armee, die nicht allein dem Bürgertum überlassen werden dürfe; auch sozialdemokratische Wähler müssten in der Armee Einfluss haben. Wie innerparteilich kontrovers die Zusammenarbeit zwischen SP und bürgerlichen Parteien damals war, zeigt die Abstimmung über das Militärbudget 1936, als sich die SP-Fraktion spaltete. Nach der Annexion Österreichs änderte sich dies. Nun stimmten die Sozialdemokraten geschlossen dem vom Bundesrat geforderten Rüstungsansatz zu. Gleichzeitig wurden Bringolfs Forderung gemäß Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in gleicher Höhe bewilligt. Das lässt erkennen, dass Bringolf am Ende der 1930er-Jahre bereits zu den führenden SP-Politikern gehörte und einen gewichtigen Beitrag zur Annäherung seiner Partei an das bürgerliche Lager geleistet hatte.
Während des II. Weltkrieges war Bringolf ein scharfer Kritiker von Außenminister Marcel Pilet-Golaz (1889–1958). Dieser hatte kurz nach dem deutschen Sieg über Frankreich am 25. Juni 1940 eine Radioansprache gehalten und von der Geburt eines neuen Menschen gesprochen, weswegen sich die Schweiz dem Rhythmus der Zeit in Europa anpassen müsse. Das Bekenntnis zu Demokratie, Freiheit und Widerstand fehlte in der Rede, und im November 1940 empfing Pilet-Golaz offiziell Vertreter der Frontisten, der Schweizer NS-Sympathisanten. Bringolf, Gründungsmitglied der überparteilichen und überkonfessionellen Aktion nationaler Widerstand, deren Mitglieder gelobt hatten, „zu kämpfen für die Freiheit, Ehre und Unabhängigkeit der schweizerischen Eidgenossenschaft“ (zit. nach Wolf, 1995, S. 168), erkannte darin, dass der Außenminister faschistischen Tendenzen Vorschub leiste, und attackierte ihn wiederholt in der außenpolitischen Nationalrats-Kommission. Die Anstrengungen Bringolfs, den Außenminister zu stürzen, blieben zwar erfolglos; denn seinen Verdacht, Pilet-Golaz habe sich unter Bruch der Schweizer Neutralität um einen für das „Dritte Reich“ günstigen Separatfrieden mit London und Washington bemüht, konnte er nicht belegen, die Ende 1944 in brüsker Form vorgetragene Weigerung der UdSSR, diplomatische Beziehungen mit der Schweiz aufzunehmen, gab dann aber den Ausschlag für dessen Ausscheiden aus dem Bundesrat.
Nach dem II. Weltkrieg rückte auch für die Schweizer Sozialdemokraten die Auseinandersetzung mit dem Bedrohungspotential der Sowjetunion in den Mittelpunkt. Beim heraufziehenden Ost-West-Gegensatz wollte die SP zunächst neutral bleiben. Bringolf formulierte einen Antrag für den SP-Parteitag, wonach Europa „weder zum Exerzierfeld der Sowjetunion noch zur kapitalistischen Einflusszone amerikanischer Machtpolitik“ (zit. nach Wolf, 1995, S. 249) werden sollte. Diese Position wollte er aber nach dem kommunistischen Umsturz in der Tschechoslowakei im Februar 1948 nicht mehr halten. Nun befürwortete die Partei unter Führung Bringolfs die Einbeziehung der Schweiz in die Marshallplanhilfe, aber unter Beteiligung der UdSSR. Danach trat Bringolf oft als Kritiker der Sowjetunion hervor. Zuvor hatte er recht enge Beziehungen in die Tschechoslowakei gepflegt, nun lehnte er einen Besuch osteuropäischer Länder selbst als offizielles Mitglied einer Schweizer Delegation ab. Bringolf protestierte auch beim sowjetischen Botschafter gegen Schauprozesse gegen tschechoslowakische Sozialdemokraten und das Vorgehen der UdSSR beim Ungarnaufstand 1956. Eine deutlich antikommunistische Haltung brachte Bringolf später wiederholt zum Ausdruck. Er kritisierte das totalitäre Einparteiensystem im Ostblock und das Fehlen unabhängiger Gewerkschaften, das die Freiheit der Arbeitnehmer unterdrücke. Für Bringolf bildeten Sozialismus und Demokratie eine Einheit.
Die 1950er-Jahre leiteten einen Höhepunkt, in mancher Hinsicht aber auch das Scheitern Bringolfs ein. Seit 1944 war jeweils ein Sozialdemokrat im Bundesrat vertreten. Als Max Weber (1897–1974) Ende 1953 sein Amt als Finanzminister niederlegte, führte Bringolf als Parteipräsident die SP in die Opposition; das „Einmann-Theater“ (zit. nach Wolf, 2007, S. 66) der SP in der Regierung dürfe sich nicht wiederholen, hatte er schon Ende 1953 gesagt. Aufgrund ihrer Stärke müsse auch sie mit zwei Mitgliedern im Bundesrat vertreten sein. Damit war die später so genannte „Zauberformel“ geprägt, wonach der Schweizerische Bundesrat aus jeweils zwei Sozialdemokraten, zwei Liberalen, zwei Katholisch Konservativen, heute CVP, und einem Vertreter der Bürger- und Bauernpartei, heute SVP, bestehen solle. Vorerst war die SP jedoch in der Opposition; ab 1954 setzte sich der Bundesrat aus drei Katholisch-Konservativen, drei Freisinnigen und einem Mitglied der Bürger- und Bauernpartei zusammen. Dann verständigten sich SP und Katholisch-Konservative darauf, dass bei der nächsten Doppelvakanz sowohl FDP wie auch Katholisch-Konservative je einen Regierungssitz für die SP, die 1955 und 1959 bei den Nationalratswahlen stärkste Partei geworden war, räumen sollten. Die Jahre in der Opposition gestalteten sich schwierig; denn die SP wies unter Führung Bringolfs nur auf fiskalpolitischem Gebiet Alternativen auf, womit sie sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Gleichzeitig vollzog sich ihre programmatische Neuorientierung; wie die SPD suchte auch die Schweizer SP damals, ihr marxistisches Fundament zu beseitigen.
1959 kam es nach einer Vierervakanz mit der Wahl zweier sozialdemokratischer Bundesräte endlich zur Realisierung der „Zauberformel“, die Gültigkeit behielt. Die Kandidatur Bringolfs für den Bundesrat blieb jedoch erfolglos: kommunistische Wurzeln, schwieriger Charakter und sein fortgeschrittenes Lebensalter wurden ihm angelastet. Immerhin wurde er aber 1961 ein Jahr lang Präsident des Nationalrats. Damals war aber bereits deutlich, dass Bringolf sich politisch überlebt hatte. Zumal die Studentenrevolte 1968 ließ dies greifbar werden. Anfangs hatte Bringolf sich noch positiv über die unruhige junge Generation geäußert, als die Auseinandersetzungen auf die Schweiz übergriffen aber revidierte er seine Ansicht und bei den „Globuskrawallen“ in Zürich zitierte Bringolf als Mitglied des Verwaltungsrates dann Redakteure der „Arbeiterzeitung“ zu sich, die das Vorgehen der Polizei scharf angegriffen hatten und nannte die protestierende Jugend Pöbel, den man auch gar nicht als Sozialisten oder Kommunisten bezeichnen dürfe.
Es lässt sich also aufzeigen, wie Bringolf sich über die Jahrzehnte im sozialdemokratischen Spektrum immer weiter rechts positioniert hatte, ja autoritäre Züge annahm: fossile Züge, meinte die jüngere Generation. Da legte Bringolf die Ämter als Stadtpräsident und Nationalrat nieder, hielt aber weiter zum Beispiel an der Position des Aufsichtsratsvorsitzenden der Schaffhauser Arbeiterzeitung fest, auch wenn es dem inzwischen über 80-jährigen nicht mehr gelang, notwendige strukturelle Reformen durchzusetzen. Das freilich hat die Lebensleistung des bedeutenden Schweizer Politikers nicht geschmälert.
Quellen: StadtA Schaffhausen, Nachlass Walther Bringolg, C II.06.01.01.02./17, Zivilstandsregister Schaffhausen.
Werke: Russische Reise, 1920; Lenin, 1924; Perspektiven d. sozialistischen Bewegung d. Schweiz, 1940; Die politische Lage u. die Aufgabe d. Partei, 1944; Demokratischer Sozialismus, 1947; Die Sozialdemokratie zu den internat. Problemen, 1948; Zwei bedeutende Bau- u. Kulturaufgaben d. Stadt Schaffhausen, in: Schaffhauser Mappe 19, 1951, 7-12; Kulturstätten unserer Stadt, ebd. 20, 1952, 17-20; Der Bundesrat ohne Sozialdemokraten, 1954; Sozialismus in d. Schweiz, 1956; Zwei Bauwerke d. Stadt Schaffhausen, in: Schaffhauser Mappe 24, 1956, 11-14; (zus. mit Karl Scherrer u. Emil Schalch) Stadttheater, 1956; Die Sozialdemokratie u. die Rede Chruschtschows, 1956; Aus d. Geschichte d. Restaurierung des Münsters zu Schaffhausen, in: Schaffhauser Mappe 27, 1959, 9-14; Die Sozialdemokratie gestern – heute – morgen, 1959; Probleme d. internat. Politik, 1961; Mein Leben, 1966; Das Bild d. Stadt Schaffhausen, 1967; Gespräche in Südafrika, 1968; Vom Moserdamm zum neuen Kraftwerk am Rhein, in: 25 Jahre Scherrer-Druck, 1974, 61-74.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (1961), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 50, – StadtA Schaffhausen. – Walter Wolf, 1995, u.a. 319 u. 330 (vgl. Literatur).

Literatur: Walter Ulrich (Hg.), Im Dienst einer Stadt: FS für Walther Bringolf, 1960; Eduard Joos, Parteien u. Presse im Kanton Schaffhausen, 52, 1975, 1-612; Peter Stettler, Die Kommunistische Partei d. Schweiz 1920–1931, 1980; Erwin Waldvogel, Walther Bringolf: markanter Schaffhauser mit Profil, in: Schaffhauser Mappe, 50, 1982, 44; Peter Huber, Stalins Schatten in die Schweiz, 1994; Walter Wolf, Walther Bringolf: Eine Biografie, 1995; Felix Schwank, Erinnerungen an Walther Bringolf, in: Schaffhauser Nachrichten 174, 1995; Andreas Schiendorfer, Verständigungsformel besiegt neue Schweiz: 1953 verpasste Walther Bringolf den Sprung in den Ständerat um 722 Stimmen, in: Schaffhauser Nachrichten 215, 1995; Walter Wolff, An dem „Löwen von Schaffhausen“ kam keiner vorbei: Am 1.August 1995 jährt sich der Geburtstag von Walther Bringolf zum hundertsten Mal, in: Schaffhauser Mappe 63, 1995, 11-13; Walter Wolf, Walther Bringolf. Eine Biografie, 1995 (mit Quellen u. Literatur 443-445); Franco Battel, Wo es hell ist, dort ist die Schweiz. Flüchtlinge u. Fluchthilfe an d. Schaffhauser Grenze zur Zeit des Nationalsozialismus, in: Schaffhauser Beiträge Geschichte 77, 2000, 1-375; Brigitte Studer, Walther Bringolf im historischen Lexikon d. Schweiz, auf: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6130.php; Walter Wolf, Walther Bringolf, in: Schaffhauser Beiträge zur Geschichte 81, 2007, 57-69; Fabian Brändle: Porträt des Politikers als junger Mann, in: Schaffhauser Beiträge zur Geschichte, 85, 2011, 189-204.
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