Vollmöller, Karl Gustav 

Geburtsdatum/-ort: 07.05.1878;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 18.10.1948; Los Angeles
Beruf/Funktion:
  • Schriftsteller und Filmautor
Kurzbiografie: 1896-1901 Studium der Archäologie und Klassischen Philologie in Paris, Berlin, Athen und Bonn; Freundschaft mit Max Dauthendey, Mitglied (ab 1897) im Stefan George-Kreis
ab 1900 ff. zahlreiche Kontakte zu deutschen und italienischen Autoren-und Künstlerkreisen mit Schwerpunkt in Berlin und Florenz; Freundschaft mit Gabriele D'Annunzio; mit ihm in Mailand Auto- und Flugzeugkonstruktion; eigene Flugexperimente, zahlreiche Reisen, Wohnsitz in der „Villa Arlotta“ in Sorrent (bei Neapel), nach Heirat (1913) mit Norina Gilli bis 1914 Hauptwohnsitz in der Villa Pozzino-Gilli (bei Florenz)
1901 Dr. phil. an der Universität Bonn mit einer Arbeit über „Griechische Kammergräber mit Totenbetten“
1906 Beginn der langen und engen Zusammenarbeit mit dem ihn sowohl fördernden wie inszenierenden Regisseur Max Reinhardt aus Anlass der Aufführung der von Vollmöller bearbeiteten „Antigone“ des Sophokles
1914-1918 Zeitweilige Kriegsteilnahme, zum Teil als Begleiter des württembergischen Königs
1916 Scheidung
1919 ff. Hauptwohnsitz im „Palazzo Vendramin“ (Sterbehaus Richard Wagners) in Venedig, alternativ auch Berlin (Pariser Platz); mondäner Lebensstil, Beziehung u. a. mit Ruth Landshoff; entdeckte die Schauspielerin Marlene Dietrich und die Tänzerin Josefine Baker
1930er Jahre Mitte, nur bedingt als Emigrant, da auch Wohnsitz in Basel, lebt Vollmöller in den USA (New York, später Los Angeles), Filmarbeit
1941-1943 nach Kriegsausbruch zweimalige Internierung; Kontakt zur deutschen Exilszene; in den USA Arbeit an einem Romangroßprojekt (3 000 Seiten), das erst postum 1949 gekürzt und ins Englische übersetzt erscheinen kann
1945 letzte Publikation mit der Herausgabe von Gedichten Hans Wolffs; geplante eigene Gedichtveröffentlichung scheitert
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1913 Maria Carmi, geb. Norina Gilli (1880-1957) aus Florenz, Schauspielerin, geschieden 1916
Eltern: Vater: Robert Vollmöller (29.10.1849-28.10.1911), Kaufmann, Textilfabrikant und Kommerzienrat in Stuttgart-Vaihingen
Mutter: Emilie, geb. Behr (25.1.1852-18.4.1894)
Geschwister: Rudolph (1874-1941), Fabrikant
Anna (geb. 1875)
Mathilde (18.10.1876-16.7.1943), Malerin, verheiratet mit dem Maler Hans Purrmann
Marta (geb. 1883)
Maria (geb. 1884)
Elisabeth (geb. 1887)
Hans (1889-1917), Flugzeugkonstrukteur und Pilot
Kurt (1890-1936), Schriftsteller
GND-ID: GND/118805681

Biografie: Erich Kleinschmidt (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 285-287

Vollmöller entstammte einer schwäbischen Industriellenfamilie (Trikotagen), was ihm finanzielle Freiheit u. a. als zeitweiliger Auto- und Flugzeugkonstrukteur bzw. Sportler und Weltreisender ermöglichte. Im seinem grandseigneurhaften, kosmopolitischen Lebensstil orientierte er sich am Dandy-Typus der Jahrhundertwende, für ihn konkretisiert in der Figur des mit ihm befreundeten, italienischen Schriftstellers Gabriele D'Annunzio, von dem er auch einige Werke übersetzte („Francesca da Rimini“ 1903; „Vielleicht – vielleicht auch nicht“ 1910; „Phädra“ mit R. G. Binding 1910), aber auch als Flugpionier Flugzeuge entwarf und flog. In Richtung Lebens- und Künstlerstilisierung gehört auch seine zeitweilige Mitgliedschaft im Kreis um Stefan George, wo er als „Genie“ neunzehnjährig debütierte. Seine Gedichte und Dramenausschnitte erschienen in dessen „Blätter für die Kunst“ 1897-1906. Georges und Hofmannsthals Gedichtstil ist (neben Mallarmé und D'Annunzio) das neoromantische, lyrische Frühwerk formal und thematisch stark verpflichtet („Parcival. Die frühen Gärten“ 1903, erweitert 1914; „Die frühen Landschaften“ 1904). Auch die ersten Dramenversuche orientieren sich am Vorbild Hofmannsthals. „Catherina, Gräfin von Armagnac“ (1903) ist ein lyrisiertes Kunstdrama ästhetizistischer Prägung. Das Trauerspiel „Assüs, Fitne und Sumurud“ (1904), der Einakter „Giulia“ (1905) und die Komödie „Der deutsche Graf“ (1906) sind mehr oder minder formartistische Stücke, die bis in Themen und Sprache (Vers und Prosa) hinein Hofmannsthal verpflichtet sind. Der Versuch Vollmöllers, diesem Einfluss zu entkommen, stellt das dreiaktige Flug- und Technikdrama „Wieland. Ein Märchen“ (1911) dar, das die nordische Sage von Wieland dem Schmied aufnimmt und in das London der Gegenwart handlungsreich und mit „moderner“ Gesellschaftsperspektive transformiert. Das formal problematische Werk, dessen Aufführung durch Max Reinhardt in Berlin zu einem Skandal führte, beendete vorerst die eigenständige Theaterproduktion.
Erst in den 30er Jahren arbeitet er wieder als Dramatiker. Die Komödie „Cocktail“ (1930) und das Schauspiel „Anastasia“ (1937) entstehen noch. Zunächst wendet sich aber Vollmöller nach Abschluss des Frühwerks der bühnenbezogenen Übersetzung und Bearbeitung zu. 1908 realisiert er die (1911 von Max Reinhardt monumental aufgeführte) „Orestie“ des Aischylos, danach entstehen für Reinhardt „Turandot“ (1911 nach Carlo Gozzi mit der Musik von F. Busoni), „George Dandin“ (1912 nach Molière), „Madame d'Ora“ (1917 nach dem Drama „Sangerinden“ des Dänen Johannes W. Jensen), schließlich die Komödie „Onkelchen hat geträumt ...“ (1918 nach der Erzählung „Onkelchens Traum“ Dostojewskijs). Einen langanhaltenden Welterfolg zusammen mit der gigantischen Regiekonzeption Max Reinhardts bedeutete sein legendenhaftes Pantomimen-Drama „Das Mirakel“ (1911), das in der Londoner Olympia-Hall vor 10 000 Zuschauern mit Maria Carmi als Nonne und der Musik von Engelbert Humperdinck in größter Ausstattung (2 000 Mitwirkende) uraufgeführt wurde. Das religiöse Weihespiel war (bis zu seiner letzten Realisierung 1948 bei den Salzburger Festspielen [zuvor schon 1926]) über Jahre hinweg mit fünf Neuinszenierungen Reinhardts (Wien, Berlin, Hamburg u. a.) sowohl auf dem Kontinent als auch 1924 in New York („The Miracle“, 298 Aufführungen) und den USA (sechsjährige Tournee Reinhardts) ein theatralisches Massenphänomen. Als „The Miracle“ wurde von Michel Carré und Joseph Menchen (ohne Mitwirkung Reinhardts) die Pantomime in einer adaptierten Freilichtfassung verfilmt (keine Kopie erhalten, Uraufführung in Covent Garden 21. 12. 1912; eine konkurrierende zweite Verfilmung, die verschollen ist, 1913 unter dem Titel „Eine alte Legende. Das Marienwunder“; des weiteren als Remake „The Miracle“ USA 1959, Regie: Irving Rapper).
Der Erfolg stimulierte Vollmöller als Autor, sich fortan erfolgreich dem Stummfilm zuzuwenden. Er verfasste Drehbücher für die beiden (mit seiner Frau Maria Carmi in der Hauptrolle besetzten) Filme „Eine Venetianische Nacht“ (1914, Regie: Max Reinhardt [existente Kopie] ebenfalls nach einer von ihm inszenierten Pantomime „A Venetian Night“ Vollmöllers, London 1912 bzw. Berlin 1913) und „Der Hermelinmantel“ (1915, Regie: Walter Schmidthässler [erhaltene Kopie F.-W.-Murnau Stiftung, Wiesbaden]sowie „Inge Larsen“ (1923, Regie: Hans Steinhoff; mit Henny Porten). Sein wichtigstes Drehbuch (zusammen mit Carl Zuckmeyer und Robert Liebmann) ist das für den Marlene Dietrich-Tonfilm „Der blaue Engel“ (D 1930, Regie: Josef von Sternberg) nach dem Roman „Professor Unrat“ von Heinrich Mann. Weitere Skripts lieferte Vollmöller für: „Schmutziges Geld“ (D/UK 1928, Regie: Richard Eichberg); „Lady of the Pavements“ (USA 1929, Regie: David Wark Griffith) nach Vollmöllers Story „La Paiva“ (unpubliziert). Es folgte Mitarbeit am Drehbuch (nach einer dramatischen Vorlage Benito Mussolinis) für den Napoleon-Film „Hundert Tage“ (I/D 1935: Regie: Franz Wenzler), im Exil war er Coautor (nach dem Bühnenstück von John Colton) für den Filmklassiker „The Shanghai Gesture“ (USA 1941, Regie: Josef von Sternberg).
Vollmöller kann damit national wie international als ein erfolgreicher und bedeutender Filmautor angesehen werden. Im Nachlass finden sich (zum Teil in englischer Sprache) u. a. Skriptentwürfe, Gedichte (u. a. Sammlung „Aus dem Zweiten Weltkrieg“) und (bisher nicht näher abgeklärte) Bestandteile eines großen um 1800 spielenden Romanprojekts von „3 000 Seiten“ (Ruth Landshoff-Yorck) auf der Basis des „Mirakel“-Sujets, das in gekürzter englischer Übersetzung als „The Last Miracle“ völlig unbeachtet publiziert wurde (1949). Vollmöller vertritt als umfassend in die Literatur-, Theater-und Filmszene des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts involvierter Autor insgesamt einen ambivalenten Typus der Moderne, der sich einerseits zwischen alteuropäischer Tradition und neoklassizistischer Avantgarde bewegte, andererseits von den (auch trivialen) Möglichkeiten eines Massentheaters und des Stumm- bzw. Tonfilms fasziniert und inspiriert war. Ihm eignete dabei „etwas Disparates, Zerfahrenes unter der klassischen Oberfläche“ (H. Graf Kessler) an.
Quellen: NL im DLA; Briefe und Materialien auch im Hans-Purrmann-Haus, Speyer.
Werke: Eine Bibliographie aller Publikationen Vollmöllers fehlt. Die gedruckten Werke (einschließlich der Übersetzungen, Vorworte und Herausgeberschaften) erfassen weitgehend vollständig G. von Wilpert/A. Gühring, Erstausgaben deutscher Dichtung, 2. Aufl. 1992, 1541 (die dort Vollmöller zugeordneten „Liebesbriefe eines englischen Mädchens“, 1904, sind eine Übersetzung seiner Schwester Mathilde Vollmöller); nicht enthalten die Diss. „Griechische Kammergräber mit Totenbetten“, Bonn 1901, das Schauspiel „Anastasia“ (1937 [Bühnenmanuskript], Exemplar UB München), „The Last Miracle“, 1949 bzw. London 1950 [übers. Louise Salm]. Eine Auswahl seiner (vor allem auch der späten) Gedichte, hg. H. Steiner, erschien Marbach a. N. 1960. „Catherina, Gräfin von Armagnac“ ND in: Michael Winkler (Hg.), Einakter und kleine Dramen des Jugendstils, 1974, 55-114; Eine Filmographie fehlt. Das Drehbuch „Der blaue Engel“, hg. Hart Wegner, 1982.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos in: R. Boehringer (s. o.), Tafelbd., 59 (von 1898, 1913, 1939) und im Marbacher NL; Handzeichnung von Emil Orlik in: ders., Neue 95 Köpfe, 1920.

Literatur: Max Geißler, Führer durch die deutsche Literatur des 20. Jh.s, 1913, 618; Leonhard Adelt, Studie zu sechs Dichtern, 1917; Albert Soergel, Dichtung und Dichter der Zeit, 20. Aufl. 1928, Bd. 1, 1015-1017 (mit Abb.); Francis Woodlock, The Meaning and the Message of „The Miracle“, 1932; Karl Vollmöller, Geschichte der Familie Vollmöller, Privatdruck 1937 [Exemplar Hans-Purrmann-Haus, Speyer]; Jakob Baxa, Kulturgeschichte der Romantik [1944/1945], unveröff. Ms., in: Archiv für Geschichte der Soziologie in Österreich, Universität Graz, Signatur 10/3, 4141 Bl., pag. 1-414, hier 338-343; Wolfgang Schneditz, Religiöse Weihespiele, in: ders., Das Buch von den Salzburger Festspielen, 1948, 87-92; Robert Boehringer, Mein Bild von Stefan George, 1951, 68-71 bzw. 2. Aufl. 1967, 242-247; Edward Jaime, Erinnerungen an K. Vollmöller, in: Neue literarische Welt 3 (1952), Nr. 6, 16; Arnold Bergstraesser, K. G. Vollmöllers späte Gedichte, in: Freundesgabe für Robert Boehringer, 1957, 21-28; Ines R. Braver, K. G. Vollmöller. Ein Beitrag zum Verständnis des Dichters. Diss. NY Univ. 1961; Harry Graf Kessler, Tagebücher 1918-1937, 1961, 453 ff., 460 ff.; Klaus G. Just, Ästhetizismus und technische Welt. Der Lyriker K. G. Vollmöller, in: ZDP 82 (1963), 221-231; Ruth Landshoff-York, Klatsch, Ruhm und kleine Feuer, Köln 1963 bzw. 2. Aufl. 1997 (erw.), passim; Günter Rühle, Theater für die Republik, 1967, Bd. 1, 170-178; Bd. 2, 716-720; „Hätte ich das Kino!“ Die Schriftsteller und der Stummfilm, 1976, 140-144; Herbert Lehnert, Geschichte der deutschen Literatur vom Jugendstil zum Expressionismus, 1978, 538-541; Margot Berthold (Hg.); Max Reinhardts Theater im Film. Materialien, 2. Aufl. 1984, 20-44 (zu „Das Mirakel“) bzw. 54-69 (zu „Venetianische Nacht“); Theodor Karst, „Der Tag wird kommen.“ Über den Frieden in Gedichten K. Vollmöllers und Christoph Meckels, in: Ingelore Oomen-Welke (Hg.), Brückenschlag, 1994, 287-296; Mathilde Vollmoeller/Rainer Maria Rilke, „Paris tut not.“ Briefwechsel, hg. Barbara Glauert-Hesse, 2001, passim.
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