Ammon, Otto Georg
Geburtsdatum/-ort: | 1842-12-07; Karlsruhe |
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Sterbedatum/-ort: | 1916-01-14; Karlsruhe |
Beruf/Funktion: |
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Kurzbiografie: | 1858 Einjähriges am Gymnasium Karlsruhe 1858-1863 Studium der Ingenieurwissenschaften am Polytechnikum Karlsruhe 1863-1868 Bahnbau- und Kulturingenieur im badischen Staatsdienst 1868-1883 Redakteur, dann Eigentümer der „Konstanzer Zeitung“, selbständiger Verleger ab 1869 1883 Rückkehr nach Karlsruhe, Mitglied des Karlsruher Altertumsvereins und des Naturwissenschaftlichen Vereins in Karlsruhe 1883-1885 Erforschung der badischen Römerstraßen, geographische und geologische Arbeiten in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften 1886 Beginn eigener anthropometrischer Erhebungen an Soldaten, später an Wehrpflichtigen 1888 erste anthropologische Publikationen in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung München 1890 „Anthropologische Untersuchungen der Wehrpflichtigen in Baden“; mit dieser Arbeit inauguriert Ammon die Sozialanthropologie in Deutschland 1890 Übersetzung und Interpretation anthropologischer Arbeiten von Georges Vacher de Lapouge 1893 Korrespondierendes Mitglied der Societé pour le progrès des sciences naturelles et mathématiques Cherbourg 1893 Korrespondierendes Mitglied der Società italiana d'Antropologia und der schwedischen und niederländischen anthropologischen Gesellschaft 1896-1899 Mit Otto Reuß Eigentümer der Badischen Landeszeitung 1904 Ehrendoktorwürde der medizinischen Fakultät der Universität Freiburg 1904-1907 Freundschaft mit Ludwig Woltmann bis zu dessen Tod 1907 |
Weitere Angaben zur Person: | Religion: ev. Verheiratet: 1868 Antonie, geb. Wörishoffer aus Hanau Eltern: Vater: Jakob Ammon, Kaufmann (gest. 1857) Mutter: Emma, geb. Wöttlin (gest. 1847) Geschwister: 2 Brüder im Kindesalter gestorben Kinder: 2 Söhne und 2 Töchter |
GND-ID: | GND/118824457 |
Biografie
Biografie: | Hilkea Lichtsinn (Autor) Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 4-6 Neigung und mathematisch-naturwissenschaftliche Begabung ließen Ammon Ingenieurwissenschaften studieren. Die berufliche Tätigkeit im süddeutschen Raum brachte ihn im Bodenseekreis mit den Ideen des aufkeimenden Liberalismus in Berührung, dessen eifriger Verfechter er wurde. Ammon gab seinen Beruf auf, um sich als Journalist und Eigentümer der „Konstanzer Zeitung“ für die Umformung der ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der Stadt Konstanz einzusetzen. Die Konstanzer Zeitung wurde eines der führenden Blätter Süddeutschlands. Ein schweres Magenleiden zwang Ammon, seine Arbeit als Verleger zunächst aufzugeben. In Karlsruhe, wohin er 1883 zurückkehrte, fand er im Aufgabenkreis des Altertumsvereins ein neues Wirkungsfeld. Neben geologischen und geographischen Arbeiten erschienen Kommentare zum kulturellen Geschehen in verschiedenen Tageszeitungen. In Fortführung der Arbeit Alexander Eckers übernahm Ammon 1885 die Aufgabe, als Schriftführer einer anthropologischen Kommission die physische Beschaffenheit der Bevölkerung Badens statistisch zu erfassen. Seine anthropometrischen Erhebungen, seine Messungen der Schädelindices an Soldaten und Wehrpflichtigen führten zur Aufstellung des „loi d'Ammon“, des Gesetzes der Wanderung der Langköpfe nach den städtischen Mittelpunkten. Lange vor dem Erscheinen seines Hauptwerks „Zur Anthropologie der Badener“ (1899), das als anthropologische Urkundensammlung zu verstehen ist, kristallisierten sich Erkenntnisse und Tatsachen für Ammon heraus, die über eine numerische Erfassung des Messungsmaterials hinausgingen. In seinem Buch „Die natürliche Auslese beim Menschen“ sucht er, seine anthropometrischen Ergebnisse sozialbiologisch zu deuten. Die entwickelten Gedanken und Lehrsätze werden dann zu einer Gesellschaftstheorie verschmolzen, die in seinem Band „Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen“ vorgestellt wurde. Tragende Pfeiler dieser Gesellschaftsordnung sind Gobineaus Germanenwertlehre, Darwins Selektionstheorie und Spencers gesellschaftstheoretischer Begriff des survival of the fittest. Den numerisch belegbaren Rückgang der langköpfigen, germanischen Elemente in der Bevölkerung deutet Ammon im Sinne Gobineaus als „Arierdämmerung“. Dem Geschichtspessimismus Gobineaus setzt Ammon in optimistischer Zuversicht in die Zukunft den Entwurf einer sozialaristokratischen Gesellschaftsordnung entgegen. Neu ist in diesem Aufbau gesellschaftlichen Lebens der Versuch, gesellschaftliche Ordnung, soziale Gliederung nicht in wirtschaftlichen Bedingungen allein begründet zu sehen. Ammon versucht, soziologische menschliche Beziehungen biologisch zu deuten und zu interpretieren. Ammons Hauptwerke entstanden im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, durchdrungen von gesteigertem Nationalgefühl, kolonialem Aufbruchswillen und alldeutschem Gedankengut. Alle diese Elemente wurden integrierender Bestandteil seiner Rassen- und Gesellschaftstheorie. Mit zahlreichen Anthropologen des In- und Auslands stand Ammon in brieflichem Gedankenaustausch: Gustaf Retzius, Georges Vacher de Lapouge, W. Ripley, Franz Tappeiner u. a. Aus den Jahren vor und nach 1900 liegen in mindestens 40 Zeitschriften, Zeitungen und Periodica Referate und Übersetzungen Ammons vor. Seine außerordentliche Sprachbegabung, er beherrschte 11 Sprachen, ermöglichte ihm, die Arbeiten teilweise in fremder Sprache abzufassen. Durch seine umfangreiche journalistische Tätigkeit, die ihm und seiner Familie ein bürgerliches Dasein ermöglichte, lenkte Ammon Aufmerksamkeit und Interesse der Öffentlichkeit auf anthropologische Zusammenhänge und erreichte auch ein der Wissenschaft ferner stehendes Publikum. In seinen Arbeiten spiegelt sich das Weltverständnis seiner Epoche, das bestimmt war von preußisch-protestantischem Christentum, Kaisertreue und Sendungsbewußtsein der Deutsch-Germanen. Im arisch-germanischen Typus sieht Ammon sein Idealbild vom Menschen verwirklicht, das biologische Vollkommenheit, intellektuelle Hochwertigkeit und moralische Integrität harmonisch verbindet. Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit, unabdingbare Attribute edelsten Germanentums, sind für Ammon unvereinbar mit Praktiken künstlicher Auslese und Ausmerze. In der nationalsozialistischen Ära erfuhren Germanenkult und Alldeutsches Gedankengut – immer wieder aufgenommene Themen in Ammons populärwissenschaftlichen Publikationen – eine Neubelebung. In einseitiger Um- und Mißdeutung von Ammons Wertvorstellungen wurden aus seinen Schriften „wissenschaftliche“ Begründung und Rechtfertigung hergeleitet für eine Herrschaft der Willkür, Gewalt und Inhumanität. |
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Quellen: | Briefe: Ludwig Schemann, Otto Ammon. Nachlaß Schemann IV B: Otto Ammon UB Freiburg, Handschriftenabt.; GLAK: Anthropologische Kommission des Karlsruher Altertumsvereins an das Großherzogl. Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts; desgl. an das Großherzogl. Geheime Cabinet. |
Werke: | (Auswahl) Zur Geschichte der liberalen Partei in Baden 1880; Der Darwinismus gegen die Sozialdemokratie. Anthropologische Plaudereien 1891; Die natürliche Auslese beim Menschen. Auf Grund der anthropologischen Untersuchungen der Wehrpflichtigen in Baden und anderer Materialien 1893; Wiederholte Wägungen und Messungen von Soldaten 1893; Die Bedeutung des Bauernstandes für den Staat und die Gesellschaft. Sozialanthropologische Studie 1894 und 1906; Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen. Entwurf einer Sozial-Anthropologie zum Gebrauch für alle Gebildeten, die sich mit sozialen Fragen befassen. 1895, 1896 und 1900; Warum siegten die Japaner? 1895; Der Abänderungsspielraum. Ein Beitrag zur Theorie d. natürlichen Auslese 1896; Die „Badische Landeszeitung“ und ihre Werkstätten 1896; Stammbaum des Balthasar Ammon aus Adelmannsfelden 1906. |
Nachweis: | Bildnachweise: Foto in: Archiv f. Rassen- und Gesellschafts-Biologie 10, 1913. |
Literatur + Links
Literatur: | L. Wilser, O. Ammon, in: Mannus 7, 1916, 364; E. Fischer, O. Ammon Zum 100. Geburtstage, in: Der Erbarzt 1942, 267; Hans Burkhardt, O. Ammon. Zum 100. Geburtstag eines bahnbrechenden Rasseforschers, in: Rasse 9, 1942, 291; K. Salier, O. Ammon in: NDB 1, 1953, 255; Hedwig Conrad-Martius, Utopien der Menschenzüchtung. Der Sozialdarwinismus und seine Folgen. München 1955; Hilkea Lichtsinn, O. Ammon und die Sozialanthropologie. Med. Diss. Mainz 1986. |
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