Berger, Gottlob Christian
Geburtsdatum/-ort: | 1896-06-16; Gerstetten |
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Sterbedatum/-ort: | 1975-01-05; Stuttgart |
Beruf/Funktion: |
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Kurzbiografie: | Volks- und Realschulbesuch, Lehrerseminar 1914-1918 Kriegsteilnehmer, Leutnant, danach Volksschullehrer, Realschulrektor 1929 Eintritt in die NSDAP 1931 Eintritt in die SA 1935 Oberregierungsrat im württembergischen Kultministerium 1936 Eintritt in die SS 1938 Chef des „Ergänzungsamtes“ im SS-Hauptamt 1940 Chef des „SS-Hauptamtes“ 1943 SS-Obergruppenführer 1944 Stabsführer des Deutschen Volkssturms und Beauftragter für das Kriegsgefangenenwesen 1945 8. Mai Gefangennahme 1949 13. Apr. Verurteilung im Nürnberger „Wilhelmstraßenprozeß“ zu 25 Jahren Haft 1951 Haftminderung auf 10 Jahre und -entlassung, danach Angestellter in Stuttgart und Musberg bei Böblingen, zuletzt Rentner in Gerstetten |
Weitere Angaben zur Person: | Religion: ev. Verheiratet: 1921 Maria, geb. Dambach Eltern: Vater: Johannes, Sägewerkbesitzer Mutter: Christine, geb. Moser Kinder: 4: Krista, Wolf, Helgart, Folkart |
GND-ID: | GND/118837419 |
Biografie
Biografie: | Joachim Scholtyseck (Autor) Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 13-16 Berger, der ebenso einflussreiche wie gefürchtete Chef des SS-Hauptamtes im „Dritten Reich“, gilt als der „eigentliche Begründer der Waffen-SS“. Zudem gehörte er zu den engsten Mitarbeitern des „Reichsführers-SS“ und war als der „Allmächtige Gottlob“ einer der „Zwölf Apostel Himmlers“. In Bergers Werdegang verwies zunächst nichts auf seine spätere Karriere. Vor dem I. Weltkrieg besuchte er nach Volks- und Realschule das Lehrerseminar in Nürtingen und alles deutete darauf hin, dass er einmal das Leben eines Pädagogen führen würde. Als Kriegsfreiwilliger der ersten Stunde wurde Berger mehrfach verwundet und erlebte das Kriegsende als hochdekorierter Leutnant. Das Kriegserlebnis und der „Schmachfrieden“ von Versailles prägten ihn tief. Er war ein typischer Vertreter jener „Schützengrabengeneration“, die durch den Krieg geistig entwurzelt und für die Radikalität des Nationalsozialismus empfänglich war. Sein kämpferisch-sportliches Naturell und eine betont konservative politische Ausrichtung sollten ihn schon bald eben jenen NS-Kräften zuführen, die eine radikale Neuordnung Deutschlands anstrebten. In der Revolutionszeit 1918/19 trat er an die Spitze der nordwürttembergischen Einwohnerwehr. In den unsicheren Jahren der jungen Republik blieb Berger dem zivilen Leben verpflichtet. 1921 heiratete er, wurde Sportlehrer, Grundschullehrer, Realschulrektor und schließlich höherer Beamter im württembergischen Kultministerium. Obwohl er 1922 einen Wehrverband gegründet hatte, blieb er in den Jahren, in denen sich die NSDAP nach der Wiederzulassung 1925 in schweren inneren Kämpfen zu etablieren begann, politisch eher zurückhaltend. Ab März 1929 trat er in Gerstetten parteipolitisch in den Vordergrund. Im Zuge des Aufstiegs der NSDAP machte Berger anfangs in der SA Karriere, allerdings nicht ohne Beschwerden über sein banal-soldatisches Verständnis von Politik und Menschenführung hervorzurufen. Die Kritik eines innerparteilichen Gegners offenbart seine Charakterschwäche: „Berger ist auf den ersten Eindruck eine außerordentlich gewinnende Persönlichkeit, das Herz liegt ihm auf der Zunge. Er versteht es ... zu fesseln ... Es steckt aber nichts dahinter.“ Die „Machtergreifung“ in Württemberg erhöhte seine Chancen für eine Parteikarriere, und im Frühjahr 1933 konnte Berger in Fragen der Verhängung der sogenannten „Schutzhaft“ Kompetenzen an sich reißen, die eigentlich dem württembergischen Innenminister zustanden. Seine kometenhafte Karriere erfuhr indessen bald einen Einbruch, er musste aufgrund von Querelen mit jüngeren SA-Führern sein Amt im April 1933 aufgeben. Als die SA ihm keine Zukunft mehr bot, suchte er nach neuen politischen Karrierechancen, die er in der schnell wachsenden SS fand. Obwohl er als „Großmaul“ galt, gelang es Berger, einen Kontakt zu Heinrich Himmler herzustellen. Anfang 1936 trat er der SS bei, die bis zum Ende des Krieges seine geistige Heimat sein sollte. Am 1. Juli 1938 ernannte Himmler Berger zum Chef des neugeschaffenen „Ergänzungsamtes“ im SS-Hauptamt, einer Organisation, die unter seiner Leitung innerhalb kürzester Zeit zu einer schlagkräftigen Rekrutierungsbehörde heranwuchs. Den bewunderten Himmler beriet er fortan in einer „Mischung aus Byzantinismus, Bauernschläue und Offenheit“ und schuf sich so eine wichtige Vertrauensstellung. Nach Kriegsausbruch, am 1. Dezember 1939, wurde Berger Chef des nun reorganisierten „SS-Hauptamtes“. Die weltanschauliche Schulung betrachtete er als ständige Herausforderung für die Erziehung im NS-Sinn. Im Februar 1943 plädierte er bei Himmler für eine stärkere ideologische Schulung der SS. Die Nürnberger Richter stießen sich später an der Verantwortung Bergers für die antisemitischen Pamphlete, die sein Amt zu „Führungszwecken“ der SS herausgab. Eine dieser millionenfach verbreiteten Broschüren mit dem Titel „Der Untermensch“ verdeutlicht die menschenverachtende Brutalisierung, mit der der ideologisierte Rassegedanke einherging. Der „Untermensch“, so verkündete Bergers „SS-Hauptamt“, „jene biologisch scheinbar völlig gleichgeartete Naturschöpfung ... ist nur ein Wurf zum Menschen hin, mit menschenähnlichen Gesichtszügen – geistig, seelisch jedoch tiefer stehend als jedes Tier“. Moralische Skrupel angesichts des Wütens in den eroberten Gebieten des Ostens zeigte Berger nicht. Im Juni 1942 dachte er aufgrund des aufflackernden Widerstands im Distrikt Lublin über ein verstärktes Vorgehen des berüchtigten Sonderkommandos Dirlewanger nach und stellte die Frage, ob dessen Devise, lieber zwei Polen zuviel als einen zu wenig zu erschießen, nicht seine Berechtigung habe. Die soldatische Prägung ging somit fast nahtlos in eine Bestialität über, die dem Gegner das Menschsein aberkannte. Im Rahmen der Eroberung Europas durch deutsche Truppen und der Rekrutierung „volksdeutscher“ Soldaten beschäftigte sich Berger auch mit „Europaideen“ und verstand sich dabei als Förderer einer NS-Europapolitik, die indessen wenig mehr als die militärische Ausschaltung jeglicher Opposition im ganz auf das arische Ideal zurückgeführten Kontinent unter deutscher Führung war. Im Sommer 1944 war Berger einer der Verantwortlichen der sogenannten „Heu-Aktion“, einer brutalen Verschleppung von 10- bis 15-jährigen Kindern aus Osteuropa für den Arbeitseinsatz in Deutschland. In ähnlicher Weise wurden „Luftwaffenhelfer“ aus dem Osten rekrutiert. Über das Ausmaß des Vernichtungskrieges im Osten konnte sich Berger keinen Illusionen hingeben. Ein Schlüsseldokument jener Zeit stellte in diesem Zusammenhang die Anweisung Himmlers an Berger dar, wie mit Juden umzugehen sei. Himmler schrieb ihm am 28. Juli 1942: „Die besetzten Ostgebiete werden judenfrei. Die Durchführung dieses sehr schweren Befehls hat der Führer auf meine Schultern gelegt. Die Verantwortung kann mir ohnedies niemand abnehmen. Also verbiete ich mir alles mitreden.“ Bergers Wissen um das Ausmaß des Holocaust belegt auch die Anwesenheit bei Himmlers berüchtigter Posener Rede vor den zusammengerufenen SS-Gruppenführern vom 4. Oktober 1943, in der dieser die „Ausrottung des jüdischen Volkes“ durch die SS als ein „niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt“ ihrer Geschichte bezeichnete. Seine spätere Angabe, er habe erst in Dachau und Nürnberg von den Judenvernichtungen gehört, war also eine Schutzbehauptung. Berger sah durchaus die Gefahren, die dem NS-Staat durch die Judenvernichtungen drohten und fürchtete, dafür „einmal mit unseren Knochen ... bezahlen [zu] müssen.“ Das bürokratische Zuständigkeitschaos erleichterte es freilich, eigene Verantwortung zu verdecken und hinter vermeintlicher Machtlosigkeit den eigenen Machtzynismus zu verstecken. In der zweiten Kriegshälfte hatte Berger schwere persönliche Schicksalsschläge zu verkraften. Innerhalb weniger Monate starben zwei seiner vier Kinder. Das plötzlich hereingebrochene Unheil schärfte seinen Blick jedoch kaum. Als er im Sommer 1944 auf die immer schwieriger werdende innenpolitische Lage, die Korruption des Regimes und die kaum noch zu verheimlichenden Gräueltaten im Osten angesprochen wurde, flüchtete sich Berger in die Hoffnung einer späteren Sühne: „Lassen Sie die Waffen-SS nach dem Kriege erst einmal nach Hause kommen, dann wird einiges vor sich gehen. ... Leider muss es bis dahin dauern, so wie der Karren jetzt verfahren ist.“ In der Endphase des Krieges wurde Berger als Vertreter Himmlers im Ostministerium Rosenbergs nach Preßburg geschickt, um, versehen mit einer Generalvollmacht, Unruhen zu unterdrücken; er benötigte nur wenige Wochen, um in der Slowakei die „Front der Friedhofsruhe großdeutscher Herrschaft“ noch einmal zu sichern. Im September 1944 hatte Himmler für Berger, der diesen „soldatischen“ Posten nur widerwillig räumte, bereits einen anderen Auftrag. Er wurde zum Stabsführer des Deutschen Volkssturmes ernannt. Zudem wurde er von Hitler persönlich mit der Beaufsichtigung der Kriegsgefangenen und Internierten beauftragt. Berger schmiedete Pläne, die Rekrutierung von Soldaten für den Kriegseinsatz zu vereinheitlichen, und sah vor, die gesamten Reserven der „Volkskraft“ – Wehrmacht, Waffen-SS, Polizei, Reichsarbeitsdienst, Organisation Todt und den zivilen Arbeitssektor – in einer neuen Berliner Behörde Himmlers zu zentralisieren, die möglicherweise von Berger selbst hätte geleitet werden sollen. Die Hoffnung auf den „Endsieg“ hatte Berger zu diesem Zeitpunkt wohl schon aufgegeben. Trotz aller antisowjetischen Vorbehalte hing er zeitweilig dem Wunschtraum nach, der SS könne es gelingen, über die offiziellen Stellen in Berlin hinweg einen Separatfrieden im Osten zu erreichen. Am 8. Januar 1945 legte er Himmler einen ebenso detaillierten wie umfangreichen Plan zur Reorganisation seines „Hauptamtes“ vor. Es ist fraglich, ob Berger solchen Maßnahmen damals noch praktischen Wert beimaß: „Genießet den Krieg. Der Friede wird furchtbar!“, hatte er geäußert. In letzter Stunde bewies Berger allerdings auch Augenmaß. Er wandte sich gegen Hitlers Maßnahmen, in der Frage der Kriegsgefangenen eine reine Vernichtungspolitik durchzusetzen; es kam zu dramatisch verlaufenden persönlichen Zusammentreffen. Goebbels und Hitler machten Berger Vorwürfe, dass dieser die „Kriegsgefangenenfrage“ nicht „energisch“ betreibe. Ob Hitler tatsächlich Berger beim letzten Zusammentreffen befohlen hat, die Kriegsgefangenen erschießen zu lassen oder ob Berger diese Version lancierte, um sich mit der späteren Nichtausführung dieses Plans einen weiteren Nachweis seiner moralischen Integrität zu liefern, steht aber dahin. Am 19. April 1945 erhielt Berger die militärische Vollmacht für den Bereich Bayern. Die Agonie des Reiches erlebte er auf der Flucht, wurde bald entdeckt und am 8. Mai 1945 von einem französischen Kommando verhaftet. Seit Ende November 1946 war er im Nürnberger Gerichtsgefängnis in Einzelhaft. Als einer der zwölf Angeklagten im „Wilhelmstraßenprozess“ zeigte er keine Reue. Die SS war für ihn immer noch die „Elite der deutschen Nation“. Im Grunde genommen, so sagte er vor Gericht aus, seien die Verbrechen die Taten von wenigen gewesen – Ausnahmen im notwendigen Kampf gegen den Bolschewismus. Im April 1949 wurde er zu einer Haft von 25 Jahren verurteilt. Seine Strafe musste er nicht lange verbüßen; zuerst war in einem „Clemency“-Verfahren eine Haftminderung auf 10 Jahre ausgesprochen worden, im Dezember 1951 wurde er dann vorzeitig aus der Landsberger Haft entlassen. Der ehemalige SS-Offizier, der so hochfliegende Pläne eines „Großgermanischen Reiches“ gehabt hatte, lebte fortan zurückgezogen in Gerstetten und arbeitete zeitweise in der Verwaltung einer Vorhangschienenfabrik. Ein wirkliches Überdenken der eigenen Verstrickung in das System des Terrors fand auch im Leben des Rentners nicht mehr statt. |
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Quellen: | Wichtigste Bestände im BA u. in den National Archives in Washington, D.C. u. College Park, Maryland; Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Washington D.C. 1952, Protokolle d. Verhandlungen vor dem Militärtribunal des Nürnberger „Wilhelmstraßenprozesses“; Robert Bosch A Stuttgart, mehrstündige Tonbandaufzeichnung Bergers mit „Lebenserinnerungen“ aus den frühen 1960er Jahren. |
Werke: | Auf dem Wege zum Germanischen Reich. Drei Aufsätze von G. Berger, 1944 (unergiebig). |
Nachweis: | Bildnachweise: Morris Cargill (Hg.), A Gallery of Nazis, Secaucus, N. J. (o. J.), 126. |
Literatur + Links
Literatur: | Gerhard Rempel, G. Berger and Waffen-SS Recruitment: 1933-1945, in: Militärgesch. Mitteilungen 27, 1980, 107-122; Robert Kübler (Hg.), Chef KGW: Das Kriegsgefangenenwesen unter G. Berger, 1984 (ganz im NS-Sinn argumentierende Darstellung); Joachim Scholtyseck, Der „Schwabenherzog“. G. Berger, SS-Obergruppenführer, in: Michael Kißener/Joachim Scholtyseck (Hgg.), Die Führer d. Provinz. NS-Biographien aus Baden u. Württemberg, 1997, 77-110; Joachim Scholtyseck, Robert Bosch u. d. liberale Widerstand gegen Hitler, 1999. |
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