Deissler, Alfons 

Geburtsdatum/-ort: 02.04.1914;  Weitenung
Sterbedatum/-ort: 10.05.2005;  Freiburg im Br.
Beruf/Funktion:
  • Alttestamentler
Kurzbiografie: 1920-1928 Volksschule in Weitenung
1928-1934 Ludwig-Wilhelm-Gymnasium und Gymnasialkonvikt St. Bernhard, Rastatt, bis Abitur
1934-1939 Studium der katholischen Theologie an der Universität Freiburg im Br.
1939 17. Dez. Priesterweihe
1940 Promotion bei Bilz (Dogmatik und theologische Erkenntnislehre) und Allgeier (Altes Testament): „Fürstabt Martin Gerbert von St. Blasien und die theologische Methode“, fortgeschriebene und erweiterte Preisarbeit Deisslers von 1936
1940-1941 Vikariat in Leutkirch und Waldshut
1941-1945 Sanitätssoldat und Pfarrer im Verwundetenlager in Ulm, dann Russlandfeldzug
1945-1947 Repetitor für Theologie am Collegium Borromäum und Lehrbeauftragter an der Theologischen Fakultät in Freiburg
1948-1950 Studium am Institut Catholique, Paris, bei André Robert zur Vorbereitung der Habilitation
1951 Habilitation: „Psalm 119 und seine Theologie“ (bei Allgeier)
1951 10. Ordinarius für alttestamentliche Literatur und Exegese an der Universität Freiburg
1968-1992 Mitglied der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz
1976-1982 Mitglied der Päpstlichen Bibelkommission in Rom
1978-1989 regelmäßige Gast-Vorlesungen an der Dormitio-Abtei in Jerusalem
1982 Emeritierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Fürstabt Gerbert Preis St. Blasien (1993); Bundesverdienstkreuz Erster Klasse (1995)
Eltern: Vater: Franz (1885-1974), Malermeister und Landwirt in Weitenung
Mutter: Marie, geb. Lorenz aus Leiberstung (1884-1961), Hausfrau und Bäuerin
Geschwister: 2:
Eugen (geb. 1919-1941 gefallen)
Angela (1922-2000), Haushälterin von Deissler
GND-ID: GND/118853244

Biografie: Bernd Feininger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 45-47

Deissler stammte väterlicherseits aus einer bodenständigen badischen Handwerker- und Bauernfamilie, die schon lange in Weitenung bei Bühl ansässig war. Ursprünglich wie sein Vater zum Malerberuf bestimmt, veranlasste herausragende schulische Begabung den Ortsgeistlichen, Deissler zu fördern. Prägende religiöse Eindrücke empfing Deissler vom Elternhaus und seinem Großvater väterlicherseits, einem geistlich sehr wachen Schreinermeister, bei dem er früh und gerne die Bibel las, besonders die Erzählungen aus dem Alten Testament. Deissler hat im Rückblick das Gottesbild und -verhältnis seines Elternhauses als hell und freundlich charakterisiert.
1928 kam Deissler in das kirchliche Gymnasialkonvikt St. Bernhard in Rastatt und machte am dortigen Ludwig-Wilhelm-Gymnasium das Abitur. Durch seinen Religionslehrer lernte er nicht nur vertiefend das Alte Testament sondern auch die Hochkulturen in der Umwelt der Bibel kennen. In der katholischen Kirche gewannen damals unterschiedliche Erneuerungsbewegungen an Boden. Das fortschrittliche Milieu war geprägt vom Wunsch nach Überwindung des „Modernismus-Streites“ und suchte die Versöhnung zwischen moderner Wissenschaft und geistlichem Denken, letztlich zwischen „Anthropologie“ und „Theologie“. Dies schloss auch die positive Auseinandersetzung mit kulturell bedeutenden Denkern der Neuzeit, z. B. Nietzsche, mit ein, den Deissler ein Leben lang gern zitiert hat.
Zum Theologiestudium hat sich Deissler in bewusster Abgrenzung gegen den Nationalsozialismus entschieden: „Ich wollte mithelfen, dass das Christentum nicht aus meinem Volke verschwindet.“ Deissler schloss sein Studium in Freiburg mit dem Doktorat 1939/40 ab. Die theologiegeschichtliche Arbeit über Fürstabt Gerbert von St. Blasien befasste sich mit dessen zeitgemäßem theologischen Denken, das in Abgrenzung zur Spätscholastik intensive geschichtliche, bibeltheologische und sprachliche Studien beinhaltete. Sein Interesse am Miteinander von Kirche und wissenschaftlicher Theologie, von Bibel und Kirchenreform, von Geschichte und Systematik und deren Vermittlung über mitmenschlich personale Verkündigung, war bereits ausgeprägt, als Deissler 1939 von Erzbischof Gröber die Priesterweihe erhielt und anschließend in der Seelsorge tätig wurde. Im II. Weltkrieg wurde Deissler zur Sanitätstruppe der Wehrmacht in Ulm und als Krankenträger bei der Infanterie zum Russlandfeldzug abkommandiert, bis er im Februar 1942 mit Erfrierungen an den Füßen und einem Streifschuss am Kopf ins Lazarett nach Oppeln kam.
Eine Kommandierung an die Oderfront im Januar 1945 überstand er und konnte sich in amerikanische Gefangenschaft retten. Bis zum Oktober 1945 amtierte er als Lagerpfarrer im Verwundetenlager Göppingen. Zurück in Freiburg beauftragte man ihn mit einer Repetitorstelle am Collegium Borromäum, dem Priesterseminar der Erzdiözese; gleichzeitig unterrichtete er Religion in den Vorkursen der Universität zur Erreichung der Hochschulreife. Der damalige Alttestamentler an der Theologischen Fakultät, A. Allgeier, ein vielsprachiger Philologe und Vertreter der Historisch-Kritischen Exegese, wie sie seit 1943 mit der Bibel-Enzyklika „Divino afflante Spiritu“, offiziell, wenn auch nicht ohne Kautelen, in der katholischen Kirche gelehrt werden durfte, ermunterte Deissler zur Habilitation im Fach Altes Testament. Dazu arbeitete er am damals in der Bibelwissenschaft sehr fortschrittlichen Institut Catholique in Paris bei A. Robert. Deissler blieb ein Leben lang „frankophil“ und schätzte die französische Theologie. 1951 habilitierte er mit einer Studie über Psalm 119, den längsten der Bibel, in Freiburg. Noch im selben Jahr wurde er als Nachfolger seines Lehrers Allgeier Ordinarius und bekleidete den Lehrstuhl für alttestamentliche Literatur und Exegese über 30 Jahre lang bis zu seiner Emeritierung.
In Deisslers Forscher- und Lehrtätigkeit widerspiegelt sich der Aufbruch der katholischen Theologie im 20. Jahrhundert mit besonderem Schwerpunkt auf den Bibelwissenschaften und den Erneuerungen des II. Vatikanischen Konzils. Die „anthropologische Wende“ in der Theologie Karl Rahners, die Notwendigkeit geschichtlichen Denkens in der Theologie und ihrer Hermeneutik, die Bedeutung der Sprache als entscheidendes Konstitutiv des Menschseins, die Phänomenologie der Zugewandtheit des Personalen, die sich im Namen und Angesicht zeigt, waren ihm genau so unverzichtbar wie das Geltenlassen Gottes „von oben her“ und die Begegnung mit ihm „hier auf Erden“, im mitmenschlichen Gegenüber. Deissler bezeichnete das als die „Kreuzes-Struktur“ des Menschen: Leben als Schnittpunkt vertikaler und horizontaler Existenz. Das sah er auch als ethischen Rahmen in den Zehn Weisungen des Dekaloges vorgezeichnet und in der Botschaft der Propheten verkündet. Jesus, der als „Jeschua“ den Namen seines Vaters Jahwe trägt, hat das in Wort und Tat gelebt.
Deissler gehört zu den Begründern der „anthologischen Methode“ in der Psalmenauslegung, die heute unter der Perspektive der „intertextuellen Bibellektüre“ wieder verstärkt Beachtung findet. Gleiches gilt für die alttestamentlich-biblische Theologie, deren Grundzüge er in dichter Weise herausarbeitete und dabei den Schwerpunkt auf den „Bund“ legte, den Gott als Schöpfer, Retter und Erlöser Israel und allen Menschen setzte und anbot. Schon früh stellte Deissler Bezüge und Brückenschläge zum Judentum her, wobei ihn besonders Martin Buber beeinflusste. Neben den Psalmen hatte Deissler die Bücher der Propheten, vor allem das Zwölfprophetenbuch, als Forschungsschwerpunkt. Die Gottesliebe beim Propheten Hosea und die Sozialkritik des Amos faszinierten ihn immer neu und prägten sein eigenes religiöses Leben und die akademische Lehre in authentischer Weise.
Deissler nahm die gesellschaftlichen Ansprüche des Glaubens sehr ernst. Sein bürgerschaftliches Engagement zeigt sich beispielsweise in der Mitgliedschaft in der CDU seit Jahresanfang 1969 (Mitglieds-Nr. 0207066456), in der kirchlichen Burschenschaft Unitas, im Rotary-Club Freiburg. Finanziell und ideell unterstützte er kirchliche Hilfswerke und war besonders dem Caritas-Hospital in Bethlehem und der Caritas-Gemeinschaft für Pflege- und Sozialberufe in Freiburg verbunden, deren spiritueller Mentor Deissler wurde. Zum Erben seines Vermögens hat er die Hospizgruppe Freiburg bestimmt. Seine umfassende Bildung und sein besonnenes Urteil, aber auch seine verlässliche Loyalität, bei aller Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung und prophetischen Mahnung, machten ihn zu einem geschätzten Mitarbeiter in bedeutenden kirchlichen Gremien: auf diözesaner Ebene z. B. als Mitglied im Priesterrat, in der Deutschen Bischofskonferenz als Mitglied der Glaubenskommission, in Rom als Mitglied der Päpstlichen Bibelkommission. Gerade für die Erzdiözese Freiburg hat Deissler in der Theologie-Ausbildung der Priester und Laien das Alte Testament im Sinne des II. Vatikanischen Konzils populär gemacht und nachhaltig erschlossen. Seine der biblischen Botschaft kongeniale, sprachgewaltige Vortragsgabe kam ihm dabei zu Gute. Wie anerkannt seine Position in der deutschen katholischen Theologie war, zeigt seine Mitarbeit an den Festschriften so bedeutender Theologen wie Karl Rahner und Kardinal Karl Lehmann. Einer seiner begabtesten Schüler, R. Mosis, wurde später Präsident der Universität Eichstätt und Alttestamentler an der Universität Mainz. Er und Deisslers Nachfolger in Freiburg, Lothar Ruppert, würdigten seine Arbeit anlässlich der ihm gewidmeten Festschrift zum 75. Geburtstag: „In Kommentaren zu Prophetenbüchern und zu den Psalmen, in wissenschaftlichen Aufsätzen, ... übersetzte er ... die großen Texte des Alten Testaments in die gegenwärtige Zeit, ... weckte so die „Einsicht in den Glauben“, den Intellectus fidei: das Geschäft des Theologen seit eh und je“ (Der Weg zum Menschen, 1989).
Quellen: EAF Personalakte A. Deissler; UA Freiburg Personalakte; Kirchenbücher Pfarrei Hl. Blut in Bühl-Weitenung; Stadtgeschichtl. Institut Bühl/Baden; Histor. Bibliothek d. Stadt Rastatt im Ludwig-Wilhelm-Gymnasium, Nachlass A. Deissler; H. Heid, Die Historische Bibliothek d. Stadt Rastatt im Ludwig-Wilhelm-Gymnasium, 2003, 285-292 (= Übersicht zur Büchersammlung Deisslers); A. Deissler, 1100 Jahre Weitenung, 1984 (FS zum Ortsjubiläum), 59-68 (enthält Jugenderinnerungen Deisslers); A. Deissler, Die Generationserfahrung eines kath. Alttestamentlers, in: Freiburger Universitätsbll. H. 128, 1995, 43-50 (= Autobiographischer Aufsatz Deisslers, auch in: B. Feininger/Deissler Weißmann, Hgg., Wozu brauchen wir das AT? Zwölf Antworten von A. Deissler, 2004, 239-284); Wozu brauchen wir das AT? Interview von U. Ruh mit A. Deissler in: Herder-Korrespondenz 35, 1981, 618-623 (auch in: Feininger/Weißmann 225-236); B. Feininger, Das „Haupt“ ist biblisch die „Hauptsache“ am Menschen (= Interview mit dem Künstler E. Wachter über A. Deissler, mit Porträtstudie), in: Feininger/Weißmann 249 f.; W. E. Becker, Gespräch am Abend mit dem 90 jährigen A. Deissler, (Interview mit A. Deissler 2003, in: Feininger/Weißmann 251-260); H. Heid, Interview mit Prof. A. Deissler in Freiburg, 1996 (= Deisslers Erinnerungen an Kardinal Bea), in: H. Heid (Hg.), Begleitbuch zur Ausstellung Augustin Bea in Rastatt, 2000, 453-464.
Werke: Schriftenverzeichnis in: R. Mosis/L. Ruppert, (Hgg.), Der Weg zum Menschen. FS A. Deissler zum 75. Geburtstag, 1989, 341-344 (mit Porträt Deisslers). – Monographien (Auswahl): Fürstabt Martin Gerbert von St. Blasien u. die theolog. Methode, Diss theol. Freiburg im Br., 1940; Psalm 119 (118) u. seine Theologie, 1955, Münchener Theologische Studien I/11; (mit M. Delcor), Les Petits Prophètes I, 1961; Die Psalmen, 3 Bde, 1963/64 (letzte Neuaufl. in einem Bd. 1977); (mit M. Delcor), Les Petits Prophètes II, 1964; Das Alte Testament u. die neuere kath. Exegese, 1963, 1968 5. Aufl.; Ich werde mit dir sein. Meditationen zu den fünf Büchern Mose, 1969 (Neuaufl. postum 2006); Die Grundbotschaft des AT, 1969 (erweit. Neuausg. 1995; letzte Neuausg., hg. von E. Zenger, postum 2006); An mir findest du reiche Frucht. Meditationshilfen zum Hosea-Buch, 1977; Zwölf Propheten I, II, III, Neue Echter Bibel, 1981-1988 (Bd. I, 1992 3. Aufl.); (mit A. Vögtle, Hgg.), Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar d. Jerusalemer Bibel, 1985 (letzte Neuausg. 2002); Dann wirst du Gott erkennen. Die Grundbotschaft d. Propheten, 1987. – Aufsätze (Auswahl): Die wesentliche Bundesweisung i. d. mosaischen u. frühprophetischen Gottesbotschaft, in: Gott u. Welt, FS für K. Rahner, 1964, 445-462; Gottes Selbstoffenbarung im AT, in: Mysterium Salutis Bd. 2, 1967, 226-271; Der Geist des Vaterunsers im alt. Glauben u. Beten, in: M. Brocke u. a. (Hgg.), Das Vaterunser, 1974, 129-150; Prophet u. Volk Gottes, in: A. Raffelt (Hg.), Weg u. Weite. FS für Karl Lehmann, 2001 2. Aufl., 33-42.
Nachweis: Bildnachweise: BildA d. Histor. Bibliothek Rastatt u. bei Feininger/ Weißmann, 2004 (vgl Quellen u. Lit.).

Literatur: B. Feininger, Das Erste Testament u. die Mitte d. Schrift (Forschungsgeschichtl. Würdigung d. Arbeiten von Deissler), in: B. Feininger/Deissler Weißmann (Hgg.), Wozu brauchen wir das AT? Zwölf Antworten von A. Deissler, 2004, 13-26 (mit Porträt Deisslers); B. Kraus, Dein Wort, Herr, ist ein Licht über meinen Pfaden. Ein Besuch bei dem emeritierten Alttestamentler A. Deissler, in: Konradsblatt 9, 2005, 20 f.; E. Zenger, Bergführer zum Sinai. Nachruf auf A. Deissler, in: Christ in d. Gegenwart 23, 2005, 189 ff. (wieder abgedr. i. d. Neuaufl. des Sammelbdes. von Feininger/Weißmann, 2006 2. Aufl., 262-267).
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