Toch, Ernst 

Geburtsdatum/-ort: 07.12.1887; Wien
Sterbedatum/-ort: 01.10.1964; Santa Monica (Californien)
Beruf/Funktion:
  • Komponist
Kurzbiografie: 1909 Mozartpreis der Stadt Frankfurt/Main, Beginn des Studiums am Hoch’schen Conservatorium Frankfurt a. M. bei Willy Rehberg (Klavier) und Iwan Knorr (Theorie)
1910 Mendelssohn-Preis
1913 Lehrer am Zuschneid’schen Conservatorium in Mannheim
1915-1919 Kriegsdienst in der österreichischen Armee
1921 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg mit der Dissertation „Beiträge zur Stilkunde der Melodie“
1925 und 1926 „Schott-Preis“
1929 Übersiedlung nach Berlin
1933 Emigration über Paris und London nach New York, Lehrtätigkeit an der New School of Social Research in New York
1936 Umzug nach Hollywood wegen Tätigkeit als Filmkomponist für Paramount; Lehrtätigkeit an der University of Southern California
1957 „Pulitzer Preis“ für seine 3. Sinfonie; Wahl zum Mitglied des „National Institute of Arts and Letters“; Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1960 „Grammy Award“
1964 Ehrendoktorwürde des Hebrew College, Cincinnati
Weitere Angaben zur Person: Religion: israelitisch
Verheiratet: 1916 Alice (genannt Lilly), geb. Zwack (1897- 1972)
Eltern: Moriz Toch (gest. 1903), Lederwarenhändler
Gisela, geb. Graf (1861-1937)
Geschwister: Elsa, verh. Roman (1884-1973)
Kinder: Franzi (1928-1988)
GND-ID: GND/11891796X

Biografie: Burkhard Laugwitz (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 364-366

„Ich habe bei keinem lebenden Lehrer studiert.“ „Meine Musik ist nicht atonal. Sie wurzelt in der Tonalität, die aber in einer schwebenden, kreisenden Form auftritt und unabänderlich von der Schwerkraft eines festen tonalen Mittelpunktes angezogen wird.“ „Ich bin der meistvergessene Komponist des 20. Jahrhunderts.“ Drei Äußerungen des Komponisten Toch, die im Grunde genommen alles das umschreiben, was über Toch zu sagen ist. Eine Selbstbeschreibung im Brennspiegel gewissermaßen.
Als Kind in einem völlig amusischen Elternhaus aufgewachsen, das den Jungen in keiner Weise musikalisch forderte, ist es wohl ein Phänomen, daß er als Autodidakt aufsteigen konnte zu einem der bedeutenden Komponisten der 20er und 30er Jahre dieses Jahrhunderts. Ein Autodidakt, der sich das musikalische Wissen selber aneignete, indem er Streichquartette von Mozart und Fugen von Bach abschrieb, um so hinter das Geheimnis der Formen zu gelangen. So erklärt es sich, daß er Bach und Mozart zu seinen Lehrern erklärte. Als Toch 1909 zu Iwan Knorr kam, um bei ihm Kompositionen zu studieren, fragte dieser ihn, was er denn noch bei ihm lernen wolle. Schon als Gymnasiast wurden nämlich Tochs frühe Streichquartette vom renommierten Wiener Rosé-Quartett gespielt. Trotzdem hatte der junge Toch zunächst angefangen, in Wien Medizin zu studieren, nahm aber am Kompositionswettbewerb um den Mozartpreis der Stadt Frankfurt teil, der als Preis ein vierjähriges Stipendium mit einem einjährigen Aufenthalt in Frankfurt vorsah. Als er diesen Wettbewerb gewonnen hatte, brach er das zuvor begonnene Medizinstudium ab und ging nach Frankfurt. Willy Rehberg wurde hier der prägende Lehrer für ihn. Die pianistischen Fähigkeiten, die er bei ihm erwarb, sollten ihn in den späteren Jahren in die Lage versetzen, alle seine Klavierwerke auch selber im Konzertsaal spielen zu können, was für die Verbreitung dieser Werke von großer Wichtigkeit war. Wie sehr er an Rehberg hing, mag die Tatsache verdeutlichen, daß der ausschlaggebende Grund, in Mannheim Theorie zu unterrichten, der war, daß Rehberg nach Mannheim ging. So war es ihm möglich, weiter bei seinem hochverehrten Lehrer zu studieren. Die Tätigkeit als Theorielehrer war für einen Autodidakten etwas ungewöhnlich. Toch sagte einmal, daß er sich aus diesem Grund ein Buch gekauft habe, um zu sehen, was dort für ein „Blödsinn“ drinstünde, war er doch der Meinung, daß man komponieren überhaupt nicht lernen und somit natürlich auch nicht unterrichten könne. Tochs erste Mannheimer Jahre, die bis 1915, waren die des Suchens nach einer Tonsprache, die seiner Zeit entsprechen würde. Dann brach der erste Weltkrieg aus, und Toch wurde zur österreichischen Infanterie einberufen. In den folgenden Kriegsjahren entstand nur ein einziges Werk, die „Spitzweg Serenade“.
Tochs Rückkehr nach Mannheim zeigte, daß er zwischenzeitlich eine stilistische Wandlung durchgemacht hatte. Dieses dokumentiert sich in seinem Streichquartett op. 26. Hier fand er zu einer Tonsprache, die im Gegensatz stand zu der gefühlsmäßig überladenen Musik, wie sie in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts vorherrschend war. Tochs neue Tonsprache wurzelte aber trotzdem noch „in der Tonalität, die aber in einer schwebenden, kreisenden Form auftritt und unabänderlich von der Schwerkraft eines festen tonalen Mittelpunktes angezogen wird“. Selbst wenn er einmal, wie etwa in seinem 1953/54 entstandenen Streichquartett op. 74, sich der Zwölftontechnik zur Entwicklung der Themen bediente, so läßt er sich auch dort von dieser „Schwerkraft“ leiten. Die Jahre 1919 bis 1933 waren wohl die erfolgreichsten im Leben des Komponisten Toch. Es entstanden Kammermusik-, Bühnen- und Orchesterwerke, Solokonzerte und Klavierwerke. Solisten wie Emmanuel Feurmann und Walter Gieseking, Dirigenten wie Erich Kleiber, Herrmann Scherchen und Wilhelm Furtwängler betreuten die Uraufführungen seiner Werke. Kein Musikfestival ohne ein Werk von Toch. Allen voran die „Tage für neue Musik“ in Donaueschingen. Hindemith selbst, einer der Mitbegründer, hatte Toch bereits im 2. Jahr des Bestehens des Festivals für Donaueschingen gewinnen können. Bald verband den Komponisten ein Generalvertrag mit dem Verlag „Schott’s Söhne“ in Mainz, der es ihm ermöglichte, sich ganz vom Unterrichten zu lösen. Diese positive Entwicklung wurde 1933 abrupt unterbrochen. Von einem Musikologenkongreß in Florenz, an dem er neben Richard Strauß als zweiter deutscher Ehrengast teilgenommen hatte, kehrte er nicht mehr nach Deutschland zurück. Über Paris und London – in beiden Städten war es für Emigranten unmöglich zu leben – emigrierte er nach den USA. In New York fand er eine erste kleine Existenz, indem er an der „New School of Social Research“ oder, wie sie auch hieß, „University in Exil“ unterrichtete. Gegründet von Alvin Johnson, hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, aus Europa vertriebenen Künstlern und Wissenschaftlern ein erstes neues Tätigkeitsfeld im Exil zu bieten.
Das Angebot zu Paramount nach Hollywood zu kommen, um dort Filmmusiken zu schreiben, nahm Toch dann nicht nur aus finanziellen Gründen an, sondern er dachte auch, daß der Film sich zu einem adäquaten Ersatz für das Theater, welches ihm im Exil erst einmal verwehrt war, entwickeln könnte. Ein Trugschluß, wie sich bald herausstellen sollte.
In den Jahren bis zum Ende des Krieges entstanden dann nur wenig ernsthafte Stücke. Toch fühlte sich dazu nicht in der Lage. Das änderte sich erst seit 1945. Toch begann wieder zu konzertieren, hielt Vorträge, reiste nach Europa, und er komponierte wieder. Es ist bemerkenswert, daß alle seine sieben Sinfonien erst zwischen den Jahren 1949 und 1964 – seinem Todesjahr – entstanden.
Ab 1948 wurden auch seine Werke vermehrt in den USA aufgeführt, und dieses zum Teil von solch renommierten Dirigenten wie Georg Szell, William Steinberg, Otto Klemperer, Antal Dorati und Erich Leinsdorf. Trotzdem hat Toch nie wieder den Bekanntheitsgrad und die Verbreitung im Konzert- und Opernrepertoire erreicht wie vor 1933. Als Exilkomponist wurde er, wie viele andere, ein Opfer der politischen Ereignisse in Europa. Gleichwohl hat Toch seinen Stellenwert in der Musikgeschichte, da er, wie es der Münchener Musikkritiker K. H. Ruppel einmal sagte, „das uns fehlende Bindeglied zwischen Gustav Mahler und Karl Amadeus Hartmann darstellt“.
Quellen: Zahlreiche Dokumente, Artikel, Briefe etc. von und über Ernst Toch in der Music Library der University of California Los Angeles
Werke: Liste seiner Werke bei „Schott Verlag“ Mainz und bei C. A. Johnson (vgl. Literatur); Liste der Zeitungsartikel und Vorträge bei Music Library der University of California, Los Angeles; Liste der Rundfunkbeiträge bei Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt/Main; Beiträge zur Stilkunde der Melodie, Dissertation 1921 Heidelberg, gedruckt als „Melodielehre“, Berlin 1923; The Shaping Forces in Music, New York 1948
Nachweis: Bildnachweise: Fotos in: Music Library der University of California, Los Angeles; Theatersammlung der Stadt Mannheim und in Mannheimer Hefte 1987/2

Literatur: Erich Hermann Müller von Asow, Ernst Toch, in: Mannheimer Hefte 1962, Heft 3, 19-22; Kurt Stone, Ernst Toch, in: MGG 13, 1966, 444-446; Charles Anthony Johnson, The unpublished Works of Ernst Toch, Dissertation Universität of California, Los Angeles 1973; Lilly Toch, The Orchestration of a Composer’s Life, University of California, Los Angeles 1978; B. Laugwitz, Zum 100. Geburtstag von Ernst Toch, in: Mannheimer Hefte 2, 1987
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